III. Die naturwissenschaftliche Kosmogonie

[666] Eine der wichtigsten Fragen des antiken Materialismus war die der natürlichen Kosmogonie. Die vielbespöttelte Lehre von der endlosen parallelen Bewegung der Atome durch den endlosen Raum hin, von den allmählichen Verschlingungen und Verbindungen der Atome zu festen und flüssigen, lebenden und leblosen Körpern, hatte bei aller Sonderbarkeit doch eine großartige Aufgabe zu erfüllen. Ohne Zweifel haben auch diese Vorstellungen mächtig auf die Neuzeit eingewirkt; doch ist der Zusammenhang unsrer natürlichen Kosmogonie mit derjenigen Epikurs nicht so klar, wie die Geschichte der Atomistik. Vielmehr ist es gerade der Punkt, welcher die antiken Vorstellungen der ersten entscheidenden Umbildung unterwirft, aus welchem sich folgerichtig diejenige Vorstellung von der Entstehung des Weltganzen entwickelte, welche trotz ihrer hypothetischen Natur noch jetzt die größte Wichtigkeit hat. Hören wir Helmholtz darüber!

»Kant war es, der, sehr interessiert für die physische Beschreibung der Erde und des Weltgebäudes, sich dem mühsamen Studium der Werke Newtons unterzogen hatte und als Zeugnis dafür, wie tief er in dessen Grundidee eingedrungen war, den genialen Gedanken faßte, daß dieselbe Anziehungskraft aller wägbaren Materie, welche jetzt den Lauf der Planteten unterhält, auch einst imstande gewesen sein müßte, das Planetensystem aus locker im Weltraum verstreuter Materie zu bilden. Später fand unabhängig von ihm auch Laplace, der große Verfasser der méchanique céleste, denselben Gedanken und bürgerte ihn bei Astronomen ein.«447

Die Theorie der allmählichen Verdichtung gewährt den Vorteil daß sie eine Rechnung erlaubt, welche durch die Auffindung des mechanischen Äquivalentes der Wärme einen hohen Grad theoretischer Vollkommenheit erlangt hat. Man hat berechnet, daß sich bei dem Übergang von unendlich geringer Dichtigkeit bis zu derjenigen unsrer gegenwärtigen Himmelskörper allein aus der mechanischen Kraft der Attraktion der Stoffteilchen so viel Wärme ergeben mußte, als wenn die ganze Masse des Planetensystems 3500mal[666] in reiner Kohle dargestellt und diese Masse dann verbrannt würde. Man hat gefolgert, daß der größte Teil dieser Wärme sich bereits in den Weltraum verlieren mußte, bevor die gegenwärtige Gestalt unsres Planetensystems entstehen konnte. Man hat gefunden, daß von jenem ungeheuren mechanischen Kraftvorrat der ursprünglichen Attraktion nur noch etwa der 454. Teil in den Bewegungen der Himmelskörper als mechanische Kraft erhalten ist. Man hat berechnet, daß ein Stoß, welcher unsre Erde plötzlich in ihrer Bahn um die Sonne hemmte, so viel Wärme ergeben würde, als die Verbrennung von 14 Erden aus reiner Kohle, und daß bei dieser Hitze die Masse der Erde ganz geschmolzen und mindestens zum größten Teil verdampft werden würde.

Helmholtz bemerkt, daß an diesen Annahmen nichts hypothetisch sei als die Voraussetzung, daß die Massen unsres Systems anfangs nebelartig im Raume verteilt waren. Dies ist insofern richtig, als sich aus einer solchen Verteilung im Zusammenwirken mit der Gravitation die Gesamtsumme der Wärme und mechanischen Bewegung annähernd berechnen läßt. Um jedoch unser Sonnensystem so werden zu lassen, wie es geworden ist, bedürfte es auch noch gewisser Voraussetzungen über die Art der Verteilung der Nebelmassen im Raume. Die Rotation der ganzen Masse, einmal gegeben, mußte notwendig mit der fortschreitenden Zusammenziehung und Verdichtung immer schneller werden; ihr ursprüngliches Vorhandensein läßt sich auf vielerlei Weise ableiten, gehört aber auch zu den spezielleren Annahmen, bei denen der Hypothese noch ein ziemlich weiter Spielraum gegönnt ist. Am einfachsten wird sie erklärt, wenn man die Nebelmassen sich nicht sofort und gleichmäßig in einen einzigen großen Ball zusammenziehen, sondern mehrere solche Massen sich um ihren eignen Schwerpunkt sammeln läßt, die sodann mit einem nicht zentralen Stoß zusammenstürzen. Wir wollen hier nur beiläufig mit Beziehung auf Ueberwegs später zu erwähnende Ansicht einschalten, daß der ganze Prozeß auch auf den Zusammenstoß fester Körper gebaut werden kann, die sich infolge des Stoßes zunächst in eine Dampfmasse auflösen und sich dann im Laufe unermeßlicher Zeiträume wieder zu einem neuen Systeme organisieren.

Eine bedeutende Stütze hat die Verdichtungshypothese neuerdings durch die Spektralanalyse erhalten, die uns zeigt, daß wir dieselben Stoffe, aus denen unsre Erde besteht, im ganzen Sonnensystem und zum Teil auch in der Fixsternwelt wiederfinden. Der gleichen[667] Untersuchungsmethode verdanken wir die Einsicht, daß die am Himmelsraum zerstreut erscheinenden Nebelflecke keineswegs, wie man früher glauben konnte, alle aus entfernten Sternhaufen bestehen, sondern daß eine beträchtliche Anzahl derselben wirkliche Nebelmassen sind, die uns also ein Bild des früheren Zustandes unsres Sonnensystems darstellen können.

Diesen Bestätigungen gegenüber ist es auf der andern Seite von geringer Bedeutung, daß die neuere Geologie die Theorie der Erdrevolutionen aufgegeben hat und die Gestaltung der Oberfläche unsres Planeten, soweit irgend möglich, aus den gleichen Kräften erklärt, die wir noch heute überall walten sehen. Die Stabilitätstheorie, welche sich auf diese geologische Richtung stützt, kann höchstens in einem relativen Sinne Bedeutung beanspruchen. Man kann den Zustand der Erdrinde und den Fortgang der hier stattfindenden Prozesse vergleichsweise stabil finden, gegenüber der Theorie der Erdrevolutionen, mit welcher sich häufig genug die im vorhergehenden Kapitel gerügte Scheu vor großen Zahlen verbindet. Nimmt man dagegen hinlänglich große Zeiträume an, so ist eine Veränderung, ein Werden und Vergehen, nicht nur wahrscheinlich an sich, sondern es läßt sich auch mit den strengsten Gründen der Wissenschaft beweisen.

