Fußnoten

1 Wenn der Begriff eines Geistes von unsern eignen Erfahrungsbegriffen abgesondert wäre, so würde das Verfahren, ihn deutlich zu machen, leicht sein, indem man nur diejenigen Merkmale anzuzeigen hätte, welche uns die Sinne an dieser Art Wesen offenbareten, und wodurch wir sie von materiellen Dingen unterscheiden. Nun aber wird von Geistern geredet, selbst alsdenn, wenn man zweifelt, ob es gar dergleichen Wesen gebe. Also kann der Begriff von der geistigen Natur nicht als ein von der Erfahrung abstrahierter behandelt werden. Fragt ihr aber: wie ist man denn zu diesem Begriff überhaupt gekommen, wenn es nicht durch Abstraktion geschehen ist? Ich antworte: viele Begriffe entspringen durch geheime und dunkele Schlüsse bei Gelegenheit der Erfahrungen, und pflanzen sich nachher auf andere fort ohne Bewußtsein der Erfahrung selbst oder des Schlusses, welcher den Begriff über dieselbe errichtet hat. Solche Begriffe kann man erschlichene nennen. Dergleichen sind viele, die zum Teil nichts als ein Wahn der Einbildung, zum Teil auch wahr sein, indem auch dunkele Schlüsse nicht immer irren. Der Redegebrauch und die Verbindung eines Ausdrucks mit verschiedenen Erzählungen, in denen jederzeit einerlei Hauptmerkmal anzu treffen ist, geben ihm eine bestimmte Bedeutung, welche folglich nur dadurch kann entfalten werden, daß man diesen versteckten Sinn durch eine Vergleichung mit allerlei Fällen der Anwendung, die mit ihm einstimmig sein oder ihm widerstreiten, aus seiner Dunkelheit hervorzieht.


2 Man wird hier leichtlich gewahr: daß ich nur von Geistern, die als Teile zum Weltganzen gehören, und nicht von dem unendlichen Geiste rede, der der Urheber und Erhalter desselben ist. Denn der Begriff von der geistigen Natur des letzteren ist leicht, weil er lediglich negativ ist, und darin besteht, daß man die Eigenschaften der Materie an ihm verneinet, die einer unendlichen und schlechterdings notwendigen Substanz widerstreiten. Dagegen bei einer geistigen Substanz, die mit der Materie in Vereinigung sein soll, wie z. E. der menschlichen Seele, äußert sich die Schwierigkeit: daß ich eine wechselseitige Verknüpfung derselben mit körperlichen Wesen zu einem Ganzen denken, und dennoch die einzige bekannte Art der Verbindung, welche unter materiellen Wesen statt findet, aufheben soll.


3 Man hat Beispiele von Verletzungen, dadurch ein guter Teil des Gehirns verloren worden, ohne daß es dem Menschen das Leben oder die Gedanken gekostet hat. Nach der gemeinen Vorstellung, die ich hier anführe, würde ein Atomus desselben haben dürfen entführt, oder aus der Stelle gerückt werden, um in einem Augenblick den Menschen zu entseelen. Die herrschende Meinung: der Seele einen Platz im Gehirne anzuweisen, scheinet hauptsächlich ihren Ursprung darin zu haben, daß man bei starkem Nachsinnen deutlich fühlt, daß die Gehirnnerven angestrengt werden. Allein wenn dieser Schluß richtig wäre, so würde er auch noch andere Örter der Seele beweisen. In der Bangigkeit oder der Freude scheint die Empfindung ihren Sitz im Herzen zu haben. Viele Affekten, ja die mehresten, äußern ihre Hauptstärke im Zwerchfell. Das Mitleiden bewegt die Eingeweide und andre Instinkte äußern ihren Ursprung und Empfindsamkeit in andern Organen. Die Ursache, die da macht, daß man die nachdenkende Seele vornehmlich im Gehirne zu empfinden glaubt, ist vielleicht diese. Alles Nachsinnen erfordert die Vermittelung der Zeichen vor die zu erweckende Ideen, um in deren Begleitung und Unterstützung dessen den erforderlichen Grad Klarheit zu geben. Die Zeichen unserer Vorstellungen aber sind vornehmlich solche, die entweder durchs Gehör oder das Gesicht empfangen sind, welche beide Sinne durch die Eindrücke im Gehirne bewegt werden, indem ihre Organen auch diesem Teile am nächsten liegen. Wenn nun die Erweckung dieser Zeichen, wel che Cartesius ideas materiales nennt, eigentlich eine Reizung der Nerven zu einer ähnlichen Bewegung mit derjenigen ist, welche die Empfindung ehedem hervorbrachte, so wird das Gewebe des Gehirns im Nachdenken vornehmlich genötiget werden, mit vormaligen Eindrücken harmonisch zu beben, und dadurch ermüdet werden. Denn wenn das Denken zugleich affektvoll ist, so empfindet man nicht allein Anstrengungen des Gehirnes, sondern zugleich Angriffe der reizbaren Teile, welche sonst mit den Vorstellungen der in Leidenschaft versetzten Seele in Sympathie stehen.


