Kapitel VI.

Von den Namen der Substanzen

[308] § 1. Philalethes. Die Gattungen und Spezies der Substanzen, wie der anderen Wesen, sind nur Arten. Die Sonnen z.B. sind eine Art von Sternen, d.h. es sind Fixsterne, denn man glaubt nicht ohne Grund, daß jeder Fixstern sich für jemand, der in richtiger Entfernung sich befindet, als eine Sonne zeigen würde. § 2. Nun ist das, was jede Art bestimmt, ihre Wesenheit. § 3. Diese wird erkannt entweder durch das Innere der Bildung oder durch äußere Merkmale, die uns dieselbe erkennen und mit einem bestimmten Namen benennen lassen. So kann man die Uhr von Straßburg entweder als der Uhrmacher, welcher sie verfertigt hat, oder als ein Zuschauer, der ihre Verrichtungen sieht, erkennen.

Theophilus. Wenn Sie sich so ausdrücken, habe ich nichts dagegen einzuwenden.

Philalethes. Ich drücke mich auf eine Weise aus, die geeignet ist, unsere Streitigkeiten nicht wieder aufleben zu lassen. Ich füge jetzt hinzu, daß sich die Wesenheit nur auf die Arten bezieht und daß den Individuen nichts wesentlich ist. Ein Unglücksfall oder eine Krankheit kann meine Hautfarbe oder meine Gestalt verändern, ein Fieber oder ein Fall kann mir die Vernunft oder das Gedächtnis rauben. Ein Schlagfluß kann mich dazu bringen, daß ich weder Empfindung noch Verstand noch leben habe. Fragt man mich, ob es mir wesentlich ist, Vernunft zu haben, so werde ich mit Nein antworten.

[308] Theophilus. Ich glaube, daß den Individuen etwas Wesentliches beiwohnt, und zwar mehr, als man denkt. Es ist den Substanzen wesentlich, tätig zu sein, den geschaffenen Substanzen, zu leiden, den Geistern, zu denken, den Körpern, Ausdehnung und Bewegung zu haben, d.h. es gibt Arten oder Spezies, denen ein Individuum (wenigstens natürlicherweise) nicht aufhören kann zuzugehören, wenn es einmal dazu gehört hat, welche Umwälzungen auch in der Natur vorfallen mögen. Es gibt aber auch Arten oder Spezies, welche, ich gestehe es zu, den Individuen zufällig sind, die ihnen anzugehören aufhören können. So kann man aufhören gesund, schön, weise und selbst sichtbar und fühlbar zu sein, man hört aber nicht auf, Leben, Organe und Wahrnehmungen zu haben. Ich habe darüber genug gesagt, warum es den Menschen so scheint, daß das Leben und das Denken mitunter aufhören, obgleich sie nicht aufhören zu dauern und Wirkungen zu haben.

§ 8. Philalethes. Zahlreiche Individuen, die unter einen gemeinsamen Namen gebracht als eine einzige Art betrachtet werden, haben doch sehr verschiedene Eigenschaften, die von ihren wirklichen (besonderen), inneren Bildungen abhangen. Dies bemerken ohne Mühe alle diejenigen, welche die natürlichen Körper prüfen, und Chemiker überzeugen sich oft davon durch trübselige Erfahrungen, indem sie vergeblich in einem Stück Spiesglanz, Schwefel und Vitriol die Eigenschaften suchen, die sie in anderen Stücken dieser Mineralien gefunden haben.

Theophilus. Das ist vollkommen richtig, und ich könnte selbst Neues hinzufügen; auch hat man ganze Bücher geschrieben »über den unsicheren Erfolg chemischer Experimente.« Die Täuschung geschieht aber dadurch, daß man diese Körper für gleichartig oder einförmig nimmt, während sie mehr, als man denkt, gemischt sind, denn in den ungleichmäßigen Körpern wundert man sich nicht, Verschiedenheiten zwischen den einzelnen Exemplaren wahrzunehmen, und die Ärzte wissen nur gar zu wohl, wie verschieden die Temperamente und das Naturell der menschlichen Körper sind. Man kann mit einem Worte niemals die letzten logischen Arten finden, wie ich schon früher bemerkt habe; und niemals sind[309] zwei wirkliche und vollständige Individuen derselben Art einander vollkommen gleich.

Philalethes. Wir bemerken nicht alle diese Unterschiede, weil wir nicht alle die kleinen Teile, folglich auch nicht die innere Bildung der Dinge kennen; auch können wir uns derselben nicht bedienen, um die Arten oder Spezies der Dinge zu bestimmen, und wenn wir es durch jene Wesenheiten oder, was die Schulen substantielle Formen nennen, tun wollten, so würden wir wie ein Blinder sein, welcher die Körper nach den Farben ordnen wollte. § 11. Wir erkennen nicht einmal die Wesenheiten der Geister, wir können nicht verschiedene spezifische Vorstellungen von den Engeln uns bilden, obschon wir wohl wissen, daß es verschiedene Arten von Geistern geben müsse. Auch scheinen wir in unseren Vorstellungen keinen Unterschied zwischen Gott und den Geistern mittels irgend einer Anzahl einfacher Vorstellungen zu machen, ausgenommen die, daß wir Gott die Unendlichkeit beilegen.

Theophilus. Es gibt in meinem Systeme noch einen anderen Unterschied zwischen Gott und den geschaffenen Geistern, daß nämlich meiner Ansicht nach alle geschaffenen Geister Körper haben müssen, ganz wie unsere Seele einen solchen hat.

§ 12. Philalethes. Wenigstens glaube ich, daß zwischen den Körpern und den Geistern die Analogie stattfindet, daß, wie es in den Abwandelungen der körperlichen Welt keine Lücke gibt, es nicht weniger Verschiedenheit unter den vernünftigen Geschöpfen gibt. Fängt man von uns an und geht bis zu den niedrigsten Wesen, so ergibt sich eine Stufenleiter von sehr kleinen Abstufungen und mittels einer ununterbrochenen Reihe von Dingen, die in jeglichem Abstande sehr wenig voneinander verschieden sind. Es gibt Fische, die Flügel haben und denen die Luft nicht fremd ist, und es gibt Vögel, die im Wasser wohnen, kaltes Blut wie die Fische haben und deren Fleisch ihnen im Geschmack so gleicht, daß man gewissenhaften Leuten erlaubt, während der Fastentage davon zu essen. Es gibt Tiere, welche sich der Art der Vögel und der der Säugetiere so nähern, daß sie zwischen ihnen die Mitte halten. Die Amphibien gleichen den Landtieren ebenso wie den Wassertieren.[310] Die Seekälber leben auf der Erde und im Meer, und die Meerschweine haben heißes Blut und Eingeweide wie ein Schwein. Um nicht davon zu sprechen, was man von den Seemenschen erzählt, so gibt es Tiere, welche ebensoviel Erkenntnis und Vernunft zu haben scheinen, als manche Wesen, die man Menschen nennt; und zwischen den Tieren und den Pflanzen ist eine so große Verwandtschaft, daß, wenn Sie das Unvollkommenste von den einen und das Vollkommenste von den anderen nehmen, Sie kaum eine bedeutende Verschiedenheit zwischen ihnen bemerken werden. Bis wir also zu den niedrigsten und am wenigsten organisierten Teilen der Materie kommen, werden wir überall die Arten miteinander verbunden und nur durch fast unmerkliche Abstufungen voneinander verschieden finden. Und wenn wir die unendliche Weisheit und Macht des Urhebers aller Dinge erwägen, so haben wir Grund zu denken, es sei etwas der prachtvollen Harmonie des Weltalls und dem großen Plane sowohl als der unendlichen Güte dieses obersten Baumeisters Angemessenes, daß die verschiedenen Arten der Geschöpfe sich so allmählich von uns bis zu seiner unendlichen Vollkommenheit erheben. Wir haben also Ursache, überzeugt zu sein, daß es weit mehr Arten von Geschöpfen über uns gibt, als unter uns, weil wir von Gottes unendlichem Wesen an Vollkommenheitsgraden viel weiter entfernt sind, als von dem, was sich dem Nichts am meisten nähert. Indessen haben wir keine klare und deutliche Vorstellung von allen diesen verschiedenen Arten.

Theophilus. Ich hatte den Plan, an einer anderen Stelle etwas dem von Ihnen soeben Auseinandergesetzten Ähnliches zu sagen; ich freue mich aber, daß Sie mir zuvorgekommen sind, da ich sehe, daß Sie die Dinge besser sagen, als ich es zu tun hätte hoffen können. Einsichtsvolle Philosophen haben jene Frage behandelt, utrum detur vacuum formarum, d.h. ob es mögliche Arten gibt, die gleichwohl nicht wirklich existieren und welche die Natur vergessen zu haben scheinen könnte. Ich habe Ursachen zu glauben, daß alle logisch möglichen Arten doch nicht wirklich mögliche (compossibiles) in dem Weltall sind, so groß es auch ist, und zwar nicht allein hinsichtlich der Dinge, die zur nämlichen Zeit zusammen da sind, sondern sogar hinsichtlich der ganzen Reihenfolge[311] der Dinge; d.h. es gibt, glaube ich, notwendig Arten, die niemals gewesen sind und niemals sein werden, da sie sich mit derjenigen Reihenfolge der Geschöpfe, welche Gott gewählt hat, nicht vertragen. Ich glaube aber, daß alle Dinge, welche die vollkommene Harmonie des Weltalls in sich aufnehmen konnte, darin enthalten sind. Dieser nämlichen Harmonie entspricht, daß es Geschöpfe mittlerer Art gibt, außer denen, die einander fernstehen, wenn dies auch nicht immer auf demselben Weltball oder System stattfindet. Auch ist das Mittlere zwischen zwei Arten dies mitunter nur hinsichtlich gewisser Umstände, nicht aber hinsichtlich anderer. Die vom Menschen in anderen Dingen so verschiedenen Vögel nähern sich ihm doch durch die Sprache; aber wenn die Affen wie die Papageien sprechen könnten, würden sie doch viel weiter gelangen. Das Gesetz der Stetigkeit läßt in der Natur keine Lücke in der von ihr befolgten Ordnung zu, aber nicht jede Form oder Art paßt für jedwede Ordnung. Was die Geister oder Genien betrifft, so nehme ich an, daß wie alle geschaffenen Geister organische Körper haben, deren Vollkommenheit der der Intelligenz oder des in diesem Körper gemäß der vorher bestimmten Harmonie befindlichen Geistes entspricht, so auch, um etwas von den Vollkommenheiten der höheren Geister zu begreifen, viel dazu dient, sich auch Vollkommenheiten in den körperlichen Organen vorzustellen, welche die des unsrigen übertreffen. An diesem Punkte kann die lebendigste und reichste Phantasie und um mich eines italienischen Ausdrucks zu bedienen, den ich nicht gut anders ausdrücken kann, l'invenzione la più vaga, Veranlassung sein, uns über uns selbst zu erheben. Auch das, was ich gesagt habe, um mein System der Harmonie zu rechtfertigen, welches die göttlichen Vollkommenheiten über das hinaus erhebt, worauf das Denken bisher gekommen ist, wird gleichfalls dazu dienen, daß man auch von den Geschöpfen unvergleichlich viel großartigere Vorstellungen als bisher haben wird.