Wir dürfen daher wohl fragen, woher es kommt, daß wir mit sehr großen Zeiträumen uns nicht gerne befassen, daß dagegen der Gedanke absoluter Stabilität uns vergleichsweise so nahe liegt; daß er namentlich für das Gefühl so wenig Befremdendes hat. Wir erblicken den Grund dieser merkwürdigen Erscheinung nur in der abstumpfenden Gewöhnung an den Begriff der Ewigkeit. Dieser Begriff ist uns von Kindheit auf geläufig und wir denken uns in der Regel nicht viel dabei. Ja, es scheint sogar bei der Einrichtung unsres so eng an die Sinnlichkeit gebundenen Denkvermögens notwendig zu sein, die absolute Ewigkeit gleichsam in der Vorstellung zu vermindern und relativ zu machen, um der Bedeutung dieses Begriffs einige Anschaulichkeit zu geben; ähnlich, wie man sich die Tangente von 90° einigermaßen anschaulich zu machen sucht, indem man sie werden läßt, d.h. indem man vor dem Auge der Phantasie eine sehr große und immer größere Tangente bildet, obwohl es für das Absolute kein Werden mehr gibt. So verfahren mit der Ewigkeit jene populären Bilder der Theologen, welche in der Vorstellung Zeitraum auf Zeitraum zu häufen suchen und dann das äußerste, was die Phantasie erreichen kann, etwa »einer Sekunde der[668] Ewigkeit« gleichsetzen. Obwohl der Begriff einer absoluten Ewigkeit so viel in sich schließt, daß alles, was die ausschweifende Phantasie nur je erdenken kann, ihm gegenüber nicht mehr in Betracht kommt als das gewöhnlichste Zeitmaß, so ist uns doch dieser Begriff so geläufig, daß uns derjenige, welcher ein ewiges Bestehen der Erde und der Menschheit annimmt, vergleichsweise noch bescheiden vorkommt, neben einem andern, welcher etwa die Übergangsperiode vom Diluvialmenschen bis zum Menschen der Gegenwart bloß billionenfach nehmen wollte, um bis zum Entstehen des Menschen aus der einfachsten organischen Zelle zurückzugehen. Es ist hier überall die Sinnlichkeit im Kampf mit der Logik. Was wir uns einigermaßen veranschaulichen können, erscheint uns leicht überschwenglich und unwahrscheinlich, während wir mit den ungeheuersten Vorstellungen spielen, sobald wir sie in die Form eines ganz abstrakten Begriffes gebracht haben. Sechstausend Jahre einerseits – Ewigkeit anderseits; daran ist man gewöhnt. Was dazwischen liegt, scheint zuerst merkwürdig, dann kühn, dann großartig, dann phantastisch; und doch gehören alle solche Prädikate nur der Gefühlssphäre an; die kalte Logik hat mit ihnen nichts zu schaffen.

Man glaubte früher nach einer Rechnung von Laplace, daß die Umdrehungszeit der Erde von den Tagen Hipparchs bis auf die Gegenwart sich noch nicht um den dreihundertsten Teil einer Sekunde geändert habe, und Czolbe hat diese Berechnung zur Unterstützung seiner Stabilitätstheorie benutzt. Es ist aber ganz klar, daß aus einer solchen Tatsache weiter nichts folgen würde, als daß die Verzögerung der Umdrehungsgeschwindigkeit, welche aus der physikalischen Theorie als notwendig zu entnehmen ist, auf keinen Fall schneller vor sich ginge, als etwa 1 Sekunde in 600000 Jahren. Nehmen wir aber an, sie betrüge auch nur in 100 Millionen Jahren eine einzige Sekunde, so müßten sich schon nach wenigen Billionen von Jahren die Verhältnisse von Tag und Nacht auf der Erde so total geändert haben, daß das ganze jetzige Leben der Oberfläche verschwinden müßte, und der totale Stillstand der Achsendrehung könnte nicht lange ausbleiben. Wir haben nun aber ein vollständig durchschlagendes physikalisches Prinzip jener Verzögerung in dem Einfluß von Ebbe und Flut. Hier findet die ganze zwingende Schärfe mathematischer Schlüsse ihre Anwendung. Nur unter der Voraussetzung einer absoluten Starrheit des Erdkörpers müssen sich die Wirkungen der Attraktion, welche die Rotation hemmen,[669] mit denjenigen, welche sie beschleunigen, vollständig ausgleichen. Da nun aber verschiebliche Teile da sind, muß der Erdkörper mit Notwendigkeit eine ellipsoidische Schwellung erhalten, deren Verschiebung auf der Oberfläche eine wenn auch noch so geringe Reibung hervorbringt. Das Zwingende dieses Schlusses kann nicht im mindesten dadurch erschüttert werden, daß nach neueren Beobachtungen die Erscheinungen der Ebbe und Flut, welche wir an unsern Küsten wahrnehmen, nicht sowohl durch eine fortschreitende Schwellung hervorgerufen werden, als vielmehr durch eine einmalige bedeutende Hebung, welche entsteht, wenn die Mitte der größten Meeresflächen gerade dem Monde oder der Sonne zugewandt ist. Sind auch die ringförmig sich von dieser Hebung verbreitenden Wellen, insofern sie nach allen Seiten gleichmäßig gehen, ohne hemmenden Einfluß auf die Rotationsgeschwindigkeit, so muß doch die hemmende Wirkung der Flut ebenfalls vorhanden sein, nur minder bemerkbar. Unmöglich kann der Prozeß derselbe sein, als wenn die Erde sich ruckweise drehen und in der Position, bei welcher die Flutwelle sich bildet, jedesmal einige Sekunden unbeweglich verharren würde. Es muß eine fortschreitende Flutwelle geben, wenn nicht die ganze Physik trügen soll. Die wirkliche Flut kann man sich denken als zusammengesetzt aus den Wirkungen einer stehenden und einer fortschreitenden Flutwelle. Mag auch die Wirkung der letzteren in den unendlich verwickelten Erscheinungen der Ebbe und Flut anscheinend verschwinden, so kann doch ihre hemmende Wirkung nimmermehr verloren gehen. Und wie klein auch immer eine stetig wirkende Ursache sei, man hat nur die Zeiträume groß genug zu nehmen, und das Resultat ist unausbleiblich. Ein Teil der lebendigen Kraft der Planetenbewegung wird unbedingt durch Ebbe und Flut vernichtet. »Wir kommen dadurch,« sagt Helmholtz in seiner Abhandlung über die Wechselwirkung der Naturkräfte, »zu dem unvermeidlichen Schlusse, daß jede Ebbe und Flut fortdauernd, und wenn auch unendlich langsam, doch sicher den Vorrat mechanischer Kraft des Systems verringert, wobei sich die Achsendrehung der Planeten verlangsamen muß und sie sich der Sonne, oder ihre Trabanten sich ihnen, nähern müssen.«

Hier gibt es nur ein einziges Mittel, dem Schluß auf einen endlichen Stillstand der Erdumdrehung zu entgehen: wenn man nämlich imstande ist, eine Gegenwirkung zu entdecken, welche die durch Ebbe und Flut verzögerte Umdrehungsgeschwindigkeit wieder[670] beschleunigt. Eine solche Gegenwirkung glaubte früher I. R. Mayer, der bekannte Entdecker des Äquivalentes der Wärme, gefunden zu haben, indem er annahm, daß der Erstarrungsprozeß der Erde noch nicht vollendet sei. Die Erde – und damit brachte er eine Erklärung der Erdbeben in Verbindung – zieht sich noch fortwährend zusammen, verkleinert also ihren Umfang, und damit muß notwendig eine Beschleunigung der Achsendrehung verbunden sein. Mayer sah aber sehr wohl ein, daß auch in dieser Annahme keine Bürgschaft ewiger Stabilität liegt, da die beiden einander entgegenwirkenden Einflüsse unmöglich beständig gleichen Schritt halten können. Er nahm daher drei Perioden an: die eine, in welcher die Beschleunigung infolge der Zusammenziehung überwiegt eine zweite, in welcher Beschleunigung und Verzögerung sich das Gleichgewicht halten, und eine dritte, in welcher die Verzögerung durch Ebbe und Flut überwiegt. Mayer glaubte nun anfänglich daß wir uns in der mittleren Periode, derjenigen des Gleichgewichtes befinden, allein er hat diese Ansicht aufgegeben: »Vor etwa 10 Jahren hat nämlich der englische Astronom Adams in London durch die Entdeckung des verzögernden Einflusses der Ebbe und Flut veranlaßt, den Nachweis geliefert, daß die Berechnung von Laplace, das völlig konstant Bleiben des Sterntages betreffend nicht absolut genau ist, indem sich vielmehr die Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde vermindert, der Sterntag also schon im Wachsen begriffen ist. Es macht dies allerdings für Jahrtausende nur einen kleinen Bruchteil einer Sekunde aus, für ein volles Jahrtausend nämlich nur 1/100 Sekunde! so daß wir über den menschlichen Scharfsinn staunen müssen, dem es gelungen ist, eine solche Minimalgröße noch konstatieren zu können.«448