4 Der Grund hievon, der mir selbst sehr dunkel ist und wahrscheinlicher Weise auch wohl so bleiben wird, trifft zugleich auf das empfindende Wesen in den Tieren. Was in der Welt ein Principium des Lebens enthält, scheint immaterieller Natur zu sein. Denn alles Leben beruhet auf dem inneren Vermögen, sich selbst nach Willkür zu bestimmen. Da hingegen das wesentliche Merkmal der Materie in der Erfüllung des Raumes durch eine notwendige Kraft bestehet, die durch äußere Gegenwirkung beschränkt ist; daher der Zustand alles dessen, was materiell ist, äußerlich abhangend und gezwungen ist, diejenige Naturen aber, die selbst tätig und aus ihrer innern Kraft wirksam den Grund des Lebens enthalten sollen, kurz diejenige, deren eigene Willkür sich von selber zu bestimmen und zu verändern vermögend ist, schwerlich materieller Natur sein können. Man kann vernünftiger Weise nicht verlangen, daß eine so unbekannte Art Wesen, die man mehrenteils nur hypothetisch erkennt, in den Abteilungen ihrer verschiedenen Gattungen sollte begriffen werden; zum wenigsten sind diejenige immaterielle Wesen, die den Grund des tierischen Lebens enthalten, von denenjenigen unterschieden, die in ihrer Selbsttätigkeit Vernunft begreifen und Geister genannt werden.


5 Leibniz sagte, dieser innere Grund aller seiner äußeren Verhältnisse und ihrer Veränderungen sei eine Vorstellungskraft, und spätere Philosophen empfingen diesen unausgeführten Gedanken mit Gelächter. Sie hätten aber nicht übel getan, wenn sie vorhero bei sich überlegt hätten, ob denn eine Substanz, wie ein einfacher Teil der Materie ist, ohne allem inneren Zustande möglich sei, und wenn sie denn diesen etwa nicht ausschließen wollten, so würde ihnen obgelegen haben, irgend einen andern möglichen innern Zustand zu ersinnen, als den der Vorstellungen und der Tätigkeiten, die von ihnen abhängend sein. Jedermann sieht von selber, daß, wenn man auch den einfachen Elementarteilen der Materie ein Vermögen dunkler Vorstellungen zugesteht, daraus noch keine Vorstellungskraft der Materie selbst erfolge, weil viel Substanzen von solcher Art, in einem Ganzen verbunden, doch niemals eine denkende Einheit ausmachen können.


6 Wenn man von dem Himmel als dem Sitze der Seligen redet, so setzt die gemeine Vorstellung ihn gerne über sich, hoch in dem unermeßlichen Weltraume. Man bedenket aber nicht, daß unsre Erde, aus diesen Gegenden gesehen, auch als einer von den Sternen des Himmels erscheine, und daß die Bewohner anderer Welten mit eben so gutem Grunde nach uns hinzeigen könnten, und sagen: sehet da den Wohnplatz ewiger Freuden und einen himmlischen Aufenthalt, welcher zubereitet ist, uns dereinst zu empfangen. Ein wunderlicher Wahn nämlich macht, daß der hohe Flug, den die Hoffnung nimmt, immer mit dem Begriffe des Steigens verbunden ist, ohne zu bedenken, daß, so hoch man auch gestiegen ist, man doch wieder sinken müsse, um allenfalls in einer andern Welt festen Fuß zu fassen. Nach den angeführten Begriffen aber würde der Himmel eigentlich die Geisterwelt sein, oder, wenn man will, der selige Teil derselben, und diese würde man weder über sich noch unter sich zu suchen haben, weil ein solches immaterielle Ganze nicht nach den Entfernungen oder Naheiten gegen körperliche Dinge, sondern in geistigen Verknüpfungen seiner Teile untereinander vorgestellt werden muß, wenigstens die Glieder derselben sich nur nach solchen Verhältnissen ihrer selbst bewußt sein.


7 Die aus dem Grunde der Moralität entspringende Wechselwirkungen des Menschen und der Geisterwelt, nach den Gesetzen des pneumatischen Einflusses, könnte man darin setzen, daß daraus natürlicher Weise eine nähere Gemeinschaft einer guten oder bösen Seele mit guten und bösen Geistern entspringe, und jene dadurch sich selbst dem Teile der geistigen Republik zugeselleten, der ihrer sittlichen Beschaffenheit gemäß ist, mit der Teilnehmung an allen Folgen, die daraus nach der Ordnung der Natur entstehen mögen.


