Anhang I

Kurze Darstellung der Streitfrage, auf förmliche Schlüsse zurückgeführt

[425] Einige einsichtige Personen wünschten, ich möchte diese Zugabe machen und ich habe dem um so mehr Statt gegeben, als ich dadurch Gelegenheit erhielt, einige Schwierigkeiten zu beseitigen und einige Bemerkungen beizufügen, die in dem vorstehenden Werke noch nicht genügend behandelt worden waren.

I. Einwurf. Jeder, welcher nicht den besten Theil ergreift, hat einen Mangel an Macht, oder an Wissen, oder an Güte.

Gott hat nicht den besten Theil erwählt, als er diese Welt geschaffen.

Also mangelt es Gott an Macht, oder an Wissen, oder an Güte.

Antwort. Ich leugne den Untersatz, d.h. den zweiten Vordersatz dieses Schlusses, und der Gegner beweist ihn durch folgenden

Prosyllogismus: Wer Dinge macht, die Uebles enthalten, während sie ohne Uebel hätten gemacht werden können, oder die gar nicht gemacht zu werden brauchten, erwählt nicht das beste Theil.

Gott hat eine Welt gemacht, wo es Uebel giebt, nämlich eine Welt, die entweder ohne alles Uebel gemacht werden konnte, oder deren Hervorbringung ganz unterbleiben konnte.[425]

Also hat Gott nicht den besten Theil erwählt.

Antwort. Ich gestehe den Untersatz dieses Prosyllogismus zu, denn es ist richtig, dass Uebel in der von Gott geschaffenen Welt enthalten sind und auch dass es möglich ist, eine Welt ohne Uebel zu bilden und selbst möglich, gar keine Welt zu schaffen, weil die Schöpfung von dem freien Willen Gottes abgehangen hat; aber ich bestreite den Obersatz, d.h. den ersten der beiden Vordersätze dieses Schlusses und ich könnte mich begnügen, den Beweis dessen zu verlangen. Allein zur wahreren Aufklärung des Gegenstandes will ich dieses Bestreiten beweisen, indem ich zeige, dass der beste Theil nicht immer der ist, welcher das Uebel abzuwenden sucht, weil es möglich ist, dass das Uebel von einem grösseren Gute begleitet wird. So wird z.B. einem Feldherrn ein grösserer Sieg mit einer leichten Verwundung lieber sein, als ein Zustand ohne Sieg und ohne Verwundung. Ich habe dies ausführlich in diesem Werke dargelegt, indem ich selbst aus der Mathematik dafür Beispiele beigebracht und ausserdem gezeigt habe, dass die Unvollkommenheit eines Theiles für eine grössere Vollkommenheit im Ganzen erforderlich sein kann. Ich bin hier der Ansicht des Augustinns gefolgt, welcher vielemal gesagt hat, dass Gott das Uebel gestattet habe, um ein Gut daraus abzuleiten, d.h. ein grösseres Gut; und auch der Ansicht des Thomas von Aquino (in Buch 2, sent. Dictum 32, Frage 1, Artikel I), dass die Gestattung des Uebels das Beste des Universums bezweckt. Ich habe gezeigt, dass bei den Alten der Fall Adam's die felix culpa (die glückliche Schuld) genannt worden ist, weil sie durch einen unermesslichen Vortheil ausgeglichen worden ist, nämlich durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes, welche dem Universum etwas Edleres gegeben hat, als alles, was ohne diese es sonst unter den Geschöpfen gegeben haben würde. Auch habe ich zum bessern Verständniss nach dem Vorgange mehrerer guten Schriftsteller hinzugefügt, dass es zur Ordnung und zum allgemeinem Guten gehörte, dass Gott gewissen Geschöpfen die Gelegenheit zur Hebung ihrer Freiheit gewähre, selbst dann, wenn er voraussah, dass sie sich dem Bösen zuwenden würden, was er ja so gut wieder ausgleichen konnte. Es passte nicht, dass Gott[426] zur Verhinderung der Sünde immer in ausserordentlicher Weise gehandelt hätte. Zur Widerlegung des Einwurfs genügt also, wenn man zeigt, dass eine Welt mit dem Uebel besser sein kann, als eine Welt ohne Uebel; allein ich bin in meinem Werke noch weiter gegangen und habe selbst dargethan, dass diese wirkliche Welt besser sein muss, als alle andern möglichen Welten.

II. Einwurf. Wenn es in den verständigen Geschöpfen mehr Uebles als Gutes giebt, so giebt es mehr Uebles als Gutes in dem ganzen Werke Gottes.

Nun giebt es mehr Uebles als Gutes in den verständigen Geschöpfen.

Also giebt es mehr Uebles als Gutes in dem ganzen Werke Gottes.

Antwort. Ich bestreite den Ober- und den Unter-Satz dieses bedingten Schlusses. Den Obersatz gestehe ich nicht zu, weil diese vermeinte Folgerung vom Theile auf das Ganze stillschweigend und ohne Beweis voraussetzt, dass die unverständigen Geschöpfe mit den verständigen nicht in Vergleich und in Rechnung gestellt werden können. Weshalb sollte aber das Mehr an Gutem bei den unverständigen Geschöpfen in der Welt nicht das Mehr an Uebel in den vernünftigen Geschöpfen ausgleichen, ja selbst vielmal übertreffen können? Allerdings ist der Werth der letzteren grösser aber dafür sind der ersteren an Zahl unvergleichlich viel mehr und das Verhältniss der Zahl und der Menge kann das des Werthes und der Beschaffenheit übersteigen.

Auch den Untersatz kann ich nicht zugeben, nämlich, dass es mehr Uebles als Gutes bei den verständigen Geschöpfen gäbe. Man braucht nicht einmal zuzugestehen, dass es bei dem menschlichen Geschlecht mehr Uebles als Gutes gäbe, weil es möglich, ja selbst sehr vernünftig ist, dass der Ruhm und die Vollkommenheit der Seligen unvergleichlich grösser ist, als das Elend und die Unvollkommenheit der Verdammten und hier die Vortrefflichkeit des Guten in der kleinen Anzahl das ganze Ueble in der grössern Anzahl überwiegt. Die Seligen nähern sich der Gottheit durch die Vermittlung des Gott-Mittlers so weit, als es für sie passt und sie in dem Guten vorschreiten, während das Uebel der Verdammten nicht zunehmen kann, wenn sie sich auch der[427] Natur der bösen Geister noch so sehr näherten. Gott ist ohne Schranken, aber jene Geister sind beschränkt. Das Gute kann gehen und geht in das Unendliche, während das Ueble seine Grenzen hat. Es ist deshalb möglich, ja glaublich, dass bei der Vergleichung der Seligen und Verdammten das Gegentheil von dem eintrifft, was, wie ich gesagt, bei der Vergleichung der verständigen Geschöpfe mit den unverständigen eintreffen kann, d.h. bei der Vergleichung der Glücklichen und Unglücklichen kann das Verhältniss des Grades das der Menge übertreffen und bei der Vergleichung der verständigen und unverständigen Geschöpfe kann das Verhältniss der Menge grösser sein, als das des Werthes. Nun ist man berechtigt, anzunehmen, dass etwas statthaben könne, so lange nicht dessen Unmöglichkeit bewiesen worden und es ist deshalb zulässig, selbst das hier Aufgestellte anzunehmen.

Aber selbst wenn man zweitens zugäbe, dass es mehr Uebel als Gutes beim menschlichen Geschlecht gäbe, so kann man noch mit Recht bestreiten, dass es mehr Uebel als Gutes in allen verständigen Geschöpfen gebe. Denn es giebt eine unfassbare Menge von Geistern und vielleicht auch von andern vernünftigen Geschöpfen und kein Gegner wird beweisen können, dass in dem ganzen Staat Gottes, welcher sich aus so viel Geistern, wie verständigen Wesen ohne Zahl und von unzähligen Arten zusammensetzt, das Uebel das Gute übersteige, und obgleich man bei der Beantwortung eines Einwurfs nicht zu beweisen braucht, dass eine Sache wirklich ist, wenn deren blose Möglichkeit genügt, so habe ich doch in diesem Werke gezeigt, dass es eine Folge der höchsten Vollkommenheit des Herrn des Universum's ist, dass das Reich Gottes das vollkommenste von allen möglichen Staaten und Regierungen ist und dass deshalb das wenige darin vorhandene Uebel zur Erreichung des unermesslichen darin befindlichen Guten erforderlich ist.

III. Einwurf. Wenn es immer unmöglich ist, nicht zu sündigen, so ist es immer ungerecht, zu strafen.

Nun ist es immer unmöglich, nicht zu sündigen, oder vielmehr, alle Sünde ist nothwendig.[428]

Also ist es immer ungerecht, zu strafen. Man beweist davon den Untersatz so:

I. Prosyllogismus. Alles Vorausbestimmte ist noth wendig.

Jedes Ereigniss (und folglich auch die Sünde) ist nothwendig.

Auch dieser zweite Untersatz wird so bewiesen:

II. Prosyllogismus. Das, was zukünftig ist, was vorausgesehen wird, was in den Ursachen eingehüllt ist, ist vorausbestimmt.

Jedes Ereigniss ist solcher Art.

Also ist jedes Ereigniss vorausbestimmt.

Antwort. Ich räume in einem gewissen Sinne den Schlusssatz des zweiten Prosyllogismus ein, welcher den Untersatz für den ersten hergiebt; aber ich leugne den Obersatz des ersten, nämlich dass alles Vorausbestimmte nothwendig ist, indem darunter z.B. die Notwendigkeit zu sündigen verstanden wird, oder die Unmöglichkeit, nicht zu sündigen, oder eine gewisse Handlung nicht zu thun, also die Nothwendigkeit, welche eine wesentliche und unbedingte ist und die Moralität der Handlung, so wie die Gerechtigkeit der Strafe zerstört. Denn wenn jemand darunter eine andere Nothwendigkeit oder Unmöglichkeit verstände, d.h. nur eine moralische Nothwendigkeit oder eine nur hypothetische (die ich gleich erklären werde) so ist es klar, dass ich ihm dann den Obersatz des Einwurfs bestreiten würde. Damit könnte ich mich begnügen und den Beweis des bestrittenen Vordersatzes verlangen; allein ich will gern mein Vorgehen in diesem Werke rechtfertigen, um den Gegenstand mehr zu erklären und die ganze Materie mehr aufzuhellen. Deshalb erörtere ich die Nothwendigkeit, welche verworfen werden muss, und die Bestimmtheit, welche statt haben soll. Die Nothwendigkeit nämlich, welche der Moralität entgegensteht, muss vermieden werden; sie würde die Bestrafung zu einer ungerechten machen, weil sie so unüberwindlich ist, dass jede Entgegenstellung vergeblich sein würde, selbst wenn man alles Ernstes die nothwendige Handlung vermeiden wollte und alle möglichen Anstrengungen deshalb machen würde. Nun ist klar, dass diese Nothwendigkeit auf die Willenshandlungen nicht anwendbar ist, weil man sie nicht thun würde,[429] wenn man nicht wirklich wollte. Auch die Voraussehung und Vorausbestimmung dieser Handlungen ist nicht eine unbedingte; sondern sie setzt den Willen voraus. Wenn es sicher ist, dass man etwas thun wird, so ist es auch eben so sicher, dass man wollen wird, es zu thun. Diese freiwilligen Handlungen und deren Folgen werden nicht etwa eintreten, gleichviel, was man auch thue, und ob man sie wolle oder nicht wolle; sondern deshalb, weil man handeln wird und weil man wollen wird, das zu thun, was dahin führt; dies ist in der Voraussehung und Vorausbestimmung enthalten und bildet selbst deren Grund. Die Nothwendigkeit solcher Ereignisse heisst die bedingte, hypothetische oder auch die Nothwendigkeit der Folge, weil sie den Willen voraussetzt und die übrigen Erfordernisse, während die Notwendigkeit, welche die Moralität zerstört und die Bestrafung zu einer ungerechten, und den Lohn zu einem nutzlosen macht, in den Dingen enthalten ist, welche eintreten werden, was man auch thue und was man auch thun wolle; mit einem Wort, diejenige Nothwendigkeit, welche in dem Wesentlichen enthalten ist. Das ist es, was man die unbedingte Nothwendigkeit nennt. Deshalb nützen in Bezug auf das unbedingt Nothwendige weder die Verbote, noch die Befehle etwas, so wenig wie die Strafen und Belohnungen, und so wenig wie der Tadel und das Lob; es wird deshalb nicht mehr und nicht weniger geschehen, während bei den freiwilligen Handlungen und in dem von ihnen Abhängigen, die Vorschriften, versehen mit der Macht zu strafen und zu belohnen, sehr oft nützen und in der Ordnung der Dinge, welche die Handlung zum Dasein bringen, einbegriffen sind. Aus diesem Grunde sind nicht blos die Sorgen und die Arbeiten, sondern auch die Gebote von Nutzen, da Gott auch diese Gebote mit in Sicht gehabt, ehe er die Dinge geregelt hat und darauf die passende Rücksicht bereits genommen hat. Deshalb gilt das Gebot, bete und arbeite, in seinem vollen Umfange und sowohl die, welche unter dem eiteln Verwände der Nothwendigkeit der Ereignisse behaupten, man könne die nöthige Sorgfalt bei den Geschäften vernachlässigen, wie die, welche gegen das Beten zu Gott streiten, verfallen in das, was schon die Alten das faule[430] Sophisma nannten. So trägt gerade die Vorausbestimmung der Ereignisse durch ihre Ursachen zur Moralität bei, anstatt sie zu zerstören; die Ursachen reizen nur den Willen, aber zwingen ihn nicht. Deshalb ist die Bestimmung, um die es sich handelt, keine Nothwendigkeit. Es ist für den, der alles weiss, gewiss, dass die Wirkung diesem Reize folgen wird, allein diese Wirkung folgt daraus nicht vermöge einer nothwendigen Folge, d.h. nicht deshalb, weil ihr Gegentheil einen Widerspruch enthält; auch bestimmt sich der Wille in Folge einer solchen innern Neigung, ohne dass hier eine Nothwendigkeit besteht. Man setze, dass jemand die heftigste Leidenschaft von der Welt habe (z.B. einen grossen Durst) und man wird mir zugestehen, dass die Seele einen Grund finden kann, um ihr zu widerstehen, selbst wenn es nur der wäre, ihre Macht zu zeigen. Wenn man also auch niemals in einem vollkommenen Gleichgewicht des Wollens sich befindet und immer eine überragende Neigung für die Seite besteht, der man sich zuwendet, so macht dies doch den Entschluss, den man fasst, niemals zu einem nothwendigen.

IV. Einwurf. Wer die Sünde eines Andern verhindern kann und es nicht thut, vielmehr dazu mit beiträgt, obgleich er die genügende Kenntniss hat, ist ein Mitschuldiger.

Gott kann die Sünden der verständigen Geschöpfe hindern, er thut es aber nicht, vielmehr trägt er durch seine Mithilfe und durch die Gelegenheiten, die er entstehen lässt, mit dazu bei, obgleich er eine vollkommene Kenntniss dessen hat.

Also u.s.w.

Antwort. Ich bestreite den Obersatz dieses Schlusses; denn es kann sein, dass man die Sünde hindern kann, aber es nicht thun darf, weil man es nicht könnte, ohne selbst eine Sünde zu begehen, oder (wenn es sich um Gott handelt) ohne eine unvernünftige Handlung zu begehen. Ich habe Beispiele dazu gegeben und die Anwendung davon auf Gott selbst gemacht. Es kann auch kommen, dass man zum Uebel beiträgt und mitunter demselben sogar den Weg öffnet, indem man Dinge thut, zu denen man verpflichtet ist. Thut man nun seine Pflicht, oder (von Gott gesprochen) wird, alles[431] wohl erwogen, nur das gethan, was die Vernunft erfordert, so ist man für die kommenden Ereignisse nicht verantwortlich, selbst wenn man sie voraussieht. Man will diese Uebel nicht, aber man will sie zulassen, um eines grösseren Guten willen, was man vernünftiger Weise vorziehen muss gegen andere Erwägungen. Dies ist der nachfolgende Wille, welcher aus vorgehendem Willen sich ergiebt, durch welche man das Gute will. Ich weiss, dass Manche, wenn sie von dem vorgehenden und nachfolgenden Willen Gottes sprechen, unter ersterem den Willen verstehen, welcher will, dass alle Menschen errettet seien, und unter dem nachfolgenden den, welcher in Folge der hartnäckigen Sünde will, dass es auch Verdammte gebe. Allein dies sind nur Beispiele eines allgemeinem Begriffs und man muss aus demselben Grunde sagen, dass Gott vermöge seines vorgehenden Willens will, dass die Menschen nicht sündigen und dass er vermöge seines nachfolgenden, oder schliesslichen und entscheidenden Willens (welcher sich stets verwirklicht) gestatten will, dass die Menschen sündigen, da diese Gestaltung die Folge von höheren Gründen ist. Man kann deshalb mit Recht allgemein sagen, dass der vorgehende Wille Gottes auf die Hervorbringung des Guten und Verhinderung des Uebels gerichtet ist; jeder bittet für sich und gleichsam abgesondert (particulariter et secundum quid [im Besondern und je nachdem]; Thomas I, qu. 19, Art. 6), je nach dem Maasse des Grades jeder Gutes und Uebels; dass aber der nachfolgende, oder schliessliche und ganze Wille Gottes auf die Hervorbringung von so viel Gutem geht, als man zusammenfassen kann, welche Verbindung durch den entscheidenden Willen geschieht und welcher auch die Gestaltung einiger Uebel und den Ausschluss einiges Guten befasst, wie es der beste Plan des Universums verlangt. Arminius hat in seinem Antiperkinsus sehr gut dargelegt, dass der Wille Gottes ein nachfolgender genannt werden könne, nicht blos in Bezug auf das Handeln der Geschöpfe, welches durch den Verstand Gottes im Voraus erwogen worden, sondern auch in Bezug auf anderes vorgehende göttliche Wollen. Indess genügt die Erwägung der erwähnten Stelle bei Thomas von Aquino und der Stelle bei Scotus I. Dist. 46,[432] qu. XI, um zu ersehen, dass Beide diese Unterscheidung so wie ich hier aufstellen. Will man indess diesen Gebrauch der Worte nicht gestatten, so setze man vorläufigen Willen statt vorgehenden und schliesslichen Willen oder entscheidenden statt nachfolgenden; denn ich will nicht über Worte streiten.

V. Einwurf. Der, welcher alles Reale in einer Sache hervorbringt, ist deren Ursache.

Gott bringt alles in der Sünde enthaltene Reale hervor.

Also ist Gott die Ursache der Sünde.

Antwort. Ich könnte mich mit der Verneinung des Obersatzes oder des Untersatzes begnügen, weil der Ausdruck: Real Bedeutungen hat, welche diese Sätze falsch machen können. Allein ich will hier unterscheiden, um mich deutlicher zu erklären. Real bedeutet entweder das, was nur positiv ist, oder auch das beraubende Seiende. Im erstem Sinne genommen, bestreite ich den Obersatz und räume den Untersatz ein; im andern Sinne genommen, thue ich das Entgegengesetzte. Damit könnte ich mich begnügen, allein ich gehe noch weiter, um diese Unterscheidung zu rechtfertigen. Man macht es sich sehr leicht, wenn man darlegt, dass jede rein positive oder unbedingte Realität eine Vollkommenheit sei und dass die Unvollkommenheit von der Beschränkung komme, d.h. von dem Beraubenden, denn Beschränken ist ein Weigern des Fortschrittes oder des Weitergehenden. Nun ist Gott die Ursache aller Vollkommenheiten und also auch von allen Realitäten, wenn man sie als rein positive nimmt. Die Beschränkungen kommen dagegen von der Unvollkommenheit der Geschöpfe, welche deren Empfänglichkeit beschränkt. Es ist, wie mit einen beladenem Schiffe, welches der Fluss mehr oder weniger langsam treibt, nach Massgabe seiner Ladung; so kommt seine Schnelligkeit vom Fluss, aber die Verlangsamung, welche diese Schnelligkeit beschränkt, kommt von der Ladung. So habe ich in meinem Werke auch gezeigt, dass das Geschöpf, wenn es die Sünde verursacht, eine ermangelnde Ursache ist und dass die Irrthümer und schlechten Neigungen von der Beraubung kommen und dass die Beraubung nur nebenbei wirkend ist; und ich habe die[433] Ansicht des heiligen Augustinus gerechtfertigt (Buch I, an Simplicius, Frage 2), welcher darlegt z.B., wie Gott verhärtet, nicht etwa dadurch, dass er etwas Schlechtes der Seele einfügt, sondern weil die Wirkung seiner guten Eindrücke durch den Widerstand der Seele beschränkt wird, so wie durch die Umstände, welche zu diesem Widerstande beitragen und dass Gott so dem Geschöpfe nicht all das Gute gewährt, was seine Uebel übertreffen würde. Er sagt: Nec ab illo erogatur aliquid, quo homo fit deterior, sed tantum, quo fit melior, non erogatur. (Und von Gott geht nicht etwas aus, wodurch der Mensch schlechter wird, sondern es geht nur das nicht aus, wodurch er besser wird.) Hätte Gott hier mehr thun wollen, so hätte er entweder den Geschöpfen eine andere Natur geben müssen, oder andere Wunder thun, um deren Naturen zu ändern; was jedoch der beste Plan nicht gestattete. Dies wäre so, als wenn die Strömung des Flusses schneller sein sollte, als die Neigung seines Laufs gestattet, oder dass die Schiffe weniger beladen wären, wenn sie schneller gehen sollten. Die ursprüngliche Beschränkung oder Unvollkommenheit der Geschöpfe ist der Grund, dass der beste Plan des Universum's nicht frei von gewissen Uebeln sein kann die indess zu einem grössern Gute sich umwandeln. Es sind einige Unordnungen in den Theilen, welche aber die Schönheit des Ganzen wunderbar erhöhen, so wie gewisse richtig angebrachte Misstöne die Harmonie schöner machen. Dies hängt von dem ab, was ich bereits auf den ersten Einwurf geantwortet habe.

VI. Einwurf. Wer Diejenigen bestraft, die es so gut gemacht haben, als es ihnen möglich war, ist ungerecht.

Gott thut dies.

Also etc.

Antwort. Ich bestreite den Untersatz. Ich glaube, dass Gott immer die Hülfen und die Gnaden gewährt, welche für die genügen, welche den guten Willen haben, d.h. welche diese Gnaden nicht durch eine neue Sünde von sich weisen. Ich nehme deshalb die Verdammniss der ungetauft oder ausserhalb der Gemeinschaft der Kirche gestorbenen Kinder nicht an, und auch nicht die der Erwachsenen, welche nach dem von Gott ihnen[434] gewährten Lichte gehandelt haben. Ich glaube, dass wenn Jemand diesem seinen Lichte gefolgt ist, er unzweifelhaft noch das grössere Licht, dessen er bedarf, erhalten wird, wie Herr Hülsemann, ein berühmter und tiefdenkender Professor in Leipzig, zum Theil dargelegt hat, und dass wenn ein solcher Mensch davon nicht genügend in seinem Leben gehabt hat, er dieses Licht wenigstens in der Stunde seines Todes erhalten wird.

VII. Einwurf. Wer nur Einigen und nicht Allen die Mittel gewährt, durch die sie wirklich den guten Willen und den schliesslichen heilbringenden Glauben haben, der hat nicht die nöthige Güte.

Gott gewährt die Mittel nicht.

Also etc.

Antwort. Ich bestreite den Obersatz. Es ist richtig, dass Gott selbst den grössten Widerstand des menschlichen Herzens überwinden kann und er thut dies auch manchmal, bald durch eine innere Gnade, bald durch äussere Umstände, welche viel über die Seele vermögen, aber er thut es nicht immer. Man wird sagen: Woher entnimmt man diese Unterscheidung und weshalb soll seine Güte beschränkt sein? Deshalb, weil es nicht in der Ordnung sein würde, immer in ausserordentlicher Weise zu handeln und die Verknüpfung der Dinge zu unterbrechen, wie ich schon in der Antwort auf den ersten Einwurf gesagt habe. Die Gründe für diese Verknüpfung, wonach der Eine in eine günstigere Lage gestellt ist, als der Andere, sind in der Tiefe der göttlichen Weisheit verborgen und hängen von der allgemeinen Harmonie ab. Der beste Plan des Universum's, welchen Gott nicht umhin konnte, zu wählen, verlangte es so. Man erkennt dies durch den Vorgang selbst; da es Gott gemacht hat, so konnte es nicht besser gemacht werden. Anstatt dass dieses Verfahren der Güte entgegen wäre, ist es vielmehr die höchste Güte, welche ihn dahin gebracht hat. Dieser Einwurf mit seiner Lösung konnte aus dem zum ersten Einwurf Gesagten entnommen werden; indess schien es zweckmässig, denselben besonders zu verhandeln.

VIII. Einwurf. Wer nicht umhin kann, das Beste zu wählen, ist nicht frei.

Gott kann nicht umhin, das Beste zu wählen.[435]

Also ist Gott nicht frei.

Antwort. Ich bestreite den Obersatz dieses Beweises; vielmehr ist es die wahre und vollkommenste Freiheit, seine Willensfreiheit aufs Beste zu gebrauchen und diese Macht immer zu üben, ohne davon weder durch äussere Gewalt, noch durch innere Leidenschaften sich abhalten zu lassen; denn die eine ist die Knechtschaft des Körpers und die andere die der Seele. Nichts ist weniger knechtisch, als sich immer zu dem Guten führen zu lassen und zwar immer durch seine eigne Neigung, ohne Zwang und ohne Missbehagen. Auch der Einwurf, dass Gott danach der äussern Dinge bedürfe, ist nur ein sophistischer. Er schafft die äussern Dinge in seiner Freiheit, aber da er sich ein Ziel gesetzt, nämlich seine Güte zu üben, so hat ihn seine Weisheit bestimmt, die passendsten Mittel für dieses Ziel zu wählen. Nennt man dies ein Bedürfniss, so wird dabei dieses Wort in dem ungewöhnlichen Sinne genommen, welcher es von aller Unvollkommenheit reinigt, wie man ohngefähr auch von dem Zorne Gottes so spricht.