§ 14. Philalethes. Um auf die geringe Wirklichkeit der Arten selbst in den Substanzen zurückzukommen, frage ich Sie, ob Wasser und Eis von verschiedener Art ist?

[312] Theophilus. Und ich frage meinerseits, ob das im Tiegel geschmolzene Gold und das zu einem Barren wieder erstarrte Gold von derselben Art sind?

Philalethes. Der antwortet nicht auf die Frage, welcher eine neue aufwirft und »litem lite resolvit« (den Streit mit dem Streit auflöst). Sie werden indessen daraus erkennen, daß die Zurückführung der Dinge auf Arten sich einzig und allein auf unsere Vorstellungen von ihnen bezieht, was genügt, um sie durch Benennungen zu unterscheiden; wenn wir aber voraussetzen, daß diese Unterscheidung sich auf ihre wirkliche innere Bildung begründet und die Natur die vorhandenen Dinge nach ihren wirklichen Wesenheiten in ebensoviel Arten unterscheidet, so wie wir selbst sie durch diese oder jene Bezeichnungen in Arten unterscheiden, so würden wir großen Täuschungen unterworfen sein.

Theophilus. In dem Ausdruck Art oder Wesen von verschiedener Art liegt eine gewisse Zweideutigkeit, welche alle diese Schwierigkeiten verursacht; und wenn wir die gehoben haben, werden wir uns nicht mehr darüber streiten, als vielleicht über das Wort. Man kann Art im mathematischen und physischen Sinne nehmen. Im streng mathematischen Sinne macht der geringste Unterschied, wonach zwei Dinge nicht in allem einander gleich sind, daß sie der Art nach sich unterscheiden. So sind in der Geometrie alle Kreise von derselben Art, denn sie sind alle vollkommen gleich, und aus demselben Grunde sind auch alle Parabeln von derselben Art, aber es verhält sich nicht ebenso mit den Ellipsen und Hyperbeln, denn davon gibt es eine unendliche Menge von Klassen oder Arten, wobei es wieder auch unendlich viel verschiedene in jeder Art gibt. Alle die unzähligen Ellipsen, in denen die Entfernung der Brennpunkte zur Entfernung der Scheitel dasselbe Verhältnis hat, sind von derselben Art. Da aber die Verhältnisse dieser Entfernungen sich nur der Größe nach ändern, so folgt, daß alle diese unendlichen Arten von Ellipsen nur eine Gattung ausmachen, und es darin keine Unterteilungen gibt, während ein Oval mit drei Brennpunkten wieder sogar eine unendliche Menge solcher Gattungen und eine unendlich unendliche Zahl von Arten haben würde, indem jede Gattung[313] deren eine einfach – unendliche Zahl hat. Auf diese Art werden zwei physische Einzelwesen niemals einander vollkommen gleich sein; ja, was mehr sagen will, dasselbe Einzelwesen wird von einer Art zur anderen übergehen, denn es ist sich selbst niemals länger als einen Augenblick in allem gleich. Wenn aber physische Arten aufgestellt werden, so verbindet man damit nicht diesen strengen Sinn, und es hängt von uns ab, zu sagen, daß eine Masse, welche wir unter ihre erste Form zurückkehren lassen können, in dieser Beziehung auch von derselben Art bleibt. So sagen wir, daß das Wasser, das Gold, das Quecksilber, das gewöhnliche Kochsalz dies bleiben und unter den gewöhnlichen Veränderungen sich nur verstecken. In den organischen Körpern aber oder in den Pflanzen und Tierarten definieren wir die Art durch die Abkunft, so daß jedes Gleiche, welches aus demselben Ursprung oder Samen kommt oder gekommen sein könnte, von derselben Art wäre. Beim Menschen hält man sich außer an die menschliche Abkunft noch an seine Eigenschaft, ein Vernunftwesen zu sein, und wenn es auch Menschen gibt, die ihr ganzes Leben lang den Tieren ähnlich bleiben, so setzt man doch voraus, daß dies nicht aus Mangel des Vermögens oder des Prinzips der Fall ist, sondern aus Hindernissen, welche jenes Vermögen bannen, aber man hat sich noch nicht hinsichtlich aller der äußeren Bedingungen entschieden, die man für hinreichend annehmen will, um solche Voraussetzung zuzugeben. Was indessen die Menschen immer für Regeln hinsichtlich ihrer Bezeichnungen und der den Namen beigelegten Rechte aufstellen mögen, wenn nur ihre Einrichtung zusammenhängend oder einheitlich und verständlich ist, so wird sie in der Wirklichkeit begründet sein, und sie werden sich keine Arten bilden können, als solche, welche die bis zu den Möglichkeiten alles umfassende Natur schon vor ihnen gemacht oder unterschieden hat. Was das Innere anbetrifft, so kann, wenngleich es keine äußere Erscheinung gibt, die nicht in der inneren Beschaffenheit begründet ist, nichtsdestoweniger doch mitunter dieselbe Erscheinung aus zwei verschiedenen Beschaffenheiten entspringen. Dabei wird freilich immer etwas Gemeinschaftliches sein, was wir in der Philosophie die nächste formelle Ursache nennen.[314]

Aber wenn diese auch nicht da wäre, wie wenn z.B. nach Mariotte das Blau des Regenbogens einen ganz anderen Ursprung, als das Blau eines Türkises hätte, ohne daß eine gemeinsame formelle Ursache dabei obwaltete (worin ich nicht seiner Meinung bin), und man zugäbe, daß gewisse Naturen in ihrer Erscheinung, die uns zum Benennen veranlassen, miteinander nichts Inneres gemein hätten, so würden unsere Definitionen dennoch in den wirklichen Arten begründet sein, denn die Phänomene selbst sind Realitäten. Wir können also sagen, daß alles, was wir mit Wahrheit unterscheiden oder vergleichen, die Natur auch unterscheidet oder knüpft, wiewohl sie viele Unterscheidungen oder Vergleichungen haben mag, die wir nicht kennen und die besser sein können, als die unserigen. Auch wird es noch vieler Mühe und Erfahrung bedürfen, um die Geschlechter und Arten auf eine der Natur annähernd gleiche Weise zu bestimmen. Die neueren Botaniker glauben; daß die von den Formen der Blumen hergenommenen Unterscheidungen der natürlichen Ordnung am nächsten kommen. Aber sie finden dabei doch noch viel Schwierigkeit, und es würde passend sein, Vergleichungen und Anordnungen nicht nur nach einem einzigen Grunde zu machen, wie der eben von mir erwähnte, von den Blumen hergenommene sein würde, welcher bis jetzt vielleicht der angemessenste für ein erträgliches und den Lernenden bequemes System ist, sondern auch nach den anderen Gründen, welche von anderen Teilen und Verhältnissen der Pflanzen hergenommen sind. Ein jeder Vergleichungsgrund verdient seine besonderen Tabellen, ohne deren Hilfe man viele untergeordnete Gattungen und viele Vergleichungspunkte, Unterscheidungen und nützliche Bemerkungen sich entgehen lassen würde. Aber je mehr man in die Entstehung der Arten eindringen und je mehr man bei der Einteilung den dazu nötigen Bedingungen folgen wird, desto mehr wird man ach der natürlichen Ordnung nähern. Wenn daher die Vermutung einiger einsichtigen Leute sich als wahr herausstellen sollte, daß es in der Pflanze außer dem Korn oder dem bekannten, dem Ei des Tieres entsprechenden Samen noch einen anderen Samen gibt, welcher den Namen des männlichen Samens verdienen würde, nämlich einen sehr oft sichtbaren, wenngleich mitunter vielleicht, wie[315] das Samenkorn selbst es bei gewissen Pflanzen ist, unsichtbaren Staub (Pollen), den der Wind oder andere gewöhnliche Umstände verbreiten, um ihn mit dem Samenkorn in Verbindung zu bringen, und der mitunter von der nämlichen Pflanze kommt, mitunter aber auch (wie beim Hanf) aus einer benachbarten Pflanze derselben Art entsteht, welche folglich mit dem männlichen Anteile in Analogie stehen würde, wenngleich die weibliche nicht immer ganz dieses männlichen Pollens entbehrt – wenn das, sage ich, sich als wahr herausstellen würde, so zweifle ich nicht, daß die dabei zu bemerkenden Unterschiede einen Grund zu sehr natürlichen Einteilungen abgeben würden; und wenn wir den durchdringenden Scharfblick höherer Geister hätten und die Sachen tief genug erkennten, so würden wir vielleicht feststehende Attribute für jede Spezies finden, die allen ihren Individuen gemeinsam und immer in demselben lebendigen Organismus als feststehend vorhanden sind, welche Veränderungen oder Umwandlungen ihm auch begegnen mögen; wie in der bekanntesten physischen Spezies, der menschlichen nämlich, die Vernunft ein solches feststehendes Attribut ist, welches jedem Individuum und immer unverlierbar zukommt, obschon man es nicht immer bemerken kann. Aber in Ermangelung dieser Erkenntnisse bedienen wir uns derjenigen Attribute, welche uns die bequemsten scheinen, um die Dinge zu unterscheiden und zu vergleichen und mit einem Wort ihre Arten und Klassen zu erkennen, und diese Attribute haben immer ihre reellen Gründe.

