Anhang II

Betrachtungen über das Werk, welches Herr Hobbes im Englischen über die Freiheit, die Nothwendigkeit und den Zufall veröffentlicht hat

[439] 1. Da die Frage der Nothwendigkeit und der Freiheit, mit den von ihr abhängenden Fragen vormals zwischen dem berühmten Herrn Hobbes und dem Herrn Johann Bramhall, Bischof von Derry, in öffentlichen Schriften beiderseits verhandelt worden ist, so schien es mir passend, eine genaue Darstellung davon zu geben (obgleich ich derselben schon wiederholt erwähnt habe) und zwar um so mehr, als die Schriften des Herrn Hobbes bis jetzt nur englisch veröffentlicht sind, und da alles, was von diesem Manne kommt, in der Regel etwas gutes und sinnreiches enthält. Der Bischof von Derry und Herr Hobbes hatten sich 1646 in Paris bei dem Marquis, später Herzog von Newcastle getroffen und sie begannen da eine Verhandlung über diese Frage. Der Streit wurde mit vieler Mässigung geführt, allein der Erzbischof sandte ein wenig später eine Schrift an den Mylord Newcastle, mit der Bitte, Herrn Hobbes zu deren Beantwortung zu veranlassen. Herr Hobbes antwortete, aber mit der Bitte, seine Antwort nicht zu veröffentlichen, weil er fürchtete, dass mangelhaft unterrichtete Personen[439] die Sätze darin als die seinigen auffassen möchten, so wahr sie auch sein möchten. Indess geschah es, dass Herr Hobbes selbst die Schrift einen ihm befreundeten Franzosen mittheilte und einem jungen Engländer die Uebersetzung derselben in das Französische für diesen Freund erlaubte. Dieser junge Mann behielt für sich eine Abschrift des englischen Originals und veröffentlichte es ohne Vorwissen des Verfassers in England. Der Erzbischof war dadurch genöthigt, darauf zu antworten und Herr Hobbes entgegnete diesem und veröffentlichte dann die sämmtlichen Schriftstücke in einem Buche von 348 Seiten, was im Jahre 1656 in London in Quart unter dem Titel gedruckt wurde: Die Frage über Freiheit, Notwendigkeit und Zufall, erläutert und erörtert zwischen dem Dr. Bramhall, Erzbischof von Derry und Thomas Hobbes von Malmesbury. Es giebt noch eine spätere Ausgabe von 1684, die in einem Werke von Hobbes: Der Tripolis (Der Dreifuss von Hobbes) enthalten ist und wo sich auch dessen Schrift über die menschliche Natur, seine Abhandlung über den politischen Körper und seine Abhandlung über die Freiheit und Nothwendigkeit befindet; allein es fehlt da die Entgegnung des Erzbischofs und die Antwort von Hobbes. Herr Hobbes bespricht den Gegenstand mit seinem bekannten Geist und Scharfsinn, allein es ist schade, dass man sich von beiden Seiten auf mancherlei kleine Kniffe einlässt, wie dies ja vorkommt, wenn man bei dem Spiel empfindlich wird. Der Erzbischof spricht sehr heftig und nimmt eine hohe Miene an. Herr Hobbes erspart ihm von seiner Seite nichts und zeigt ein wenig zu viel Verachtung der Theologie und der scholastischen Kunstworte, an die sich der Erzbischof heftet.

2. Allerdings findet sich in den Ansichten von Herrn Hobbes manches Sonderbare, was sich nicht aufrecht erhalten lässt. Nach ihm hängen die Lehren über die Gottheit gänzlich von der Bestimmung des Staatsoberhauptes ab und Gott ist weder von den guten noch schlechten Handlungen der Geschöpfe die Ursache. Alles was Gott thut, ist, nach Hobbes, gerecht, weil es Niemand über Gott giebt, welcher ihn strafen oder zwingen könnte. Mitunter spricht er so, als wären das, was man über Gott sage, nur Artigkeiten, d.h. Reden,[440] durch die man ihn ehre, aber nicht erkenne. Es scheint ihm, dass die Strafen der Bösen durch deren Vernichtung aufhören müssen, ohngfähr wie die Socinianer es behaupten, nur geht Herr Hobbes wohl noch viel weiter. Seine Philosophie, nach welcher nur die Körper Substanzen sein sollen, scheint der Vorsehung Gottes und der Unsterblichkeit der Seele wenig günstig. Er sagt vielfach, über andere Gegenstände sehr vernünftige Dinge und zeigt ganz gut, dass nichts aus Zufall geschehe, sondern dass der Zufall nur die Unkenntniss der die Wirkung herbeiführenden Ursachen bedeute. Für jede Wirkung bedarf es eines Zusammentreffens aller zureichenden Bedingungen, welche dem Ereigniss vorhergehen; es dürfe also auch nicht eine fehlen, wenn das Ereigniss folgen soll, weil es eben Bedingungen seien. Ebenso trete das Ereigniss unausbleiblich ein, wenn alle Bedingungen vorhanden sind, weil es zureichende Bedingungen sind. Dies kommt auf das von mir so oft Gesagte hinaus, dass Alles aus bestimmenden Ursachen eintrete und dass, wenn wir diese kennten, wir auch gleichzeitig wissen würden, weshalb die Sache eingetreten und weshalb es nicht anders geschehen ist.

