VIII. Von der Ästhetik des Beurteilungsvermögens

[34] Der Ausdruck einer ästhetischen Vorstellungsart ist ganz unzweideutig, wenn darunter die Beziehung der Vorstellung auf einen Gegenstand, als Erscheinung, zur Erkenntnis[34] desselben verstanden wird; denn alsdenn bedeutet der Ausdruck des Ästhetischen, daß einer solchen Vorstellung die Form der Sinnlichkeit (wie das Subjekt affiziert wird) notwendig anhänge und diese daher unvermeidlich auf das Objekt (aber nur als Phänomen) übertragen werde. Daher konnte es eine transzendentale Ästhetik als zum Erkenntnisvermögen gehörige Wissenschaft geben. Seit geraumer Zeit aber ist es Gewohnheit geworden, eine Vorstellungsart ästhetisch, d.i. sinnlich, auch in der Bedeutung zu heißen, daß darunter die Beziehung einer Vorstellung nicht aufs Erkenntnisvermögen, sondern aufs Gefühl der Lust und Unlust gemeinet wird. Ob wir nun gleich dieses Gefühl (dieser Benennung gemäß) auch einen Sinn (Modifikation unseres Zustandes) zu nennen pflegen, weil uns ein anderer Ausdruck mangelt, so ist er doch kein objektiver Sinn, dessen Bestimmung zum Erkenntnis eines Gegenstandes gebraucht würde (denn etwas mit Lust anschauen, oder sonst erkennen, ist nicht bloße Beziehung der Vorstellung auf das Objekt, sondern eine Empfänglichkeit des Subjekts), sondern der gar nichts zum Erkenntnisse der Gegenstände beiträgt. Eben darum, weil alle Bestimmungen des Gefühls bloß von subjektiver Bedeutung sind, so kann es nicht eine Ästhetik des Gefühls als Wissenschaft geben, etwa wie es eine Ästhetik des Erkenntnisvermögens gibt. Es bleibt also immer eine unvermeidliche Zweideutigkeit in dem Ausdrucke einer ästhetischen Vorstellungsart, wenn man darunter bald diejenige versteht, welche das Gefühl der Lust und Unlust erregt, bald diejenige, welche bloß das Erkenntnisvermögen angeht, sofern darin sinnliche Anschauung angetroffen wird, die uns die Gegenstände nur als Erscheinungen erkennen läßt.

Diese Zweideutigkeit kann indessen doch gehoben werden, wenn man den Ausdruck ästhetisch, weder von der Anschauung, noch weniger aber von Vorstellungen des Verstandes, sondern allein von den Handlungen der Urteilskraft braucht. Ein ästhetisch Urteil, wenn man es zur objektiven Bestimmung brauchen wollte, würde so auffallend widersprechend sein, daß man bei diesem Ausdruck wider Mißdeutung genug gesichert ist. Denn Anschauungen[35] können zwar sinnlich sein, aber Urteilen gehört schlechterdings nur dem Verstande (in weiterer Bedeutung genommen) zu, und ästhetisch oder sinnlich urteilen, so fern dieses Erkenntnis eines Gegenstandes sein soll, ist selbst alsdann ein Widerspruch, wenn Sinnlichkeit sich in das Geschäft des Verstandes einmengt und (durch ein vitium subreptionis) dem Verstande eine falsche Richtung gibt; das objektive Urteil wird vielmehr immer nur durch den Verstand gefällt, und kann sofern nicht ästhetisch heißen. Daher hat unsere transzendentale Ästhetik des Erkenntnisvermögens wohl von sinnlichen Anschauungen, aber nirgend von ästhetischen Urteilen reden können, weil, da sie es nur mit Erkenntnisurteilen, die das Objekt bestimmen, zu tun hat, ihre Urteile insgesamt logisch sein müssen. Durch die Benennung eines ästhetischen Urteils über ein Objekt wird also so fort angezeigt, daß eine gegebene Vorstellung zwar auf ein Objekt bezogen, in dem Urteile aber nicht die Bestimmung des Objekts, sondern des Subjekts und seines Gefühls verstanden werde. Denn in der Urteilskraft werden Verstand und Einbildungskraft im Verhältnisse gegen einander betrachtet, und dieses kann zwar erstlich objektiv, als zum Erkenntnis gehörig, in Betracht gezogen werden (wie in dem transzendentalen Schematism der Urteilskraft geschah); aber man kann eben dieses Verhältnis zweier Erkenntnisvermögen doch auch bloß subjektiv betrachten, so fern eins das andere in eben derselben Vorstellung befördert oder hindert und dadurch den Gemütszustand affiziert und also ein Verhältnis, welches empfindbar ist (ein Fall, der bei dem abgesonderten Gebrauch keines andern Erkenntnisvermögens statt findet). Obgleich nun diese Empfindung keine sinnliche Vorstellung eines Objekts ist, so kann sie doch, da sie subjektiv mit der Versinnlichung der Verstandesbegriffe durch die Urteilskraft verbunden ist, als sinnliche Vorstellung des Zustandes des Subjekts, das durch einen Actus jenes Vermögens affiziert wird, der Sinnlichkeit beigezählt und ein Urteil ästhetisch, d.i. sinnlich (der subjektiven Wirkung, nicht dem Bestimmungsgrunde nach) genannt werden, obgleich Urteilen (nämlich objektiv) eine[36] Handlung des Verstandes (als Obern Erkenntnisvermögens überhaupt) und nicht der Sinnlichkeit ist.

Ein jedes bestimmende Urteil ist logisch, weil das Prädikat desselben ein gegebener objektiver Begriff ist. Ein bloß reflektierendes Urteil aber über einen gegebenen einzelnen Gegenstand kann ästhetisch sein, wenn (ehe noch auf die Vergleichung desselben mit andren gesehen wird) die Urteilskraft, die keinen Begriff für die gegebene Anschauung bereit hat, die Einbildungskraft (bloß in der Auffassung desselben) mit dem Verstande (in Darstellung eines Begriffs überhaupt) zusammenhält und ein Verhältnis beider Erkenntnisvermögen wahrnimmt, welches die subjektive bloß empfindbare Bedingung des objektiven Gebrauchs der Urteilskraft (nämlich die Zusammenstimmung jener beiden Vermögen unter einander) über haupt ausmacht. Es ist aber auch ein ästhetisches Sinnenurteil möglich, wenn nämlich das Prädikat des Urteils gar kein Begriff von einem Objekt sein kann, indem es gar nicht zum Erkenntnisvermögen gehört, z.B. der Wein ist angenehm, da denn das Prädikat die Beziehung einer Vorstellung unmittelbar auf das Gefühl der Lust und nicht aufs Erkenntnisvermögen ausdruckt.

Ein ästhetisches Urteil im allgemeinen kann also für dasjenige Urteil erklärt werden, dessen Prädikat niemals Erkenntnis (Begriff von einem Objekte) sein kann (ob es gleich die subjektive Bedingungen zu einem Erkenntnis überhaupt enthalten mag). In einem solchen Urteile ist der Bestimmungsgrund Empfindung, Nun ist aber nur eine einzige so genannte Empfindung, die niemals Begriff von einem Objekte werden kann, und diese ist das Gefühl der Lust und Unlust. Diese ist bloß subjektiv, da hingegen alle übrigen Empfindung zu Erkenntnis gebraucht werden kann. Also ist ein ästhetisches Urteil dasjenige, dessen Bestimmungsgrund in einer Empfindung liegt, die mit dem Gefühle der Lust und Unlust unmittelbar verbunden ist. Im ästhetischen Sinnes-Urteile ist es diejenige Empfindung, welche von der empirischen Anschauung des Gegenstandes unmittelbar hervorgebracht wird, im ästhetischen Reflexionsurteile[37] aber die, welche das harmonische Spiel der beiden Erkenntnisvermögen der Urteilskraft, Einbildungskraft und Verstand im Subjekte bewirkt, indem in der gegebenen Vorstellung das Auffassungsvermögen der einen und das Darstellungsvermögen der andern einander wechselseitig beförderlich sind, welches Verhältnis in solchem Falle durch diese bloße Form eine Empfindung bewirkt, welche der Bestimmungsgrund eines Urteils ist, das darum ästhetisch heißt und als subjektive Zweckmäßigkeit (ohne Begriff) mit dem Gefühle der Lust verbunden ist.

