63. Denken beim Anfang[67] 1

Wer das Nichthandeln übt,

sich mit Beschäftigungslosigkeit beschäftigt,

Geschmack findet an dem, was nicht schmeckt:

Der sieht das Große im Kleinen und das Viele im Wenigen.

Er vergilt Groll durch LEBEN.

Er plant das Schwere im Leichten.

Er tut das Große im Geringen.

Alle Schwierigkeiten auf Erden entstehen stets aus Leichtem.

Alles Große auf Erden entsteht stets aus Geringem.

Also auch der Berufene:

Er denkt niemals an seine Größe,

darum kann er seine Größe vollenden.

Wer leichthin zusagt, findet stets wenig Glauben.

Wer vieles leicht nimmt, findet stets viele Schwierigkeiten.

Also auch der Berufene:

Weil er die Schwierigkeiten bedenkt, darum findet er keine Schwierigkeiten.


Erklärung

1 Der Satz: »Vergilt Groll durch LEBEN«, gewöhnlich übersetzt durch: »Vergilt Unrecht mit Güte«, spielt in den Erörterungen der Zeit eine gewisse Rolle. Laotse begründet ihn in No. 49 damit, daß unsere Handlungsweise notwendig aus unserem Wesen hervorgeht, daß wir darum gar nicht anders als gut sein können. Er geht damit über den Gedanken der »Gegenseitigkeit« hinaus, der in den nachkonfuzianischen Systemen eine so wichtige Stelle einnimmt. Kung war aus Gründen der staatlichen Gerechtigkeit zweifelhaft in diesem Stück (vgl. seine Äußerung zu der Frage in »Gespräche«, Buch XIV. 36, pag. 163), obwohl er den Grundsatz für die individuelle Moral anerkannt hat (vgl. Li Gi 29, 11 f.).

Quelle:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf/Köln 1952, S. 67-68.