II. Hobbes

[247] Zu den merkwürdigsten Charakteren, welche uns in der Geschichte des Materialismus begegnen, gehört unbedingt der Engländer Thomas Hobbes aus Malmesbury. Sein Vater war ein schlichter Landgeistlicher von mäßiger Bildung, der sich aber hinlänglich darauf verstand, dem Volke die erforderlichen Predigten zu lesen.

Als nun im Jahre 1588 die stolze Armada Philipps von Spanien Englands Küsten bedrohte und das Volk in Angst und Aufregung versetzte, kam die Frau jenes Geistlichen vor Schrecken vor der Zeit mit einem Knaben nieder, der trotz seiner anfänglichen Schwächlichkeit bis in sein zweiundneunzigstes Jahr zu leben bestimmt war: unserem Thomas Hobbes.

Hobbes sollte sowohl zur Berühmtheit überhaupt, als auch zu seiner nachmaligen Richtung und seinen Lieblingsbeschäftigungen erst spät und auf mancherlei Umwegen gelangen.

Denn als er in seinem vierzehnten Jahre die Universität Oxford bezog, wurde er nach dem Geiste der Studien, die dort herrschten, vor allen Dingen in die Logik und in die Physik nach aristotelischen Grundsätzen eingeweiht. Er studierte sich mit großem Eifer während voller fünf Jahre in diese Spitzfindigkeiten hinein und brachte es namentlich in der Logik weit. Von Einfluß auf seine spätere Richtung war es ohne Zweifel, daß es die nominalistische Schule war, der er sich zuwandte, also diejenige, welche schon im Prinzip mit dem Materialismus so nahe verwandt ist. Wenn Hobbes auch später diese Studien vollständig fallen ließ, so blieb er doch Nominalist; ja, man kann sagen, daß er dieser Richtung die schroffste Ausbildung gab, welche die Geschichte aufweist, indem er zugleich mit der Lehre von der bloß konventionellen Geltung der allgemeinen Begriffe die Lehre von der Relativität ihrer Bedeutung, fast im Sinne der griechischen Sophisten, verband.

In seinem zwanzigsten Jahre stehend, trat er in die Dienste des Lord Cavendish, nachmaligen Grafen von Devonshire. Diese Stellung entschied über den ganzen äußerlichen Verlauf seines Lebens[247] und scheint auch auf seine Ansichten und Grundsätze einen nachhaltigen Einfluß geübt zu haben.

Er übernahm Gesellschafter- oder Hofmeisterdienste zunächst bei dem mit ihm ungefähr gleich alten Sohne des Lords, von dem er in seinem späteren Alter wiederum einen Sohn zu erziehen hatte, so daß er mit drei Generationen dieses vornehmen Hauses in Verbindung stand. Sein Leben war daher ein Hofmeisterleben in den Regionen des höchsten englischen Adels.

Diese Stellung führte ihn in die Welt und gab ihm jene nachhaltige praktische Richtung, welche die englischen Philosophen jenes Zeitalters auszuzeichnen pflegte; er wurde befreit von dem engen Gesichtskreise scholastischer Schulweisheit und klerikaler Vorurteile, in dem er aufgewachsen war; auf häufigen Reisen lernte er Frankreich und Italien kennen und fand besonders in Paris Muße und Gelegenheit, mit den berühmtesten Männern der Zeit in Verkehr zu treten. Gleichzeitig lehrten ihn aber auch gerade diese Verhältnisse frühzeitig Subordination und Hinneigung zu der königlichen und hochkirchlichen Partei, im Gegensatz gegen das Treiben der englischen Demokratie und der Sekten. Sein Latein und Griechisch fing er in seiner neuen Stellung bald zu verlernen an und erwarb sich dafür schon auf der ersten Reise mit dem jungen Lord einige Kenntnisse des Französischen und des Italienischen. Da er allenthalben bemerkte, daß die scholastische Logik von verständigen Männern verachtet wurde, ließ er diese vollständig fallen und begann dafür mit Eifer wieder, sich dem Lateinischen und Griechischen in einer mehr humanistischen Weise zu widmen. Allein auch bei diesen Studien leitete ihn ein praktischer, bereits der Politik zugewandter Sinn.

Da nämlich die Stürme, welche dem Ausbruche der englischen Revolution vorhergingen, sich zu regen begannen, übersetzte er im Jahre 1628 den Thukydides ins Englische, mit dem ausdrücklichen Zwecke, dadurch seine Landsleute von den Torheiten der Demokratie zurückzuschrecken, indem sie sich an den Schicksalen der Athener spiegelten. Es war aber damals der Aberglaube verbreitet, der selbst in unseren Tagen noch nicht völlig erloschen ist, daß die Geschichte direkt belehren könne, daß Beispiele aus ihr sich ohne weiteres übertragen und unter den verändertsten Umständen anwenden ließen. Die Partei, welche Hobbes ergriff, war damals schon klar genug die legitimistische und konservative, obwohl seine eigentliche Denkart und die aus ihr abgeleitete berüchtigte[248] Theorie im Grunde allem Konservatismus direkt entgegengesetzt war. 160

Erst im Jahre 1629 auf einer Reise mit einem andern jungen Adeligen durch Frankreich begann Hobbes die Elemente des Euklid zu studieren, für die er bald eine große Vorliebe gewann. Er war damals bereits 41 Jahre alt und geriet doch nun erst auf die Bahn der Mathematik, auf der er sich bald zum Höhepunkt der damaligen Wissenschaft aufschwang, und die ihn zu seinem konsequenten mechanischen Materialismus leitete.

Zwei Jahre später begann er auf einer neuen Reise nach Frankreich und Italien in Paris das Studium der Naturwissenschaften, und sofort machte er zu seiner Hauptaufgabe ein Problem, das schon in der Fragestellung selbst den Materialismus klar verrät und dessen Beantwortung den materialistischen Streitigkeiten des nächstfolgenden Jahrhunderts das Losungswort gibt. Dieses Problem lautet:

Welche Art von Bewegung kann es sein, welche die Empfindung und Phantasie der lebenden Wesen hervorbringt?

Bei diesen Studien, die eine Reihe von Jahren dauerten, stand er in täglichem Verkehr mit dem Minimermönch Mersenne, mit dem er auch, nach England im Jahre 1637 zurückgekehrt, einen Briefwechsel anknüpfte.