Das ästhetische Sinnesurteil enthält materiale, das ästhetische Reflexionsurteil aber formale Zweckmäßigkeit. Aber, da das erstere sich gar nicht aufs Erkenntnisvermögen bezieht, sondern unmittelbar durch den Sinn aufs Gefühl der Lust, so ist nur das letztere als auf eigentümlichen Prinzipien der Urteilskraft gegründet anzusehen. Wenn nämlich die Reflexion über eine gegebene Vorstellung vor dem Gefühle der Lust (als Bestimmungsgrunde des Urteils) vorhergeht, so wird die subjektive Zweckmäßigkeit gedacht, ehe sie in ihrer Wirkung empfunden wird, und das ästhetische Urteil gehört so fern, nämlich seinen Prinzipien nach, zum obern Erkenntnisvermögen und zwar zur Urteilskraft, unter deren subjektive und doch dabei allgemeine Bedingungen die Vorstellung des Gegenstandes subsumiert wird. Dieweil aber eine bloß subjektive Bedingung eines Urteils keinen bestimmten Begriff von dem Bestimmungsgrunde desselben verstattet, so kann dieser nur im Gefühle der Lust gegeben werden, so doch, daß das ästhetische Urteil immer ein Reflexionsurteil ist: da hingegen ein solches, welches keine Vergleichung der Vorstellung mit den Erkenntnisvermögen, die in der Urteilskraft vereinigt wirken, voraussetzt, ein ästhetisches Sinnenurteil ist, das eine gegebene Vorstellung auch (aber nicht vermittelst der Urteilskraft und ihrem Prinzip) aufs Gefühl der Lust bezieht. Das Merkmal, über diese Verschiedenheit zu entscheiden, kann allererst in der Abhandlung selbst angegeben werden und besteht in dem Anspruche des Urteils auf allgemeine Gültigkeit und Notwendigkeit; denn wenn das ästhetische Urteil dergleichen[38] bei sich führt, so macht es auch Anspruch darauf, daß sein Bestimmungsgrund nicht bloß im Gefühle der Lust und Unlust für sich allein, sondern zugleich in einer Regel der oberen Erkenntnisvermögen, und namentlich hier in der der Urteilskraft, liegen müsse, die also in Ansehung der Bedingungen der Reflexion a priori gesetzgebend ist und Autonomie beweiset; diese Autonomie aber ist nicht (so wie die des Verstandes, in Ansehung der theoretischen Gesetze der Natur, oder der Vernunft, in praktischen Gesetzen der Freiheit) objektiv, d.i. durch Begriffe von Dingen oder möglichen Handlungen, sondern bloß subjektiv, für das Urteil aus Gefühl gültig, welches, wenn es auf Allgemeingültigkeit Anspruch machen kann, seinen auf Prinzipien a priori gegründeten Ursprung beweiset. Diese Gesetzgebung müßte man eigentlich Heautonomie nennen, da die Urteilskraft nicht der Natur, noch der Freiheit, sondern lediglich ihr selbst das Gesetz gibt und kein Vermögen ist, Begriffe von Objekten hervorzubringen, sondern nur mit denen, die ihr anderweitig gegeben sind, vorkommende Fälle zu vergleichen und die subjektive Bedingungen der Möglichkeit dieser Verbindung a priori anzugeben.

