1. Kapitel
Der mittlere Sommermonat / Dschung Hia

[54] Im mittleren Sommermonat steht die Sonne im Zeichen Dung Dsing. Zur Zeit der Abenddämmerung kulminiert das Sternbild Kang; zur Zeit der Morgendämmerung kulminiert das Sternbild We. Seine Tage sind Bing und Ding. Sein göttlicher Herrscher ist Yän Di (der Flammenherr). Sein Schutzgeist ist Dschu Yung (der Schmelzmagier). Seine Tiere sind die gefiederten Tiere. Seine Note ist Dschï. Seine Tonart ist Sui Bin1. Seine Zahl ist sieben. Sein Geschmack ist bitter. Sein Geruch ist brenzlich. Man opfert dem Herdgeist. Unter den Opfergaben steht die Lunge obenan.

Die Kleine Hitze naht2. Die Gottesanbeterin entsteht, der Würger beginnt zu schreien, die Spottdrossel hört auf zu singen3.

Der Himmelssohn weilt in der Lichthalle im großen Tempel4. Er fährt im Scharlachwagen, an dem schwarzmähnige Füchse angespannt sind. Es werden rote Flaggen aufgesteckt, man kleidet sich in rote Kleider und trägt roten Nephrit. Man ißt Bohnen und Hühner. Die Gefäße sind hoch und groß. Starke und kräftige Menschen werden gepflegt.

In diesem Monat erhält der Musikmeister den Befehl, die Handtrommeln, kleinen Trommeln und Pauken in Ordnung zu bringen, die Lauten und Zithern, Flöten und Oboen zu stimmen5, Unterricht zu erteilen im Halten der Schilde und Äxte, der Flöten und Federn6, die großen und kleinen Mundorgeln, Okarinas und Querpfeifen zu stimmen7, die Glocken, Klingsteine, Klappern und Rassel in Ordnung zu bringen8.

Die Beamten erhalten den Befehl für das Volk zu beten und Opfer darzubringen den Göttern der Berge, Ströme und Quellen. Das große Regenopfer wird gebracht an die göttlichen Herrscher mit feierlicher Musik9. Außerdem erhalten die Kreisbeamten den Befehl Regenopfer darzubringen an die Geister der verschiedenen[54] Herrscher, Großwürdenträger und Gelehrten, die für das Volk von Nutzen waren, um von ihnen Reife der Feldfrüchte zu erflehen10.

Die Bauern bringen die Erstlinge der Hirsenernte dar. In diesem Monat kostet der Himmelssohn die Hirse mit Hühnern und ißt zum Nachtisch Kirschen, nachdem er zuerst in der inneren Halle des Ahnentempels geopfert hat.

Die Leute erhalten den Befehl, keinen Indigo zum Färben11 zu schneiden, keine Holzkohle zu brennen und kein Tuch zu bleichen12. Die Stadt- und Dorftore sollen nicht geschlossen werden13. An den Pässen und in den Märkten sollen keine Abgaben erhoben werden. Es soll den schweren Verbrechern Erleichterung gewährt und ihre Nahrung vermehrt werden. Die weidenden Stuten werden in besondere Herden abgeteilt, während die Hengste angebunden werden14. Der Marschall ist dahin anzuweisen.

In diesem Monat kommt der längste Tag heran15. Das Dunkle und das Lichte kämpfen. Vergehen und Werden trennt sich.

Der Edle pflegt des Fastens und der Reinigung. Er hält sich in verborgenen Gemächern auf. Er strebt nach Ruhe und vermeidet die Aufregung. Er hält sich zurück von Musik und Schönheit, daß sie ihm nicht zufällig nahen. Er begnügt sich mit einfacher Speise und sucht nicht nach Wohlschmeckendem. Er mäßigt seine Begierden und festigt die Kraft seines Herzens. Die verschiedenen Beamten lassen ihre Geschäfte ruhen und verhängen keine schweren Strafen, damit der Erfolg der trüben Kraft in Ruhe erreicht werden kann.

Die Hirsche werfen das Geweih ab; die Zikaden beginnen zu zirpen. Das Mitsommerkraut wächst, der Eibisch blüht16. In diesem Monat soll man im Süden kein Feuer anzünden.

Man mag in hohen und hellen Gebäuden wohnen, man mag sich der fernen Aussicht freuen, man mag in die Berge und auf die Hügel gehen, man mag auf Terrassen und Hochgärten weilen17.

Wenn im mittleren Sommermonat die für den Winter gültigen Ordnungen befolgt würden, so würden Hagel und Graupen das Getreide schädigen. Die Wege würden ungangbar werden, und heftige kriegerische Angriffe würden kommen. Wenn die für den[55] Frühling gültigen Ordnungen befolgt würden, so würde das Korn zu spät reif. Alle Arten von Heuschrecken würden zumal sich erheben, und das Land würde Hungersnot bekommen. Wenn die für den Herbst gültigen Ordnungen befolgt würden, so würden Kräuter und Bäume ihr Laub verlieren, die Früchte würden vorzeitig reifen, und das Volk würde durch Pestilenz hingerafft werden.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 54-56.
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