Sobald aber mit dem Jahre 1640 in England das lange Parlament begann, hatte er, der so eifrig gegen die Volkspartei sich erklärt hatte, alle Ursache sich zu entfernen, und er begab sich nun wieder nach Paris, wo er jetzt außer mit Mersenne auch mit Gassendi beständig verkehrte, nicht ohne auch von dessen Ansichten manches sich anzueignen. Sein Aufenthalt in Paris dauerte jetzt eine längere Reihe von Jahren. Unter den flüchtigen Engländern, die sich damals in großer Zahl in Paris sammelten, nahm er eine sehr angesehene Stellung ein und wurde dazu erkoren, dem nachmaligen Könige Karl II. Unterricht in der Mathematik zu geben. Unterdessen hatte er seine politischen Hauptwerke verfaßt, die Schriften de cive und den Leviathan, in denen er, namentlich unverhohlen im Leviathan, die Doktrin eines schroffen und paradoxen, aber keineswegs legitimistischen Absolutismus verkündigte. Gerade diese Schrift, in der außerdem auch die Geistlichen viele Ketzerei gefunden hatten, verdarb für einstweilen seine Gunst bei Hofe. Er verfiel in Ungnade, und da er zugleich das Papsttum heftig angegriffen hatte, mußte er nun Frankreich verlassen und von der geschmähten Freiheit[249] der Engländer Gebrauch machen. Nach der Wiedereinsetzung des Königs söhnte er sich mit dem Hofe wieder aus und lebte sodann in ehrenvoller Zurückgezogenheit ganz seinen Studien. Noch in seinem achtundachtzigsten Jahre gab er eine Übersetzung Homers heraus; im einundneunzigsten eine Zyklometrie.

Als Hobbes einst zu St. Germain an einem heftigen Fieber darniederlag, wurde Mersenne zu ihm geschickt, um zu sorgen, daß der berühmte Mann doch ja nicht außerhalb der römischen Kirche sterben möchte. Als Mersenne eben die Macht der Kirche, Sünden zu vergeben, erklärt hatte, bat ihn Hobbes, ihm doch lieber zu sagen, wann er zuletzt Gassendi gesehen habe, und sofort wandte sich das Gespräch auf andere Dinge. Den Beistand eines englischen Bischofs dagegen nahm er an unter der Bedingung, daß derselbe sich an die vorgeschriebenen Kirchengebete halte.

Hobbes' naturphilosophische Ansichten sind teils zerstreut in seinen politischen Werken, teils aber in den beiden Schriften de homine und de corpore niedergelegt. Charakteristisch für seine Denkart ist im höchsten Grade seine Einleitung in die Philosophie.

»Die Menschen halten es heutzutage mit der Philosophie, wie in den ältesten Zeiten mit den Früchten des Feldes. Es wächst alles wild und ohne Pflege noch Prüfung. Daher nähren sich die meisten herkömmlich von Eicheln, und wenn einmal einer eine fremde Beere versucht, hat er meist Nachteil für seine Gesundheit davon. So hält man auch meist die, welche mit der gewöhnlichen Erfahrung zufrieden sind, für klüger als die, welche sich nach der Philosophie gelüsten lassen.«

Hobbes weist darauf hin, wie schwierig es ist, einen eingewurzelten und durch das Ansehen redegewandter Schriftsteller noch befestigten Wahn aus dem Geiste der Menschen zu vertreiben; um so schwieriger, da die wahre Philosophie, d.h. die exakte, nicht nur die Schminke der Schönrednerei, sondern fast alle und jede Zier mit Absicht verschmäht, und da die ersten Grundlagen aller Philosophie niedrig und trocken, fast häßlich sind.

Auf diese Einleitung folgt eine Definition der Philosophie, welche man ebensogut als eine Negation der Philosophie im hergebrachten Sinne des Wortes bezeichnen könnte:

Sie ist die Erkenntnis der Wirkungen oder der Phänomene aus angenommenen Ursachen derselben und hinwiederum der möglichen Ursachen aus den anerkannten Wirkungen mittels richtiger Schlüsse. – Schließen aber ist Rechnen, und alles Rechnen läßt sich[250] zurückführen auf Addition und Substraktion. 161

Wird durch diese Definition die ganze Philosophie in Naturwissenschaft verwandelt, so haben wir die materialistische Tendenz noch deutlicher in der Erklärung des Zweckes der Philosophie. Er besteht darin, daß wir die Wirkungen voraussehen und sie so zum Gebrauch im Leben verwenden können. – Bekanntlich ist in England der hier niedergelegte Begriff der Philosophie so eingewurzelt, daß die Bedeutungen des Wortes »philosophy« sich gar nicht mehr durch das entsprechende deutsche Wort wiedergeben lassen und der wahre natural philosopher kein anderer ist als der experimentierende Physiker. Hobbes erscheint hier als der konsequente Nachfolger von Baco, und wie die Philosophie dieser Männer gewiß mächtig darauf hingewirkt hat, die materielle Entwicklung Englands zu fördern, so wurde sie hinwiederum auch getragen von dem angeborenen und damals bereits seiner mächtigen Entfaltung entgegenreifenden Nationalgeist des nüchternen und praktischen, nach Macht und Reichtum ringenden Volkes.

Trotz dieser so naheliegenden Beziehungen ist aber doch auch der Einfluß Descartes' auf diese Begriffsbestimmung nicht zu verkennen; wobei wir freilich den Descartes der Abhandlung über die Methode scharf ins Auge fassen müssen, ohne uns um die überlieferten Vorstellungen vom Cartesianismus zu kümmern (vgl. Anm. 66 zum vorherg. Abschnitt). In jenem Erstlingswerke, wo Descartes seine physikalischen Anschauungen an Wichtigkeit weit über die metaphysischen stellt, rühmt er jenen nach, daß sie den Weg eröffnen, »statt der theoretischen Schulphilosophie eine praktische zu gewinnen, wodurch wir die Kraft und die Wirkungen des Feuers, des Wassers, der Luft, der Gestirne, der Himmel und aller Körper, die uns umgeben, ebenso deutlich als die Geschäfte unserer Handwerker kennen lernen und also imstande sein würden, sie ebenso wie diese zu allem möglichen Gebrauche praktisch zu verwerten und uns auf diese Weise zu Herren und Eigentümern der Natur zu machen162 Nun könnte man freilich bemerken, das alles sei schon vorher eindringlicher von Baco gesagt, mit dessen Lehre Hobbes ja von früher Jugend auf bekannt und vertraut war; allein diese Übereinstimmung trifft nur die allgemeine Tendenz, während sich Descartes' Methode in einem sehr wesentlichen Punkte von der Baconischen unterscheidet.

Baco beginnt mit der Induktion und glaubt durch sein Aufsteigen vom Einzelnen zum Allgemeinen so fort zu den wirklichen Gründen[251] der Erscheinungen vordringen zu können. Sind diese erreicht, so folgt dann die Deduktion, teils für den spezielleren Ausbau, teils aber für die praktische Anwendung der entdeckten Wahrheiten.