Eben daraus läßt sich auch verstehen, warum sie in einer Handlung, die sie für sich selbst (ohne zum Grunde gelegten Begriff von Objekte), als bloß reflektierende Urteilskraft, ausübt, statt einer Beziehung der gegebenen Vorstellung auf ihre eigene Regel mit Bewußtsein derselben, die Reflexion unmittelbar nur auf Empfindung, die, wie alle Empfindungen, jederzeit mit Lust oder Unlust begleitet ist, bezieht (welches von keinem andern obern Erkenntnisvermögen geschieht); weil nämlich die Regel selbst nur subjektiv ist und die Übereinstimmung mit derselben nur an dem, was gleichfalls bloß Beziehung aufs Subjekt ausdrückt, nämlich Empfindung, als dem Merkmale und Bestimmungsgrunde des Urteils, erkannt werden kann; daher es auch ästhetisch heißt, und mithin alle unsere Urteile, nach der Ordnung der obern Erkenntnisvermögen, in theoretische, ästhetische und praktische eingeteilt werden können, wo unter den ästhetischen nur die Reflexionsurteile verstanden[39] werden, welche sich allein auf ein Prinzip der Urteilskraft, als obern Erkenntnisvermögens, beziehen, da hingegen die ästhetische Sinnenurteile es nur mit dem Verhältnis der Vorstellungen zum innern Sinne, so fern derselbe Gefühl ist, unmittelbar zu tun haben.


Anmerkung

Hier ist nun vorzüglich nötig, die Erklärung der Lust, als sinnlicher Vorstellung der Vollkommenheit eines Gegenstandes zu beleuchten. Nach dieser Erklärung würde ein ästhetisches Sinnen- oder Reflexionsurteil jederzeit ein Erkenntnisurteil vom Objekte sein; denn Vollkommenheit ist eine Bestimmung, die einen Begriff vom Gegenstande voraussetzt, wodurch also das Urteil, welches dem Gegenstande Vollkommenheit beilegt, von andern logischen Urteilen gar nicht unterschieden wird, als etwa, wie man vorgibt, durch die Verworrenheit, die dem Begriffe anhängt (die man Sinnlichkeit zu nennen sich anmaßt), die aber schlechterdings keinen spezifischen Unterschied der Urteile ausmachen kann. Denn sonst würde eine unendliche Menge, nicht allein von Verstandes, sondern so gar von Vernunfturteilen, auch ästhetisch heißen müssen, weil in ihnen ein Objekt durch einen Begriff, der verworren ist, bestimmt wird, wie z.B. die Urteile über Recht und Unrecht; denn wie wenig Menschen (so gar Philosophen) haben einen deutlichen Begriff von dem was Recht ist.6 Sinnliche Vorstellung der Vollkommenheit ist ein ausdrücklicher Widerspruch, und wenn die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem Vollkommenheit heißen soll, so muß sie durch einen[40] Begriff vorgestellt werden, sonst kann sie nicht den Namen der Vollkommenheit führen. Will man, daß Lust und Unlust nichts als bloße Erkenntnisse der Dinge durch den Verstand (der sich nur nicht seiner Begriffe bewußt sei) sein sollen und daß sie uns nur bloße Empfindungen zu sein scheinen, so müßte man die Beurteilung der Dinge durch dieselbe nicht ästhetisch (sinnlich), sondern allerwärts intellektuell nennen und Sinne wären im Grunde nichts als ein (obzwar ohne hinreichendes Bewußtsein seiner eigenen Handlungen) urteilender Verstand, die ästhetische Vorstellungsart wäre von der logischen nicht spezifisch unterschieden, und so wäre, da man die Grenzscheidung beider unmöglich auf bestimmte Art ziehen kann, diese Verschiedenheit der Benennung ganz unbrauchbar. (Von dieser mystischen Vorstellungsart der Dinge der Welt, welche keine von Begriffen überhaupt unterschiedene Anschauung als sinnlich zuläßt, wo alsdann für die erstere wohl nichts als ein anschauender Verstand übrig bleiben würde, hier nichts zu erwähnen.)