3. Indess verleitet den Verfasser seine Laune zu Sonderbarkeiten; er liebt es, den Andern zu widersprechen und er gelangt zu übertriebenen und hässlichen Folgerungen und Ausdrücken, als wenn alles in Folge einer unbedingten Nothwendigkeit sich ereigne, während der Erzbischof von Derry in seiner Antwort auf Artikel 35, S. 327 sehr richtig bemerkt, dass nur eine hypothetische Nothwendigkeit daraus folge, wie man sie den Ereignissen in Bezug auf das Vorauswissen Gottes zugesteht. Allein Herr Hobbes will, dass dieses Vorauswissen Gottes allein hinreiche, um eine unbedingte Nothwendigkeit der Ereignisse zu begründen. Dies war auch die Meinung von Wicleff und selbst von Luther, als er über das servum arbitrium (den unfreien Willen) schrieb; wenigstens sprachen beide so. Allein man sieht jetzt genügend ein, dass diese Art von Nothwendigkeit, welche man die hypothetische nennt, welche von dem Vorauswissen oder andern vorgehenden Gründen kommt, nichts beunruhigendes hat während es ganz anders sein würde, wenn die Sache an sich nothwendig[441] wäre, so dass ihr Gegentheil einen Widerspruch enthielte. Herr Hobbes will auch deshalb von einer moralischen Nothwendigkeit nichts hören, weil alles aus physischen Ursachen erfolge. Allein man kann trotzdem sehr wohl die Nothwendigkeit, welche den Weisen verpflichtet, gut zu handeln und welche man die moralische nennt und die selbst in Bezug auf Gott statt hat, von der blinden Nothwendigkeit unterscheiden, durch welche nach Epikur, Strato, Spinoza und vielleicht auch nach Hobbes die Dinge ohne Einsicht und ohne Wahl bestehen und folglich auch ohne Gott, dessen man nach ihnen in Wahrheit nicht bedürfe, weil in Folge dieser Nothwendigkeit alles durch seine eigne Wesenheit bestehe, und zwar so nothwendig wie 2 und 3 zusammen 5 seien. Diese Nothwendigkeit solle eine unbedingte sein, weil alles, was sie mit sich führt, eintreten müsse, was man auch dagegen thue, während das durch eine hypothetische Nothwendigkeit Eintretende nur in Folge der Voraussetzung eintrete, dass dies oder jenes vorausgeschehen oder beschlossen, oder in Voraus gemacht worden, und dass die moralische Nothwendigkeit nur zu einer Nöthigung der Vernunft führe, welche auf den Weisen immer ihre Wirkung übe. Diese Art der Nothwendigkeit ist eine glückliche und wünschenswerthe, wenn man durch gute Gründe so zu handeln veranlasst wird, wie man es thut; dagegen würde die blinde und unbedingte Nothwendigkeit die Frömmigkeit und die Moral umstürzen.