Descartes dagegen verfährt in der Tat synthetisch, jedoch nicht im platonisch-aristotelischen Sinne, mit dem Anspruch an unbedingte Gewißheit der Prinzipien (diese Wendung war der reaktionären Entwicklung seiner Metaphysik vorbehalten!), sondern mit dem bestimmten Bewußtsein, daß die eigentliche Beweiskraft in der Erfahrung liegt. Er stellt die Theorie versuchsweise voran, erklärt aus ihr die Erscheinungen und prüft sodann an der Erfahrung die Theorie.163 Diese Methode, die man als die hypothetisch-deduktive bezeichnen kann (wiewohl sie nach dem nervus probandi bezeichnet zur Induktion gehört und in der induktiven Logik zu behandeln ist), steht dem wirklichen Verfahren der Naturforscher näher als die Baconische, wiewohl keine von beiden das Wesen der Naturforschung genügend darstellt. Hobbes aber hat sich hier ohne Zweifel mit Bewußtsein für Descartes gegen Baco entschieden, während später Newton wieder (freilich mehr in seiner Theorie als in seinem wirklichen Verfahren!) auf Baco zurücklenkte.

Ein hohes Lob gebührt Hobbes dafür, daß er bei dieser seiner Richtung auch offen und rückhaltlos die großen Errungenschaften der neueren Naturforschung anerkannte. Während Baco und Descartes noch Kopernikus verleugneten, wies Hobbes ihm den Ehrenplatz an, der ihm gebührte, wie er sich denn überhaupt in fast allen streitigen Punkten, vielleicht mit einziger Ausnahme der Lehre vom vacuum, zu dessen Leugnung er sich durch Descartes verleiten ließ, scharf und bestimmt für die rationelle und richtige Ansicht erklärte. In dieser Beziehung, wie auch für die Beurteilung seiner Tendenz ist die Dedikation zu der Schrift de corpore164 von großem Interesse. Da heißt es, die Lehre von der Bewegung der Erde sei zwar schon von den Alten erdacht, aber von den späteren Philosophen samt der darauf begründeten Physik des Himmels in den Schlingen der Worte erdrosselt worden, so daß man, von tatsächlichen Beobachtungen abgesehen, den Anfang der Astronomie nicht weiter zurücksetzen dürfe, als auf Kopernikus, der die Gedanken des Pythagoras, Aristarch und Philolaos zunächst dem letzten Jahrhundert überlieferte. Dann habe Galilei die erste Pforte der Physik eröffnet und Harvey durch seine Lehre vom Blutumlauf und von der Erzeugung der Tiere die Wissenschaft vom menschlichen Körper begründet. Vorher habe man nichts gehabt,[252] als vereinzelte Experimente und eine Naturgeschichte, die um nichts sicherer sei, als die Weltgeschichte. Zusammenfassend seien auf dem Gebiete der Natur endlich Kepler, Gassendi und Mersenne aufgetreten, während Hobbes für sich selbst (mit Rücksicht auf die Bücher de cive) die Begründung der »philosophia civilis« in Anspruch nimmt.

Im alten Griechenland, heißt es weiter, habe an Stelle der Philosophie ein Gespenst (phantasma quoddam) geherrscht, an ehrwürdigem Aussehen der Philosophie ähnlich, doch innen voll Betrug und Unrat. – Dem Christentum habe man zuerst einige wenige schädliche Sätze von Plato beigemischt, sodann aber so vieles Falsche und Törichte aus Aristoteles daß man den Glauben verloren und dafür die Theologie bekommen habe, die, auf einem Fuße hinkend (weil sie sich teils auf die Heil. Schrift, teils aber auf die aristotelische Philosophie stützt), der Empusa vergleichbar unzählige Streitigkeiten und Kriege angestiftet habe. Dieses Gespenst lasse sich nicht besser bannen, als durch Einführung einer Staatsreligion gegenüber den Dogmen der Privatleute und indem man die Religion auf die Heil. Schrift stütze, die Philosophie aber auf die natürliche Vernunft.

Diese Gedanken finden nun namentlich im Leviathan eine breite, bald durch verwegene Paradoxie, bald durch natürliche Geradheit und Schärfe des Urteils überraschende Ausführung. Was seine Opposition gegen Aristoteles betrifft, so ist namentlich eine Stelle aus dem 46. Kapitel bemerkenswert, wo er die Verwechslung von Wort und Sache als Grund des Übels hervorhebt. Hobbes trifft hier gewiß den Nagel auf den Kopf, wenn er als den Urquell zahlloser Absurditäten die Hypostasierung der Kopula »est« ansieht. Aristoteles habe aus dem Wort »Sein« ein Ding gemacht, gleich als ob es in der Natur einen Gegenstand gäbe, der mit dem Worte »das Sein« bezeichnet würde! – Man kann sich denken, wie Hobbes über Hegel geurteilt haben würde!

Seine Bekämpfung der »Theologie«, die als unheilstiftendes Scheusal behandelt wird, kommt nur zum Scheine dem reinen Schriftglauben zugute. In Wahrheit geht sie wohl eher mit einer stillen Abneigung gegen die Religion Hand in Hand. Ganz besonders aber haßt Hobbes die Theologie, insofern sie mit den Ansprüchen geistlicher Herrschsucht in Verbindung steht. Diese verwirft er unbedingt. Das Reich Christi sei nicht von dieser Welt und die Geistlichkeit könne daher keinerlei Gehorsam in Anspruch nehmen.[253] Hobbes bekämpft daher auch ganz besonders die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit.165 – Übrigens ist es schon eine Folge seiner Bestimmung des Begriffs der Philosophie, daß von einer spekulativen Theologie nicht die Rede sein kann. Die Erkenntnis Gottes gehört überhaupt nicht in die Wissenschaft, denn wo nichts zu addieren oder zu substrahieren ist, hört das Denken auf. Zwar führt uns der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung darauf, einen letzten Grund aller Bewegung anzunehmen, ein erstes bewegendes Prinzip; allein die nähere Bestimmung seines Wesens bleibt etwas ganz Undenkbares, dem Denken selbst Widersprechendes; so daß die wirkliche Anerkennung und Erfüllung der Idee Gottes dem religiösen Glauben überlassen bleiben muß.

Die Blindheit und Gedankenlosigkeit des Glaubens ist in keinem System mit solcher Bestimmtheit ausgesprochen wie in diesem, obwohl Baco und auch Gassendi in mancher Beziehung sich auf ähnlichem Wege befinden. Schaller bemerkt daher über die Art, wie Hobbes sich zur Religion verhält, treffend: »Wie dies psychologisch möglich ist, bleibt ebenfalls ein Geheimnis, so daß vor allem erst an die Möglichkeit eines solchen Glaubens geglaubt werden müßte.«166 Der eigentliche Stützpunkt dieser Glaubenstheorie aber findet sich in Hobbes politischem Systeme.

