§ 4. In der so genannten ersten Figur sind einzig und allein reine Vernunftschlüsse möglich, in den drei übrigen lediglich vermischte

[603] Wenn ein Vernunftschluß unmittelbar nach einer von unsern zwei oben angeführten obersten Regeln geführt wird, so[603] ist er jederzeit in der ersten Figur. Die erste Regel heißt also: ein Merkmal B von einem Merkmal C einer Sache A ist ein Merkmal der Sache A selbst. Hieraus entspringen drei Sätze:


C hat zum Merkmal B

Was vernünftig ist (C) ist ein Geist (B)


A hat zum Merkmal C

Die menschl. Seele (A) ist vernünftig (C)


Also A hat z. Merkm. B

Also ist die menschl. Seele (A) ein Geist. (B)


Es ist sehr leicht, mehr ähnliche und unter andern auch auf die Regel der verneinenden Schlüsse anzuwenden, um sich zu überzeugen, daß, wenn sie diesen gemäß sind, sie jederzeit in der ersten Figur stehen, daß ich hier mit Recht eine ekelhafte Weitläuftigkeit zu verhüten suche. Man wird auch leichtlich gewahr, daß diese Regeln der Vernunftschlüsse nicht erfodern, daß außer diesen Urteilen irgend dazwischen eine unmittelbare Schlußfolge aus einem oder andern derselben müsse geschoben werden, wofern das Argument soll bündig sein, daher ist der Vernunftschluß in der ersten Figur von reiner Art.


In der zweiten Figur sind keine andre als vermischte Vernunftschlüsse möglich

Die Regel der zweiten Figur ist diese: Wem ein Merkmal eines Dinges widerspricht, das widerspricht dem Dinge selber. Dieser Satz ist nur darum wahr, weil dasjenige, dem ein Merkmal widerspricht, das widerspricht auch diesem Merkmal, was aber einem Merkmal widerspricht, widerstreitet der Sache selbst, also dasjenige, dem ein Merkmal einer Sache widerspricht, das widerstreitet der Sache selber. Hier ist nun offenbar, daß bloß deswegen, weil ich den Obersatz als einen verneinenden Satz schlechthin umkehren kann, eine Schlußfolge vermittelst des Untersatzes auf die Konklusion möglich ist. Demnach muß diese Umkehrung dabei geheim gedacht werden, sonst schließen meine Sätze nicht. Der durch die Umkehrung herausgebrachte Satz aber ist[604] eine eingeschobene unmittelbare Folge aus dem ersteren, und der Vernunftschluß hat vier Urteile, und ist ein ratiocinium hybridum, z. E. wenn ich sage,

Kein Geist ist teilbar

alle Materie ist teilbar

folglich ist keine Materie ein Geist:

so schließe ich recht, nur die Schlußkraft steckt darin, weil aus dem ersten Satz, kein Geist ist teilbar, durch eine unmittelbare Folgerung fließt, folglich nichts Teilbares ist ein Geist, und nach diesem alles nach der allgemeinen Regel aller Vernunftschlüsse richtig folget. Aber da nur kraft dieser daraus zu ziehenden unmittelbaren Folgerung eine Schlußfälligkeit in dem Argumente ist, so gehört dieselbe mit dazu und er hat vier Urteile,

Kein Geist ist teilbar

Und daher nichts Teilbares ist ein Geist

Alle Materie ist teilbar

Mithin keine Materie ist ein Geist.




In der dritten Figur sind keine andere als vermischte Vernunftschlüsse möglich

Die Regel der dritten Figur ist folgende: Was einer Sache zukommt oder widerspricht, das kommt auch zu oder widerspricht einigen, die unter einem andern Merkmale dieser Sache enthalten sind. Dieser Satz selber ist nur darum wahr, weil ich das Urteil, in welchem gesagt wird, daß ein anderes Merkmal dieser Sache zukommt (per conversionem logicam) umkehren kann, wodurch es der Regel aller Vernunftschlüsse gemäß wird. Es heißt z. E.

Alle Menschen sind Sünder

Alle Menschen sind vernünftig

also einige Vernünftige sind Sünder.

Dieses schließt nur, weil ich durch eine Umkehrung per accidens aus dem Untersatz also schließen kann: folglich sind einige vernünftige Wesen Menschen, und alsdenn werden die Begriffe nach der Regel aller Vernunftschlüsse verglichen, aber nur vermittelst eines eingeschobnen unmittelbaren Schlusses, und man hat ein ratiocinium hybridum:[605]

Alle Menschen sind Sünder

Alle Menschen sind vernünftig

mithin einige Vernünftige sind Menschen

also einige Vernünftige sind Sünder.