§ 14. Philalethes. Um die substantiellen Wesen nach der gewöhnlichen Voraussetzung zu unterscheiden, wonach es bestimmte Wesenheiten oder eigene Formen der Dinge gibt, durch welche alle bestehenden Individuen von Natur in Arten unterschieden werden, müßte man erstlich versichert sein, § 15 daß die Natur sich bei der Hervorbringung der Dinge immer vorsetzt, sie an bestimmten und feststehenden Wesenheiten, wie an Musterbildern, teilnehmen zu lassen und zweitens, § 16 daß die Natur diesen Zweck immer erreicht. Die Mißgeburten aber lassen uns an dem einen und dem anderen zweifeln. § 17. Drittens müßte man bestimmen, ob diese Mißgeburten wirklich eine besondere neue Art bilden, denn[316] wir finden, daß wenige oder gar keine von ihnen an den Eigenschaften teilhaben, welche man von der Wesenheit derjenigen Art herleitet, aus der sie ihren Ursprung haben und der sie kraft ihrer Geburt anzugehören scheinen.

Theophilus. Wenn es sich darum handelt, zu bestimmen, ob die Mißgeburten eine besondere Art ausmachen, so ist man oft auf Vermutungen angewiesen. Dies zeigt, daß man sich da nicht auf das Innere beschränkt, weil man vielmehr erraten will, ob die den Individuen einer bestimmten Art gemeinsame innere Natur, wie z.B. die Vernunft im Menschen, wie die Abkunft es vermuten läßt, auch denjenigen Individuen zukommt, denen ein Teil der äußeren Zeichen fehlt, die sich bei dieser Art gewöhnlich finden. Aber unsere Ungewißheit hat mit der Natur der Dinge nichts zu schaffen, und wenn es eine solche innere Naturbeschaffenheit gibt, so wird sie sich bei der Mißgeburt finden oder nicht finden, wir mögen es nun wissen oder nicht. Wenn nun die innere Natur keiner Art sich darin findet, so wird die Mißgeburt eine eigene Art bilden; aber wenn es in den Arten, um die es sich handelt, keine solche innere Natur gibt, und man ebensowenig bei der Herkunft stehen bliebe, so würden dann die inneren Merkmale allein die Art bestimmen und die Mißgeburten derjenigen, von welcher sie sich entfernen, nicht angehören, man müßte sie denn auf eine unbestimmte und einigermaßen erweiterte Weise nehmen, und in diesem Falle auch wäre unsere Mühe, die Art erraten zu wollen, vergeblich. Das haben Sie vielleicht mit allem dem sagen wollen, was Sie gegen die von den inneren wirklichen Wesenheiten hergenommenen Arten einwerfen. Sie müßten also beweisen, daß es dann kein gemeinschaftliches inneres spezifisches Kennzeichen gibt, wo das äußere gänzlich vermißt wird. Aber das Gegenteil findet sich bei der menschlichen Spezies, wo mitunter Kinder, die etwas Mißgeborenes haben, bis zu einem Alter gelangen, wo sie Vernunft zeigen. Warum könnte bei anderen Arten nicht etwas Ähnliches vorkommen? Allerdings können wir aus Mangel an Kenntnis derselben uns dessen nicht bedienen, um sie zu definieren, aber das Äußere vertritt die Stelle davon, wenngleich wir anerkennen müssen, daß es zu einer genauen Definition[317] nicht genügt und selbst die Nominaldefinitionen in solchen Fällen nur Vermutungen sind und, wie ich schon vorher gesagt habe, mitunter nur als vorläufige gelten. So könnte man z. B. das Mittel finden, das Gold dergestalt nachzumachen, dass es allen bis jetzt damit gemachten Proben genügte. Aber man könnte auch eine neue Art des Probierens entdecken, welche das Mittel gewährte, das natürliche Gold von diesem künstlich gemachten Gold zu unterscheiden. Alte Urkunden schreiben dem Kurfürsten August von Sachsen das eine und das andere zu; aber ich erlaube mir nicht, diese Tatsache zu verbürgen. Hätte es indessen damit seine Richtigkeit, so könnten wir vom Golde eine vollkommenere Definition haben, als gegenwärtig, und wenn das künstliche Gold in Menge und billig gemacht werden könnte, wie die Alchimisten es behaupten, so würde diese neue Probe von Wichtigkeit sein, denn man würde der Menschheit dadurch den Vorteil erhalten, welchen das natürliche Gold durch seine Seltenheit im Handel gibt, indem es uns einen dauerhaften, gleichförmigen, leicht zu teilenden und wiederzuerkennenden und auch im kleinen Umfange wertvollen Stoff darbietet. Ich will mich dieser Gelegenheit bedienen, um eine Schwierigkeit zu heben (man sehe den § 50 des Kapitels über die Namen der Substanzen bei dem Verfasser der Abhandlung über den Verstand). Der Einwurf ist: Wenn man sagt: alles Gold ist feuerbeständig, und man unter der Vorstellung des Goldes eine Masse von gewissen Eigenschaften versteht, worin die Feuerbeständigkeit mit einbegriffen ist, so bildet man nur einen identischen und leeren Satz, wie wenn man sagte, das Feuerbeständige ist feuerbeständig; versteht man aber darunter ein substantielles mit einer gewissen inneren Wesenheit begabtes Ding, wovon die Feuerbeständigkeit eine Folge ist, so wird man unverständlich sein, denn diese wirkliche Wesenheit ist gänzlich unbekannt. Darauf antworte ich, dass der mit dieser inneren Beschaffenheit begabte Körper durch andere äussere Kennzeichen bestimmt ist, bei denen die Feuerbeständigkeit nicht mit inbegriffen ist, wie wenn jemand sagte: der schwerste aller Körper ist auch einer der feuerbeständigsten. Aber alles dies ist nur vorläufig, denn man könnte einmal[318] einen flüchtigen Körper finden, der wie ein neues Quecksilber schwerer sein könnte, als das Gold, und auf dem das Gold schwämme, wie das Blei auf unserem Quecksilber schwimmt.

§ 19. Philalethes. Allerdings können wir auf diese Art niemals die Zahl der Eigenschaften, welche von der wirklichen Wesenheit des Goldes abhangen, genau erkennen, es sei denn, daß wir die Wesenheit des Goldes selbst erkennten. § 21. Wenn wir uns indessen bestimmt auf gewisse Eigenschaften beschränken, so wird das für uns hinreichen, um genaue Nominaldefinitionen in erhalten, welche uns für die Gegenwart dienen, wobei es uns frei steht, die Bedeutung der Worte zu verändern, wenn ein neuer nützlicher Unterscheidungsgrund entdeckt werden sollte. Aber diese Definition muß wenigstens dem Wortgebrauch entsprechen und an dessen Stelle gesetzt werden können. Dies dient dazu, diejenigen zu widerlegen, nach deren Behauptung die Ausdehnung die Wesenheit des Körpers ausmacht, denn sagt man, daß ein Körper dem anderen einen Anstoß gibt, so würde dies eine offenbare Ungereimtheit sein, wenn man die Ausdehnung dafür setzend sagen würde, daß eine Ausdehnung eine andere Ausdehnung mittels eines Anstoßes in Bewegung setzt, denn man braucht dazu noch die Dichtheit. Ebensowenig kann man sagen, daß die Vernunft oder das, was den Menschen vernünftig macht, Unterhaltung pflegt, denn die Vernunft macht ebensowenig das ganze Wesen des Menschen aus; es sind die vernünftigen lebendigen Wesen, die miteinander der Unterhaltung pflegen.

Theophilus. Ich glaube, Sie haben recht, denn die Gegenstände der abstrakten und unvollständigen Vorstellungen genügen nicht, um von allen Handlungen der Dinge die Gründe anzugeben. Indessen glaube ich, daß allen Geistern, die einander ihre Gedanken mitteilen können, die Unterhaltung zukommt. Die Scholastiker sind darüber in großer Verlegenheit, wie die Engel dies tun können, aber wenn sie ihnen, wie ich, nach dem Vorgang der Alten feine Körper zu schrieben, so würde darin keine Schwierigkeit mehr sein.

§ 22. Philalethes. Es gibt Geschöpfe, die eine der unsrigen ähnliche Gestalt haben, aber mit Haaren bedeckt[319] sind und nicht den Gebrauch der Sprache und der Vernunft haben. Es gibt unter uns Schwachsinnige, die vollkommen die nämliche Gestalt wie wir haben, aber denen die Vernunft fehlt und von denen einige nicht den Gebrauch der Sprache haben. Es gibt, wie man sagt, Geschöpfe, welche mit dem Gebrauch der Sprache und der Vernunft und einer der unsrigen in jedem anderen Stück gleichen Gestalt haarige Schweife haben; wenigstens ist es nicht unmöglich, daß es solche Geschöpfe gebe. Andere gibt es, bei denen die Männchen keinen Bart haben und wiederum andere, bei denen die Weibchen einen solchen haben. Fragt man nun, ob alle diese Geschöpfe Menschen sind oder nicht, ob sie zur menschlichen Spezies gehören, so bezieht sich offenbar die Frage nur auf die Nominaldefinition oder auf die zusammengesetzte Vorstellung, welche wir uns bilden, um sie mit diesem Namen zu bezeichnen. Denn die innere Wesenheit ist uns vollständig unbekannt, obgleich wir Grund haben anzunehmen, daß da, wo die Fähigkeiten oder auch die äußere Gestalt so unterschieden sind, die innere Beschaffenheit nicht dieselbe ist.