4. Die Untersuchung des Herrn Hobbes ist da begründeter, wo er einräumt, dass unsere Handlungen in unserer Macht stellen, so dass wir das thun, was wir wollen, wenn wir die dazu nöthige Macht haben und kein Hinderniss besteht. Trotzdem behauptet Herr Hobbes, dass unser Wollen nicht so in unserer Macht stelle, dass wir uns ohne Schwierigkeit und nach unserem Belieben die Neigungen und die Verlangen geben könnten, die wir möchten. Der Erzbischof scheint auf diesen Gedanken nicht geachtet zu haben, den Herr Hobbes auch nicht genügend entwickelt. Die Wahrheit ist, dass wir auch über unsern Willen einige Macht besitzen, aber nur mittelbar, und nicht unbedingt und unterschiedslos. Ich habe dies an mehreren Orten in meinen Werke erläutert. Endlich zeigt Herr Hobbes, wie Andere vor ihm, dass[442] die Gewissheit der Ereignisse und selbst deren Nothwendigkeit, wenn es eine solche gäbe, wonach unsere Handlungen von Ursachen abhängen, uns nicht in der Anwendung von Ueberlegungen, Ermahnungen, von Tadel und Lob, von Strafen und Belohnungen hindern würde, weil sie dazu dienen und die Menschen veranlassen, ihre Handlungen vorzunehmen oder deren sich zu enthalten. Wären daher die Handlungen der Menschen nothwendig, so würden sie es durch diese Mittel sein. – Allein die Wahrheit ist, dass diese Handlungen nicht unbedingt nothwendig sind, was man auch dagegen thue, vielmehr dienen diese Mittel nur dazu, diese Handlungen so zu beschliessen und gewiss zu machen, wie sie es wirklich sind, da ihre Natur zeigt, dass sie einer unbedingten Nothwendigkeit unfähig sind. Herr Hobbes giebt auch eine ganz gute Definition von der Freiheit, im allgemeinen Sinne genommen, wo sie den verständigen und den nicht verständigen Substanzen gemeinsam ist, indem er sagt, dass jedes Ding für frei gilt, wenn seine Macht nicht durch eine andere äussere Ursache gehindert wird. So hat das durch einen Damm aufgehaltene Wasser, die Macht sich zu verbreiten, aber nicht die Freiheit dazu; während es nicht die Macht hat, sich über den Damm zu erheben, obgleich dann Nichts es an seiner Verbreitung verhindern würde und selbst kein äusserlicher Gegenstand es hindert, so hoch zu steigen; vielmehr wäre dazu nöthig, dass es selbst höher steige oder dass es durch einen Zuwachs an Wasser so hoch stiege. Ebenso fehlt dem Gefangenen die Freiheit und dem Kranken die Macht, davon zu gehen.

5. In der Vorrede zählt Herr Hobbes die streitigen Punkte kurz auf; ich nehme diese hier auf und werde mein Urtheil beifügen. Er sagt: Von einer Seite behauptet man, dass der Mensch gegenwärtig nicht die Macht habe denjenigen Willen sich zu wählen, den er haben soll. – Dies ist gut gesagt, hauptsächlich in Bezug auf den gegenwärtigen Willen: die Menschen wählen wohl die Gegenstände durch ihr Wollen, aber sie wählen nicht ihr gegenwärtiges Wollen; dies kommt von ihren Zuständen und Gründen. Indess ist es richtig, dass man neue Gründe aufsuchen kann und mit der Zeit sich auch einen andern Zustand geben kann[443] und dadurch kann man sich auch ein anderes Wollen verschaffen, was man vorher nicht hatte und sich auch nicht auf der Stelle geben konnte. Es ist ebenso (um mich des von Herrn Hobbes selbst gebrauchten Vergleichs zu bedienen) wie mit dem Hunger und dem Durst. Für den Augenblick hängt es nicht von meinem Wollen ab Hunger zu haben oder nicht; allein es hängt von meinem Willen ab, zu essen oder nicht zu essen. Trotzdem hängt es für die kommende Zeit von mir ab, dass ich zur bestimmten Tagesstunde Hunger habe, oder dass ich zu dieser Zeit keinen habe, indem ich schon vorher esse. Auf diese Weise vermag man auch einem schlechten Willen vorzubeugen. Wenn nun auch Herr Hobbes in seiner Erwiederung No. 14 S. 138 sagt, die Gesetze lauteten: Du sollst dies thun, oder du sollst dies nicht thun und dass kein Gesetz laute: Du sollst dies wollen, oder nicht wollen, so täuscht er sich doch offenbar über das Gesetz Gottes, welches lautet: Non concupisces; du sollst nicht begehren, wenn auch dieses Verbot sich nicht auf die ersten Regungen bezieht, welche unwillkürlich eintreten. Herr Hobbes behauptet 2 dass der Zufall (chance im Englischen, casus im Lateinischen) nichts hervorbringe. – Das heisst ohne Ursache oder Grund. Ganz recht; ich trete bei, wenn man darunter einen wirklichen Zufall versteht; denn das Glück und der Zufall sind nur ein Schein, der von der Unkenntniss der Ursachen herkommt, oder daher, dass man von diesen Ursachen absieht. 3. Alle Ereignisse sollen ihre nothwendigen Ursachen haben. – Indess haben sie zwar ihre sie bestimmenden Ursachen, aus denen man Rechenschaft von ihnen geben kann, aber dies sind keine nothwendigen Ursachen; denn das Gegentheil könnte geschehen, ohne einen Widerspruch zu enthalten. 4. Der Wille Gottes soll die Nothwendigkeit aller Dinge herbeiführen. – Allein der Wille Gottes bringt nur zufällige Dinge hervor, die sich auch anders verhalten könnten, da die Zeit, der Raum und der Stoff jede Art von Gestillt und Bewegung in gleicher Weise aufzunehmen bereit sind.

6. Von der andern Seite behauptet man nach Herrn Hobbes 1. dass nicht blos der Mensch (unbedingt) frei sei, um das zu wählen, was er thun will, sondern auch um das zu wählen,[444] was er wollen will. – Dies ist schlecht ausgedrückt; man ist nicht der unbedingte Herr über seinen Willen, so dass man ihn auf der Stelle ändern könnte, ohne dass man dazu ein Mittel oder eine Wendung brauchte. 2. Wenn der Mensch eine gute Handlung will, so tritt der Wille Gottes mithelfend zu dem seinen, sonst nicht. – Dies ist gut gesagt, nur muss man es so verstehen, dass Gott die schlechten Handlungen nicht will, obgleich er sie gestatten will, damit nicht etwas eintrete, was schlimmer als diese Sünde ist. 3. Dass der Wille wählen kann, was er wollen und was er nicht wollen will. – Dies ist falsch, in Bezug auf das gegenwärtige Wollen. 4. Dass die Dinge ohne Nothwendigkeit und Zufall eintreten. – Falsch; was ohne Nothwendigkeit eintritt, tritt deshalb nicht zufällig ein d.h. ohne Ursache und ohne Grund. 5. Dass, trotzdem dass Gott das Eintreten eines Ereignisses voraussieht, es doch nicht nothwendig eintreten müsse, indem Gott die Dinge nicht als kommende oder wie in ihren Ursachen, sondern wie gegenwärtige voraussieht. – Hier ist der Anfang gut, aber das Ende schlecht. Die Nothwendigkeit der Folge ist mit Grund anzuerkennen, aber man braucht deshalb nicht auf die Frage zurückzugehen, wie das Kommende Gott gegenwärtig sei, weil die Nothwendigkeit der Folge die Zufälligkeit des Ereignisses an sich oder der Folge nicht verhindert.

7. Herr Hobbes glaubt, dass die durch die Arminianer wiederangeregte Lehre, welche in England durch den Erzbischof Land und dem Hof begünstigt worden, indem die Besetzung der wichtigen geistigen Aernter nur durch Anhänger dieser Partei geschehen sei, zu der Revolution beigetragen habe, in Folge deren der Erzbischof von Derry und er selbst sich in ihrer Verbannung in Paris beim Lord Newcastle begegnet und in Streit gerathen seien. Nun möchte ich allerdings nicht alle Schritte des Erzbischofs Land billigen, trotz seiner Verdienste und seines guten Willens, denn er hat die Presbyterianer zu sehr begünstigt. Man kann wohl sagen, dass die Revolutionen sowohl in den Niederlanden, wie in Grossbritannien zum Theil von der grossen Intoleranz der Strenggläubigen veranlasst[445] worden sind; auch dürften die Vertheidiger des unbedingten Beschlusses mindestens ebenso so streng, wie die übrigen gewesen sein, da sie in Holland ihre Gegner durch die Amtsgewalt des Prinzen Moritz unterdrückten und die Aufstände in England gegen Karl I. genährt hatten. Dies sind eben die Fehler der Menschen und nicht der Lehren. Ihre Gegner sind auch nicht von solchen frei geblieben, wie die Strenge ergiebt, mit der man in Sachsen gegen Nicolaus Crellius verfahren ist und die Art, wie die Jesuiten gegen die Partei des Erzbischofs von Ypern verfahren sind.

8. Herr Hobbes erklärt nach Aristoteles, dass es zwei Quellen für die Beweise giebt, die Vernunft und die Autorität. Was die Vernunft anlangt, so lässt er die aus den Eigenschaften Gottes abgeleiteten Gründe gelten; er nennt sie beweisende, deren Begriffe begreiflich seien; aber es bestehen nach ihm auch andere, bei denen man nichts begreift und die nur Ausdrücke sind, durch welche wir Gott ehren wollen. Das verstehe ich nicht, wie man Gott durch Ausdrücke ehren kann, die nichts bedeuten. Vielleicht sind bei Herrn Hobbes, wie bei Spinoza, die Weisheit, Güte, Gerechtigkeit in Beziehung auf Gott und das Universum nur Einbildungen des Menschen, da nach ihnen die ursprüngliche Ursache in der Nothwendigkeit ihrer Macht und nicht durch die Wahl ihrer Weisheit wirkt; eine Ansicht, deren Falschheit ich genügend dargethan habe. Herr Hobbes hat anscheinend sich nicht genügend aussprechen wollen um den Leuten kein Aergerniss zu geben, was ja löblich ist. Deshalb hätte er auch, wie er selbst sagt, gewünscht, dass man die zwischen ihm und dem Erzbischof in Paris geschehenen Verhandlungen nicht veröffentlicht hätte. Er fügt hinzu, dass es nicht gut sei, zu sagen, dass eine von Gott nicht gewollte Handlung doch eintrete, weil damit in Wahrheit die Macht Gottes angegriffen werde. Allein er sagt gleichzeitig dass es auch ebenso wenig gut sei, das Gegentheil zu sagen und Gott beizulegen, dass er das Schlechte wolle, weil das sich nicht zieme und Gott dadurch anscheinend des Mangels an Güte beschuldigt werde. Er glaubt deshalb, dass es nicht gut sei, in diesen Dingen die Wahrheit zu sagen und er würde Recht haben, wenn die Wahrheit in den sonderbaren, von ihm vertheidigten Meinungen enthalten wäre. Denn es scheint allerdings, dass nach der Ansicht dieses Schriftstellers Gott[446] keine Güte hat, oder vielmehr, dass was er Gott nennt nichts ist als die Natur, als ein blinder Haufe stofflicher Dinge, welcher nach mathematischen Regeln wirkt und einer unbedingten Nothwendigkeit, gleich den Atomen in dem System Epicurs, folgt. Wäre Gott, wie mitunter die Grossen hienieden, so wäre es nicht passend, alle Wahrheiten in Bezug auf ihn auszusprechen; allein Gott ist nicht wie ein Mensch, dessen Absichten und Handlungen man oft verheimlichen muss, während es immer erlaubt und vernünftig ist, wenn man die Rathschläge und Handlungen Gottes veröffentlicht, weil sie immer schön und lobenswerth sind. Deshalb ist es immer gut, die Gott betreffenden Wahrheiten auszusprechen, wenigstens was das vermeintliche Aergerniss betrifft und ich habe wohl auf eine die Vernunft befriedigende und die Frömmigkeit nicht verletzende Weise dargelegt, wie man es zu verstellen habe, dass der Wille Gottes seine Wirkung habe und in die Sünde eintrete, ohne dass seine Wahrheit und seine Güte dabei leiden.

9. Was die, aus der Heiligen Schrift entnommenen Beweisstellen anlangt, so theilt Herr Hobbes sie in drei Klassen, die eine, sagt Herr Hobbes, ist für mich, die zweite ist neutral und die dritte scheint für meinen Gegner zu sprechen. Die von ihm für seine Ansicht günstig gehaltenen Stellen sind die, welche die Ursache unseres Willens in Gott verlegen; so Genesis XLV. 5, wo Joseph zu seinen Brüdern sagt: »Betrübt euch nicht und bedauert es nicht, dass ihr mich verkauft und dass ihr damit hierher geführt worden seid, weil Gott mich zu Euch gesandt hat, um euch das Leben zu erhalten.« Ferner Vers 8: »Nicht ihr habt mich hierher gebracht, sondern Gott.« Auch Exodus VII. 3 sagt Gott: Ich werde das Herz des Pharao verhärten; und im V. Buch Moses II. 30. sagt Moses »aber Sihon, der König von Herbon wollte uns nicht durch sein Land ziehen lassen, denn der Ewige, Dein Gott, hatte seine Seele verhärtet und sein Herz verstockt, um Dich Deinen Feinden zu überlassen.« Auch Daniel sagt von Simëi 2. Sam. XVI. 10: »Er soll verfluchen, denn der Ewige hat ihm gesagt: Verfluche David; wer wird ihm nun sagen: Warum hast Du es gethan?« Ferner 1. Könige XII. 15: »Der König, (Robeam) hörte auf das Volk nicht, denn dies war so[447] bestimmt durch den Ewigen.« Ferner Hiob XII. 16: »Sein ist, der irret und der da verführet« und Vers 17. »Er bringt die Richter von Sinnen« und Vers 24: »Er nimmt den Obersten des Volkes den Muth und er macht, dass sie sich in der Wüste verirren.« Vers 25: »Er macht sie schwanken, wie Betrunkene.« Esaias X. 6 sagt Gott von dem König der Assyrer: »Ich werde ihn gegen das Volk senden, damit er eine grosse Plünderung Vornehme und dass er sie zusammen schlägt, wie den Koth der Strasse.« Und Jeremias sagt: Jerem. X 23. »O Ewiger, ich weiss, dass die Wege des Menschen nicht von ihm abhängen, und dass es nicht in seiner Macht steht wenn er geht, seine Füsse zu lenken.« Und Ezechiel III. 20 sagt Gott: »Wenn der Gerechte sich von der Gerechtigkeit abwendet, und Ungerechtes begeht so wird er sterben, nachdem ich einen Stein des Anstosses vor ihn gelegt haben werde.« Und Johannis VI. 44 sagt der Erlöser: »Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater, welcher mich gesandt, ihn nicht hinführt.« Und der heilige Petrus sagt Apostelgeschichte II. 23: »Da Jesus durch den Beschluss und die Vorsehung Gottes hat überliefert werden sollen, so habt ihr ihn gefangen«, und Apostelgesch. IV. 27. 28: »Herodes und Pontius Pilatus haben sich mit den Heiden und dem Volke Israel versammelt, um alles das zu thun was Deine Hand und Dein Beschluss vorher bestimmt hatten, dass es ausgeführt werden solle.« Und der heilige Paulus sagt Römer IX. 16: »Es kommt nicht vom Wollen, noch vom Laufen, sondern von Gott der barmherzig macht.« Und Vers 18: »Er ist barmherzig mit dem, mit welchem er es will, und er verstocket den reichen er will.« Vers 19: »Aber Du wirst mir sagen: Weshalb beklagt er sich noch, denn wer kann dem Willen Gottes widerstehen?« Vers 20: »Aber vielmehr, wer bist Du, Mensch, der Du mit Gott streitest? Kann die Sache zu dem, der sie gemacht hat, sagen: Weshalb hast Du mich so gemacht?« Und I. Corinth. IV. 7: »Wer ist es, der Streit zwischen Dir und den Andern erregt, und was hast Du, das Du nicht von ihm empfangen hast?« Und I. Corinth. XII. G: »Es giebt verschiedene Handlungsweisen, aber es ist derselbe Gott, welcher in Allen alles vollführt.« Und Ephes.[448] II. 10: »Wir sind sein Werk, da wir in Jesu Christo geschaffen sind zu guten Werken, welche Gott vorbereitet hat, damit wir in ihnen wandelten.« Und Philipp. II. 13: »Gott ist es, der in Dir das Wollen und Vollbringen hervorbringt, wie es ihm gefällt.« – Zu diesen Stellen kann man noch alle die nehmen, welche Gott zu dem Urheber aller Gnade und aller guten Neigungen machen und die, welche sagen, dass wir wie Todte in der Sünde seien.

10. Jetzt wollen wir die neutralen Stellen nach Hobbes betrachten. Es sind die, wo die heilige Schrift sagt, dass der Mensch die Wahl habe zu handeln, wenn er wolle und nicht zu handeln, wenn er nicht wolle. Z.B. Deuteronom. XXX. 19: »Ich nehme heute den Himmel und die Erde als Zeugen gegen euch, dass ich vor Dich das Leben und den Tod gestellt habe; wähle also das Leben, damit Du lebest, Du und Deine Nachkommenschaft.« Und Josua XXIV. 15: »Wählet heute, wem ihr dienen wollt.« Und 2. Sam. XXIV. 12, wo Gott zu dem Propheten Gad sagt: »Gehe, sage David: Also hat der Herr gesagt; ich lege drei Dinge vor Dich, wähle eines davon, damit ich es für Dich vollführe.« Und Esaias VII. 16: »So lange, bis das Kind weiss das Schlechte zu verwerfen und das Gute zu wählen.« – Endlich scheinen Herrn Hobbes alle die Stellen seiner Ansicht zu widersprechen, wo angedeutet wird, dass der Wille des Menschen mit dem Gottes nicht übereinstimme. So Esaias V. 4: »Was hatte ich noch in meinem Weinberg zu thun, was ich nicht schon gethan hatte? Weshalb hat er denn wilde Beeren gebracht, da ich wartete dass er Trauben brächte?« Und Jeremias XIX. 5: »Sie haben hohe Orte dem Baal erbaut, um ihre Söhne dem Baal zum Opfer zu verbrennen, solches habe ich nicht befohlen und ich habe nicht davon gesprochen und niemals daran gedacht.« Und Hosea XIII. 9: »O Israel, Dein Verderben kommt von Dir, aber Deine Hülfe stellt bei mir.« Und I. Timoth. II. 4: »Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und dass sie zur Kenntniss der Wahrheit gelangen.« Herr Hobbes sagt, dass er auch viele andere Stellen nennen könne, namentlich solche, die sagen, dass Gott nicht die Ungerechtigkeit wolle, dass er das Heil des Sünders wolle und überhaupt alle die Stellen, welche sagen, Gott gebiete das Gute und verbiete das Böse.

[449] 11. Herr Hobbes entgegnet auf diese Stellen, dass Gott nicht immer das wolle, was er befehle, wie z.B. als er Abraham gebot, seinen Sohn zu opfern; und dass sein geoffenbarter Wille nicht immer sein voller Wille oder sein Beschluss sei, wie z.B. da, wo er dem Jonas eröffnete, dass Ninive in 40 Tagen untergehen werde. Herr Hobbes bemerkt auch, dass wenn es heisse, Gott wolle das Heil von Allen, dies nur bedeute, Gott gebiete, dass Alle das Nöthige zu ihrem Heile thun sollten; und wenn die heilige Schrift sage, dass Gott die Sünde nicht wolle, so bedeute dies nur, dass er sie strafen wolle, und im Uebrigen führt Herr Hobbes diese Reden auf die menschliche Art zu sprechen zurück. – Indess kann man ihm entgegnen, dass es Gottes unwürdig wäre, wenn sein geoffenbarter Wille nicht mit seinem wahren Willen übereinstimmte; dass das, was er den Niniviten durch Jonas sagen liess nur eine Drohung, keine Voraussagung war und der Ungehorsam als Bedingung gesetzt war; selbst die Niniviten verstanden es in diesem Sinne. Man kann auch sagen, dass Gott bei seinem Befehle an Abraham seinen Sohn zu opfern, nur den Gehorsam, aber nicht die That gewollt habe, die er hinderte, als er den Gehorsam erlangt hatte; denn diese Handlung war an sich keine, die gewollt zu werden verdiente; dies gelte aber nicht für solche Handlungen, die er wirklich haben wolle und die in Wahrheit würdige Gegenstände seines Willens seien. Dieser Art seien alle mitleidigen, wohlthuenden und tugendhaften Handlungen, welche Gott befehle; dieser Art sei die Unterlassung der Sünde, welche von der göttlichen Vollkommenheit ferner sei, als alles andere. Es ist deshalb unvergleichlich besser, den Willen Gottes so auszulegen, wie ich es in meinem Werke gethan habe und danach sage ich, dass Gott in Folge seiner höchsten Güte zunächst ernstlich geneigt ist, alles Gute hervorzubringen und zu sehen und zu bewirken, dass es hervorgebracht und jede löbliche Handlung gethan und alles Schlechte und jede schlechte Handlung verhindert werde und zu sehen und zu bewirken, dass es geschehe; aber dass er durch dieselbe Güte in Verbindung mit der höchsten Weisheit und durch das Zusammentreffen aller einzelnen vorgängigen Neigungen zu jedem Guten und für die Verhinderung jedes Schlechten bestimmt wird, den möglichst[450] besten Plan der Dinge zu verwirklichen. Da nun dieser beste Plan so beschaffen ist, dass das Gute darin durch einiges Schlechte, gleich dem Lichte durch die Schatten, erhöht werden muss, welches Schlechte aber unvergleichlich geringer als das Gute ist, so konnte Gott das Schlechte nicht ausschliessen, und gewisse Güter in diesen Plan nicht einführen, ohne seine höchste Vollkommenheit zu schädigen. Aus diesem Grunde hat er die Sünde der Andern gestattet, da ohnedem Gott selbst eine Handlung begangen haben würde, die schlimmer als alle Sünden der Geschöpfe gewesen wäre.

12. Ich finde, dass der Erzbischof von Derry wenigstens mit Recht sagen kann (Artikel XV seiner Entgegnung, S. 153), dass die Ansicht seiner Gegner der Frömmigkeit entgegen sei, wenn sie alles nur auf die Macht Gottes zurückführen und dass Herr Hobbes die Verehrung und den Kultus nicht blos als ein Zeichen der Macht des Geehrten nehmen dürfe, weil man auch die Weisheit, die Güte, die Gerechtigkeit und andere Vollkommenheiten Gottes anerkennen und ehren könne und solle. Magnos facile laudamus, bonos libenter. (Die Grossen lobt man leicht, die Guten gern.) Eine Meinung, die Gott aller Güte und wahren Gerechtigkeit entkleidet, ihn als einen Tyrann darstellt, der seine Macht ohne Rücksicht auf Recht und Billigkeit gebraucht und Millionen von Geschöpfen erschafft, welche ewig unglücklich werden, und dies alles nur, um seine Macht zu zeigen, kann die Menschen sehr schlecht machen; würde sie angenommen, so brauchte es keines Teufels weiter in der Welt um die Menschen unter sich und mit Gott zu veruneinigen, wie die Schlange es that, als sie die Eva überredete, dass Gott mit seinem Verbot, von der Frucht des Baumes zu essen, ihr Gutes nicht gewollt habe. Herr Hobbes sucht in seiner zweiten Antwort diesen Schlag von sich abzuwenden (S. 160), indem er die Güte Gottes für einen Theil seiner Macht erklärt, nämlich die Macht, sich liebenswerth zu machen; allein diese Ausflucht verdreht die Begriffe und vermengt, was zu trennen ist. Auch begreift man nicht, wie Gott sich liebenswerth machen kann, wenn er nicht das Wohl der verständigen Geschöpfe beabsichtigt und für seine Gerechtigkeit als Unterlage nur seine Macht nimmt, nach[451] der er entweder alles willkürlich hervorbringt, wie der Zufall es will oder nothwendig alles, was er vermag, ohne eine auf das Gute gestützte Auswahl. Es ist dies also die Lehre von der blinden Macht oder von der willkürlichen Macht, welche die Frömmigkeit zerstört; denn erstere zerstört das verständige Prinzip oder die Vorsehung Gottes und das andere theilt ihm Handlungen zu, wie sie dem bösen Prinzip zukommen. Herr Hobbes sagt (S. 161): Die Gerechtigkeit Gottes ist nichts anderes, als seine Macht, welche er durch Vertheilung von Wohlthaten und Bedrängnissen übt. Diese Definition überrascht mich; nicht die Macht solche auszutheilen, sondern der Wille, sie vernünftig zu vertheilen, d.h. die durch die Weisheit geleitete Güte macht die Gerechtigkeit Gottes aus. Allein, sagt er, die Gerechtigkeit ist bei Gott nicht die gleiche, wie bei dem Menschen, welcher nur durch die Befolgung der von seinem Obern gegebenen Gesetze gerecht ist. Auch hier irrt sich Herr Hobbes ebenso wie Herr Pufendorf, der ihm gefolgt ist. Die Gerechtigkeit hängt nicht von den willkürlichen Gesetzen der Obern ab, sondern von den wahrhaft ewigen Gesetzen der Weisheit und Güte, sowohl für die Menschen, wie für Gott. An derselben Stelle behauptet Herr Hobbes, dass die Gott zugeschriebene Weisheit nicht in einer logischen Erwägung der Mittel in Bezug auf den Zweck, sondern in einer unbegreiflichen Eigenschaft bestehe, welche einem unbegreiflichen Wesen zu seiner Ehre zugetheilt worden sei. Er scheint sagen zu wollen, dass dies ein, ich weiss nicht was sei, welches einem, ich weiss nicht was zugetheilt worden, ja eine chimärische Eigenschaft die einer chimärischen Substanz zugetheilt sei, um die Völker in Furcht zu versetzen und zu vergnügen mittelst des, dieser Substanz geweihten Kultus. Im Grunde kann Herr Hobbes kaum eine andre Meinung von Gott und seiner Weisheit haben, weil er nur stoffliche Substanzen anerkennt. Lebte Herr Hobbes noch, so hätte ich mich in Acht genommen, ihm Ansichten zuzuschreiben, die ihm schaden könnten, aber es ist schwer, ihn davon frei zu sprechen. Er hat vielleicht später sich anders besonnen, da er ein hohes Alter erreicht hat und ich hoffe daher, dass seine Irrthümer nicht verderblich für ihn geworden sind. Allein da sie[452] es für Andere werden können, so wird es gut sein, wenn die Leser seiner Schriften davon unterrichtet werden, da deren Verfasser im Uebrigen voll Verdienste ist und man von ihm in vielen Dingen lernen kann. Es ist richtig, dass Gott im eigentlichen Sinne nicht überlegt und keine Zeit braucht, um, wie wir, von einer Wahrheit zu einer andern überzugehen; vielmehr befasst er alle Wahrheiten und alle deren Verknüpfungen mit einem Male; er kennt alle Folgen und er schliesst in eminenter Weise alle Begründungen in sich, die wir machen können. Gerade deshalb ist seine Weisheit eine vollkommene.[453]

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Die Theodicee. Leipzig 1879, S. 439-455.
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