Eine gleich unerläßliche Bedingung ewig unveränderter Planetenbewegung, wie die absolute Starrheit der Himmelskörper, ist auch die absolute Leere des Raumes, in welchem sie sich bewegen, oder wenigstens die völlige Widerstandslosigkeit des Äthers, von dem man sich denselben erfüllt denkt. Es scheint, daß auch diese Bedingung nicht erfüllt ist. Der Enkesche Komet beschreibt gleichsam vor unsern Augen immer engere Ellipsen um die Sonne, und es liegt kein Grund näher, dies zu erklären, als die Annahme eines Widerstand leistenden Mediums. Hier ist freilich der Zwang einer notwendigen Deduktion nicht gegeben; allein es liegt eine Beobachtung vor, welche uns nötigt, daß Vorhandensein eines Widerstand leistenden Mediums mindestens als wahrscheinlich anzunehmen.[671] Mit der bloßen Tatsache eines, wenn auch noch so geringen, Widerstandes des Äthers ist aber alles Weitere gesagt.449

Vollkommen zwingend ist wieder der Schluß, daß die Wärme der Sonne nicht ewig währen kann. Man kann diesem Schluß nicht dadurch entgehen, daß man den feurigen Zustand der Sonne leugnet und als Wärmequelle eine ewige Reibung zwischen dem Sonnenkörper und seiner Hülle oder dem Äther oder irgend etwas der Art annimmt. Die meisten Vorstellungen dieser Art sind ohnehin durch die in neuester Zeit so eifrig betriebenen Studien über den Sonnenkörper unmöglich geworden. Rationeller ist die Annahme von der Erhaltung der Sonnenwärme durch das beständige Hineinstürzen von Meteoriten und kleineren Weltkörpern, aber auch diese Theorie führt zu keiner Stabilität. Noch weniger tut dies die Ansicht von Helmholtz, die wir wohl als die richtigste betrachten dürfen: daß nämlich die Hauptquelle der Erhaltung der Sonnenwärme noch jetzt in der Gravitation zu suchen ist.450 Die Sonne zieht sich zusammen, verkleinert ihren Umfang, und dabei wird mechanische Kraft in Wärme umgesetzt. Daß dieser Prozeß aber endlich einmal aufhören muß, versteht sich von selbst. Es ist keine Bewegung denkbar, durch welche Wärme erzeugt wird, ohne daß andre Kräfte verbraucht würden. Man mag daher über die Wärme der Sonne jede beliebige Hypothese aufstellen; es wird immer darauf hinauskommen, daß die Quelle dieser Wärme endlich ist, während der Verbrauch unendlich bleibt. Man wird immer schließen müssen, daß im Verlauf ewiger Zeiträume die ganze uns so unabsehbare Dauer von Sonnenlicht und Wärme nicht nur vergehen, sondern völlig verschwinden wird.

Endlich scheint auch nach einer einfachen Konsequenz der mechanischen Wärmetheorie für das ganze Weltall der Untergang alles Lebens zu folgen. Für unsre Erde fällt freilich diese Art des Untergangs mit dem durch Erlöschen der Sonne zusammen. Mechanische Kraft kann sich stets in Wärme umsetzen, aber Wärme kann sich nur dann in Arbeit umsetzen, wenn sie von einem wärmenden auf einen kälteren Körper überströmt. Mit der Ausgleichung der Temperatur in irgendeinem Systeme hört die Möglichkeit fernerer Verwandlungen und also auch jeder Art von Leben auf. Der Verwandlungsinhalt, oder die »Entropie« nach Clausius, hat ihr Maximum erreicht.451 Ob jedoch diese auf bündigen mathematischen Schlüssen beruhende Folgerung wirklich auf das Weltall im strengsten Sinne des Wortes angewandt werden kann, das hängt noch[672] sehr wesentlich von den Vorstellungen ab, die man sich über die Unendlichkeit desselben bildet, und damit gelangt man wieder in ein Gebiet, welches transzendenter Natur ist. Nichts hindert uns nämlich, solche erstarrte Weltsysteme in unsrer Vorstellung beliebig zu vervielfältigen, sie aus unendlichen Entfernungen einander anziehen zu lassen, und dann aus ihrem Zusammenstoß das Spiel der Kosmogonie gleichsam in vergrößertem Maßstabe neu hervorgehen zu lassen. Nichts, wie gesagt, hindert uns an einer solchen Annahme- außer der Frage, ob wir ein Recht haben, bloß deshalb, weil wir uns kein Ende der Schöpfung vorstellen können, eine materielle Unendlichkeit der Weltsysteme als wirklich bestehend vorauszusetzen.

Der Materialismus hat schon im Altertum das Werden und Vergehen unsres Weltganzen gelehrt und sich dagegen durch die Lehre von der Unendlichkeit der Welten jene Befriedigung des Gemütes verschafft, welche im bloßen Glauben an die Beharrlichkeit des Seienden gelegen ist. Unter unsern heutigen Materialisten hat namentlich Czolbe sich damit nicht begnügen wollen und eine ewige Erhaltung des irdischen Lebens vom Standpunkte der Gemütsbefriedigung aus postuliert. Feuerbachs kategorischer Imperativ: »Begnüge dich mit der gegebenen Welt!« scheint ihm unausführbar, solange nicht wenigstens der Bestand dieser gegebenen Welt gegen die Untergang drohenden Folgerungen der Mathematiker gesichert ist. Es ist nun aber sehr die Frage, ob es vom Standpunkt der Gemütsruhe aus besser scheint, sein System völlig abzuschließen, während das Fundament selbst den stärksten Erschütterungen ausgesetzt bleibt, oder sich ein für allemal eine Schranke des Wissens und Meinens gefallen zu lassen, jenseit welcher man alle Fragen offen läßt. In der Tat muß man angesichts der zwingenden Schlüsse, die wir angeführt haben, erkennen, daß Czolbes Beruhigungssystem auf Sand gebaut ist und daher seinen Zweck auf die Dauer ebensowenig erfüllen kann als der populäre Dogmatismus, der umgekehrt seinen Anfang und sein Ende – Schöpfung und jüngstes Gericht – nicht entbehren will. Erhebt man sich einmal über diesen Standpunkt; sucht man den Ruhepunkt der Seele im Gegebenen, so wird man sich auch leicht dazu bringen, ihn nicht in der ewigen Dauer des materiellen Zustandes zu finden, sondern in der Ewigkeit der Naturgesetze, und in einer solchen Dauer des Bestehenden, welche uns den Gedanken seines Untergangs in eine hinlängliche Ferne rückt. Die architektonische Neigung der Vernunft[673] wird sich aber zufrieden geben, wenn man ihr den Reiz einer Weltanschauung enthüllt, die keine sinnliche Stütze mehr hat, die aber auch keiner bedarf, weil alles Absolute beseitigt ist. Sie wird sich erinnern, daß diese ganze Welt der Verhältnisse durch die Natur unsres Erkenntnisvermögens bedingt ist. Und wenn wir dann auch immer wieder darauf zurückkommen, daß unsre Erkenntnis uns nicht die Dinge an sich erschließt, sondern nur ihr Verhältnis zu unsern Sinnen, so ist doch dies Verhältnis um so vollkommener, je lauterer es ist; ja es ist sogar der berechtigten Dichtung eines Absoluten um so tiefer verwandt, je reiner es sich von willkürlichen Beimischungen erhält.