Theophilus. Ich glaube, daß wir hinsichtlich des Menschen eine Definition haben, welche zugleich real und nominal ist, denn nichts kann dem Menschen so wesentlich sein, als die Vernunft, und sie läßt sich gewöhnlich wohl erkennen. Darum können neben ihr der Bart und der Schweif nicht in Betracht kommen. Ein Waldmensch sowohl als ein behaarter Mensch lassen als Menschen sich erkennen, und Haare wie die des Affen sind kein Grund, jemand von der Menschheit auszuschließen. Die Blödsinnigen ermangeln des Gebrauches der Vernunft; da wir aber aus Erfahrung wissen, daß die Vernunft oft gebunden ist und sich nicht zeigen kann, und dies Menschen widerfährt, welche sie schon gezeigt haben und künftig noch zeigen werden, so fällen wir nach der Wahrscheinlichkeit das nämliche Urteil über diese Blödsinnigen auf Grund anderer Kennzeichen, nämlich der körperlichen Gestalt. Auf Grund dieser mit der Abkunft verbundenen Zeichen nimmt man an, daß die Kinder Menschen sind und Vernunft zeigen werden, und man täuscht sich darin selten. Gäbe es aber vernünftige lebendige Wesen von einer von der unserigen ein wenig[320] verschiedenen Gestalt, so würden wir in Verlegenheit sein. Man sieht daraus, daß, wenn unsere Definitionen von der Äußerlichkeit der Körper abhangen, sie unvollkommene und vorläufige sind. Wenn sich jemand für einen Engel ausgäbe und Dinge wüßte oder zu verrichten wüßte, die über uns hinausgehen, so würde er sich Glauben verschaffen können. Wenn ein anderer, wie Gonzales, mittels einer außerordentlichen Maschine aus dem Monde käme und uns glaubhafte Dinge von seinem Geburtslande erzählte, so würde er für einen Mondbewohner gelten, und doch könnte man ihm, so fremd er auch unserer Weltkugel wäre, den Indigenat und die Bürgerrechte mit dem Titel eines Menschen bewilligen; wenn er aber die Taufe verlangte und als Proselyt unseres Glaubens aufgenommen werden wollte, so glaube ich, daß man unter den Theologen unseres Glaubens große Streitigkeiten sich erheben sehen würde. Und wenn der Verkehr mit jenen Planetenmenschen, die nach Huygens' Meinung denen unserer Erde ganz ähnlich sind, offen wäre, so würde die Frage ein allgemeines Konzil verdienen, um zu entscheiden, ob wir die Ausbreitung des Glaubens über unsere Erdkugel hinaus weiter zu treiben Sorge tragen müßten. Manche würden ohne Zweifel dabei behaupten, daß, da die vernünftigen lebendigen Wesen jenes Landes nicht von Adams Rasse wären, sie auch an der Erlösung durch Jesus Christus keinen Teil hätten; andere aber würden vielleicht sagen, daß wir weder genug wissen, wo Adam immer gewesen ist, noch was aus seiner Nachkommenschaft geworden ist, wie es denn sogar Theologen gegeben hat, die geglaubt haben, daß der Mond der Ort des Paradieses gewesen sei. Man würde daher vielleicht durch Stimmenmehrheit als das Sicherste beschließen, jene zweifelhaften Menschen unter der Bedingung zu taufen, wenn sie der Taufe fällig sind; ich zweifle aber, daß man in der römischen Kirche Priester aus ihnen machen würde, weil ihre Weihen immer ungewiß sein würden und man nach der Voraussetzung dieser Kirche das Volk der Gefahr eines materiellen Götzendienstes aussetzen würde. Glücklicherweise sichert uns die Natur vor allen diesen Verlegenheiten; indessen haben solche sonderbare Erdichtungen in der Spekulation ihren Nutzen, um das Wesen unserer Vorstellungen recht erkenntlich zu machen.[321]

§ 23. Philalethes. Vielleicht würden sich manche nicht allein in den theologischen Streitfragen, sondern auch bei anderen Gelegenheiten nach der Rasse richten und erklären, daß bei den Tieren die Fortpflanzung durch die Begattung des Männchens und des Weibchens und bei den Pflanzen mittelst des Samens die vorausgesetzten wirklichen Arten als besondere und in ihrer Ganzheit erhält; aber dies wurde nur dazu dienen, die Arten der Tiere und der Vegetabilien festzusetzen. Was soll man mit den übrigen machen? Es reicht auch nicht einmal hinsichtlich jener aus, denn wenn man der Geschichte glauben darf, sind Frauen durch Affen geschwängert worden. Da entsteht also eine neue Frage, zu welcher Art ein solches Erzeugnis gehören soll. Man sieht oft Maulesel und Jumarts (man vergleiche das etymologische Lexikon von Menage), die ersteren erzeugt von einem Esel und einer Stute, die letzteren von einem Stier und einer Stute. Ich habe ein von einer Katze und einer Ratte erzeugtes Tier gesehen, welches sichtbare Kennzeichen dieser beiden Tiere hatte. Nimmt man dazu noch mißgeborene Erzeugnisse, so wird man finden, daß es gar schwer hält, die Art durch die Zeugung zu bestimmen, und wenn man sie nur auf diese Weise machen könnte, müßte man da nicht nach Indien gehen, um Vater und Mutter eines Tigers und den Samen der Teepflanze zu sehen? Oder läßt es sich nicht auf andere Weise beurteilen, oh die zu uns kommenden Individuen zu jenen Arten gehören?

Theophilus. Die Abkunft oder Rasse ergibt wenigstens eine starke Vermutung d.h. einen vorläufigen Beweis, und ich habe schon gesagt, daß unsere Kennzeichen gar oft nur mutmaßliche sind. Mitunter wird die Rasse durch die Gestalt Lügen gestraft, wenn das Kind dem Vater und der Mutter unähnlich ist, und die Mischung in der Gestalt ist nicht immer das Kennzeichen der Mischung der Rassen; denn es kann geschehen, daß ein Muttertier ein Wesen zur Welt bringt, das einer fremden Art anzugehören scheint, und daß die bloße Einbildung der Mutter diese Abweichung verursacht hat. Nicht einmal dessen zu erwähnen, was man Mondkalb nennt. Aber da man doch vorläufiger weise aus der Rasse die Art beurteilt, so beurteilt man auch aus der Art die[322] Rasse. Als man einmal dem König Johann Kasimir von Polen ein unter den Bären gefundenes Kind aus dem Walde brachte, welches von deren Manieren viel an sich hatte, endlich aber als ein vernünftiges Wesen erkannt wurde, hat man kein Bedenken getragen, es als der adamitischen Rasse zugehörig anzuerkennen und auf dem Namen Joseph zu taufen, wiewohl vielleicht unter der Bedingung: si baptizatus non es (wenn da noch nicht getauft bist), nach dem Gebrauch der römischen Kirche; weil es ja nach der Taufe durch einen Bären hätte gerauht sein können. Man kennt noch nicht genug die Wirkungen der Vermischungen von Tieren und tötet oft die Mißgeburten, statt sie aufzuziehen, da sie doch ohnehin nicht lange zu leben pflegen. Man glaubt, daß die gemischten Tierarten sich nicht vermehren, indessen schreibt Strabo den Mauleseln von Kappadozien die Fortpflanzung zu, und aus China schreibt man mir, daß es in der benachbarten Tatarei eine besondere Rasse von Mauleseln gebe. Auch sehen wir, daß die gemischten Arten bei den Pflanzen fähig sind, ihre neue Art zu erhalten. Bei den Tieren weiß man nicht immer recht, ob es das Männchen oder das Weibchen oder beide oder keins von beiden ist, was am meisten die Art bestimmt. Die Lehre von dem weiblichen Ei, welche der verstorbene Kerkring so berühmt gemacht hatte, schien den männlichen Teil bei der Zeugung auf die Rolle des Staubregens hinsichtlich der Pflanzen zu beschränken, welcher dem Samen das Mittel gibt, aufzugehen und sich aus der Erde zu erheben nach den Versen des Virgil, welche die Priscillianer anzuführen pflegten:


Dum Pater omnipotens fecundis imbribus aether

Conjugis in laetae gremium descendit et omnes

Magnus alit magno commissus corpore foetus.


Mit einem Worte würde nach dieser Hypothese der Mann nichts mehr als der Regen sein, aber Leeuwenhoeck hat die Ehre des männlichen Geschlechts wiederhergestellt und seinerseits das weibliche heruntergesetzt, als ob es nur die Leistung der Erde hinsichtlich des Samens hätte, indem es ihm den Ort und die Nahrung gibt; was selbst dann stattfinden könnte, wenn man die Theorie von den Eiern aufrechterhielte. Dies hindert[323] aber nicht, daß die Einbildungskraft der Frau auf die Form des Fötus einen großen Einfluß hat, auch wenn man voraussetzen wollte, daß das Wesen selbst von dem Mann abstammt, denn er befindet sich in einem Zustand, welcher schon für gewöhnlich zu großer Veränderung bestimmt und darum auch um so mehr für außerordentliche Veränderungen empfänglich ist. Man versichert, daß die Einbildungskraft einer Dame vom Stande, welche durch den Anblick eines Verstümmelten verletzt wurde, dem der Geburt schon sehr nahen Fötus die Hand abgetrennt habe, welche Hand sich nachher bei der Nachgeburt gefunden haben soll; doch verdient dies erst Beglaubigung. Vielleicht könnte jemand mit der Behauptung kommen, daß, wenn auch die Seele nur von einem Geschlecht herkommen kann, doch das eine wie das andere Geschlecht etwas Organisches hergäbe, und aus beiden Körpern ebenso einer werde, wie wir sehen, daß der Seidenwurm gleichsam ein doppeltes Tier ist und unter der Form der Raupe ein fliegendes Insekt in sich schließt; so sehr sind wir noch über einen so wichtigen Gegenstand im dunklen. Vielleicht wird uns einmal die Analogie der Pflanzen darüber Licht geben, aber gegenwärtig sind wir über die Erzeugung der Pflanzen selbst noch nicht unterrichtet; die Mutmaßung über den Staub, der sich dabei bemerken läßt, als oh derselbe dem menschlichen Samen entsprechen könnte, ist noch nicht recht aufgeklärt. Übrigens ist oft genug ein Pflanzenschößling imstande, eine ganz neue Pflanze zu geben, wofür man noch keine Analogie bei den Tieren kennt; auch kann man nicht sagen, daß der Fuß des Tieres ein Tier ist, wie jeder Zweig eines Baumes eine des Fruchtbringens fähige Pflanze für sich ist. Auch gelingen die Mischungen der Arten und selbst die Veränderungen innerhalb derselben Art bei den Pflanzen oft mit vielem Erfolge. Vielleicht sind oder waren die Tierarten zu irgend einer Zeit oder an irgend einem Ort des Universums der Veränderung mehr unterworfen, als sie es gegenwärtig unter uns sind oder künftig sein werden. Manche Tiere, die etwas von der Katze haben, wie der Löwe, der Tiger und der Luchs, könnten von der nämlichen Rasse gewesen sein und gegenwärtig gleichsam neue Unterabteilungen der alten Katzenarten bilden.[324] So komme ich immer auf das schon mehr als einmal Gesagte zurück, daß unsere Bestimmungen der physischen Arten vorläufige und unseren Kenntnissen entsprechende sind.

§ 24. Philalethes. Wenigstens haben die Leute, als sie ihre Einteilung der Arten vornahmen, niemals an die substantiellen Formen gedacht, diejenigen ausgenommen, welche hierzulande, wo wir sind, unsere Schulsprache gelernt haben.

Theophilus. Seit kurzem scheint der Ausdruck substantielle Formen bei gewissen Leuten in Verruf gekommen zu sein, und man schämt sich, von ihnen zu reden. Indessen ist dabei vielleicht immer noch mehr Mode als Vernunft. Die Scholastiker gebrauchten einen allgemeinen Begriff fälschlich, wenn es sich darum handelte, besondere Erscheinungen zu erklären, aber dieser Mißbrauch hebt die Sache selbst nicht auf. Die menschliche Seele bringt die Zuversichtlichkeit einiger unserer neueren Philosophen ein wenig in Verlegenheit. Einige derselben erklären sie für die Form des Menschen, aber zugleich auch für die einzige substantielle Form der uns bekannten Natur. Descartes drückt sich ebenso darüber aus und erteilt dem Regius eine Rüge dafür, daß er der Seele diese Beschaffenheit einer substantiellen Form bestritt und leugnen wollte, daß der Mensch ein unum per se, ein mit einer wahrhaften Einheit begabtes Wesen sei. Manche glauben, jener ausgezeichnete Mann habe aus Politik so gehandelt. Ich zweifle ein wenig daran, weil ich glaube, daß er darin recht hatte. Aber man sollte nicht dem Menschen allein dies Vorrecht geben, wie wenn die Natur übers Knie gebrochen wäre; wir haben Grund zu dem Schluß, daß es eine Unendlichkeit von Seelen oder, um allgemeiner zu reden, von ursprünglichen Entelechien gibt, die etwas mit der Wahrnehmung und dem Triebe Analoges besitzen und die alle substantielle Formen der Körper sind und stets bleiben. Scheinbar gibt es freilich manche Arten, die nicht eigentlich ein unum per se sind d.h. Körper mit einer wahrhaften Einheit oder mit einem unteilbaren Wesen begabt, das ihr ganzes Tätigkeitsprinzip ausmacht, ebensowenig, wie eine Mühle oder eine Uhr dies sein könnten. Von dieser Art könnten die Salze,[325] die Mineralien und die Metalle sein d.h. einfache Zusammenhäufungen oder Massen Ton einer gewissen Regelmäßigkeit. Aber die Körper der einen und der anderen. Art d.h. die beseelten Körper sowohl wie die unbelebten Zusammenhäufungen werden durch ihren inneren Bau spezifiziert sein, da in denen selbst, welche belebt sind, die Seele und die Maschine jede für sich zur Bestimmung genügen, denn sie stimmen vollkommen miteinander überein und drücken sich, obgleich sie keinen unmittelbaren Einfluß aufeinander haben, wechselweise aus, indem die eine alles das, was die andere in der Vielheit verteilt hat, in eine vollkommene Einheit zusammengefaßt hat. Wenn es sieh also um die Anordnung der Arten handelt, so ist der Streit um die substantiellen Formen unnütz, wenn es auch aus anderen Gründen wichtig sein mag, zu erkennen, ob und wie es deren gibt, denn sonst wurde man in der intellektuellen Welt ein Fremdling sein. Übrigens haben die Griechen und Araber von diesen Formen ebensogut wie die Europäer gesprochen, und wenn der gemeine Mann nicht davon redet, so redet der ebensowenig von der Algebra oder von inkommensurablen Größen.

§ 25. Philalethes. Die Sprachen sind vor den Wissenschaften gebildet worden, und das unwissende, ungelehrte Volk hat die Dinge unter gewisse Arten gebracht.

Theophilus. Allerdings, aber die Gelehrten berichtigen die volkstümlichen Begriffe. Die Chemiker haben sichere Mittel gefunden, die Metalle zu unterscheiden und zu trennen, die Botaniker haben die Wissenschaft von den Pflanzen wunderbar bereichert, und die über die Insekten erhaltenen Erfahrungen haben uns in der Kenntnis der Tiere eine neue Bahn eröffnet; indessen sind wir noch weit von der Hälfte unserer Laufbahn entfernt.

§ 26. Philalethes. Wenn die Arten ein Werk der Natur wären, so könnten sie von verschiedenen Personen nicht so verschieden aufgefaßt werden. Der Mensch erscheint dem einen als ein zweifüßiges lebendiges Wesen ohne Federn mit großen Nägeln, und der andere fügt nach tieferer Untersuchung noch die Vernunft dazu. Viele Leute bestimmen indessen die Arten der Tiere mehr nach ihrer äußeren Gestalt als nach ihrer Abkunft, weil man mehr als einmal in Frage gestellt hat, ob gewisse menschliche [326] Geburten zur Taufe zugelassen werden sollten oder nicht, bloß aus dem Grunde, daß ihre äußere Bildung von der gewöhnlichen Form der Kinder abwich, ohne daß man wußte, ob sie nicht ebensogut zur Vernunft fähig wären, wie Kinder, die in einer anderen Form gegossen sind, unter denen man manche findet, die, wenn auch von anerkannter Gestalt, ihr ganzes Leben lang niemals so viel Vernunft zu zeigen imstande sind, als in einem Affen oder Elefanten vorkommt, und die niemals ein Zeichen geben, daß sie von einer vernünftigen Seele regiert werden. Hieraus ergibt sich offenbar, daß die äußere Form, von der man allein hat reden wollen, und nicht die Fähigkeit der Vernunft, von der niemand wissen kann, ob sie zu ihrer Zeit fehlen durfte, zum wesentlichen Merkmal gemacht worden ist. In diesen Fällen sind denn auch die gescheitesten Theologen und Juristen gezwungen, von ihrer hochverehrten Definition eines vernünftigen lebendigen Wesens abzugehen und an deren Stelle irgend eine andere Wesensbestimmung der Menschenart zu setzen. Menage (Menagiana Tom. I, pag. 278 der holländischen Ausgabe von 1649) führt uns das Beispiel eines gewissen Abbé de St. Martin an, was erzählt zu werden verdient. Als dieser Abbé de St. Martin zur Welt kam, sagt er, hatte er so wenig eine menschliche Gestalt, daß er eher einer Mißgeburt glich. Man beratschlagte einige Zeit, ob man ihn taufen sollte. Indessen er wurde getauft, und man erklärte ihn vorläufig für einen Menschen, d.h. bis die Zeit erkennen lassen würde, was er wäre. Er war von Natur so mißgestaltet, daß man ihn sein ganzes Leben den Abbé Malotru nannte. Er war von Caen. Da haben wir ein Kind, welches einfach wegen seiner Gestalt nahe daran war, von der Menschenart ausgeschlossen zu werden; so wie es war, kam es mit genauer Not davon, und sicherlich würde eine noch etwas ungestaltetere Form es ins Verderben gestürzt haben, als ein Wesen, welches nicht für einen Menschen gelten dürfe. Und doch kann man keinen Grund angeben, warum eine vernünftige Seele nicht in ihm hätte wohnen können, wenn seine Gesichtszüge ein wenig mehr verzerrt gewesen wären; warum ein etwas längeres[327] Gesicht oder eine plattere Nase oder ein größerer Mund nicht ebensogut wie das ihrige seiner häßlichen Gestalt mit einer Seele und Eigenschäften hätten zusammenbestehen können, die ihn, so ungestaltet er immer war, fähig machten, eine kirchliche Würde zu bekleiden.

Theophilus. Bisher hat man noch kein vernünftiges lebendiges Wesen gefunden, dessen äußere Gestalt von der unseren sehr verschieden gewesen wäre; darum wurden, wenn es sich darum handelte, ein Kind zu taufen, Abstammung und Gestalt immer nur als Kennzeichen angesehen, um zu entscheiden, ob es ein vernünftiges Wesen sei oder nicht. So haben denn die Theologen und Juristen nicht nötig, deshalb ihrer hochgehaltenen Definition zu entsagen.

§ 27. Philalethes. Wenn aber jene Mißgeburt, von der Licetus im 3. Kap. des 1. Buches redet, die den Kopf eines Menschen und den Leib eines Schweines hatte, oder andere Mißgeburten, welche auf Menschenleibern Hunde- und Pferdeköpfe usw. hatten, am Leben erhalten worden wären und hätten reden können, so würde die Schwierigkeit viel größer gewesen sein.

Theophilus. Ich gebe das zu, und wenn es vorkäme und jemand so angetan wäre, wie ein gewisser Schriftsteller, ein Mönch aus alter Zeit, Hans Kalb genannt, der sich in einem von ihm geschriebenen Buche mit einem Kalbskopf malte, die Feder in der Hand, was einige lächerlicherweise glauben machte, daß dieser Schriftsteller wirklich einen Kalbskopf gehabt hätte, wenn, sage ich, dies vorkäme, so würde man künftig behutsamer sein, Mißgeburten abzutun. Denn die Vernunft würde allem Anschein nach bei Theologen und Juristen trotz der Gestalt, und sogar trotz der Schwierigkeiten das Übergewicht behalten, welche die Anatomie dabei den Ärzten bereiten könnte. Letztere würden ebensowenig der Menschenwürde schaden, wie jene Umkehrung der Eingeweide bei dem Menschen, dessen Obduktion zu Paris Bekannte von mir mitgemacht haben, welche Aufsehen erregt hat, wo die Natur


Als hatte sie sich dran ergötzt,

Die Leber hatte links gesetzt

Und rechte das Herz im Widerspiel –

Sie trank vielleicht einmal zu viel!
[328]

– wenn ich mich recht der Verse erinnere, welche der verstorbene Alliot (ein wegen seiner geschickten Behandlung des Krebses berühmter Arzt) über dieses Wunder gemacht hatte und mir zeigte. Es versteht sich, daß die Verschiedenheit der Bildung bei den vernünftigen Wesen nicht zu weit gehen und man nicht in die Zeit zurückkommen darf, wo die Tiere sprachen; denn sonst würden wir den uns besonders eigenen Vorzug der Vernunft verlieren und aufmerksamer auf die Abstammung und das Äußere sein, um die Abkömmlinge Adams von denen unterscheiden zu können, welche von einem Könige oder Patriarchen irgend eines afrikanischen Affenstaates abstammen mögen. Unser gelehrter Autor hat recht mit der Bemerkung (§ 29), daß, wenn die Eselin des Bileam ihr ganzes Leben lang ebenso vernünftig geredet hätte, wie das eine Mal mit ihrem Herrn (vorausgesetzt, daß es nicht eine prophetische Vision gewesen ist), sie doch immer Mühe gehabt haben würde, Sitz und Stimme unter den Frauen zu erhalten.

Philalethes. Wie ich sehe, lachen Sie, und vielleicht lachte der Verfasser auch; aber ernstlich gesprochen, Sie begreifen, daß man nicht immer bestimmte Grenzen für die Arten festsetzen kann.

Theophilus. Das habe ich Ihnen schon zugegeben; denn wenn es sich um Erdichtungen und die bloße Möglichkeit der Dinge handelt, können die Übergänge von Art zu Art unmerklich sein, und sie unterscheiden wollen, würde mitunter ungefähr so sein, wie wenn man entscheiden wollte, wieviel Haare man einem Menschen lassen muß, damit er nicht kahlköpfig sei. Diese Unentschiedenheit würde selbst dann wahr sein, wenn wir das Innere der Geschöpfe, um die es sich handelt, vollständig kennten. Aber ich sehe nicht ein, wie sie verhindern soll, daß die Dinge unabhängig von dem Verstande wirkliche Wesenheiten haben, und wir diese auch erkennen können. Freilich würden sich die Benennungen und die Grenzen der Arten mitunter wie die Benennungen der Maße und Gewichte verhalten, wo man, um feste Grenzen zu erhalten, seine Wahl treffen muß. Für gewöhnlich ist indessen so etwas nicht zu fürchten, da die einander zu nahe stehenden Arten sich nicht leicht zusammenfinden.[329]

§ 28. Philalethes. Wie es scheint, stimmen wir hier im Grunde überein, wiewohl, wir ein wenig in den Bezeichnungen voneinander abweichen. Auch gebe ich Ihnen zu, daß in der Benennung der Substanzen weniger Willkür herrscht, als in den Namen der zusammengesetzten Modi. Denn man wird nicht darauf fallen, das Blöken eines Schafes mit der Gestalt des Pferdes oder die Farbe des Bleies mit der Schwere und Feuerfestigkeit des Goldes zu verbinden. Lieber kopiert man die Natur.

Theophilus. Dies kommt nicht sowohl daher, daß man bei den Substanzen nur auf das achtet, was wirklich da ist, als daß man in den physischen Vorstellungen, die man nicht ganz bis auf den Grund versteht, unsicher ist, ob ihre Verknüpfung möglich und nützlich ist, wenn das wirkliche Dasein uns nicht dabei Gewähr bietet. Dies findet aber auch noch bei den Modi statt, nicht allein, wenn deren Dunkelheit uns, wie mitunter in der Physik vorkommt, undurchdringlich ist, sondern auch, wenn sie zu durchdringen nicht leicht ist, wovon es in der Geometrie genug Beispiele gibt. Denn in der einen und der anderen dieser Wissenschaften steht es bei uns, nach Belieben Kombinationen zu machen, sonst hätte man das Recht, von regelmäßigen Dekaëdern zu reden und könnte in einem Halbkreise einen Mittelpunkt der Größe aufsuchen, wie es einen Mittelpunkt der Schwere darin gibt. Denn es ist in der Tat auffallend, daß der eine dabei vorkommt, und der andere nicht dabei vorkommen sollte. Wie nun bei den Modi die Kombinationen nicht immer willkürlich sind, so findet sich im Gegensatz dazu, daß sie dies mitunter bei den Substanzen sind; und oft hängt es von uns ab, Kombinationen der Eigenschaften zu machen, um noch vorangestelltem Versuch substantielle Wesen zu definieren, wenn man diese Eigenschaften hinlänglich kennt, um über die Möglichkeit der Kombination zu urteilen. So können in der künstlichen Blumenzucht erfahrene Gärtner mit Recht und Erfolg sich irgend eine neue Art zu erzielen vorsetzen und ihr im voraus einen Namen geben.

§ 29. Philalethes. Sie werden mir immer zugestehen müssen, daß, wenn es sich um die Definition der Arten handelt, die Zahl der Vorstellungen, welche man kombiniert,[330] von dem verschiedenen Fleiße, dem Eifer oder der Phantasie dessen abhängt, welcher diese Kombination bildet. Wie zur Bestimmung der Pflanzen- und Tierarten man sich am häufigsten nach der Gestalt richtet, ebenso hält man sich bei den meisten der nicht durch Samen hervorgebrachten natürlichen Körper am meisten an die Farbe. § 10. In der Tat gibt das sehr oft nur verworrene, grobe und ungenaue Begriffe, und es fehlt viel daran, daß man über die bestimmte Zahl der einfachen Vorstellungen oder der Eigenschaften miteinander übereinstimme, die einer bestimmten Art oder Benennung angehören sollen, denn zur Auffindung der einfachen Vorstellungen, die beständig miteinander verbunden sind, hat man Mühe, Geschick und Zeit nötig. Indessen genügen in der Unterhaltung gewöhnlich wenige Eigenschaften, welche diese ungenauen Definitionen bilden, aber trotz des Geschreies über die Gattungen und Arten sind doch die Formen, von denen man in den Schulen so viel gesprochen hat, nur Chimären, die keineswegs dazu dienen, um uns in die Erkenntnis spezifischer Wesenheiten einzuführen.

Theophilus. Wer immer eine mögliche Kombination macht, begeht insofern keinen Irrtum, auch nicht, wenn er ihr eine Benennung gibt; er irrt aber, wenn er glaubt, daß dasjenige, was er sich vorstellt, alles das ist, was andere Erfahrenere unter demselben Namen oder in demselben Körper sich vorstellen. Er denkt sich vielleicht eine zu allgemeine Gattung statt einer anderen spezielleren. In diesem allen liegt nichts, was der Schulmeinung widerspricht, und ich sehe nicht ein, warum Sie jetzt gegen die Gattungen, Arten und Formen Ihren Angriff wiederholen, da Sie doch selbst Gattungen, Arten und selbst innere Wesenheiten oder Formen anerkennen müssen, die man übrigens, wenn man sie noch nicht zu kennen zugestehen muß, zur Erkenntnis des spezifischen Wesens der Sache gar nicht anzuwenden behauptet.

§ 30. Philalethes. Wenigstens ist klar, daß die von uns den Arten angewiesenen Grenzen nicht genau denen entsprechen, welche durch die Natur gesetzt sind. Denn bei unserem Bedürfnis allgemeiner Namen zum augenblicklichen Gebrauch bemühen wir uns nicht, ihre Eigenschaften zu entdecken, welche uns ihre wesentlichen unterschiede und Übereinstimmungen besser erkennen[331] lassen würden, sondern wir selbst teilen sie in Arten auf Grund gewisser, jedermann in die Angen fallender Erscheinungen ein, um dadurch mit anderen leichter verkehren in können.

Theophilus. Wenn wir Vorstellungen, die miteinander verbunden werden können, verbinden, so sind die von uns den Arten angewiesenen Grenzen immer genau mit der Natur übereinstimmend, und wenn wir solche Vorstellungen miteinander zu verbinden uns bemühen, die sich wirklich zusammenfinden, so stimmen unsere Begriffe auch noch mit der Erfahrung überein. Betrachten wir sie nur als vorläufig, hinsichtlich der wirklichen Körper, vorbehaltlich gemachter oder zu machender Erfahrung, um mehr darin zu entdecken, und gehen wir auf Sachkundige zurück, wenn es sich um etwas Bestimmtes handelt, hinsichtlich dessen, was man öffentlich unter dem – es bezeichnenden – Worte versteht, so werden wir uns darin nicht irren. So kann die Natur vollständigere und passendere Vorstellungen liefern, aber sie wird die unsrigen, die gut und natürlich sind, nicht Lügen strafen, mögen sie vielleicht auch nicht die besten und die natürlichsten sein.

§ 32. Philalethes. Unsere Gattungsbegriffe von den Substanzen, wie z.B. die des Metalls, folgen nicht genau den ihnen von der Natur dargebotenen Mustern, da man keinen Körper finden kann, welcher einfach die Dehnbarkeit und Schmelzbarkeit ohne andere Eigenschaften besitzt.

Theophilus. Solche Muster verlangt man auch nicht und würde auch nicht Grund haben, sie zu verlangen; sie finden sich auch nicht in den deutlichsten Begriffen. Man findet niemals eine Zahl, an der nichts als die Vielheit Überhaupt zu bemerken wäre; kein Ausgedehntes, worin nur Dichtigkeit und keine anderen Eigenschaften vorkommen, und wenn die spezifischen Unterschiede positiv und einander entgegengesetzt sind, so muß die Gattung unter ihnen Partei ergreifen.