Noch könnte man fragen: Bedeutet unser Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur nicht eben dasselbe, was der Begriff der Vollkommenheit sagt, und ist also das empirische Bewußtsein der subjektiven Zweckmäßigkeit, oder das Gefühl der Lust an gewissen Gegenständen, nicht die sinnliche Anschauung einer Vollkommenheit, wie einige die Lust überhaupt erklärt wissen wollen?

Ich antworte: Vollkommenheit, als bloße Vollständigkeit des Vielen, so fern es zusammen Eines ausmacht, ist ein ontologischer Begriff, der mit dem der Totalität (Allheit) eines Zusammengesetzten (durch Koordination des Mannigfaltigen in einem Aggregat, oder zugleich der Subordination derselben[41] als Gründe und Folgen in einer Reihe) einerlei ist und der mit dem Gefühle der Lust oder Unlust nicht das mindeste zu tun hat. Die Vollkommenheit eines Dinges in Beziehung seines Mannigfaltigen auf einen Begriff desselben ist nur formal. Wenn ich aber von einer Vollkommenheit (deren es viele an einem Dinge unter demselben Begriffe desselben geben kann) rede, so liegt immer der Begriff von etwas, als einem Zwecke, zum Grunde, auf welchen jener ontologische, der Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem, angewandt wird. Dieser Zweck darf aber nicht immer ein praktischer Zweck sein, der eine Lust an der Existenz des Objekts voraussetzt, oder einschließt, sondern er kann auch zur Technik gehören, betrifft also bloß die Möglichkeit der Dinge und ist die Gesetzmäßigkeit einer an sich zufälligen Verbindung des Mannigfaltigen in demselben. Zu einem Beispiel mag die Zweckmäßigkeit dienen, die man an einem regulären Sechseck in seiner Möglichkeit notwendig denkt, indem es ganz zufällig ist, daß sechs gleiche Linien auf einer Ebene gerade in lauter gleichen Winkeln zusammenstoßen, denn diese gesetzmäßige Verbindung setzt einen Begriff voraus, der, als Prinzip, sie möglich macht. Dergleichen objektive Zweckmäßigkeit an Dingen der Natur beobachtet (vornehmlich an organisierten Wesen) wird nun als objektiv und material gedacht und führt notwendig den Begriff eines Zwecks der Natur (eines wirklichen oder ihr angedichteten) bei sich, in Beziehung auf welchen wir den Dingen auch Vollkommenheit beilegen, darüber das Urteil teleologisch heißt und gar kein Gefühl der Lust bei sich führt, so wie diese überhaupt indem Urteile über die bloße Kausal-Verbindung gar nicht gesucht werden darf.

Überhaupt hat also der Begriff der Vollkommenheit als objektiver Zweckmäßigkeit mit dem Gefühle der Lust und diese mit jenem gar nichts zu tun. Zu der Beurteilung der ersteren gehört notwendig ein Begriff vom Objekt, zu der durch die zweite ist er dagegen gar nicht nötig und bloße empirische Anschauung kann sie verschaffen. Dagegen ist die Vorstellung einer subjektiven Zweckmäßigkeit eines Objekts[42] mit dem Gefühle der Lust so gar einerlei (ohne daß eben ein abgezogener Begriff eines Zweckverhältnisses dazu gehörte) und zwischen dieser und jener ist eine sehr große Kluft. Denn ob, was subjektiv zweckmäßig ist, es auch objektiv sei, dazu wird eine mehrenteils weitläuftige Untersuchung, nicht allein der praktischen Philosophie, sondern auch der Technik, es sei der Natur oder der Kunst erfordert, d.i., um Vollkommenheit an einem Dinge zu finden, dazu wird Vernunft, um Annehmlichkeit, wird bloßer Sinn, um Schönheit an ihm anzutreffen, nichts als die bloße Reflexion (ohne allen Begriff) über eine gegebene Vorstellung erfordert.