Bekanntlich gilt Hobbes als Begründer der absolutistischen Staatslehre, die er aus der Notwendigkeit ableitet, dem Kriege aller gegen alle durch einen obersten Willen zu entgehen. Er nimmt an, daß der Mensch, von Natur auf die Wahrung seiner persönlichen Interessen bedacht, selbst bei angeborener Friedensliebe nicht leben könne, ohne die Interessen anderer zu verletzen, indem er nur bestrebt ist seine eigenen zu wahren. Hobbes leugnet den aristotelischen Satz, daß der Mensch, gleich der Biene, der Ameise, dem Biber, von Natur schon ein staatenbildendes Tier sei. Nicht durch politischen Instinkt, sondern durch Furcht und Vernunft komme der Mensch zur Vereinigung mit seinesgleichen, zum Zweck der gemeinsamen Sicherheit. Mit eigensinniger Konsequenz leugnet Hobbes nun auch jeden absoluten Unterschied zwischen Gut und Böse, Tugend und Laster. Der einzelne Mensch kann daher auch nicht zu irgendeiner gültigen Feststellung dieser Begriffe gelangen; vielmehr läßt er sich lediglich durch seinen Vorteil leiten, und solange der höhere Wille des Staates nicht besteht, ist ihm daraus so wenig ein Vorwurf zu machen als dem Raubtier, welches die schwächeren Tiere zerreißt.[254]

Obwohl diese Sätze streng untereinander und mit dem ganzen Systeme zusammenhängen, so hätte doch Hobbes, ohne sich zu widersprechen, wenigstens das Vorhandensein eines politischen Naturtriebes und sogar einer natürlichen Gravitation zur Annahme solcher Sitten, welche einen möglichst glücklichen Zustand aller verbürgen, als wahrscheinlich annehmen können. Die Leugnung der Willensfreiheit, welche bei Hobbes selbstverständlich ist, hat noch keineswegs die Ethik des Egoismus zur notwendigen Folge; es sei denn, daß man in natürlicher Erweiterung des Begriffes auch das Streben, seine Umgebung glücklich zu sehen, insofern dadurch eine natürliche Neigung befriedigt wird, egoistisch nennen will. Hobbes kennt diese unnatürliche Begriffserweiterung nicht; der Egoismus seiner Staatengründer ist ein reiner, voller und ungekünstelter Egoismus, in dem Sinne, in welchem dieser Begriff gerade den Gegensatz der persönlichen Interessen gegen die fremden und gegen die gemeinsamen bedeutet. Hobbes, der die heuristische Bedeutung des Gefühls zu gering anschlug, verwarf mit der natürlichen Neigung zum Staatsleben und zur geistigen Erfassung und Aneignung der allgemeinen Interessen den einzigen Weg, der ihn noch von seinem materialistischen Standpunkte aus zu höheren ethisch-politischen Grundanschauungen hätte bringen können. Mit der Verwerfung des aristotelischen zôon politikon betritt er den Weg, der in der Zusammenwirkung mit seinen sonstigen Grundsätzen notwendig zu allen paradoxen Folgerungen leiten muß. Gerade wegen dieser rücksichtslosen Konsequenz ist Hobbes, selbst da, wo er irrt, so außerordentlich aufklärend, und es dürfte in der Tat kaum ein zweiter Schriftsteller zu nennen sein, der von Anhängern aller Geistesrichtungen so einmütig geschmäht worden ist, während er sie alle zu größerer Klarheit und Bestimmtheit förderte.

Die ersten Gründer des Staates schließen bei Hobbes so gut wie später bei Rousseau einen Vertrag; und in dieser Beziehung ist seine Theorie durchaus revolutionär, da sie von ursprünglicher göttlicher Ordnung der Stände, angestammtem geheiligtem Thronrecht und dergleichen konservativen Schrullen gar nichts weiß.167 Hobbes hält die Monarchie für die beste Staatsform, doch glaubt er diesen Satz unter allen am wenigsten bewiesen zu haben. Auch die Erblichkeit der Monarchie ist eine bloße Einrichtung der Nützlichkeit; daß aber die Monarchie, wo sie besteht, absolut sein muß, folgt einfach aus der Forderung, daß überhaupt die Leitung des[255] Staates, auch wo sie einer Gesellschaft oder Versammlung anvertraut ist, absolute Gewalt haben muß.

Sein egoistisches Menschengesindel hat nämlich gar nicht die mindeste Neigung von Natur, irgendeine Verfassung zu halten oder Gesetze zu beobachten. Nur die Furcht kann es dazu zwingen. Damit deshalb wenigstens die Masse gebändigt bleibt und der Krieg aller gegen alle als schlimmstes Übel vermieden wird, muß der Egoismus der Herrschenden die Gewalt haben, sich unbedingt geltend zu machen, damit der regellose und in seiner Gesamtsumme ungemein viel schädlichere Egoismus aller Untertanen niedergehalten werde. Die Regierung kann ohnehin nicht beschränkt werden; wenn sie die Verfassung verletzt, müßten die Bürger ja, um erfolgreich Widerstand zu leisten, einander trauen, und das eben tun die egoistischen Bestien nicht; jeder einzelne aber ist doch schwächer als die Regierung. Wozu deshalb die Umstände?

Daß jede Revolution, welche Macht hat, auch berechtigt ist, sobald es ihr gelingt, irgendeine neue Staatsgewalt herzustellen, folgt aus diesem System von selbst; der Spruch »Macht geht vor Recht« ist als Trost der Tyrannen unnötig, da Macht und Recht geradezu identisch sind. Hobbes verweilt nicht gern bei diesen Konsequenzen seines Systems und malt die Vorteile eines absolutistischen Erbkönigtums mit Vorliebe aus; allein die Theorie wird dadurch nicht geändert. Der Name »Leviathan« ist nur zu bezeichnend für dies Ungetüm von Staat, welches von keinen höheren Rücksichten geleitet, wie ein irdischer Gott Gesetz und Urteil, Recht und Besitz nach Belieben ordnet, sogar die Begriffe von gut und böse168 willkürlich festsetzt und dafür allen, die vor ihm auf die Knie fallen und ihm opfern, Schutz des Lebens und des Eigentums gewährt.

Zu der absoluten Staatsgewalt gehört nun auch das Recht, über die Religion und die ganze Denkungsweise der Untertanen zu verfügen. Genau wie Epikur und Lucrez leitet auch Hobbes die Religion aus Furcht und Aberglauben her; allein während jene eben deshalb die Erhebung über die Schranken der Religion als die höchste und edelste Aufgabe des Denkers hinstellen, kann Hobbes diesen gemeinen Stoff für die Zwecke seines Staates sehr wohl verwenden. Seine Grundansicht von der Religion findet sich in einem einzigen Satz so schlagend, daß man sich über die unnütze Mühe, die man sich oft mit der Theologie unseres Philosophen gegeben hat, billig wundern muß. Hobbes definiert nämlich so: »Die Furcht unsichtbarer Mächte, sei es, daß diese erdichtet, sei es, daß sie durch Tradition[256] überliefert sind, ist Religion, wenn sie von Staates wegen festgestellt, Aberglaube, wenn sie nicht von Staates wegen festgestellt ist.«169 Wenn Hobbes dann im gleichen Buche mit der größten Seelenruhe etwa den Turmbau zu Babel oder die Wunder, welche Moses in Ägypten tat,170 einfach als Tatsachen erwähnt, so muß man doch wohl an seine Definition der Religion sich mit Staunen zurückerinnern. Der Mann, der die Wunder mit Pillen verglich, die man ganz hinunterschlucken aber nicht kauen muß,171 konnte auch diese Wundergeschichten gewiß nur deshalb nicht für Aberglauben halten, weil in England die Autorität der Bibel durch die Staatsgewalt festgestellt ist. Man muß daher, wo Hobbes sich über religiöse Gegenstände äußert, immer drei Fälle unterscheiden. Entweder Hobbes spricht direkt von seinem System aus – dann ist ihm die Religion nur ein Spezialfall des Aberglaubens;172 oder er kommt gelegentlich auf Einzelheiten, bei denen er nur einen Satz seines Systems praktisch anwendet – dann sind ihm die Lehren der Religion einfach Tatsachen, mit denen jedoch die Wissenschaft nichts weiter zu tun hat; Hobbes opfert dann eben dem Leviathan.

Die schlimmsten Widersprüche sind dadurch wenigstens formell beseitigt, und es bleibt hier nur noch der dritte Fall, wo Hobbes dem Leviathan gleichsam de lege ferenda unmaßgebliche Vorschläge über Läuterung der Religion und Beseitigung des schlimmsten Aberglaubens macht. Hier muß man nun freilich anerkennen, daß Hobbes tut, was nur irgend in seinen Kräften steht, um die Kluft zwischen Glauben und Wissen kleiner zu machen. Er unterscheidet wesentliche und unwesentliche Elemente in der Religion er sucht offenbare Widersprüche zwischen Schrift und Glauben, wie z.B. in der Lehre von der Bewegung der Erde dadurch zu beseitigen, daß er zwischen der Ausdrucksweise und der moralischen Absicht der Schrift unterscheidet; er erklärt die Besessenen als Kranke, behauptet, daß die Wunder seit der Stiftung des Christentums aufgehört haben und läßt sogar durchblicken, daß die Wunder selbst nicht für jedermann Wunder seien.173 Rechnet man dazu noch bemerkenswerte Anfänge einer historisch-kritischen Behandlung der Bibel, so sieht man leicht, daß das ganze Rüstzeug des Rationalismus bei Hobbes schon vorhanden und nur in seiner Anwendung noch beschränkt ist.174

Was nunmehr die Theorie der äußeren Natur betrifft, so ist zunächst zu bemerken, daß Hobbes den Begriff des Körpers mit dem der Substanz geradezu identifiziert. Wo also Baco noch gegen die[257] immaterielle Substanz des Aristoteles polemisiert, da ist Hobbes bereits fertig und unterscheidet ohne weiteres den Körper und das Akzidens. Für Körper erklärte Hobbes alles, was unabhängig von unserm Denken einen Teil des Raumes erfüllt, und mit ihm zusammenfällt. Diesem gegenüber ist das Akzidens nichts Wirkliches. Objektives, wie der Körper, sondern es ist die Art, wie der Körper aufgefaßt wird. Diese Distinktion ist im Grund schärfer als die aristotelische und verrät, wie alle Definitionen bei Hobbes, den mathematisch gebildeten Geist. Im übrigen schließt sich Hobbes der Erklärung an, daß man es nicht als einen Teil desselben betrachten dürfe, und daß es fehlen könne, ohne daß der Körper aufhöre. Beständige Akzidentien, die nicht fehlen können, ohne daß der Körper aufgehoben wird, sind nur die Ausdehnung und die Figur. Alle anderen, wie Ruhe, Bewegung, Farbe, Härte usw. können sich ändern, während der Körper selbst bleibt, und sie sind daher selbst nicht körperlich, sondern eben nur Arten, nach denen wir den Körper auffassen. Die Bewegung definiert Hobbes als das beständige Verlassen eines Ortes und Gewinnen eines neuen, wobei offenbar übersehen ist, daß in diesem Verlassen und Gewinnen der Begriff der Bewegung schon enthalten ist. Gegenüber Gassendi und Baco zeigt sich in den Begriffsbestimmungen bei Hobbes nicht selten ein Rückschritt zum Aristotelischen, wenn nicht im Prinzip, so doch in der Ausdrucksweise, der aus seinem Bildungsgange zu erklären ist.

In der Definition der Materie zeigt sich diese Hinneigung zu Aristoteles besonders deutlich: Hobbes erklärt, daß die Materie weder einer von den Körpern, noch ein ganz besonderer Körper, außer allen andern sei, und daher folgt schon, daß sie in der Tat nichts ist, als ein bloßer Name. Hier ist die aristotelische Auffassung offenbar zugrunde gelegt, aber einer Verbesserung unterworfen, die vollkommen übereinstimmt mit der Verbesserung des Begriffes Akzidens. Hobbes, der einsieht, daß das Mögliche oder Zufällige nicht in den Dingen sein kann, sondern nur in unserer Auffassung der Dinge, verbessert den Grundfehler des aristotelischen Systems ganz richtig, indem er an die Stelle des Akzidens als einer Zufälligkeit im Objekte die zufällige subjektive Auffassung setzt. An die Stelle der Materie als einer Substanz, die alles werden kann, und nichts Bestimmtes ist, kommt in derselben Weise die Erklärung, die Materie sei der allgemein gefaßte Körper, d.h. eine Abstraktion des denkenden Subjektes. Das Beständige, bei aller Veränderung[258] Beharrende, ist für Hobbes nicht die Materie, sondern der »Körper«, der nur seine Akzidentien wechselt, d.h. bald so, bald anders von uns aufgefaßt wird. Dieser wechselnden Auffassung liegt aber etwas Reales zugrunde, nämlich die Bewegung der Teile des Körpers.

Wenn daher ein Gegenstand seine Farbe wechselt, hart oder weich wird, in Teile zerfällt oder mit neuen Teilen verschmilzt, so beharrt die ursprüngliche Quantität des Körperlichen; wir benennen den Gegenstand unserer Wahrnehmung aber anders nach den neuen Eindrücken, die er unsern Sinnen darbietet. Ob wir einen neuen Körper als Objekt unserer Wahrnehmung annehmen oder nur dem früher angenommenen Körper neue Eigenschaften beilegen, hängt lediglich von der sprachlichen Feststellung der Begriffe ab; indirekt also von unserer Willkür, da Worte nur Rechenpfennige sind. So ist also auch der Unterschied zwischen Körper (Substanz) und Akzidens ein relativer, von unserer Auffassung abhängender. Der wirkliche Körper, welcher durch die beständige Bewegung seiner Teile die entsprechenden Bewegungen in unserm Emfpindungsorgan hervorruft, unterliegt durchaus keiner andern Veränderung, als eben der Bewegung seiner Teile.

