§ 5. Die logische Einteilung der vier syllogistischen Figuren ist eine falsche Spitzfindigkeit

[608] Man kann nicht in Abrede sein, daß in allen diesen vier Figuren richtig geschlossen werden könne. Nun ist aber unstreitig, daß sie alle, die erste ausgenommen, nur durch einen Umschweif und eingemengte Zwischenschlüsse die Folge bestimmen, und daß eben derselbe Schlußsatz aus dem nämlichen Mittelbegriffe in der ersten Figur rein und unvermengt abfolgen würde. Hier könnte man nun denken, daß darum die drei andere Figuren höchstens unnütze, nicht aber falsch wären. Allein wenn man die Absicht erwägt, in der sie erfunden worden, und noch immer vorgetragen werden, so wird man anders urteilen. Wenn es darauf ankäme, eine Menge von Schlüssen, die unter die Haupturteile gemengt wären, mit diesen so zu verwickeln, daß, indem einige ausgedruckt, andere verschwiegen würden, es viele Kunst kostete, ihre Übereinstimmung mit den Regeln zu schließen zu beurteilen, so würde man wohl eben nicht mehr Figuren,[608] aber doch mehr rätselhafte Schlüsse, die Kopfbrechens genug machen könnten, noch dazu ersinnen können. Es ist aber der Zweck der Logik, nicht zu verwickeln, sondern aufzulösen, nicht verdeckt, sondern augenscheinlich etwas vorzutragen. Daher sollen diese vier Schlußarten einfach, unvermengt, und ohne verdeckte Nebenschlüsse sein, sonst ist ihnen die Freiheit nicht zugestanden, in einem logischen Vortrage als Formeln der deutlichsten Vorstellung eines Vernunftschlusses zu erscheinen. Es ist auch gewiß, daß bis daher alle Logiker sie vor einfache Vernunftschlüsse ohne notwendige Dazwischensetzung von andern Urteilen angesehen haben, sonst würde ihnen niemals dieses Bürgerrecht sein erteilt worden. Es sind also die übrige drei Schlußarten als Regeln der Vernunftschlüsse überhaupt richtig, als solche aber, die einen einfachen und reinen Schluß enthielten, falsch. Diese Unrichtigkeit, welche es zu einem Rechte macht, Einsichten verwickeln zu dürfen, anstatt daß die Logik zu ihren eigentümlichen Zwecke hat, alles auf die einfachste Erkenntnisart zu bringen, ist um desto größer, je mehr besondere Regeln (deren eine jede Figur etliche eigene hat) nötig sein, um bei diesen Seitensprüngen sich nicht selbst ein Bein unterzuschlagen. In der Tat wo jemals auf eine gänzlich unnütze Sache viel Scharfsinnigkeit verwandt, und viel scheinbare Gelehrsamkeit verschwendet worden ist, so ist diese. Die so genannte Modi, die in jeder Figur möglich sind, durch seltsame Wörter angedeutet, die zugleich mit viel geheimer Kunst Buchstaben enthalten, welche die Verwandlung in die erste erleichtern, werden künftighin eine schätzbare Seltenheit von der Denkungsart des menschlichen Verstandes enthalten, wenn dereinst der ehrwürdige Rost des Altertums einer besser unterwiesnen Nachkommenschaft die emsige und vergebliche Bemühungen ihrer Vorfahren an diesen Überbleibseln wird bewundern und bedauren lehren.

Es ist auch leicht, die erste Veranlassung zu dieser Spitzfindigkeit zu entdecken. Derjenige so zuerst einen Syllogismus in drei Reihen übereinander schrieb, ihn wie ein[609] Schachbrett ansahe, und versuchte, was aus der Versetzung der Stellen des Mittelbegriffs herauskommen möchte, der war eben so betroffen, da er gewahr ward, daß ein vernünftiger Sinn herauskam, als einer, der ein Anagramm im Namen findet. Es war eben so kindisch, sich über das eine wie über das andre zu erfreuen, vornehmlich da man darüber vergaß, daß man nichts Neues in Ansehung der Deutlichkeit, sondern nur eine Vermehrung der Undeutlichkeit aufbrächte. Allein es ist einmal das Los des menschlichen Verstandes so bewandt; entweder er ist grüblerisch und gerät auf Fratzen, oder erhaschet verwegen nach zu großen Gegenständen, und bauet Luftschlösser. Von dem großen Haufen der Denker wählt der eine die Zahl 666, der andere den Ursprung der Tiere und Pflanzen, oder die Geheimnisse der Vorsehung. Der Irrtum, darin beide geraten, ist von sehr verschiedenem Geschmack, so wie die Köpfe verschieden sein.

Die wissenswürdige Dinge häufen sich zu unsern Zeiten. Bald wird unsere Fähigkeit zu schwach, und unsere Lebenszeit zu kurz sein, nur den nützlichsten Teil daraus zu fassen. Es bieten sich Reichtümer im Überflusse dar, welche einzunehmen wir manchen unnützen Plunder wieder wegwerfen müssen. Es wäre besser gewesen, sich niemals damit zu belästigen.

Ich würde mir zu sehr schmeicheln, wenn ich glaubte, daß die Arbeit von einigen Stunden vermögend sein werde, den Kolossen umzustürzen, der sein Haupt in die Wolken des Altertums verbirgt, und dessen Füße von Ton sind. Meine Absicht ist nur, Rechenschaft zu geben, weswegen ich in dem logischen Vortrage, in welchem ich nicht alles meiner Einsicht gemäß einrichten kann, sondern manches dem herrschenden Geschmack zu Gefallen tun muß, in diesen Materien nur kurz sein werde, um die Zeit, die ich dabei gewinne, zur wirklichen Erweiterung nützlicher Einsichten zu verwenden.

Es gibt noch eine gewisse andere Brauchbarkeit der Syllogistik, nämlich vermittelst ihrer in einem gelehrten Wortwechsel dem Unbehutsamen den Rang abzulaufen. Da dieses aber zur Athletik der Gelehrten gehört, einer Kunst, die sonsten wohl sehr nützlich sein mag, nur daß sie nicht viel[610] zum Vorteil der Wahrheit beiträgt, so übergehe ich sie hier mit Stillschweigen.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977, S. 608-611.
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Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren / Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen