Kapitel II.

Von der Bedeutung der Worte

[275] § 1. Philalethes. Da die Worte nun von den Menschen angewandt werden, um ihre Vorstellungen zu bezeichnen, so kann man gleich fragen, wie diese Worte jene Bestimmung erlangt haben, und man ist darüber einig, daß dies nicht durch eine natürliche Verknüpfung gesteht, die zwischen bestimmten artikulierten Lauten und bestimmten[275] Vorstellungen stattfindet (denn in diesem Falle würde es unter den Menschen nur eine Sprache geben), sondern durch eine willkürliche Einrichtung, auf Grund deren ein solches Wort zum Zeichen einer solchen Vorstellung gewählt worden ist.

Theophilus. Ich weiß, daß man in den Schulen und sonst überhaupt zu sagen pflegt, die Bedeutung der Worte sei willkürlich (ex instituto) und allerdings sind sie nicht durch eine natürliche Notwendigkeit bestimmt, aber sie sind es nichtsdestoweniger bald durch natürliche Gründe, an denen der Zufall mitwirkt, bald durch moralische Gründe, wobei eine Wahl eintritt. Vielleicht gibt es auch künstliche Sprachen, die ganz aus der Wahl hervorgehen und vollständig willkürliche sind, wie man glaubt, daß die chinesische eine solche gewesen ist, oder wie die des Georgius Dalgarnus und des verstorbenen Bischofs von Chester, Wilkins, es sind. Aber diejenigen, von welchen man weiß, daß sie aus schon bekannten Sprachen gemacht worden sind, sind willkürliche mit Beimischung dessen, was in den dabei zugrunde liegenden Sprachen Natur und Zufall ist. So verhält es sich mit denen, welche die Diebe gemacht haben, um nur von den Mitgliedern ihrer Bande verstanden zu werden, was die Deutschen Rotwälsch, die Italiener Lingua Zerga, die Franzosen das Narquois nennen. Man bildet dieselben gewöhnlich aus den ihnen bekannten gemeinüblichen Sprachen, indem sie entweder die gebräuchliche Wortbedeutung durch Übertragungen verändern oder neue Wörter durch eine Zusammensetzung oder Ableitung auf ihre Art bilden. Es bilden sich auch Sprachen durch den Umgang verschiedener Völker miteinander, sei es, daß man benachbarte Sprachen ohne Unterschied vermischt, sei es, daß man, wie am häufigsten geschieht, eine derselben zur Grundlage nimmt, die man durch Vernachlässigung und Abänderung ihrer Gesetze und selbst durch Hinzufügung neuer Worte verstümmelt, ändert, mischt und verdirbt. Die Lingua Franca, deren man sich am mittelländischen Meere im Handel bedient, ist aus dem Italienischen gemacht, und man hält sich darin nicht an die grammatischen Regeln. Ein armenischer Dominikaner, den ich in Paris sprach, hatte sich eine Art von Lingua Franca, die aus dem Latein gemacht war,[276] gebildet oder sie von seinesgleichen gelernt; ich fand sie ganz verständlich, obgleich es darin weder Fälle noch Zeiten, noch andere Flexionen gab, und da er derselben gewohnt war, sprach er sie mit Leichtigkeit. Der sehr gelehrte, durch so viele andere Werke bekannte französische Jesuit Pater Labbé hat eine Sprache gebildet, deren Grundlage das Latein ist, die bequem und weniger gezwungen ist als unser Latein, aber regelmäßiger als die Lingua Franca. Er hat ein besonderes Buch darüber geschrieben. Was diejenigen Sprachen anbetrifft, welche, wie man findet, seit langer Zeit gebildet sind, so gibt es darunter wenige, die heutzutage nicht außerordentlich verändert wären. Dies zeigt sich, wenn man sie mit den alten Büchern und Denkmälern vergleicht, wie davon übrig sind. Das alte Französische nähert sich mehr dem Pronvenzalischen und Italienischen, und wie das Deutsche mit dem Französischen oder vielmehr Romanischen (sonst Lingua Romana Rustica genannt) im