Es verdient hier bemerkt zu werden, daß Hobbes durch seine Lehre von der Relativität aller Begriffe, sowie durch seine Theorie von der Empfindung im Grunde in ähnlicher Weise über den Materialismus hinausgeht, wie Protagoras über Demokrit. Daß Hobbes nicht Atomist war, haben wir schon gesehen. Er konnte aber auch im Zusammenhang seiner Gedanken über das Wesen der Dinge unmöglich Atomist sein. Wie auf alle anderen Begriffe, so wendet er die Kategorie der Relativität namentlich auch auf den Begriff des Kleinen und Großen an. Die Entfernung mancher Fixsterne von der Erde sei so groß, lehrt er, daß ihr gegenüber die ganze Entfernung der Erde von der Sonne nur wie ein Punkt erscheine; nicht anders verhalte es sich mit den Teilchen, die uns klein erscheinen. Es gibt also in dieser Richtung ebenfalls eine Unendlichkeit, und was der menschliche Physiker als kleinste Körperchen betrachtet, weil er für seine Theorie einer solchen Annahme bedarf, ist wieder eine Welt mit unzähligen Abstufungen des Größten und des Kleinsten.175

In seiner Lehre von der Empfindung ist schon der Sensualismus Lockes im Keime vorhanden. Hobbes nimmt an, daß sich die Bewegungen der körperlichen Dinge durch Übertragung auf das Medium[259] der Luft unsern Sinnen mitteilen, von da zum Gehirn und vom Gehirn endlich zum Herzen fortgepflanzt werden.176 Jeder Bewegung entspricht eine Gegenbewegung im Organismus wie in der äußeren Natur; aus diesem Prinzip der Gegenbewegung leitet Hobbes die Empfindung ab; aber nicht die unmittelbare Reaktion des äußeren Organes ist die Empfindung, sondern erst die vom Herzen ausgehende und durch das Gehirn vom äußeren Organ zurückkehrende Bewegung, so daß also zwischen dem Eindruck und der Empfindung stets eine merkliche Zeit vergeht. Aus dieser Rückläufigkeit der Empfindungsbewegung, die ein »Streben« (conatus) gegen die Objekte hin ist, erklärt sich die Versetzung der Empfindungsbilder nach außen.177 Die Empfindung ist identisch mit dem Empfindungsbild (phantasma), und dies ist wieder mit der Bewegung des conatus gegen die Objekte identisch; nicht etwa bloß durch sie veranlaßt. So zerhaut Hobbes mit einem Machtspruch den gordischen Knoten der Frage, wie die Empfindung als subjektiver Zustand sich zur Bewegung verhält; aber die Sache wird dadurch keineswegs klarer.

Das Subjekt der Empfindung ist der Mensch als Ganzes, das Objekt der Gegenstand, welcher empfunden wird; die Bilder aber oder die Sinnesqualitäten, durch welche wir den Gegenstand wahrnehmen, sind nicht der Gegenstand selbst, sondern eine aus unserm Innern stammende Bewegung. Es kommt also von den leuchtenden Körpern kein Licht, von den tönenden kein Schall, sondern von beiden nur gewisse Formen der Bewegung. Licht und Schall sind Empfindungen und entstehen als solche erst in unserm Innern als rückläufige, von Herzen ausgehende Bewegung. Hieraus ergibt sich die sensualistische Folgerung, daß alle sogenannten sinnlichen Qualitäten als solche nicht den Dingen angehören, sondern nur in uns selbst entstehen. Daneben steht aber der echt materialistische Satz, daß auch die menschliche Empfindung nichts ist, als Bewegung körperlicher Teile, veranlagt durch die äußere Bewegung der Dinge. Hobbes verfiel nicht darauf, diesen materialistischen Satz zugunsten eines konsequenten Sensualismus aufzugeben, weil er, wie Demokrit im Altertum, von der mathematisch-physikalischen Betrachtung der Außendinge ausging. Deshalb bleibt sein System auch ein wesentlich materialistisches, ungeachtet der Keime des Sensualismus, die es in sich trägt.

In Beziehung auf die Betrachtung des Weltganzen hält Hobbes sich ausschließlich an die erkennbaren und nach dem Kausalitätsgesetz[260] erklärbaren Erscheinungen. Alles, worüber man nichts wissen kann, überläßt er den Theologen. Eine bemerkenswerte Paradoxie ist noch in dem Satz von der Körperlichkeit Gottes enthalten, der freilich, weil er einem Glaubensartikel der anglikanischen Kirche widerspricht, nicht geradezu behauptet, sondern nur als eine naheliegende Folgerung angedeutet wird.178 Hätte man ein recht vertrautes Gespräch zwischen Gassendi und Hobbes belauschen können, so würde man vielleicht einen Streit darüber vernommen haben, ob die allbelebende Wärme oder der allumfassende Äther als Gottheit anzusehen sei.[261]

160

In der ersten Auflage war hier noch beigefügt, daß diese Theorie besser auf die Napoleonische Politik unsrer Tage gepaßt hätte. Dieser Ausdruck würde Mißverständnissen unterworfen sein, seitdem die Familie Bonaparte in ihrer Politik sich einem gewissen Legitimismus zu nähern sucht. Einfacher ist der Hinweis darauf, daß diese Prinzipien des Leviathan in der Tat noch besser mit dem Despotismus Cromwells in Einklang zu bringen sind, als mit den Ansprüchen der Stuarts auf ihr angeborenes göttliches Recht.

161

Die Definition war in der 1. Auflage stärker abgekürzt, um die Hauptsache, den Übergang der Philosophie in Naturwissenschaft, möglichst übersichtlich hervortreten zu lassen. Sie lautet wörtlich: »Philosophia est effectuum seu Phaenomenon ex conceptis eorum causis seu generationibus, et rursus generationum, quae esse possunt, ex cognitis effectibus per rectam ratiocinationem acquisita cognitio.« Will man die in dieser Definition zugleich angedeutete Methode näher ins Auge fassen, so sind die Worte »conceptis« und »quae esse possunt« keineswegs überflüssig. Sie bezeichnen in bestimmtem Gegensatze zur Baconischen Induktion das Wesen der hypothetisch-deduktiven Methode, welche mit einer Theorie beginnt und dieselbe an der Erfahrung prüft und berichtigt. Vgl. das im Text weiterhin über die Stellung von Hobbes zu Baco und Descartes Bemerkte. Die zitierten Stellen finden sich in dem Buche de corpore, I, 1; opera lat. ed. Molesworth vol. I, p. 2 u. 3.