8 Man kann dieses durch eine gewisse Art von zwiefacher Persönlichkeit, die der Seele selbst in Ansehung dieses Lebens zukommt, erläutern. Gewisse Philosophen glauben, sich ohne den mindesten besorglichen Einspruch auf den Zustand des festen Schlafes berufen zu können, wenn sie die Wirklichkeit dunkeler Vorstellungen beweisen wollen, da sich doch nichts weiter hievon mit Sicherheit sagen läßt, als daß wir uns im Wachen keiner von denenjenigen erinnern, die wir im festen Schlafe etwa mochten gehabt haben, und daraus nur so viel folgt, daß sie beim Erwachen nicht klar vorgestellt worden, nicht aber, daß sie auch damals als wir schliefen dunkel waren. Ich vermute vielmehr, daß dieselbe klärer und ausgebreiteter sein mögen, als selbst die kläresten im Wachen; weil dieses bei der völligen Ruhe äußerer Sinne von einem so tätigen Wesen als die Seele ist, zu erwarten ist, wiewohl, da der Körper des Menschen zu der Zeit nicht mit empfunden ist, beim Erwachen die begleitende Idee desselben ermangelt, welche den vorigen Zustand der Gedanken, als zu eben derselben Person gehörig, zum Bewußtsein verhelfen könnte. Die Handlungen einiger Schlafwanderer, welche bisweilen in solchem Zustande mehr Verstand als sonsten zeigen, ob sie gleich nichts davon beim Erwachen erinnern, bestätigt die Möglichkeit dessen, was ich vom festen Schlafe vermute. Die Träume dagegen, das ist, die Vorstellungen des Schlafenden, deren er sich beim Erwachen erinnert, gehören nicht hieher. Denn alsdenn schläft der Mensch nicht völlig; er empfindet in einem gewissen Grade klar und webt seine Geisteshandlungen in die Eindrücke der äußeren Sinne. Daher er sich ihrer zum Teil nachhero erinnert, aber auch an ihnen lauter wilde und abgeschmackte Chimären antrifft, wie sie es denn notwendig sein müssen, da in ihnen Ideen der Phantasie und die der äußeren Empfindung untereinander geworfen wird.


9 Ich verstehe hierunter nicht die Organen der äußeren Empfindung, sondern das Sensorium der Seele, wie man es nennt, d.i. denjenigen Teil des Gehirnes, dessen Bewegung die mancherlei Bilder und Vorstellungen der denkenden Seele zu begleiten pflegt, wie die Philosophen davor halten.


10 So wird das Urteil, welches wir von dem scheinbaren Orte naher Gegenstände fällen, in der Sehekunst gemeiniglich vorgestellt, und es stimmt auch sehr gut mit der Erfahrung. Indessen treffen eben dieselbe Lichtstrahlen, die aus einem Punkte auslaufen, vermöge der Brechung in den Augenfeuchtigkeiten nicht divergierend auf den Sehenerven, sondern vereinigen sich daselbst in einem Punkte. Daher, wenn die Empfindung lediglich in diesem Nerven vorgeht, der focus imaginarius nicht außer dem Körper sondern im Boden des Auges gesetzt weiden müßte, welches eine Schwierigkeit macht, die ich jetzt nicht auflösen kann, und die mit den obigen Sätzen so wohl als mit der Erfahrung unvereinbar scheint.


11 Man könnte, als eine entfernte Ähnlichkeit mit dem angeführten Zufalle, die Beschaffenheit der Trunkenen anführen, die in diesem Zustande mit beiden Augen doppelt sehen; darum, weil durch die Anschwellung der Blutgefäße eine Hindernis entspringt, die Augenachsen so zu richten, daß ihre verlängerte Linien sich im Punkte, worin das Objekt ist, schneiden. Eben so mag die Verziehung der Hirngefäße, die vielleicht nur vorübergehend ist, und so lange sie dauert nur einige Nerven betrifft, dazu dienen, daß gewisse Bilder der Phantasie selbst im Wachen als außer uns erscheinen. Eine sehr gemeine Erfahrung kann mit dieser Täuschung verglichen werden. Wenn man nach vollbrachten Schlafe mit einer Gemächlichkeit, die einem Schlummer nahe kommt, und gleichsam mit gebrochnen Augen die mancherlei Fäden der Bettvorhänge oder des Bezuges oder die kleinen Flecken einer nahen Wand ansieht, so macht man sich daraus leichtlich Figuren von Menschengesichtern und dergleichen. Das Blendwerk hört auf, so bald man will und die Aufmerksamkeit anstrengt. Hier ist die Versetzung des foci imaginarii der Phantasien der Willkür einigermaßen unterworfen, da sie bei der Verrückung durch keine Willkür kann gehindert werden.


12 Das Sinnbild der alten Ägypter vor die Seele war ein Papillon, und die griechische Benennung bedeutete eben dasselbe. Man siehet leicht, daß die Hoffnung, welche aus dem Tode nur eine Verwandlung macht, eine solche Idee samt ihren Zeichen veranlaßt habe. Indessen hebt dieses keinesweges das Zutrauen zu der Richtigkeit der hieraus entsprungenen Begriffe. Unsere innere Empfindung und die darauf gegründete Urteile des Vernunftähnlichen führen, so lange sie unverderbt sind, eben dahin, wo die Vernunft hinleiten würde, wenn sie erleuchteter und ausgebreiteter wäre.

Quelle:
Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Band 2, Frankfurt am Main 1977.
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