29. Kapitel
Giau Wen - [120] Fragen über das Angeropfer

Eine ausführlichere Darstellung und Würdigung des Angeropfers findet sich im Kapitel Giau Te Scheng des Siau Dai Li Gi. Auszüge daraus sind im Buch der Sitte S. 254–257 übersetzt. Die Tradition des Gia Yü weicht aber in verschiedenen Einzelheiten von der im Li Gi ab.
[120]

Herzog Ding befragte den Meister Kung und sprach: »Die Herrscher der alten Zeiten opferten auf dem Anger, indem sie stets ihren Ahn dem Himmelsgott beigesellten, was hat das zu bedeuten?«

Meister Kung erwiderte: »Alle Dinge stammen vom Himmel, der Mensch stammt von seinen Ahnen. Das Opfer auf dem Anger hat den Sinn, in dankbarer Anerkennung des eigenen Ursprungs sich zu seinen Stammeltern zurückzuwenden; darum gesellte man sie dem höchsten Herrn bei. Der Himmel zeigt in den Naturerscheinungen die Ideen, die der berufene Heilige nachbildet. Dadurch wird durch das Opfer auf dem Anger das Wirken (Tao) des Himmels erklärt.«

Der Herzog sprach: »Ich habe gehört, daß bei den Opfern auf dem Anger Abweichungen vorkommen. Woher kommt das?«

Meister Kung sprach: »Beim Opfer auf dem Anger begrüßt man den Wiedereintritt der längeren Tage. Es war ein großes Dankfest für den Himmel, der in der Sonne verehrt wurde, während der beigesellte Ahn im Monde gedacht war. Das erste Opfer auf dem Anger, das das Haus Dschou darbrachte, war in dem Monat der Wintersonnenwende, als Tag wurde der erste Sin-Tag gewählt. Im Monat des Erwachens aus dem Winterschlaf wurde abermals die Bitte um Kornsegen vor den höchsten Herrn gebracht. Diese beiden Opfer sind Sitten, die der Himmelssohn ausübt. In Lu wird die große Opferfeier zur Wintersonnenwende nicht begangen, um den Abstand des Ranges gegenüber dem Himmelssohn festzuhalten. Darauf beruht diese Abweichung.«

Der Herzog sprach: »Was bedeutet der Ausdruck Angeropfer?«

Meister Kung sprach: »Es wurde ein runder Hügel im Süden errichtet, um auf diese Weise dem Lichten (Yang) sich zuzuwenden; das war auf dem Anger vor der Stadt; darum heißt das Opfer Angeropfer.«[121]

Der Herzog sprach: »Und wie verhält es sich mit den Gegenständen des Opfers?«

Meister Kung sprach: »Das Rind für den höchsten Herrn muß Hörner haben, die eben am Hervorbrechen sind. Es muß drei Monate im Opferstall gefüttert werden. Das Rind für Hou Dsï muß nur fehlerlos sein. Auf diese Weise wird der Dienst des himmlischen Gottes und der menschlichen Seelen unterschieden. Das Opfertier ist braunrot, weil die rote Farbe am höchsten geschätzt wird. Man nimmt ein Kalb, weil das Unverfälschte für wertvoll gilt. Man kehrt den Boden an der Stelle, wo man opfert, weil das Ursprüngliche am wertvollsten ist. Als Geräte nimmt man solche aus Ton und Kürbisschalen, um dem Natürlichen von Himmel und Erde zu gleichen. Unter allen Dingen ist keines, das als würdig bezeichnet werden könnte, darum hält man sich an die natürlich gewachsene Form.«

Der Herzog sprach: »Darf man die Sitten und Gebräuche für das Angeropfer des Himmelssohnes hören?«

Meister Kung sprach: »Ich habe gehört, daß der Himmelssohn, wenn er das Orakel befragen will wegen des Opfers auf dem Anger, den Befehl dazu entgegennimmt im Tempel der Ahnen und die Schildkröte befragt im Tempel seines Vaters, um die Ehrfurcht vor den Ahnen und die Anhänglichkeit an den Vater zum Ausdruck zu bringen. An dem Tag des Orakels begab sich der König persönlich nach dem Weiherschloß und hörte stehend die Anweisungen an, um die Bereitwilligkeit zur Annahme von Belehrung und Mahnung zum Ausdruck zu bringen. Nachdem das Orakel befragt war, wurden die Befehle an die beim Opfer beteiligten Beamten innerhalb des zweiten Tors weitergegeben, um die Beamten zur Vorsicht zu mahnen.

Im Begriff, sich auf den Anger zu begeben, trägt der Himmelssohn zunächst eine Ledermütze zur Entgegennahme der Nachricht, daß das Opfer bereit ist, um dem Volk die Furcht vor den Oberen zu zeigen.[122]

Am Tage des Opfers verstummen alle Trauerklagen, Leute in Trauerkleidern betreten die Tore der Hauptstadt nicht. Der Weg wird gereinigt und gekehrt und mit reiner Erde bestreut, der ganze Verkehr wird eingestellt. Das alles vollzieht sich, ohne daß besondere Befehle dazu gegeben werden müßten, als Zeichen höchster Ehrfurcht. Der Himmelssohn trägt das große Pelzgewand mit Mäanderornamenten. Durch Tragen des großen Pelzgewandes soll die Erscheinung des Himmels dargestellt werden. Er fährt auf einem schmucklosen Wagen, um die naturgemäße Einfachheit zu betonen. Die Banner haben zwölf Fahnenbänder, sie tragen Embleme von Drachen, Sonne und Mond als Symbole des Himmels. Am großen Altare angekommen, zieht der König das Pelzgewand aus und kleidet sich in das Feiergewand. So naht er sich dem Holzstoß. Er trägt die Krone mit zwölf Nephritperlenschnüren, um die Zahl des Himmels darzustellen.

Ich habe gehört, daß das Hersagen aller 300 Lieder noch nicht an Wichtigkeit dem Darbringen eines Opfers gleichkommt.

Die Sitten eines solchen gewöhnlichen Opfers erreichen nicht die Bedeutung des großen Opfermahls für den königlichen Ahn. Die Sitten des großen Opfermahls erreichen nicht die Bedeutung des Opfers für die fünf Herrscher. Aber selbst die Opfer zusammengenommen erreichen noch nicht die Bedeutung des Opfers für den höchsten Herrn.

Darum wagt der Edle nicht, leichthin über diese Sitten zu reden.«

Quelle:
KKungfutse: Gia Yü, Schulgespräche. Düsseldorf/Köln 1961, S. 120-123.
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