162

Mit Recht weisen Kuno Fischer und Kirchmann bei der Übersetzung dieser Stelle (René Descartes' Hauptschriften, S. 57 und Phil. Bibl., René Descartes' phil. Werke I, S. 70 u. f.) auf die Verwandtschaft zwischen Descartes und Baco hin. Wenn jedoch letzterer (a. a. O. Anm. 35) Descartes als Empiriker in Anspruch nehmen und sogar das »Cogito ergo sum« (als Resultat der Selbstbeobachtung!) aus dieser Tendenz ableiten will, so wird dabei die Natur des deduktiven Verfahrens, welches sich auf dem einen Gebiete an der Erfahrung regeln kann, auf dem andern aber nicht, gänzlich verkannt. Descartes selbst war darüber im Jahre 1637 noch klar genug, daher er für seine physikalischen Theorien eine objektive Gültigkeit in Anspruch nahm, für seine transzendenten Spekulationen aber nicht.

163

Entscheidend ist namentlich folgende Stelle der dissertatio de methodo (gegen Schluß): »Rationes enim mihi videntur in iis (den ›hypotheses‹ der Dioptrik usw.) tali serie connexae, et sicut ultimae demonstrantur a primis, quae illarum causae sunt, ita reciproce primae ab ultimis, quae ipsarum sunt effecta, probentur. Nec est quod quis putet, me hic in vitium, quod Logici Circulum vocant, incidere; nam cum experientia maximam effectuum istorum partem certissimam esse arguat, causae a quibus illos elicio, non tam iis probandis quam explicandis inserviunt, contraque ipsae ab illis probantur

164

An den Earl of Devonshire, London, 23. April 1655. – Opera lat. ed. Molesworth vol. 1.

165

Die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit bekämpft Hobbes im Leviathan, cap. 42; III p. 410 u. ff. ed. Molesworth. – Diese Polemik bildet einen Teil der ausführlichen Bekämpfung der vom Kardinal Bellarmin vertretenen jesuitischen Lehre von der päpstlichen Oberhoheit über alle Fürsten der Erde. Die ganze Bekämpfung zeigt, daß Hobbes die in diesen Ansprüchen liegenden Gefahren, welche erst in unsrer Zeit für jedermann sichtbar hervortreten, in ihrer vollen Bedeutung erkannte.

166

Schaller, Gesch. d. Naturphil., Leipzig 1841, S. 82. – Übrigens ist bei Schaller keine genauere Erörterung dieses Gegenstandes zu suchen; geistreich und in der Hauptsache gewiß treffend beurteilt Kuno Fischer (Baco von Verulam, S. 393 u. ff.) die Stellung von Moral und Religion bei Hobbes; nur in der zu einseitigen Abteilung dieser ganzen Richtung von Baco, während Descartes schlechthin als Gegensatz gefaßt wird, liegt ein Mangel, welcher aus der Hegelschen Methode einer zwar lichtvollen, aber nicht selten die vielfach verschlungenen Fäden gewaltsam durchschneidenden Klassifizierung hervorgeht. Damit hängt zusammen, daß Kuno Fischer, der doch sonst solche Erscheinungen mit feinem Takt zu erfassen weiß, die weltmännische Frivolität, welche sich bei Descartes hinter seiner ehrfurchtsvollen Unterordnung unter das Urteil der Kirche verbirgt, nicht erkannt hat. Völlig erheuchelt war die religiöse Gesinnung auch bei Hobbes kaum; wenigstens war er sicher ein ehrlicher Parteimann für seine vaterländische Kirche gegenüber dem Katholizismus, und wohl auch nur in diesem Sinne waren Männer wie Mersenne und Descartes – in geringerem Grade auch Gassendi – eifrige Katholiken.

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Die Formel, aus welcher die Einheit des Staates erwächst, lautet: »Ego huic homini, vel huic coetui, autoritatem et jus meum egendi meipsum concedo, ea conditione, ut tu quoque tuam autoritatem et jus tuum tui regendi in eundem transferas.« Indem jeder zu jedem diese Worte spricht, wird die atomistische Menge zu einer Einheit, die man Staat nennt. »Atque haec est generatio magni illius Leviathan, vel ut dignius loquar, mortalis Dei.« – Leviathan cap. 17, III, p. 131 ed. Molesworth. – Über die natürliche Gleichheit aller Menschen (im Gegensatze zu Aristoteles, der geborene Herren und Sklaven annimmt) vgl. ebendas. cap. 15; p. 118.

168

Solange der Staat nicht dazwischen tritt, heißt nach Hobbes für jeden Menschen dasjenige gut, was Gegenstand seiner Begierde ist (Leviathan c. 6; III, p. 42 ed. Molesworth). Das Gewissen ist nichts als das geheime Bewußtsein des Menschen von seinen Taten und Worten, und dieser Ausdruck wird oft mißbräuchlich auf Privatmeinungen angewandt, die nur aus Eigensinn und Eitelkeit für unverbrüchlich gehalten werden (a. a. O. c. 7; p. 52). Daß der Privatmann sich zum Richter über gut und böse aufwirft und es für Sünde hält, etwas gegen sein Gewissen zu tun, wird zu den schlimmsten Verstößen gegen den bürgerlichen Gehorsam gezählt (c. 29; p. 232).

169

Leviathan c. 6; p. 45: »Metus potentiarum invisibilium, sive fictae illae sint, sive ab historiis acceptae sint publice, religio est; si publice acceptae non sint, superstitio.« Hobbes setzt allerdings hinzu: »Quando autem potentiae illae re vera tales sunt, quales accepimus, vera religio«; allein dieser Zusatz rettet nur den Schein, denn da der Staat allein festsetzt, welche Religion gelten soll und ihm um des Staatszwecks willen nicht widersprochen werden darf, so ist auch selbstverständlich der Begriff der »vera religio« ein relativer, was er um so ruhiger sein darf, da ja wissenschaftlich über Religion überhaupt nichts zu sagen ist.

170

Vgl. Kuno Fischer, Baco von Verulam, S. 404. – Leviathan c. 32: III, p. 266.

171

Vgl. Leviathan cap. 4; III, p.22: »Copia haec omnis... interiit penitus ad turrem Babel, quo tempore Dens omnem hominem sermonis sui, propter rebellionem, oblivione percussit.« Eben das. cap. 37; pag. 315: »Potestatem ergo illi dedit Deus convertendi virgam, quam in manu habebat, in serpentem, et rursus serpentem in orgam« usw.