neunten Jahrhundert nach Jesus Christus beschaffen war, sieht man aus den Eidesformeln der Söhne des Kaisers Ludwig des Frommen, welche uns deren Anverwandter Nithardt aufbewahrt hat. Man findet sonst nirgends so altes Französisch, Italienisch oder Spanisch. Für das Teutonische oder das alte Deutsche gibt es das Evangelium des Otfried, eines Weißenburger Mönches aus derselben Zeit, welches Flacius veröffentlicht hat und Schiller von neuem herausgeben wollte. Und noch ältere Bücher haben uns die nach Großbritannien gezogenen Sachsen hinterlassen. Es gibt eine durch einen gewissen Caedmon gemachte Übersetzung oder Paraphrase des Anfangs der Genesis und anderer Teile der heiligen Geschichte, deren Beda schon erwähnt. Aber das älteste Buch nicht nur in deutscher Sprache, sondern in allen europäischen Sprachen, die griechische und lateinische ausgenommen, ist das Evangelienbuch der Goten vom schwarzen Meere, bekannt unter dem Namen des Codex Argenteus und in ganz besonderen Schriftzügen abgefaßt. Dies fand sich in einem alten Benediktinerkloster zu Werden in Westphalen und ist nach Schweden gebracht worden, wo man es begreiflicherweise ebenso sorgfältig aufbewahrt, als die Urschrift der Pandekten zu Florenz, obgleich diese Übersetzung für die Ostgoten und[277] in einem von der skandinavischen Germanensprache sehr fernstehenden Dialekt abgefaßt war. Der Grund aber ist, daß man mit einiger Wahrscheinlichkeit glaubt, die Goten des schwarzen leeres seien ursprünglich aus Skandinavien oder wenigstens vom baltischen Meere hergekommen, denn die Sprache oder der Dialekt dieser alten Goten ist vom neuen Deutschen sehr verschieden, obgleich der Grundzug der Sprache der nämliche ist. Das alte Gallische war davon noch mehr verschieden, wenn man aus der dem wahren Gallischen ähnlichsten Sprache urteilt, welche die von Wales, von Cornwallis und das Bas Breton ist. Das Irländische aber ist davon noch verschiedener und zeigt uns die Spuren einer noch älteren britischen, gallischen und deutschen Sprache. Indessen alle diese Sprachen stammen aus einer Quelle und können als Variationen der nämlichen Sprache angenommen werden, welche man das Keltische nennen könnte. Auch die Alten nannten sowohl die Germanen als die Gallier Kelten, und wenn man höher hinaufgeht, um die Anfänge sowohl des keltischen und Lateinischen als des Griechischen zu umfassen, die mit den germanischen oder keltischen Sprachen viele Wurzeln gemein haben, so könnte man vermuten, daß dies von dem gemeinsamen Ursprung aller dieser Völker herkommt, die von den vom schwarzen Meere hergekommenen Scythen abstammen. Diese Scythen haben die Donau und Weichsel überschritten, und ein Teil davon mag nach Griechenland gegangen sein, der andere mag Deutschland und Gallien erfüllt haben: eine Folgerung der Voraussetzung, daß die Europäer aus Asien eingewandert sind. Das Sarmatische, vorausgesetzt, daß es slavisch ist, ist zur Hälfte wenigstens entweder deutschen oder mit dem Deutschen gemeinsamen Ursprungs. Etwas Ähnliches zeigt sich sogar in der finnischen Sprache, welche die der ältesten Skandinavier ist, bevor die germanischen Völker, nämlich die Dänen, Schweden und Norweger, dort den besten und dem Meere zunächst gelegenen Teil des Landes besetzt hatten. Die Sprache der Finnen oder des Nordosten unseres Weltteiles, welche auch die der Lappen ist, erstreckt sich vom deutschen oder norwegischen Meere bis gegen das kaspische Meer, indem sie freilich durch die slavischen Völker unterbrochen wird, die sich dazwischen[278] geschoben haben. Sie hat auch Beziehung zum Ungarischen, welches aus Ländern stammt, die gegenwärtig zum Teil unter Rußland stehen. Die tatarische Sprache aber, welche mit allen ihren verschiedenen Verzweigungen das nordöstliche Asien erfüllt, scheint die der Hunnen und humanen gewesen zu sein, wie sie die der Usbeken oder Türken, der Kalmücken und der Mugallen ist. Alle diese scythischen Sprachen nun haben untereinander und mit unseren Sprachen viele Wurzeln gemein, und selbst im Arabischen (unter das man das Hebräische, das Altpunische, das Chaldäische, das Syrische und das äthiopische der Abessinier begreifen muß) finden sich deren so viele und von so offenbarer Übereinstimmung mit den unserigen, daß man es nicht dem bloßen Zufall zuschreiben kann, noch selbst dem bloßen Verkehr, sondern vielmehr den Völkerwanderungen. Also findet man hierin keinen Grund, welcher der Ansicht von dem gemeinschaftlichen Ursprunge aller Völker und einer ursprünglichen Grundsprache widerstritte und sie nicht vielmehr begünstigte. Wenn das Hebräische oder Arabische sich derselben am meisten nähert, so muß es sich wenigstens stark verändert haben, und das Deutsche scheint mehr Ursprüngliches und (um die Sprache des Jacob Böhme zu reden) Adamitisches bewahrt zu haben. Denn wenn wir die ursprüngliche Sprache in ihrer Reinheit oder so weit erhalten hätten, um sie noch wieder zuerkennen, so müßten die Gründe der Verbindungen darin klar erscheinen, mögen diese nun von der Natur oder aus einer willkürlichen, weisen und des ersten Urhebers würdigen Einrichtung stammen. Aber gesetzt auch, daß unsere Sprachen abgeleitete sind, so haben sie nichtsdestoweniger doch im Gründe etwas Ursprüngliches in sich, welches hinsichtlich der Wurzelworte und der neuen, später bei ihnen durch Zufall, aber auf natürliche Gründe hin gebildeten Wurzeln bei ihnen entstanden ist. Diejenigen, welche die Stimme der Tiere bezeichnen oder daher genommen sind, dienen dafür zum Beispiel. Solches ist z.B. das lateinische Wort coaxare, was von den Fröschen gesagt wird und mit dem deutschen Quaken in Beziehung steht. Das Geräusche dieser Tiere scheint überhaupt die ursprüngliche Quelle auch anderer Worte der deutschen Sprache zu sein. Denn[279] da diese Tiere großen Lärm machen, so wendet man es heutzutage für die Reden leerer Schwätzer an, welche man mit dem Verkleinerungswort Quakeler nennt; aber offenbar wurde diesselbe Wort quaken sonst im guten Sinne genommen und bezeichnete jede Art von Lauten, die man mit dem Munde machte, sogar ohne die Sprache dabei auszunehmen. Und da diese Laute oder Geräusche der Tiere ein Lebenszeichen sind, und man durch sie, ohne zu sehen, erkennt, daß etwas Lebendiges dahinter ist, so kommt es, daß »quek« im Altdeutschen Leben oder Lebendiges bezeichnet, wie man es in den ältesten Büchern bemerken kann, und auch in der neueren Sprache noch gibt es davon Spuren, denn Quecksilber ist lebendiges Silber, und erquicken bedeutet stärken, gleichsam wiederbeleben oder sich nach einer Ohnmacht oder schwerer Arbeit wieder erholen. Man nennt auch im Plattdeutschen ein gewisses Unkraut Quecken, die sozusagen lebendig sind und fortlaufen, wie man auf Deutsch sagt, die sich auf den Äckern zum Schaden des Getreides ausdehnen und leicht fortkommen; und im Englischen bedeutet quickly schnell und mit Lebhaftigkeit. Man kann also das Urteil fällen, daß die deutsche Sprache hinsichtlich dieser Worte als ursprünglich gelten kann, da die Alten nicht nötig hatten, anderswoher einen Laut zu entleihen, um den der Frösche nachzuahmen. Es gibt noch viele andere, wobei dasselbe stattfindet. Denn die alten Deutschen, Kelten und andere mit ihnen verwandte Völker scheinen aus einem Naturinstinkt den Buchstaben R gebraucht zu haben, um eine heftige Bewegung und ein Geräusch, wie das dieses Buchstabens, zu bezeichnen. Dies sieht man in rheô (fließen), rinnen, rühren, rutir, Rhein, Rhone, Roer (Rhenus, Rhodanus, Eridanus, Rura), rauben, rapere, ravir, Rad (rota), radere, raser, rauschen (ein schwer zu übersetzendes Wort; es bezeichnet ein Geräusch, wie das der Blätter oder Bäume, welches der Wind oder ein durchstreifendes Tier darin macht, oder den ein Schleppkleid verursacht), recken (gewaltsam ausdehnen). Daher kommt es, daß reichen berühren ist, daß der Rick einen langen Stock oder eine Stange, die zum Aufhängen von etwas dient, in jener Art von Plattdeutsch oder Niedersächsisch[280] bezeichnet, das bei Braunschweig gesprochen wird; daß Rige, Reihe, regula, regere sich auf eine Länge oder gerade Linie bezieht, und daß Reck eine sehr ausgedehnte, lange Sache oder Person bezeichnet hat, besonders einen Riesen und sodann einen reichen und mächtigen Mann, wie im »reich« der Deutschen und im riche oder ricco der romanischen Völker erscheint. Im Spanischen bezeichnet ricos hombres die Adligen oder Vornehmen, was zugleich verständlich macht, wie die Metapheren, Synekdochen und Metonymien die Worte von einer Bedeutung in die andere übergehen machen, ohne daß man immer die Spur davon verfolgen kann. Geräusch und gewaltsame Bewegung bemerkt man auch in »Riß«, womit das lateinische rumpo, das griechische rhêgnymi, das französische arracher, das italienische straccio in Verbindung stehen. Wie nun der Buchstabe R von Natur eine heftige Bewegung bezeichnet, so der Buchstabe L eine sanftere. So sehen wir, daß die Kinder und diejenigen, denen das R zu hart und zu schwierig auszusprechen ist, an dessen Stelle den Buchstaben L setzen, wie wenn man z.B. sagt: Mon levelend pèle. Diese sanfte Bewegung erscheint in: leben, laben, lind, lenis, lentus, lieben, laufen (d.h. schnell dahingleiten, wie gießendes Wasser), labi (gleiten – labitur uncta vadis abies), legen (leicht hinsetzen), woher liegen kommt, lage oder laye (ein Bett, z.B. ein Steinlager), Laystein (Tonschieferlage), lego, lese (d.h. was da steht, sammle ich, das Gegenteil von legen), Laub (etwas leicht sich Bewegendes), wohin auch gehören: lap, liel, lenken, luo, lyô, lien (im Niedersächsischen: sich auflösen, schmelzen wie Schnee, daher der Name des Flusses Leine im Hannöverschen, der aus dem Gebirge kommend durch geschmolzenen Schnee stark anschwillt). Wir haben nicht nötig, noch eine zahllose Menge anderer Bezeichnungen hinzuzufügen, die beweisen, daß in dem Ursprung der Worte etwas Natürliches waltet, was den Zusammenhang zwischen den Dingen und den Lauten und Bewegungen der Sprachorgane zeigt, worin auch der Grund liegt, daß der Buchstabe L., mit anderen Worten verbunden, bei den Lateinern, den Romanen und den Hochdeutschen die Verkleinerung bezeichnet. Indessen muß man nicht behaupten, daß jene Beziehung sich[281] überall bemerken läßt, denn der Löwe, der Luchs, der Wolf, auf französisch loup, sind nichts weniger als sanft. Aber man kann sich dabei an einen anderen Umstand gehalten haben, nämlich die Schnelligkeit (den Lauf), die sie furchtbar macht oder zum Laufen zwingt, wie wenn der, welcher ein solches Tier kommen sieht, den anderen zuruft: Lauft! (d.h. Flieht!) Überdies sind die meisten Worte durch verschiedene Zufälle und Veränderungen außerordentlich modifiziert und von ihrer ursprünglichen Aussprache und Bedeutung abgewichen.

Philalethes. Ein ferneres Beispiel würde dies noch besser verständlich machen.

Theophilus. Da haben Sie eins, das klar genug ist und zugleich mehrere andere in sich faßt. Das Wort Auge und seine Verwandtschaft kann dazu dienen, was zu zeigen ich ein wenig weiter ausholen will. Aus A, dem ersten Buchstaben, wenn man eine kleine Aspiration folgen läßt, wird Ah, und da dies ein Aushauchen der Luft ist, das einen anfangs ziemlich hellen und darauf verschwindenden Ton gibt, so bezeichnet dieser Ton natürlicherweise einen gelinden Hauch (spiritus lenis), wenn A und H nicht besonders stark sind. Daher haben , aer, aura, haugh, halare, haleine, atmos, Atem, Odem (im Deutschen) ihren Ursprung. Da nun das Wasser auch eine Flüssigkeit ist und Geräusch macht, so ist es, wie mir scheint, gekommen, daß Ah, nachdem man es durch Verdoppelung stärker gemacht hat, also aha oder ahha, für das Wasser genommen wurde. Die Teutonen und übrigen Kelten haben, um die Bewegung besser zu bezeichnen, dem einen wie dem anderen ihr W vorgesetzt, darum bezeichnen Wehen, Wind, vent, die Bewegung der Luft, und waten, vadum, water die Bewegung des Wassers oder im Wasser. Um aber auf Aha zurückzukommen, so scheint es, wie ich gesagt habe, eine Art Wurzel zu sein, welche Wasser bezeichnet. Die Isländer, die von dem alten skandinavischen Teutonismus etwas übrig behalten haben, schwächten die Aspiration und sagten Aa; andere, welche Aken sprechen (indem sie Aix, Aquas grani verstanden), haben sie verstärkt, wie auch die Lateiner in ihrem Aqua und die Deutschen an gewissen Stellen, indem sie Ach in den Zusammensetzungen gebrauchen, um das Wasser zu bezeichnen, wie[282] wenn Schwarzach schwarzes Wasser, Biberach Biberwasser bezeichnet. Und statt Wiser oder Weser sagte man in den alten Rechtsurkunden Wiseraha und Wisurach bei den alten Einwohnern, woraus die Lateiner Visurgis gemacht haben, wie sie aus Iler, Ilerach Ilargus gemacht haben. Aus Aqua, Aiugues, Auue haben die Franzosen endlich ihr Eau gemacht, welches sie Oo aussprechen, wobei dann vom Ursprünglichen nichts mehr bleibt. Auwe, Auge bei den Deutschen ist heutzutage ein Ort, den das Wasser oft überschwemmt und der zur Viehweide geeignet ist, locus irriguus, pascuus; in noch engerer Bedeutung aber bezeichnet es eine Insel, wie im Namen des Klosters Reichenau (Augia dives) und in vielen anderen. Und dies muß bei vielen teutonischen und keltischen Völkern stattgefunden haben, denn daher ist es gekommen, daß alles, was in einer Art Ebene wie abgesondert ist, Auge oder Ouge, oculus genannt worden ist. So nennt man auch bei den Deutschen die Öltropfen auf dem Wasser, und bei den Spaniern ist ojo ein Loch. Indessen sind Auge, Ooge, oculus, occhio usw. vorzugsweise auf das Sehorgan angewandt worden, welches jene hervorstehende gesonderte Vertiefung im Gesicht ausmacht, und ohne Zweifel kommt das französische oeil auch daher, aber dessen Ursprung ist ganz und gar nicht erkennbar, wenn man nicht der soeben gegebenen Verkettung nachgeht, und omma und ophis der Griechen scheint aus derselben Quelle zu stammen. Oe oder Oeland ist eine Insel bei den Nordländern, und davon gibt es eine Spur im Hebräischen, wo [Ai], Ai, eine Insel ist. Bochart nahm an, daß die Phönizier den Namen, welchen sie seiner Ansicht nach dem von Inseln erfüllten ägeischen Meere gegeben hatten, daher bezogen hätten. Augere (vermehren), kommt auch von Auue oder Auge, d.h. von der Wasserausschüttung, wie ooken, auken im Altsächsischen vermehren bedeutete, und Augustus, wenn man darunter den Kaiserverstand, wurde durch Ooker übersetzt. Der Fluß bei Braunschweig, welcher aus dem Erzgebirge kommt und folglich Anschwellungen sehr unterworfen ist, wird Ocker genannt und hieß ehemals Ouacra. Auch bemerke ich im Vorbeigehen, daß die Flußnamen, weil sie in der Regel aus dem höchsten bekannten Altertum stammen, am besten auf die alte Sprache und die alten Bewohner[283] hindeuten, daher sie eine besondere Untersuchung verdienten. Und da die Sprachen im allgemeinen die ältesten Denkmäler der Völker noch vor der Schrift und den Künsten sind, so zeigen sie auch am besten den Ursprung der Verwandtschaften und Wanderungen an. Aus diesem Grunde würden die Etymologien, richtig verstanden, merkwürdig und bedeutsam sein; man muß nur die Sprachen mehrerer Völker zusammennehmen und nicht von einer Nation zu einer anderen sehr entfernten zu viel Sprünge machen, ohne hinlängliche Begründungen dafür zu haben, wobei es vor allem darauf ankommt, die Völker dazwischen als Gewährsmänner zu haben. Und im allgemeinen darf man den Etymologien keinen Glauben schenken, als wenn man eine Menge zusammenstimmender Zeugnisse hat, sonst goropisiert man.

Philalethes. Goropisiert man? Was heißt das?

Theophilus. Man sagt so, weil die seltsamen und oft lächerlichen Etymologien des Goropius Becanus, eines gelehrten Arztes im sechzehnten Jahrhundert, sprüchwörtlich geworden sind, obgleich er übrigens nicht so ganz unrecht gehabt hat, zu behaupten, daß die deutsche Sprache, welche er die cimbrische nennt, ebensoviel und mehr Zeichen von etwas Ursprünglichem bietet, als seihst das Hebräische. Ich erinnere mich, daß der verstorbene Clauberg, der ausgezeichnete Philosoph, eine kleine Abhandlung über den Ursprung der deutschen Sprache geschrieben hat, welche den Verlust dessen, was er über diesen Gegenstand versprochen hatte, bedauern läßt. Ich selbst habe einige Gedanken dazugegeben und außerdem den verstorbenen Gerard Meier, einen Bremischen Theologen, darüber zu arbeiten veranlaßt, was er auch getan hat; aber er wurde durch den Tod unterbrochen. Gleichwohl hoffe ich, daß die Welt noch einmal davon ebensogut Nutzen haben wird, als von den ähnlichen Arbeiten des berühmten Juristen Schiller zu Straßburg, der aber nun auch gestorben ist.

Wenigstens ist sicher, daß die Sprache und Altertümer der Teutonen in den meisten Untersuchungen über den Ursprung, die Sitten und Altertümer Europas von Gewicht sind. Und ich möchte wünschen, daß die Gelehrten ebenso in der walisischen, biscaischen, slavonischen, finnischen, türkischen, persischen, armenischen,[284] georgischen und anderen Sprachen arbeiteten, um deren Übereinstimmung zu entdecken, was, wie ich eben gesagt habe, besonders dazu dienen würde, den Ursprung der Nationen aufzuklären.

§ 2. Philalethes. Dieser Vorschlag ist von Wichtigkeit, aber gegenwärtig ist es an der Zeit, das Materielle der Worte zu verlassen und auf das Formelle zurückzukommen, d.h. auf die verschiedenen Sprachen gemeinsame Bedeutung. Da werden Sie mir nun zuerst zugeben, daß, wenn ein Mensch mit dem anderen spricht, er von seinen eigenen Vorstellungen Zeichen geben will, da die Worte von ihm nicht auf das, was er nicht kennt, angewandt werden können. Und sofern jemand Vorstellungen von eigener Ermüdung hat, kann er nicht annehmen, daß sie mit den Eigenschaften der Dinge oder den Begriffen anderer Leute übereinstimmen.

Theophilus. Dennoch ist es wahr, daß man sehr oft vielmehr das bezeichnen will, was andere denken, als was man auf eigene Hand denkt, wie es nur zu oft Laien begegnet, deren Glaube blind ist. Ich gebe indessen zu, daß man immer etwas Allgemeines versteht, mag der Gedanke auch noch so taub und von Verständnis bar sein, und sich wenigstens bemüht, die Worte nach der Gewohnheit der anderen zu ordnen, mit dem Glauben zufrieden, im Notfall den Sinn davon lernen zu können. So ist man mitunter nur der Gedanken-Dolmetscher oder Worthandlanger eines anderen, ganz wie ein Brief sein würde, und das ist man sogar öfter, als man denkt.

§ 3. Philalethes. Sie haben recht mit dem Zusatze, daß man immer etwas Allgemeines versteht, mag man noch so einfältig sein. Wenn ein Kind in dem, was es Gold nennen hört, nur eine glänzende gelbe Farbe bemerkt hat, so gibt es den Namen Gold derselben Farbe, welche es im Schweif eines Pfauen sieht, während andere die bedeutende Schwere, Schmelzbarkeit, Dehnbarkeit hinzudenken werden.

Theophilus. Das gebe ich zu; indessen ist oft die Vorstellung eines in Rede stehenden Gegenstandes noch allgemeiner als die jenes Kindes, und ich zweifle nicht, daß ein Blinder von den Farben angemessen sprechen und eine Lobrede auf das Licht halten kann, das er nicht kennt, weil er nämlich dessen Wirkungen und Umstände kennen gelernt hat.[285]

§ 4. Philalethes. Was Sie da bemerken, ist sehr wahr. Es geschieht oft, daß die Menschen ihre Gedanken mehr auf die Worte als auf die Sachen richten, und da man die meisten dieser Worte vor der Kenntnis der mit ihnen bezeichneten Vorstellungen gelernt hat, so gibt es nicht blos Kinder, sondern auch Erwachsene, welche oft wie die Papageien sprechen. – § 5. Indessen behaupten die Menschen gewöhnlich, ihre eigenen Gedanken zu bezeichnen, und messen weiter den Worten noch eine geheime Beziehung zu den Vorstellungen anderer Leute und zu den Dingen selbst bei. Denn wenn die Laute von demjenigen, mit welchem wir uns unterhalten, einer anderen Vorstellung verknüpft würden, so hieße das zwei Sprachen reden; allerdings hält man sich nicht allzuviel dabei auf, zu prüfen, welches die Vorstellungen der anderen sind, und nimmt an, daß unsere Vorstellung diejenige ist, welche der große Haufe und die Gebildeten eines Landes mit demselben Wort verbinden. – § 6. Dies findet im besonderen hinsichtlich der einfachen Vorstellungen und der Modi statt; was aber die Substanzen anbetrifft, so glaubt man dabei noch spezieller, daß die Worte auch die Wirklichkeit der Dinge bezeichnen.

Theophilus. Substanzen und Modi werden in gleicher Weise von den Vorstellungen dargestellt und die Sachen ebensogut wie die Vorstellungen in dem einen und anderen Falle durch die Worte bezeichnet. Ich sehe also keinen Unterschied sonst dabei, als daß die Vorstellungen der substantiellen Dinge und der sinnlichen Eigenschaften mehr feststehen. Es kommt übrigens zuweilen vor, daß unsere Vorstellungen und Gedanken der Gegenstand unserer Unterredungen sind und dasjenige, was man bezeichnen will, selbst ausmachen, und daß die Reflexionsbegriffe mehr, als man denkt, an den Begriffen der Wirklichkeit teilnehmen. Mitunter spricht man sogar von den horten materiellerweise, ohne in diesem Falle an Stelle des Wortes die Bedeutung oder die Beziehung zu den Vorstellungen oder Dingen bestimmt setzen zu können. Dies geschieht nicht allein, wenn man als Grammatiker, sondern auch, wenn man als Lexikograph spricht, indem man die Erklärung des Wortes gibt.[286]

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Leipzig 21904, S. 275-287.
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