Eben dasselbe kann man sehr leicht in der verneinenden Art dieser Figur zeigen, welches ich um der Kürze willen weglasse.


In der vierten Figur sind keine andere wie vermischte Vernunftschlüsse möglich

Die Schlußart in dieser Figur ist so unnatürlich, und gründet sich auf so viel mögliche Zwischenschlüsse, die als eingeschoben gedacht werden müssen, daß die Regel, die ich davon allgemein vortragen könnte, sehr dunkel und unverständlich sein würde. Um deswillen will ich nur sagen, um welcher Bedingungen willen eine Schlußkraft darin liegt. In den verneinenden Arten dieser Vernunftschlüsse ist darum, weil ich entweder durch logische Umkehrung oder Kontraposition die Stellen der Hauptbegriffe verändern und also nach jedem Vordersatze seine unmittelbare Schlußfolge gedenken kann, so daß diese Schlußfolgen die Beziehung bekommen, die sie in einem Vernunftschlusse nach der allgemeinen Regel überhaupt haben müssen, eine richtige Folgerung möglich. Von den bejahenden aber werde ich zeigen, daß sie in der vierten Figur gar nicht möglich sein. Der verneinende Vernunftschluß nach dieser Figur wird, wie er eigentlich gedacht werden muß, sich auf folgende Art darstellen:

Kein Dummer ist gelehrt

folgl. Kein Gelehrter ist dumm.

Einige Gelehrte sind fromm

folgl. Einige Fromme sind gelehrt

also einige Fromme sind nicht dumm.

Es sei ein Syllogismus von der zweiten Art,

Ein jeder Geist ist einfach

alles Einfache ist unverweslich

also einiges Unverwesliche ist ein Geist.

Hier leuchtet deutlich in die Augen, daß das Schlußurteil, so wie es da steht, aus den Vordersätzen gar nicht fließen[606] könne. Man vernimmt dieses gleich, so bald man den mittlern Hauptbegriff damit vergleicht. Ich kann nämlich nicht sagen, einiges Unverwesliche ist ein Geist, weil es einfach ist, denn darum, weil etwas einfach ist, ist es nicht sofort ein Geist. Ferner so können durch alle mögliche logische Veränderungen die Vordersätze nicht so eingerichtet werden, daß der Schlußsatz oder auch nur ein anderer Satz, aus welchem derselbe als eine unmittelbare Folge fließet, könnte hergeleitet werden, wenn nämlich nach der in allen Figuren einmal festgesetzten Regel die Hauptbegriffe ihre Stellen so haben sollen, daß der größere Hauptbegriff im Obersatz, der kleinere im Untersatze vorkomme.1 Und obgleich, wenn ich die Stellen der Hauptbegriffe gänzlich verändere, so, daß derjenige der kleinere wird, der vorher der größere war und umgekehrt, ein Schlußsatz, aus dem die gegebene Konklusion fließt, kann gefolgert werden, so ist doch alsdenn auch eine gänzliche Versetzung der Vordersätze nötig und der nach der vierte Figur enthaltene so genannte Vernunftschluß enthält wohl die Materialien, aber nicht die Form, wornach geschlossen werden soll, und ist gar kein Vernunftschluß nach der logischen Ordnung, in der allein die Einteilung der vier Figuren möglich ist, welches bei der verneinenden Schlußart in derselben Figur sich ganz anders befindet. Es wird nämlich so heißen müssen:

Ein jeder Geist ist einfach

alles Einfache ist unverweslich

also ein jeder Geist ist unverweslich

mithin einiges Unverwesliche ist ein Geist.

Dieses schließt ganz richtig, allein ein dergleichen Vernunftschluß ist von dem in der ersten Figur nicht durch eine andere[607] Stelle des mittlern Hauptbegriffs unterschieden, sondern nur darin, daß die Stellen der Vordersätze verändert worden2 und in dem Schlußsatze die Stellen der Hauptbegriffe. Darin besteht aber gar nicht die Veränderung der Figur. Einen Fehler von dieser Art findet man an dem angeführten Orte der Crusischen Logik, wo man durch diese Freiheit, die Stelle der Vordersätze zu verändern, geglaubt hat, in der vierten Figur und zwar natürlicher zu schließen. Es ist schade um die Mühe, die sich ein großer Geist gibt, an einer unnützen Sache bessern zu wollen. Man kann nur was Nützliches tun, wenn man sie vernichtigt.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977, S. 603-608.
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