172

In diesem Sinne verfährt Hobbes z.B. auch bei der Frage nach der Entstehung der Religion. Diese wird von vornherein aus irgendeiner natürlichen Eigenschaft des Menschen abgeleitet (vgl. Lev. c. 12 zu Anfang), worunter die Neigung zu vorschnellen Schlüssen usw. Summarisch heißt es sodann (p. 89): In diesen vier Stücken, Furcht vor Geistern, Unkenntnis der »causae secundae«, Verehrung dessen, was man fürchtet, und Deutung von Zufällen als Vorzeichen besteht der natürliche Ursprung (»semen naturale«) der Religion.

173

Vgl. u. a. folgende Stellen des Leviathan Opera lat. III, p. 64 u. f. p. 207 die Worte: »Miracula enim, ex quo tempore nobis Christianis positae sunt leges divinae, cessaverunt.« »Miracula narrantibus credere non obligamur.« »Etiam ipsa miracula non omnibus miracula sunt.«

174

Vgl. z.B. Leviathan c. 32; p. 276: »Libri testamenti novi ab altiore tempore derivari non possunt, quam ab eo, quo rectores ecclesiarum collegerant« und das Folgende.

175

De corpore IV, 27, I, p. 362-364 ed. Molesworth. – Hier findet sich auch (p. 364) der in methodischer Hinsicht sehr bemerkenswerte Satz: »Agnoscunt mortales magna esse quaedam, etsi finita, ut quae vident ita esse; agnoscunt item infinitam esse posse magnitudinem eorum quae non vident; medium vero esse inter infinitum et eorum quae vident cogitantve maximum, non statim nec nisi multa eruditione persuadentur.« – Wo übrigens die theoretische Frage der Teilbarkeit und der Relativität des Großen und Kleinen nicht weiter in Betracht kommt, hat Hobbes auch gegen die Bezeichnung der »corpuscula« als »atomi« nichts einzuwenden, wie z.B. in seiner Theorie der Gravitation, de corpore IV, 30; p. 415.

176

De corpore IV, 25. Genauer auf die Lehre vom »conatus«, als der hier in Frage kommenden Bewegungsform einzugehen, lag außerhalb unsres Zweckes. Eine ausführlichere Darstellung siehe bei Baumann, die Lehren von Raum, Zeit und Mathem. I, S. 321 u. ff. Der besondere Tadel, welcher das. S. 327 gegen die Lehre gerichtet wird, daß erst der vom Herzen zurückkehrende conatus die Empfindung darstellt, scheint mir nicht ganz berechtigt; denn wenn auch nach Hobbes' Lehre eine Reaktion gegen den Stoß des Objektes sofort im ersten gestoßenen Teile stattfindet, so hindert dies doch durchaus nicht die Fortpflanzung der Bewegung unter immer neuen Wirkungen und Gegenwirkungen nach dem Innern, wo die Bewegung rückläufig werden kann. Man denke sich z.B. der Einfachheit wegen eine Reihe in einer geraden Linie aufgestellter elastischer Kugeln, a, b, c.... n und nehme an, daß a einen zentralen Stoß auf b ausübt, der sich durch c. usw. bis n fortpflanzt; n stoße senkrecht gegen eine feste Wand, so wird die Bewegung durch die ganze Reihe zurückkehren, ungeachtet schon gleich zu Anfang b gegen a (die Bewegung desselben hemmend) reagiert hat. Es muß aber doch wohl dem Urheber der Hypothese gestattet sein nicht die erste (hemmende) Reaktion von b gegen a, sondern den zurückkehrenden Stoß von b gegen a mit der Empfindung zu identifizieren, eine Ansicht, welche sich ohne Zweifel den Tatsachen ungleich besser anpaßt. Vgl. die Bemerkungen in § 4 (I, p. 319 u. f. ed. Molesw.) über die Wirkungen einer Unterbrechung der Leitung.

177

De corpore, IV, 25, § 2; I. p. 318: »ut cum conatus ille ad intima ultimus actus sit eorum qui fiunt in actu sensionis, tum demum ex ea reactione aliquandiu durante ipsum existit phantasma; quod propter conatum versus externa semper videtur tanquam aliquid situm extra organum.«

178

Vgl. hierüber namentlich den Anhang zum Leviathan, cap. I, wo betont wird, daß alles, was wahrhaft für sich besteht, Körper ist. Dann wird ausgeführt, daß auch alle Geister, wie die Luft, körperlich seien, wenn auch mit unendlichen Abstufungen der Feinheit. Endlich wird hervorgehoben, daß Ausdrücke, wie »unkörperliche Substanz« oder »immaterielle Substanz« sich in der H. Schrift nirgends finden. Zwar lehrt der erste der 39 Artikel, daß Gott ohne einen Körper und ohne Teile sei, und deshalb wird dies nicht geleugnet werden; allein der 20. Artikel sagt auch, die Kirche dürfe für nichts Glauben fordern, was nicht in der Schrift begründet sei (III, p. 537 u. f.). – Das Resultat dieses offenbaren Widerspruches ist dann, daß Hobbes bei jeder Gelegenheit die Unbegreiflichkeit Gottes hervorhebt, ihm nur negative Prädikate zuschreibt usw.; während er durch Anführung von Autoritäten, wie Tertullian (III, 561), durch öftere Diskussion biblischer Ausdrücke, namentlich aber durch schlaue Anlegung von Prämissen, deren Schlußergebnis zu ziehen dem Leser überlassen bleibt, überall die Ansicht zu erwecken sucht, daß der Begriff Gottes sehr verständlich sein würde, wen man ihn entweder als Körper oder als ein Phantasma, d.h. ein Nichts, fassen würde und daß die ganze Unbegreiflichkeit nur daher rührt, daß es nun einmal geboten ist, Gott »unkörperlich« zu nennen. Vgl. u. a. noch opera III, p. 87, p. 260 u. f., 282 (hier namentlich sehr deutlich die Worte: cum natura Dei incomprehensibilis sit, et nomina ei attribuenda sint, non tam ad naturam eius, quam ad honorem, quem illi exhibere debemus, congruentia). – Die Quintessenz von Hobbes' ganzer Theologie ist übrigens wohl am deutlichsten in einer Stelle de homine III, 15, opera II, p. 347 u. f. enthalten, wo mit dürren Worten gesagt wird, daß Gott nur durch die Natur regiert und daß sein Wille nur durch den Staat verkündet wird. Daraus ist übrigens nicht zu schließen, Hobbes habe Gott pantheistisch mit dem Ganzen der Natur identifiziert. Vielmehr scheint er einen maßgebenden, allenthalben verbreiteten, gleichartigen und durch seine Bewegung die Bewegung des Alls mechanisch bestimmenden Teil des Universums als Gott gefaßt zu haben. Wie die Weltgeschichte ein Ausfluß der Naturgesetze, so ist dann die Staatsgewalt schon als die faktisch vorhandene Macht ein Ausfluß des göttlichen Willens.

Quelle:
Friedrich Albert Lange: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. Frankfurt am Main 1974, S. 247-262.
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