Das ästhetische Reflexionsvermögen urteilt also nur über subjektive Zweckmäßigkeit (nicht über Vollkommenheit) des Gegenstandes: und es frägt sich da, ob nur vermittelst der dabei empfundenen Lust oder Unlust, oder so gar über dieselbe, so daß das Urteil zugleich bestimme, daß mit der Vorstellung des Gegenstandes Lust oder Unlust verbunden sein müsse.

Diese Frage läßt sich, wie oben schon erwähnt, hier noch nicht hinreichend entscheiden. Es muß sich aus der Exposition dieser Art Urteile in der Abhandlung allererst ergeben, ob sie eine Allgemeinheit und Notwendigkeit bei sich führen, welche sie zur Ableitung von einem Bestimmungsgrunde a priori qualifiziere. In diesem Falle würde das Urteil zwar vermittelst der Empfindung der Lust oder Unlust, aber doch auch zugleich über die Allgemeinheit der Regel, sie mit einer gegebenen Vorstellung zu verbinden, durch das Erkenntnisvermögen (namentlich die Urteilskraft) a priori etwas bestimmen. Sollte dagegen das Urteil nichts als das Verhältnis der Vorstellung zum Gefühl (ohne Vermittelung eines Erkenntnisprinzips) enthalten, wie es beim ästhetischen Sinnesurteil der Fall ist (welches weder ein Erkenntnis- noch ein Reflexionsurteil ist), so würden alle ästhetische Urteile ins bloß empirische Fach gehören.

Vorläufig kann noch angemerkt werden: daß vom Erkenntnis zum Gefühl der Lust und Unlust kein Übergang durch Begriffe von Gegenständen (so fern diese auf jenes in Beziehung stehen sollen) statt finde, und daß man also nicht erwarten dürfe, den Einfluß, den eine gegebene Vorstellung auf das Gemüt tut, a priori zu bestimmen, so wie[43] wir ehedem in der Krit. d. prakt. V., daß die Vorstellung einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit des Wollens zugleich Willen bestimmend und dadurch auch das Gefühl der Achtung erweckend sein müsse, als ein in unsern moralischen Urteilen und zwar a priori enthaltenes Gesetz, bemerkten, aber dieses Gefühl nichts desto weniger aus Begriffen doch nicht ableiten konnten. Eben so wird das ästhetische Reflexionsurteil uns in seiner Auflösung den in ihr enthaltenen auf einem Prinzip a priori beruhenden Begriff der formalen aber subjektiven Zweckmäßigkeit der Objekte darlegen, der mit dem Gefühle der Lust im Grunde einerlei ist, aber aus keinen Begriffen abgeleitet werden kann; auf deren Möglichkeit überhaupt gleichwohl die Vorstellungskraft Beziehung nimmt, wenn sie das Gemüt, in der Reflexion über einen Gegenstand, affiziert.

Eine Erklärung dieses Gefühls im allgemeinen betrachtet, ohne auf den Unterschied zu sehen, ob es die Sinnesempfindung, oder die Reflexion, oder die Willensbestimmung begleite, muß transzendental sein.7[44] Sie kann so lauten: Lust ist ein Zustand des Gemüts, in welchem eine Vorstellung mit sich selbst zusammenstimmt, als Grund, entweder diesen bloß selbst zu erhalten (denn der Zustand einander wechselseitig befördernder Gemütskräfte in einer Vorstellung erhält sich selbst), oder ihr Objekt hervorzubringen. Ist das erstere, so ist das Urteil über die gegebene Vorstellung ein ästhetisches Reflexionsurteil. Ist aber das letztere, so ist ein ästhetisch-pathologisches, oder ästhetisch-praktisches Urteil. Man sieht hier leicht, daß Lust oder Unlust, weil sie keine Erkenntnisarten sind, für sich selbst gar nicht können erklärt werden, und gefühlt, nicht eingesehen werden wollen; daß man sie daher nur durch den Einfluß, den eine Vorstellung vermittelst dieses Gefühls auf die Tätigkeit der Gemütskräfte hat, dürftig erklären kann.[45]

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 10, Frankfurt am Main 1977, S. 34-46.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon