53. Beweis des Überflusses[57] 1

Wenn ich nur von außen her die Kenntnis habe

und wandeln will im großen SINN,

so ist es äußeres Gebaren, das ich wichtignehme.

Wo die großen Straßen schön eben sind,

das Volk aber die Seitenwege liebt,

wo die Hofhaltung schön sauber ist,

aber die Felder voll Unkraut stehen

und die Scheunen leer sind,

wo die Kleidung schmuck und prächtig ist,

wo jeder einen scharfen Dolch im Gürtel trägt,

wo man heikel ist im Essen und Trinken,

wo sich die Güter im Überfluß finden:

Da herrscht Räuberwirtschaft, nicht der SINN.


Erklärung

1 Der Ausdruck, den wir mit »von außen her« übersetzt haben, heißt im Chinesischen wörtlich: »Schale«, dann aber auch »klein«, »unbedeutend« usw. Grammatikalisch möglich wäre für die ersten 5 Zeilen auch folgende Übersetzung:


»Wenn ich auch nur ein wenig Erkenntnis habe,

um dem großen SINN entsprechend zu wandeln,

so ist es vor allem die äußerliche Entfaltung,

die ich zu fürchten habe.

Der große SINN ist ganz eben,

aber die Leute lieben Seitenwege ...«


Bei dieser Auffassung sind dann die folgenden Aufzählungen Beispiele für die Seitenwege.

»Hofhaltung« in Zeile 6 kann sich sowohl auf den fürstlichen Hof beziehen als auch auf die Gehöfte der Leute aus dem Volk.

Quelle:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf/Köln 1952, S. 57-58.