Fast noch mehr als die Entstehung des Weltganzen hat den denkenden Geist seit geraumer Zeit das Entstehen der Organismen beschäftigt. Für die Geschichte des Materialismus wird diese Frage schon deshalb wichtig, weil sie zu den anthropologischen Fragen, um die der materialistische Streit sich besonders zu drehen pflegte, den Übergang bildet. Der Materialist verlangt eine erklärbare Welt; ihm genügt es, wenn die Erscheinungen sich so fassen lassen, daß das Zusammengesetzte aus dem Einfachen, das Große aus dem Kleinen, das vielfach Bewegte aus der schlichten Mechanik hervorgeht. Mit allem übrigen glaubt er leicht fertig zu werden; oder vielmehr er übersieht die Schwierigkeiten, die sich erst dann ergeben, wenn die erklärbare Welt in der Theorie so weit hergestellt ist, daß das Kausalgesetz kein weiteres Opfer mehr zu fordern hat. Der Materialismus hat auch auf diesem Gebiete aus Dingen, welche von jedem vernünftigen Standpunkte aus anerkannt werden müssen, Nahrung gezogen; bis auf die neueste Zeit hin war aber gerade die Entstehung der Organismen ein Punkt, welcher von den Gegnern des Materialismus nachdrücklich ausgebeutet wurde. Insbesondere glaubte man im Ursprung der Organismen mit Notwendigkeit auf einen transzendenten Schöpfungsakt geführt zu sein, während man in der Einrichtung und Erhaltung der organischen Welt immer neue Stützen der Teleologie zu finden meinte. Ja, eine gewisse Opposition gegen materialistische Ansichten knüpfte sich oft schon an den bloßen Namen des Organischen, des Lebenden, indem man auf diesem Gebiet gleichsam den verkörperten Gegensatz einer höheren, geistig wirkenden Kraft gegen den Mechanismus der toten Natur vor Augen zu haben wähnte.

Im Mittelalter und noch mehr im Beginne der Neuzeit, so weit namentlich der Einfluß eines Paracelsus und van Helmont reichte,[674] fand man zwischen dem Organischen und Unorganischen keine solche Kluft, wie in den letzten Jahrhunderten. Es war eine weitverbreitete Vorstellung, daß die ganze Natur beseelt sei. Ließ schon Aristoteles Frösche und Schlangen aus dem Schlamm entstehen, so konnte man dergleichen unter der Herrschaft der Alchimie vollends nur für sehr natürlich halten. Wer sogar in den Metallen Geister erblickte und in ihrer Mischung einen Gärungsprozeß sah, der konnte im Entstehen des Lebenden keine besondre Schwierigkeit finden. Man glaubte zwar im allgemeinen an die Unveränderlichkeit der Arten – ein Dogma, welches direkt aus der Arche Noah stammt; aber man nahm es auch mit der Entstehung neuer Wesen nicht eben genau, und namentlich die niederen Tiere ließ man in weitester Ausdehnung sich aus unorganischer Materie entwickeln. Beide Glaubensartikel haben sich bis heute erhalten; der eine mehr unter den Professoren, der andre unter Bauern und Fuhrleuten. Jene glauben an die Unveränderlichkeit der Arten und suchen vielleicht zwanzig Jahre lang sich aus dem Gebiß der Schnecken ein Zeugnis für ihren Glauben zu bereiten; diese finden immer wieder durch ihre Erfahrung bestätigt, daß aus Sägemehl und andern Ingredienzien Flöhe entstehen. Die Wissenschaft ist auf diesem Gebiete später als auf andern dazu gekommen, die Glaubensartikel zu Hypothesen herabzusetzen und den breiten Strom der Meinungen durch einige Experimente und Beobachtungen einzudämmen.

Gleich die Frage, die uns zuerst entgegentritt, ist noch heute Gegenstand eines erbitterten Streites: die Frage der Urzeugung (generatio aequivoca). Carl Vogt hat uns einen launigen Bericht darüber gegeben, wie in Paris der wissenschaftliche Kampf zwischen Pasteur und seinen verbündeten Gegnern Pouchet, Joly und Musset mit der Erbitterung von Theologen und mit einem dramatischen Effekt geführt wird, welcher an die Magister-Promotionen des fünfzehnten Jahrhunderts erinnert. Auf Pasteurs Seite stehen die Akademie und die Ultramontanen. Die Möglichkeit der Urzeugung zu bestreiten, gilt als konservativ. Die alten Autoritäten der Wissenschaft waren einmütig der Ansicht, es lasse sich ohne Ei oder Samen nun und nimmer ein organisches Wesen hervorbringen. Omne vivum ex ovo ist ein wissenschaftlicher Glaubensartikel. Warum aber stehen die Orthodoxen auf dieser Seite? Etwa nur, um das absolut Unerklärte hinzustellen, um zum Tort des Verstandes und der Sinnlichkeit an einer rein mystischen Schöpfung festzuhalten? – Die ältere Orthodoxie nahm nach Anleitung[675] des heiligen Augustinus einen ganz andern Standpunkt ein; gewissermaßen einen mittleren. Man verschmähte es durchaus nicht, sich die Dinge so anschaulich als möglich vorzustellen. Augustinus lehrte, daß von Anbeginn der Welt zweierlei Samen der lebenden Wesen bestanden hätten: der sichtbare, welchen der Schöpfer in Tiere und Pflanzen gelegt, damit sie sich, ein jegliches in seiner Art, fortpflanzen, und der unsichtbare, welcher in allen Elementen verborgen sei und nur bei besonderen Mischungs- und Temperaturverhältnissen wirksam werde. Dieser von Anbeginn in den Elementen verborgene Samen ist es, der Pflanzen und Tiere in großer Anzahl ohne jegliche Mitwirkung fertiger Organismen hervorbringe.

Dieser Standpunkt wäre für die Orthodoxie ein ganz günstiger, er ließe sich sogar ohne viel Mühe so weit umformen, daß er bei dem heutigen Stande der Wissenschaften noch so gut wie jedes der beiden streitenden Dogmen könnte behauptet werden. Aber wie in der Hitze eines Kampfes der Fechtende oft halb genötigt, halb unwillkürlich seine Position wechselt, so geschieht es auch in dem großen Gange wissenschaftlicher Streitfragen. Der Materialismus des vorigen Jahrhunderts spielt hier seine Rolle. Indem man versuchte, das Leben aus dem Leblosen, die Seele aus dem Stoff zu erklären, stellte man die vermeintliche Entstehung von Insekten aus faulenden Stoffen in eine Reihe mit der Belebung toter Fliegen durch Salz, mit den willkürlichen Bewegungen geköpfter Vögel und andern Instanzen für die materialistische Ansicht. Freunde der Teleologie und der natürlichen Theologie, Anhänger des Dualismus von Geist und Natur ergriffen nun die Taktik, das Entstehen von Insekten und Infusorien ohne Zeugung gänzlich zu bestreiten und der Kampf der Ideen führte, wie so oft in der Geschichte der Wissenschaften, zu fruchtbaren und sinnreichen Experimenten, in welchen die Materialisten den kürzeren zogen. Seit der viel gelesene und bewunderte Bonnet in seinen Betrachtungen der Natur die generatio aequivoca widerlegt hatte, galt es als Spiritualismus, an dem omne vivum ex ovo festzuhalten, und in diesem Punkt harmonierte nun die Orthodoxie erträglich mit den Resultaten der exakten Forschung. Ja, es scheint fast bis auf die Gegenwart hin als würde jener Satz um so unerschütterlicher festgestellt, je genauer und sorgfältiger die Forschung zu Werke ging.

Die Metaphysik wurde bei der neuen Entdeckung toll. Man schloß, daß bei der natürlichen Zeugung alle zukünftigen Generationen schon in dem Ei oder Samentierchen enthalten sein müßten,[676] und Professor Meier in Halle führte dieses »Präformationssystem« mit so naiver Anschaulichkeit durch, daß wir ein Unrecht gegen unsre Leser begehen würden, wenn wir nicht ein Pröbchen seiner Ausführung mitteilten: »So hätte,« sagt der Professor, »Adam alle Menschen schon in seinen Lenden getragen, und also auch zum Exempel das Samentierchen, woraus Abraham geworden. Und in diesem Samentierchen lagen schon alle Juden als Samentierchen. Als nun Abraham den Isaak zeugte, so ging Isaak aus dem Leibe seines Vaters heraus und nahm mit sich zugleich, in sich eingeschlossen, das ganze Geschlecht seiner Nachkommen.«452 Der Verbleib der unbenutzten Samentierchen, die man sich gern schon mit etwas Seele behaftet dachte, hat begreiflicherweise viel tollere Phantasien veranlaßt, die uns hier wenig berühren.

In neuerer Zeit war es namentlich Schwann, welcher teils in der Zelle das eigentliche Element aller organischen Bildungen nachwies, teils durch eine Reihe von Versuchen dartat, daß bei der scheinbaren Entstehung der Organismen durch generatio aequivoca stets das Vorhandensein von Eiern oder Keimzellen vorausgesetzt werden müsse. Seine Beweismethode galt im allgemeinen als vorzüglich; es war aber einer unsrer Materialisten – C. Vogt – welcher den Verdacht ihrer Unzulänglichkeit mit Bestimmtheit aussprach, längst bevor der alte Streit in Frankreich so heftig wieder entbrannte. Wir entnehmen den Gedankengang seiner scharfsinnigen und eingehenden Kritik den Bildern aus dem Tierleben (1852).

Die Infusorien entstehen beim Zusammentritt von Luft, Wasser und organischem Stoff. Schwann traf Maßregeln, in diesen Bestandteilen alle organischen Keime zu vernichten. Bleiben sie dann abgeschlossen, und es entstehen doch Infusorien, so ist die generatio aequivoca bewiesen. Es wurde in einem Kolben Heu mit Wasser gekocht, bis nicht nur die ganze Flüssigkeit, sondern auch die Luft in dem Kolbenhalse auf den Siedepunkt erhitzt war. Man wußte, daß in geschlossenen Kolben keine Infusorien entständen. Ließ man nun die gewöhnliche Luft durch den Kolbenstreichen so entstanden trotz des vorangegangenen Siedens jedesmal Infusorien; ließ man dagegen nur Luft zutreten, welche durch eine glühende Röhre, durch Schwefelsäure oder Ätzkali geleitet war, so entstanden niemals Infusorien. Man nimmt nun an, daß die Zusammensetzung der Luft durch die angewendeten Mittel nicht verändert werde. Dies ist aber nur annähernd wahr. Die Atmosphäre[677] enthält nicht nur Sauerstoff und Stickstoff. »Es finden sich in ihr eine gewisse Menge von Kohlensäure, von Wasserdampf, von Ammoniak, vielleicht noch viele andre Stoffe in verschwindend kleiner Menge. Diese werden durch die angewandten Mittel mehr oder minder zersetzt und absorbiert, die Kohlensäure vom Ätzkali, das Ammoniak von der Schwefelsäure. Die Erhitzung der Luft muß einen besondern Einfluß auf die Anordnung der Moleküle der Luft äußern... Wir haben Fälle genug in der Chemie, wo es sich um scheinbar sehr geringfügige Umstände handelt, wenn eine Verbindung oder Zersetzung bewerkstelligt werden soll... Es ist möglich, daß gerade die bestimmte Menge von Ammoniak, von Kohlensäure, daß eine gewisse Lagerung oder Spannung der Moleküle in der Atmosphäre nötig sind, um den Prozeß der Neubildung eines Organismus einzuleiten und durchzuführen. Die Bedingungen, unter denen die beiden Kolben stehen, sind demnach nicht vollkommen gleich, weshalb auch der Versuch nicht ganz beweisend erscheint.« In der Tat ist durch diese Ausführung die Unzulänglichkeit des Schwannschen Versuches dargetan, und die Frage durfte als eine offene betrachtet werden, zumal da eine Reihe gewichtiger Bedenken der Annahme entgegensteht, daß alle Keime der zahllosen Infusorien, welche bei jenen Versuchen erblickt werden, in der Luft lebensfähig umhertreiben. Ehrenberg nahm eine Teilung der Infusorien an, welche in geometrischer Proportionsreihe fortschreitend in wenigen Stunden das Wasser bevölkern sollte; Vogt hat dagegen die Unwahrscheinlichkeit dieser Hypothese hervorgehoben.453 In neuerer Zeit hat man nun begonnen, die in der Luft etwa schwebenden Stäubchen systematisch zu sammeln, bevor der weitere Versuch beginnt. Pasteur wirft seine Sammlung angeblicher Keime und Eier in die zum Versuch bestimmten Flüssigkeiten und glaubt damit Infusorien und Pilze zu säen; Plouchet besieht sich die Sammlung vorher. Er läßt Hunderte von Kubikmetern Luft durch Wasser streichen und untersucht das Wasser; er erfindet ein eignes Instrument, das Luft gegen Glasplatten bläst, auf denen die Samenstäubchen haften bleiben, er analysiert Staub, der sich niedergesetzt hat, und zwar macht er diese Versuche auf den Gletscherhöhen der Maladetta in den Pyrenäen wie in den Katakomben von Theben, auf dem Festlande wie auf dem Meere, auf den Pyramiden Ägyptens wie auf der Spitze des Domes von Rouen. Er schleppt so eine Menge von Luftinventarien herbei, in denen zwar alles mögliche figuriert, aber nur höchst selten[678] ein Keimsporn eines Schimmelpflänzchens und noch weit seltener die tote Leiche eines Infusoriums.

Bei alledem blieb es dabei, daß Urzeugung bisher nicht nachgewiesen ist, so viel Mühe auch darauf verwandt wurde. Man hat die Schwannschen Versuche in der mannigfachsten Weise abgeändert und umgestaltet – so oft sich anscheinend Urzeugung ergab, zeigten genauere Versuche, daß die Möglichkeit einer Übertragung von Keimen nicht ausgeschlossen ist. Am meisten Aufsehen erregten in den letzten Jahren die Versuche von Bastian und von Huizinga. Die letzteren besonders hatten etwas sehr Bestechendes, da sich in einem gut zugeschmolzenen Glaskolben nach zehn Minuten langem Kochen der Flüssigkeit Bakterien, und nur Bakterien bildeten, so daß man also wenigstens für diese einfachsten Organismen Urzeugung schien annehmen zu dürfen; allein in Pflügers Laboratorium wurde die gleiche Flüssigkeit unter gleichem Verschluß stundenlang der Siedehitze ausgesetzt, und nun bildeten sich nach der Abkühlung keine Bakterien mehr. Es blieb also die Möglichkeit, daß Keime in der Flüssigkeit waren, welche durch eine zehn Minuten dauernde Siedehitze nicht zerstört wurden, während sie einer längern Anwendung der Hitze nicht mehr widerstehen konnten.454

Dabei muß freilich eingeräumt werden, daß stundenlanges Sieden möglicherweise auch andre, uns zurzeit unbekannte Existenzbedingungen der Bakterien vernichten konnte, so daß der Beweis keineswegs zwingend ist, daß wirklich in der Flüssigkeit Keime vorhanden waren, welche im ersten Falle sich entwickelten, im zweiten vernichtet wurden. Es bleibt also nach allen diesen Versuchen dabei, daß die Urzeugung nicht erwiesen, aber ebensowenig als unmöglich dargetan ist.

Eine neue Möglichkeit für die Entstehung der Organismen schien sich durch die Entdeckung der Moneren zu eröffnen, jener formlosen und, so weit unsre Untersuchungsmittel reichen, auch strukturlosen Protoplasmaklümpchen, welche sich erhalten, sich ernähren, sich fortpflanzen, ohne irgend bestimmte Organe zu besitzen. Haeckel, der die Urzeugung als eine unentbehrliche, wenn auch noch nicht bestätigte Hypothese betrachtet, verspricht sich in dieser Beziehung am meisten von einem in den stillen Meerestiefen lebenden Schleimwesen dieser Art: »Es gibt sogar schon unter den bis jetzt bekannten Moneren eine Art, die vielleicht noch heutzutage beständig durch Urzeugung entsteht. Das ist der wunderbare,[679] von Huxley entdeckte und beschriebene Bathybius Haeckelii.« Dieses Moner findet sich »in den größten Tiefen des Meeres, zwischen 12000 und 24000 Fuß, wo es den Boden teils in Form von netzförmigen Plasmasträngen und Geflechten, teils in Form von unregelmäßigen größeren und kleineren Plasmaklumpen überzieht.« – »Nur solch homogene, noch gar nicht differenzierte Organismen, welche in ihrer gleichartigen Zusammensetzung aus allerlei Teilchen den anorganischen Kristallen gleich stehen, konnten durch Urzeugung entstehen und konnten die Ureltern aller übrigen Organismen werden.«455

»Wenn Sie die Hypothese der Urzeugung nicht annehmen,« heißt es an einer später folgenden Stelle, »so müssen Sie an diesem einzigen Punkte der Entwicklungstheorie zum Wunder einer übernatürlichen Schöpfung Ihre Zuflucht nehmen. Der Schöpfer muß dann den ersten Organismus oder die wenigen ersten Organismen, von denen alle übrigen abstammen, jedenfalls einfachste Moneren oder Urzytoden, als solche geschaffen und ihnen die Fähigkeit beigelegt haben, sich in mechanischer Weise weiter zu entwickeln.« Haeckel findet mit Recht diese letzte Vorstellung »ebenso unbefriedigend für das gläubige Gemüt, wie für den wissenschaftlichen Verstand«. Man kann aber weiter gehen und behaupten, daß eine solche Alternative methodisch ganz unzulässig ist. Für die wissenschaftliche Forschung muß die Begreiflichkeit der Welt ein Axiom sein, und wenn man daher die Urzeugung für unwahrscheinlich hält, so bleibt die Entstehung der Organismen einfach ein zurzeit ungelöstes Problem. Zur Annahme eines »übernatürlichen« Schöpfungsaktes hat die Naturwissenschaft ein für allemal nicht die mindeste Veranlassung. Auf dergleichen Erklärungen zu verfallen, ist daher stets ein Verlassen des wissenschaftlichen Bodens welches nicht innerhalb einer wissenschaftlichen Untersuchung als zulässig, oder als überhaupt in Betracht kommend erwähnt werden darf. Denen aber, die einen Schöpfungsakt als Gemütsbedürfnis brauchen, muß es überlassen bleiben, ob sie es vorziehen, mit demselben in jeden dunkeln Winkel zu flüchten, den das Licht der Wissenschaft noch nicht erreicht hat, oder ob sie lieber sich gegen die ganze Wissenschaft empören und unbekümmert um die Regeln des Verstandes glauben, was ihnen gut dünkt; oder ob sie endlich sich auf den Boden des Ideals zu stellen wissen und ebendasselbe, was die Wissenschaft einen Naturvorgang nennt, als einen Ausfluß göttlicher Macht und Weisheit verehren. Daß nur der letztere Standpunkt[680] einer gehobenen Kultur entspricht, der erste aber zwar der gewöhnlichste, aber auch nach allen Seiten der schwächlichsten ist, brachen wir hier nur anzudeuten.

Übrigens liegt die Sache keineswegs so, daß mit dem Verzicht auf eine theoretische Urzeugung jede Möglichkeit der Herstellung eines durchgehenden Kausalzusammenhanges in der Natur aufgegeben wäre.

Zunächst kommt hier eine neuerdings von dem englischen Physiker William Thomsons456 aufgestellte Hypothese in Betracht, welche den Ursprung der Organismen auf unsrer Erde aus dem Weltraum ableitet und die Meteore als Träger derselben benutzt. »Wenn eine vulkanische Insel aus dem Meere auftaucht und nach wenig Jahren mit Vegetation bekleidet ist, tragen wir kein Bedenken anzunehmen, daß Samen zu ihr durch die Luft geführt worden oder auf Flößen zu ihr herangeschwommen sind. Ist es nicht möglich, ist es nicht wahrscheinlich, daß der Anfang des vegetabilischen Lebens auf der Erde in ähnlicher Weise erklärt werden kann?«

Thomson betrachtet die Meteoriten als Bruchstücke zertrümmerter und einst mit Leben bedeckter Welten. Solche Trümmer können bei einem Zusammenstoße sich teilweise ziemlich unversehrt erhalten, während ein großer Teil derselben geschmolzen wird. Nimmt man nun an, »daß es gegenwärtig manche Welten mit Leben außer unsrer eignen gibt, und von undenklichen Zeiten her gegeben hat«, so »müssen wir es als in hohem Grade wahrscheinlich betrachten, daß zahllose Samen tragende Meteorsteine sich durch den Raum bewegen. Wenn im jetzigen Augenblick kein Leben auf Erden existierte, würde ein Stein, der auf sie fiele, durch das, was wir natürliche Ursache nennen, dazu führen, daß sie sich mit Vegetation bedeckte«.

Zöllner versucht diese Hypothese als unwissenschaftlich nachzuweisen; zunächst in formaler Hinsicht, weil sie die Frage nur zurückschiebe und dabei verwickelter mache. Man müsse jetzt fragen: warum hat sich jener zertrümmerte Weltkörper mit Vegetation bedeckt und unsre Erde nicht? Sodann soll es auch materiell unwissenschaftlich sein, die Meteoriten zu Trägern des Samens zu machen, weil sie beim Eintritt in unsre Atmosphäre durch Reibung glühend werden.

Helmholtz, der die Hypothese Thomsons gegen den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit in Schutz nimmt, erinnert daran, daß die[681] größeren Meteorsteine sich nur in ihren äußeren Schichten erhitzen, im Innern aber, wo sich ganz gut solche Samen in Spalten bergen könnten, kalt bleiben. Auch würden oberflächlich auflagernde Samen beim Eintritt in die höchsten Schichten der Atmosphäre herabgeblasen werden, bevor die Erhitzung einen vernichtenden Grad erreicht haben kann. – Helmholtz, der die gleiche Hypothese schon vor Thomson in einem wissenschaftlichen Vortrage als zulässig erwähnt hatten, will es jedem überlassen, ob er sie etwa für höchst unwahrscheinlich halten will. »Aber,« bemerkt er, »es scheint mir ein vollkommen richtiges wissenschaftliches Verfahren zu sein, wenn alle unsre Bemühungen scheitern, Organismen aus lebloser Substanz sich erzeugen zu lassen, daß wir fragen, ob überhaupt das Leben je entstanden, ob es nicht eben so alt wie die Materie sei, und ob nicht seine Keime von einem Weltkörper zum andern herübergetragen sich überall entwickelt hätten, wo sie günstigen Boden gefunden.«457

In der Tat läßt sich in Beziehung auf den »formalen« Einwurf Zöllners sehr leicht entgegnen, daß unsre Erde eben deshalb ursprünglich ohne Vegetation gedacht werden muß, weil sie aus einem feurig-flüssigen Zustande erst in einen vegetationsfähigen Zustand übergehen mußte. Denkt man sich, daß jener andre Weltkörper ganz den gleichen Prozeß, nur in einer früheren Zeitperiode durchgemacht habe, so hat dieser sein Leben natürlich von einem dritten usw. – Dabei wird allerdings die Frage zurückgeschoben, aber durchaus nicht verwickelter gemacht. Auf alle Fälle wird jene große Klippe umgangen, welche die Erklärung der Organismen in der Kantschen Verdichtungshypothese findet. Man gerät auf einen Prozeß ins Unendliche, und diese Art der »Zurückschiebung« hat jedenfalls den Vorteil, daß die ungelöste Schwierigkeit in gute Gesellschaft gerät. Die Entstehung des Lebens wird auf diese Weise so erklärlich und so unerklärlich, wie die Entstehung einer Welt überhaupt: sie gerät in das Gebiet der transzendenten Fragen, und sie dahin zu verweisen, ist durchaus nicht unmethodisch, sobald die Naturwissenschaft gute Gründe hat, innerhalb ihres Erkenntnisgebietes eine solche Übertragungstheorie für die relativ wahrscheinlichste zu halten.

Zöllner stimmt darin mit Haeckel überein, daß die generatio aequivoca aus apriorischen Gründen nur mit Aufhebung des Kausalgesetzes geleugnet werden könne. Statt aber daneben die Möglichkeit eines über natürlichen Schöpfungsaktes zuzulassen, hält er damit[682] die Frage auf deduktivem Wege für entschieden und betrachtet es sogar als einen Mangel an erkenntnistheoretischer Bildung, wenn die Naturforscher noch einen so großen Wert auf den induktiven Beweis der generatio aequivoca legen. Formell richtig bemerkt er, daß man der Keimtheorie doch mit keiner Vervollkommnung der Experimente absolut entgehen könne, da man ja schließlich niemandem wehren könne, zu behaupten, »die organischen Urkeime wären bezüglich ihrer Größe von der Ordnung der Ätheratome und drängten sich mit den letzteren gemeinsam durch die Zwischenräume der materiellen Moleküle, welche die Wandungen unsrer Apparate konstruieren.« Gleichwohl ist diese Bemerkung einstweilen höchstens als Satire verwendbar gegen die Sicherheit, mit welcher Pasteur und ähnliche Dogmatiker auf Grund ihrer Experimente die generatio aequivoca für definitiv widerlegt halten. Im Ernste wird es niemandem einfallen, eine solche Hypothese aufzustellen, solange wir sehen, daß in gewissen Fällen auch bei sehr langer Dauer eine eingeschlossene Flüssigkeit ohne alle Spur von Leben bleibt.

Die induktive Forschung ist also hier durchaus nicht so wehrlos, solange sie noch verschiedene Ergebnisse bei verschiedenem Verfahren erzielt und diese vergleichen kann. Auch ist das von Zöllner aufgestellte Prinzip der Beruhigung bei dem Axiom von der Begreiflichkeit der Welt durchaus nicht ohne ernste Bedenken. Wenn Zöllner darin richtiger verfährt als Haeckel, daß er die Annahme einer unbegreiflichen Entstehung als gar nicht erwähnenswert betrachtet, so ist dagegen Haeckel im Recht, wenn er sich, selbst auf Grund einer gewagten Hypothese, eine anschauliche Vorstellung darüber zu bilden sucht, wie die Sache etwa vorgegangen sein könnte. Helmholtz erinnert mit vollem Rechte, daß sich Zöllner hier auf dem für den Naturforscher so gefährlichen Pfade der Metaphysik befindet, und er zeigt, daß die richtige Alternative so zu stellen ist: »Organisches Leben hat entweder zu irgendeiner Zeit angefangen zu bestehen, oder es besteht von Ewigkeit.«

Läßt man die kritischen Bedenken gegen den Begriff einer absoluten Ewigkeit hier beiseite, so ist die Frage richtig gestellt, aber immerhin bleibt es auch dann noch eine empfehlenswerte Maxime der Forschung, die Bemühungen um einen Nachweis der terrestrischen Entstehung der Organismen nicht aufzugeben, damit die bequemere Abschiebung der Frage auf das Weltall nicht in ähnlicher[683] Weise, wie eine metaphysische Konstruktion, den Fortschritt der empirischen Erkenntnis hemmen möge.

Hier sei schließlich auch noch die Ansicht Fechners erwähnt, der in einem gedankenreichen, aber auch hypothesenreichen Schriftchen die Ansicht durchzuführen sucht, daß die organischen Moleküle die älteren seien gegenüber den unorganischen, und daß sich danach dem »Prinzip der zunehmenden Stabilität« wohl die letzteren aus den ersteren entwickeln können, aber nicht umgekehrt. Diese ganze Annahme beruht jedoch auf einer Voraussetzung über den Bewegungszustand der Teilchen in den Molekülen, welche noch sehr der Bestätigung bedarf, wenn sie dieselbe jemals finden sollte.458

Auf diesem ganzen Gebiete kann die Naturforschung wohl im großen ganzen nur einen einzigen Weg wandeln, und wenn man diesen materialistisch nennen will, so möge man die in den vorhergehenden Kapiteln nachgewiesenen Schranken der materialistischen Weltanschauung nicht vergessen. Hier ist es nur ein einziger Punkt, der uns an diese Schranken und an den kritischen Standpunkt der Erkenntnistheorie erinnert: der Unendlichkeitsbegriff in seiner Anwendung sowohl auf die koexistierenden Weltkörper und Weltbildungsstoffe, als auch mit Beziehung auf die Zeitreihe bei der Frage, ob Anfang oder Anfangslosigkeit, und wie man die eine und die andre Annahme in der Vorstellung vollziehen könne. Wir verzichten aber darauf, auch hier auf den subjektiven Ursprung dieser Begriffe näher einzugehen und zu zeigen, wie sie nur in einer »Welt als Vorstellung« ihre genügende Erklärung finden können. Es werden sich bessere Gelegenheiten finden, den idealistischen Standpunkt dem materialistischen entgegenzustellen: es genügt zu konstatieren, daß echter Idealismus im ganzen Gebiete der Naturerklärung, soweit es sich um die Relationen zwischen den Erscheinungen handelt, mindestens ebenso vollständig mit der Naturwissenschaft Hand in Hand geht, als es der Materialismus nur irgend vermag.[684]

447

Helmholtz, über die Wechselwirkung der Naturkräfte und die darauf bezügl. neuesten Ermittlungen der Physik, Königsberg 1854; wieder abgedruckt in Helmh. populär-wissensch. Vortr. H.2, Braunschw. 1871. – Die zitierte Stelle steht S. 27 (Popul. Vortr. II, S.118). – Dem gleichen Vortrage sind die nachfolgenden Notizen über das Verhältnis von Wärme und mechanischer Kraft im Weltall entnommen.

448

J. R. Mayer, naturwissenschaftl. Vorträge, Stuttg. 1871, S. 28. Die Stelle gehört einem Vortrage »über Erdbeben« an, der im Juni 1870 gehalten wurde. Auf das Unwahrscheinliche der hier vorgetragenen Erdbebentheorie brauchen wir nicht näher einzugehen. – Einiges Nähere über die Rechnung von Adams findet sich bei Zöllner, die Natur der Kometen, S. 469 u. ff. – Zöllner zeigt a. a. O. S. 472 u. ff., daß schon Kant im Jahre 1754 den Beweis geführt habe, daß Ebbe und Flut die Rotation der Erde verzögern müssen.

449

Neuerdings ist die hier angenommene Erklärung für die Veränderungen in der Bahn des Enkeschen Kometen allerdings sehr zweifelhaft geworden, da man an einigen andern Kometen bei genauester Untersuchung eine ähnliche Veränderung nicht gefunden hat. Dagegen ist anderseits von Zöllner gezeigt worden, daß der ganze Weltraum mit Spuren der atmosphärischen Gase der verschiednen Himmelkörper erfüllt sein muß, weil ohne eine solche Annahme die Atmosphäre sich im leeren Raume nicht im Gleichgewichte befinden könne. Sollte also auch, wozu viele Naturforscher jetzt neigen, der Äther ganz aufgegeben werden, so würden doch überall sehr dünne Gasmassen anzunehmen sein, welche eine, wenn auch noch so minime Wirkung in dem angegebenen Sinne hervorbringen müssen.

450

»Wenn wir aber der wahrscheinlichen Ansicht folgen, daß die von den Astronomen gefundene, für ein Gestirn von so großer Masse auffallend geringe Dichtigkeit durch die hohe Temperatur bedingt sei und mit der Zeit größer werden könne, so läßt sich berechnen, daß wenn der Durchmesser der Sonne sich nur um den zehntausendsten Teil seiner Größe verringerte, dadurch hinreichend viel Wärme erzeugt würde, um die ganze Ausgabe für 2100 Jahre zu decken. Eine so geringe Veränderung des Durchmessers würde übrigens durch die feinsten astronomischen Beobachtungen nur mit Mühe erkannt werden können.« Helmholtz, Wechselwirk. der Naturkräfte, S. 42. – Über die zuerst von J. R. Mayer und demnächst von einigen englischen Physikern aufgestellte »Meteortheorie« vgl. Tyndall, die Wärme betrachtet als eine Art der Bewegung, deutsch von Helmholtz und Wiedemann, Braunschweig 1867.

451

Clausius, Abh. über d. mechan. Wärmetheorie, II, S. 44, stellt folgende beiden Sätze auf: 1) Die Energie der Welt ist konstant, 2) die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu. Über den Begriff der »Entropie« vgl. ebendas. S. 34 u. f. Die ganze Deduktion hat jedoch zur Voraussetzung Endlichkeit der materiellen Welt im unendlichen Raume. – In populärer Weise behandelt Helmholtz diese Folgerung in dem Vort. über die Wechselw. der Naturkr. S. 24 u. 25.

452

Meiers Metaphysik, 3. Teil, § 785; zit. bei Hennings, Geschichte von den Seelen der Menschen und Tiere. Halle 1774, S. 504, Anm.

453

Nach neueren Forschungen muß allerdings für gewisse Organismen niedrigster Art, so z.B. für die Bakterien, eine solche Fortpflanzungsweise angenommen werden.

454

Ein Referat über diese Versuche nach Pflügers Archiv für die ges. Physiol. VII, S. 549 und VIII, S. 277 findet sich in Dr. Sklareks »Naturforscher« VI. Jahrg. (1873) Nr. 33 und Nr. 49. – Über die Widerlegung der Versuche Bastians vgl. u. a. Naturf. VI Nr. 26 (S. 209 u. f.) und Nr. 48 (S. 453 u. f.).

455

Haeckel, natürliche Schöpfungsgeschichte, 4. Aufl. Berlin 1873. S. 306 und ferner S. 309 u. f. – Vgl. auch desselben Verfassers »Beiträge zur Plastidentheorie« in der Jenaischen Zeitschr. Bd. V, Heft 4. – In diesem Aufsatze, welcher die nach den neueren Forschungen nötig gewordene Umbildung der Zellentheorie und die Konsequenzen der neuen Anschauung zum Gegenstande hat, findet sich (S. 500) folgende Stelle: »Die wichtigste Tatsache, die aus Huxleys sehr sorgfältigen Untersuchungen des Bathybius hervorgeht, ist, daß der Meeresgrund des offenen Ozeans in den bedeutenderen Tiefen (unterhalb 5000 Fuß) bedeckt ist mit ungeheuren Massen von feinem leben den Protoplasma, und dieses Protoplasma verharrt hier in der einfachsten und ursprünglichsten Form, d.h. es hat überhaupt noch gar keine bestimmte Form, es ist noch kaum individualisiert. Man kann diese höchst merkwürdige Tatsache nicht ohne das tiefste Staunen in nähere Erwägung ziehen, und muß dabei unwillkürlich an den ›Urschleim‹ Okens denken. Dieser universale Urschleim der älteren Naturphilosophie, der im Meere entstanden sein und der Urquell alles Lebens, das produktive Material aller Organismen sein sollte; dieser berühmte und berüchtigte Urschleim, dessen umfassende Bedeutung eigentlich schon implizite durch Max Schultzes Protoplasmatheorie begründet war, – er scheint durch Huxleys Entdeckung des Bathybius zur vollen Wahrheit geworden zu sein.«

456

Thomson hat diese Hypothese entwickelt in einer sehr inhaltreichen Rede zur Eröffnung der britischen Naturforscherversammlung 1871 über »die neuesten Fortschritte in den Naturwissenschaften«. Einen umfassenden Auszug derselben enthält »der Naturforscher«, Jahrg. IV (1871) Nr. 37. – Die hier in Frage kommenden Stellen sind auch abgedruckt bei Zöllner, Natur der Kometen, Vorrede, S. XXIV u. f.

457

Vgl. Zöllner, die Natur der Kometen, Vorrede, S. XXV u. f. und die Entgegnung von Helmholtz in der Vorrede zum 2. Teil des ersten Bandes der Übersetz. des Handb. der theoret. Physik von Thomson und Tait, S. XI u. ff.

458

Fechner, G. Th., einige Ideen zur Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte der Organismen, Leipzig 1873. – In dieser namentlich für die von Darwin angeregten Fragen wertvollen Arbeit stellt Fechner die Hypothese auf, daß in den organischen Molekülen die Teilchen sich in einem andern Bewegungszustande befinden als in den unorganischen. In den letzteren schwingen die Teilchen um feste Gleichgewichtslagen, ohne daß jemals die Verschiebung eines Punktes b gegenüber einem Punkte a mehr als 180° betragen kann (gemessen nach der Bewegung des radius vector nach b von a als Mittelpunkt). Es tritt also kein Wechsel des Vorzeichens ihrer relativen Lage ein. Dagegen nimmt nun Fechner an, daß die Teilchen der organischen Moleküle sich in einer Weise gegeneinander bewegen, bei welcher das Vorzeichen der relativen Lage beständig wechselt, »wie es durch Kreislaufs- und andre verwickelte Bewegungen der Teilchen bezüglich einander geschehen kann.« Dieser Bewegungszustand soll aber durch die »inneren« Kräfte des Moleküls unterhalten werden. Fechner nimmt dann ferner an, daß dieser Zustand der Materie der ursprüngliche, der unorganische dagegen ein später entstandener sei. Organische und unorganische Moleküle können miteinander in engsten Verband treten, und diese Mischung bewirkt, daß der Unterschied organischer und unorganischer Zustände ein relativer ist, daß sich eine ganz feste Grenze zwischen beiden nicht angeben läßt.

Quelle:
Friedrich Albert Lange: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart. Frankfurt am Main 1974, S. 666-685.
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