Philalethes. Wenn also jemand sich einbildet, daß ein Mensch, ein Pferd, eine Pflanze etc. sich durch wirkliche von der Natur gebildete Wesenheiten voneinander unterscheiden, so muß er sich die Natur als sehr freigebig mit dergleichen wirklichen Wesenheiten[332] vorstellen, wenn sie deren eine für den Körper, eine andere für das Tier und noch eine andere für das Pferd hervorbringt und alle diese Wesenheiten freigebig dem Bucephalus mitteilt. Vielmehr sind Gattungen und Arten nichts weiter, als mehr oder weniger in sich begreifende Zeichen.

Theophilus. Wenn Sie die wirklichen Wesenheiten für diejenigen substantiellen Muster nehmen, welche ein Körper und weiter nichts, ein Tier und nichts Spezielleres, ein Pferd ohne individuelle Eigenschaften sein würden, so haben Sie recht, sie als Chimären zu behandeln. Niemand aber, denke ich, selbst nicht die größten Realisten der Vergangenheit, hat behauptet, daß es so viel auf die Gattung sich beschränkende Substanzen gebe, als es Gattungen gibt. Daraus folgt jedoch nicht, daß, wenn die allgemeinen Wesenheiten dies nicht sind, sie bloße Zeichen sind; denn ich habe Ihnen schon mehrmals bemerklich gemacht, daß sie Möglichkeiten in den Ähnlichkeiten der Dinge sind. Dies ist ebenso, wie aus dem Umstände, daß die Farben nicht immer Substanzen oder extrahierbare Tinkturen sind, nicht folgt, daß sie bloß in der Einbildungskraft bestehen. Übrigens kann man sich die Natur nicht zu freigebig denken, sie ist dies über alle unsere möglichen Erfindungen hinaus, und alle im voraus denkbaren Möglichkeiten finden sich auf der großen Bühne ihrer Darstellungen verwirklicht. Früher gab es bei den Philosophen zwei Hauptthesen, die der Realisten wollte die Natur verschwenderisch machen, die der Nominalisten sie für geizig erklären. Der eine behauptet, daß die Natur kein Leeres duldet, und der andere, daß sie nichts umsonst tut. Diese beiden Grundsätze sind gut, wenn man sie recht versteht, denn die Natur ist wie ein guter Haushalter, der, wo es sein muß, spart, um zu rechter Zeit und am gehörigen Orte freigebig zu sein. In ihren Wirkungen ist sie freigebig und in den von ihr angewandten Ursachen sparsam.

§ 34. Philalethes. Ohne uns weiter mit dem Streite über die wirklichen Wesenheiten aufzuhalten, genügt es, den Zweck der Sprache und den Gebrauch der Worte festzuhalten, welcher darin besteht, unsere Ge danken abgekürzt auszudrücken. Wenn ich zu jemand über eine[333] Art Vögel, drei bis vier Fuß hoch, reden will, deren Haut mit etwas zwischen Federn und Haaren in der Mitte Stehendem bedeckt ist, von dunkelbrauner Farbe, ohne Flügel, an deren Stelle aber zwei oder drei dem Pfriemenkraut gleiche Äste sich befinden, die ihnen bis unten hinhangen, mit großen und dicken Schenkeln und Füßen von nur drei Klauen und ohne Schwanz – so bin ich genötigt, diese Beschreibung zu geben, um mich dadurch anderen verständlich zu machen. Sagt man mir aber, daß der Name dieses Tieres Kasuar ist, so kann ich mich dann dieses Namens bedienen, um im Gespräch jene ganze zusammengesetzte Vorstellung zu bezeichnen.

Theophilus. Vielleicht würde aber eine recht genaue Vorstellung von der Hautbedeckung oder irgend eines anderen Teiles ganz allein genügen, um dies Tier von allen anderen Tieren zu unterscheiden, wie man den Herkules an seiner Fußspur erkannte und den Löwen nach dem lateinischen Sprichwort an seiner Klaue erkennt. Je mehr man aber Unterscheidungszeichen zusammenhäuft, desto haltbarer ist die Definition.

§ 35. Philalethes. In diesem Falle können wir ohne Nachteil für die Sache etwas von der Vorstellung fallen lassen; wenn aber die Natur etwas davon nimmt, so ist dann die Frage, ob die Art noch bleibt. Wenn es z.B. einen Körper gäbe, der alle Eigenschaften des Goldes, ausgenommen die Dehnbarkeit, hätte, würde es Gold sein? Dies zu entscheiden hängt von den Menschen ab. Sie also sind es, welche die Arten der Dinge bestimmen.

Theophilus. Keineswegs; sie würden nur den Namen bestimmen. Indessen würde diese Erfahrung uns lehren, daß die Dehnbarkeit mit allen den übrigen Eigenschaften des Goldes zusammengenommen nicht in notwendiger Verbindung steht Sie würde uns also eine neue Möglichkeit und folglich eine neue Art kennen lehren. Was aber das brüchige und spröde Gold anbetrifft, so kommt dies nur von den Zusätzen her und hat mit den anderen Proben des Goldes nichts gemein, denn die Probierkapelle und das Antimon nehmen ihm diese Sprödigkeit.

§ 36. Philalethes. Aus unserer Lehre folgt etwas augenscheinlich sehr Seltsames, daß nämlich jede abstrakte Vorstellung, die einen bestimmten Namen hat, eine bestimmte[334] Art bildet. Aber was will man dabei tun, wenn die Natur es so verlangt? Ich möchte wohl wissen, warum ein Bologneser Hund und ein Windhund nicht ebenso verschiedene Arten sind, als ein Hühnerhund und ein Elefant.

Theophilus. Ich habe vorher die verschiedenen Bedeutungen des Wortes Art festgesetzt. Nimmt man es logisch oder vielmehr mathematisch, so kann die geringste Unähnlichkeit genügen. Jede verschiedene Vorstellung wird also eine andere Art liefern, und ob sie einen Namen hat oder nicht, ist gleichgültig. Aber im physischen Sinne hält man sich nicht bei jedweder Abweichung auf und redet entweder bestimmt, wenn es sich nur um die Erscheinungen handelt, oder vermutungsweise, wenn es sich um die innere Wahrheit der Dinge handelt, indem man dabei eine wesentliche und unveränderliche Natur voraussetzt, wie beim Menschen die Vernunft. Man setzt also voraus, daß dasjenige, was nur durch zufällige Veränderungen voneinander verschieden ist, wie das Wasser und das Eis, das Quecksilber in seiner Flüßigkeit und als Sublimat, von derselben Art ist; und bei den organischen Körpern setzt man gewöhnlich das vorläufige Merkmal derselben Art in die Abstammung oder Rasse, wie bei den gleichförmigsten Körpern in die Reproduktion. Allerdings kann man darüber aus Mangel an Erkenntnis des Inneren der Dinge kein sicheres Urteil fällen. Man urteilt aber, wie ich schon mehr als einmal gesagt habe, auf vorläufige und oft bloß vermutende Weise. Wenn man indessen aus Vorsicht, nur Gewisses sagen zu wollen, bloß vom Äußeren reden will, so ergibt es einen weiteren Sinn, und in diesem Falle darüber zu streiten, ob ein Unterschied spezifisch ist oder nicht, wäre ein Wortstreit In diesem Sinne findet unter den Hunden ein so großer Unter schied statt, daß man sehr wohl sagen kann, die englischen Doggen und die Bologneser Hündchen seien von verschiedenen Arten. Demungeachtet könnten sie von der einen und selbigen entfernten Kasse sein, die man auffinden würde, wenn mau höher aufsteigen könnte, und ihre Voreltern könnten einander ähnlich oder dieselben gewesen, nach großen Veränderungen aber einige aus der Nachkommenschaft größer, andere kleiner geworden sein. Man kann sogar[335] auch glauben, ohne der Vernunft zu nahe zu treten, daß sie eine innere, feststehende, spezifische Wesenheit gemein haben, die nun nicht mehr in weitere Unterabteilungen zerfällt oder die man nicht bei mehreren anderen Naturen der Art antrifft und die folglich nur durch Zufälligkeiten weiter verändert wird, obgleich wir freilich auch keinen Grund zu dem Schlusse haben, daß dies so bei allem dem, was wir die unterste Art (species infima) nennen, notwendig stattfinden müsse. Daß aber ein Hühnerhund und ein Elefant zu derselben Kasse gehören und eine solche gemeinsame spezifische Natur haben, ist ganz unwahrscheinlich. So kann man bei den verschiedenen Hundesorten, wenn man von den Erscheinungen spricht, die Arten unterscheiden, und wenn man von der inneren Wahrheit spricht, unentschieden bleiben; vergleicht man aber den Hund und den Elefanten, so ist kein Grund, ihnen äußerlich das zuzuschreiben, was sie als Wesen derselben Rasse erscheinen lassen konnte. Also ist kein Grund vorhanden, sich gegen die Präsumption unentschieden zu verhalten. Auch beim Menschen könnte man, wenn man im logischen Sinne redet, die Arten unterscheiden, und wenn man beim Äußeren stehen bliebe, Verschiedenheiten im physischen Sinne ausfinden, welche als spezifische gelten konnten. So hat es einen Reisenden gegeben, welcher annahm, daß die Neger, die Chinesen und endlich die Amerikaner weder untereinander noch mit den uns gleichenden Völkern von gleicher Rasse wären. Aber sobald man die innere Wesenheit des Menschen d.h. die Vernunft, welche bei demselben Menschen verharrt und sich bei allen Menschen findet, erkennt und sonst nichts festes Innerliches unter uns bemerkt, das eine Unterabteilung ausmacht, so haben wir keinen Grund zu dem Urteil, daß es unter den Menschen dem wahren Innern nach einen spezifischen inneren Unterschied gibt, während sich zwischen Mensch und Tier ein solcher findet – vorausgesetzt, daß die Tiere dem vorhin von mir Auseinandergesetzten zufolge nur sinnliche Erkenntnis besitzen, wie in der Tat die Erfahrung uns darüber zu keinem anderen Urteil Grund gibt.