Seneca sagt einmal, dass Gott nur einmal befohlen habe, aber dass er immer gehorche, weil er den Gesetzen gehorcht, die er sich vorzuschreiben gewollt hat; semel jussit, semper paret. (Einmal hat er befohlen und immer gehorcht er.) Allein er hätte besser gesagt, dass Gott immer befehle und immer gehorche; denn bei seinem Wollen folgt er immer der Neigung seiner eignen Natur und alles Uebrige folgt immer seinem Willen, und da dieser Wille immer derselbe ist, so kann man nicht sagen, dass er nur dem gehorche, was er einmal früher gewollt habe. Obgleich nun sein Wille immer unveränderlich ist und immer auf das Beste geht, so bleibt doch das Uebel oder das geringere Gute, was er zurückweist, an sich möglich; denn sonst wäre die Nothwendigkeit des Guten eine geometrische (um mich so auszudrücken) oder metaphysische Nothwendigkeit und völlig unbedingt; die Zufälligkeit der Dinge wäre dann vernichtet und es gäbe keine Wahl mehr. Jene Art von Nothwendigkeit, welche die Möglichkeit des Gegentheils nicht aufhebt, hat diesen Namen nur von der Aehnlichkeit; sie wird wirksam, nicht durch das blose Wesen der Dinge, sondern durch etwas ihnen Aeusserliches, was über ihnen steht, d.h. durch[436] den Willen Gottes. Diese Nothwendigkeit heisst die moralische, weil bei dem Weisen das Nothwendige und das Schuldige gleichbedeutende Dinge sind; und wenn sie sich immer verwirklicht, wie es bei dem vollkommnen Weisen der Fall ist, d.h. bei Gott, so kann man sagen, dass sie eine glückliche Nothwendigkeit ist. Je mehr die Geschöpfe sich ihr nähern, desto mehr nähern sie sich der vollkommnen Glückseligkeit. Auch ist diese Art von Nothwendigkeit nicht die, welche man zu vermeiden sucht, und welche die Moralität, den Lohn und das Lob aufhebt; denn das, wozu sie treibt, geschieht nicht trotz dem, was man thue oder wolle, sondern weil man es richtig will. Ein Wille, dem die Wahl des Guten natürlich ist, verdient gerade das höchste Lob und er hat seinen Lohn in sich selbst, nämlich das höchste Glück. Da nun diese Verfassung der göttlichen Natur dem eine volle Befriedigung gewährt, der sie besitzt, so ist sie auch für die Geschöpfe die beste und wünschenswertheste, die ja alle von Gott abhängen. Hätte der Wille Gottes nicht den Grundsatz des Besten zur Regel, so würde er sich zum Bösen wenden, was schlimmer wäre, oder er wäre vielleicht für das Gute und Ueble in gewisser Weise gleichgültig und würde von dem Zufall geführt. Ein Wille aber, der sich immer nach dem Zufall gehen liesse, würde kaum besser für die Regierung der Welt sein, als das zufällige Zusammentreffen der Körperchen, ohne dass eine Gottheit dabei bestände. Selbst wenn Gott sich dem Zufall nur in einzelnen Fällen und in einer gewissen Art überliesse (wie es der Fall sein würde, wenn er nicht immer voll auf das Beste sich richtete) und wenn er fähig wäre, ein geringeres Gut einem grösseren vorzuziehen (d.h. ein Uebel einem Gute, weil das) was ein grösseres Gut verhindert, ein Uebel ist), so würde er unvollkommen sein, wie der Gegenstand seiner Wahl; er verdiente dann kein volles Vertrauen, er handelt in solchem Falle ohne Vernunft und die Regierung der Welt würde dann jenen Kartenspielen gleichen, wo halb das Glück und halb die Vernunft entscheidet. Dies alles ergiebt, dass dieser Einwurf gegen die Wahl des Besten, die Begriffe der Freiheit und Nothwendigkeit verdreht und uns das Beste sogar als ein Schlechtes darstellt, was entweder boshaft oder lächerlich ist.[437]

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Die Theodicee. Leipzig 1879, S. 425-439.
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