§ 52. Von der Verbindung der schönen Künste in einem und demselben Produkte

[264] Die Beredsamkeit kann mit einer malerischen Darstellung ihrer Subjekte sowohl, als Gegenstände, in einem Schauspiele; die Poesie mit Musik, im Gesange; dieser aber zugleich mit malerischer (theatralischer) Darstellung, in einer Oper; das Spiel der Empfindungen in einer Musik mit dem Spiele der Gestalten, im Tanz u.s.w. verbunden werden. Auch kann die Darstellung des Erhabenen, sofern sie zur schönen Kunst gehört, in einem gereimten Trauerspiele, einem Lehrgedichte, einem Oratorium sich mit der Schönheit vereinigen; und in diesen Verbindungen ist die schöne Kunst noch künstlicher: ob aber auch schöner (da sich so mannigfaltige verschiedene Arten des Wohlgefallens einander durchkreuzen), kann in einigen dieser Fälle bezweifelt werden. Doch in aller schönen Kunst besteht das Wesentliche in der Form, welche für die Beobachtung und Beurteilung zweckmäßig ist, wo die Lust zugleich Kultur ist und den Geist zu Ideen stimmt, mithin ihn mehrerer solcher Lust und Unterhaltung empfänglich macht; nicht in der Materie der Empfindung (dem Reize oder der Rührung), wo es bloß auf Genuß angelegt ist, welcher nichts in der Idee[264] zurückläßt, den Geist stumpf, den Gegenstand nach und nach anekelnd, und das Gemüt, durch das Bewußtsein seiner im Urteile der Vernunft zweckwidrigen Stimmung, mit sich selbst unzufrieden und launisch macht.

Wenn die schönen Künste nicht, nahe oder fern, mit moralischen Ideen in Verbindung gebracht werden, die allein ein selbständiges Wohlgefallen bei sich führen, so ist das letztere ihr endliches Schicksal. Sie dienen alsdann nur zur Zerstreuung, deren man immer desto mehr bedürftig wird, als man sich ihrer bedient, um die Unzufriedenheit des Gemüts mit sich selbst dadurch zu vertreiben, daß man sich immer noch unnützlicher und mit sich selbst unzufriedener macht. Überhaupt sind die Schönheiten der Natur zu der ersteren Absicht am zuträglichsten, wenn man früh dazu gewöhnt wird, sie zu beobachten, zu beurteilen, und zu bewundern.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 10, Frankfurt am Main 1977, S. 264-265.
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