§ 39. Philalethes. Nehmen wir das Beispiel von einem Werke der Kunst, dessen innerer Bau uns bekannt ist.[336] Eine Uhr, die nur die Stunden zeigt, und eine Uhr, welche schlägt, sind hinsichtlich derer, wel che sie zu bezeichnen nur einen Namen haben, von derselben Art, aber hinsichtlich dessen, welcher, um die erste zu bezeichnen, den Namen Zeiger-, und um die letztere zu bezeichnen, den Namen Schlaguhr hat, sind sie – für ihn – verschiedene Arten. Also der Name und nicht die innere Einrichtung ist es, was eine neue Art gibt, sonst würde es zu viele Arten geben. Es gibt Uhren mit vier Bädern und andere mit fünf; einige haben Schnüre und Spindeln und andere nicht; in einigen geht die Unruhe frei, in anderen wird sie durch eine Spiralfeder und in noch anderen durch Schweineborsten in Bewegung gesetzt. Welcher dieser Umstände genügt nun, um einen spezifischen Unterschied zu bilden? Ich sage: keiner, solange diese Uhren im Namen übereinkommen.

Theophilus. Und ich würde es doch behaupten, denn ohne mich bei den verschiedenen Namen aufzuhalten, würde ich die Verschiedenheiten des Werkes und vor allem den Unterschied der Unruhen in Erwägung ziehen. Denn seitdem man eine Springfeder dabei angewendet hat, welche die Bewegungen der Uhr nach den ihrigen regelt und sie folglich gleichmäßiger macht, haben sich die Taschenuhren ganz umgewandelt und sind unvergleichlich richtiger geworden. Ich habe früher einmal sogar auf ein anderes Prinzip der Gleichmäßigkeit aufmerksam gemacht, das man auf die Uhren anwenden konnte.

Philalethes. Will jemand Einteilungen machen, welche auf die ihm bekannten Unterschiede in der inneren Gestaltung sich gründen, so kann er es tun; das würden indessen nicht verschiedene Arten sein für Leute, welche jenen inneren Bau nicht kennen.

Theophilus. Ich sehe nicht ein, warum man bei Ihnen die Vermögen, die Wahrheiten und die Arten von unserer Meinung oder Erkenntnis abhängig machen will. Sie liegen in der Natur, mögen wir es nun wissen und anerkennen oder nicht. Wollte man sich anders ausdrücken, so würde man die Namen der Dinge und den angenommenen Sprachgebrauch ohne Not ändern. Bis jetzt haben die Menschen immer geglaubt, daß es verschiedene Arten von Uhren gibt, ohne sich darum zu bekümmern,[337] worin die Verschiedenheit derselben besteht, und wie man sie nennen könnte.

Philalethes. Gleichwohl haben Sie kurz vorher anerkannt, daß, wenn man die physischen Arten nach der äußeren Erscheinung unterscheiden will, man dabei mit willkürlicher Beschränkung verfährt, so wie man es gerade zweckmäßig findet, d.h. je nachdem man den Unterschied mehr oder weniger bedeutend findet, und nach dem Gesichtspunkt, welchen man hat. Auch haben Sie sich selbst des Vergleichs mit Gewichten und Maßen bedient, welche man nach dem Belieben der Menschen regelt und benennt.

Theophilus. Jawohl, seitdem ich Sie zu verstehen angefangen habe. Zwischen den spezifischen Unterschieden bloß logischer Art, zu denen die geringste Änderung einer anwendbaren Definition, so zufällig sie sein mag, genügt, und den spezifischen Unterschieden, die bloß physisch sind und sich auf das Wesentliche oder Unveränderliche gründen, kann man ein Mittelding setzen, das sich aber freilich nicht genau bestimmen läßt; man richtet sich dann nach den wichtigsten Erscheinungen, die nicht gänzlich unwandelbar sind, sich aber auch nicht leicht ändern, indem die eine sich dem Wesentlichen mehr als die andere nähert. Da nun ein Kenner weiter gehen kann, als ein anderer, so scheint die Sache freilich willkürlich und hinsichtlich der Menschen relativ; auch erscheint es bequem, die Namen nach diesen hauptsächlichen Verschiedenheiten einzurichten. Man könnte also auch sagen, daß dies spezifische Unterschiede des bürgerlichen Lebens und nominelle Arten sind, die man nicht verwechseln muß, was ich vorher Nominaldefinitionen genannt habe, welche bei den spezifischen Unterschieden sowohl logischer wie physischer Art vorkommen. Übrigens können außer dem gewöhnlichen Sprachgebrauch die Gesetze selbst zu Wortbedeutungen berechtigen, und dann würden die Arten gesetzliche werden, wie in denjenigen Verträgen, welche man nominati nennt, d.h. solchen, die auf einen besonderen Namen gehen. Dies ist so, wie wenn das römische Recht die Mannbarkeit mit zurückgelegtem vierzehnten Jahr anfangen läßt. Diese ganze Erwägung ist zwar nicht zu verachten, indessen[338] sehe ich nicht ein, daß sie hier von großem Nutzen ist, denn außerdem, daß Sie dieselbe mitunter da, wo sie gewiß keinen hatte, angewendet zu haben scheinen, wird man ungefähr die nämliche Wirkung auch erreichen, wenn man erwägt, daß es von den Menschen abhängt, so weit als sie es angemessen finden, in den Unterabteilungen weiterzugehen, um von noch weitergehenden Unterschieden abzusehen, ohne daß man sie zu leugnen nötig hat; und daß es auch von ihnen abhängt, das Gewisse für das Ungewisse zu wählen, um Begriffe und Maße dadurch, daß man ihnen Namen gibt, festzusetzen.

Philalethes. Ich freue mich, daß wir jetzt einander viel näher gekommen sind, als den Anschein hatte. § 41. Sie werden mir auch, wie ich sehe, gegen die Ansicht gewisser Philosophen zugegeben, daß die Werke der Kunst, ebensogut wie die der Natur, Arten bilden, § 42. aber bevor wir die Namen der Substanzen verlassen, will ich noch hinzusetzen, daß von allen unseren verschiedenen Vorstellungen die der Substanzen allein eigene oder individuelle Namen haben, denn es geschieht selten, daß die Menschen nötig hätten, eine individuelle Eigenschaft oder irgend eine andere individuelle Zufälligkeit häufig zu erwähnen. Außerdem vergehen die individuellen Handlungen sogleich, und die dabei stattfindende Kombination der Umstände dauert nicht, so wie bei den Substanzen der Fall ist.

Theophilus. Es gibt indessen Fälle, wo wir uns eines individuellen Akzidens erinnern müssen, und man ihm eine Bezeichnung gegeben hat; somit ist ihre Regel im ganzen genommen richtig; aber sie erleidet Ausnahmen, deren uns die Religion liefert: So feiern wir z.B. jährlich das Andenken an die Geburt Jesu Christi; die Griechen nannten diese Begebenheit Theogonie und die Anbetung der Weisen Epiphanie. So nannten die Hebräer Passah das Fest von dem Umgang des Engels, welcher die Erstgeburt der Ägypter tötete, ohne die der Hebräer anzurühren, wovon sie das Andenken alle Jahre feiern mußten. Was die Arten der künstlich erzeugten Dinge betrifft, so haben die scholastischen Philosophen sie unter ihre Prädikamente aufzunehmen Bedenken getragen. Aber ihre Bedenklichkeit war dabei kaum nötig, weil jene[339] Tafeln der Prädikamente eben dazu dienen sollten, eine allgemeine Musterung unserer Vorstellungen in liefern. Es ist indessen nützlich, den Unterschied zwischen den vollständigen Substanzen und denjenigen Verbindungen der Substanzen (aggregata) zu erkennen, welche durch die Natur oder durch die menschliche Kunst zusammengesetzte substantielle Wesen sind. Denn die Natur liefert auch solche Verbindungen, wie z.B. die Körper, deren Mischung, um die Sprache unserer Philosophen zu reden, unvollkommen ist (imperfecte mixta), die kein unum per se bilden und keine vollkommene Einheit in sich darstellen. Meiner Meinung nach sind freilich die vier von ihnen »Elemente« genannten Körper, welche sie für einfach hielten, und die Salze, Metalle und andere Körper, welche sie für vollständig vermischt hielten und denen sie ihre sogenannten Temperamente beimaßen, auch kein unum per se, um so weniger, als man urteilen muß, daß sie nur dem Scheine nach einförmig und gleichartig sind, und selbst ein in sich gleichartiger Körper darum doch eine Mischung sein mag. Die vollkommene Einheit muß mit einem Wort den beseelten oder mit ursprünglichen Entelechien begabten Körpern allein zugeschrieben werden; denn diese Entelechien haben mit den Seelen Analogie und sind auch unteilbar und unvergänglich wie sie; ich habe auch sonst schon das Urteil ausgesprochen, daß ihre organischen Körper in der Tat Maschinen sind, welche aber die künstlichen von unserer Erfindung so weit übertreffen, als der Erfinder der natürlichen uns übertrifft. Denn diese natürlichen Maschinen sind so unvergänglich wie die Seelen selbst, und mit der Seele besteht auch immer der Organismus; wie, um mich durch ein ganz lächerliches Gleichnis besser zu erklären, wenn man Harlekin auf dem Theater entkleiden wollte, aber damit nicht Zustandekommen könnte, weil er ich weiß nicht wie viel Kleider anhätte. Freilich sind diese ins Unendliche gehenden Entwicklungen der organischen Körper, die in einem lebendigen Wesen stecken, nicht so einander gleich und nicht so aufeinander passend, wie Kleidungsstücke, da die Kunst der Natur von einer ganz anderen Feinheit ist. Aus alledem erkennen wir, daß die Philosophen durchaus nicht unrecht gehabt haben, zwischen den Werken der Kunst[340] und den mit einer wahrhaften Einheit begabten natürlichen Körpern einen so großen Unterschied zu machen. Aber unserer Zeit erst war es vorbehalten, dies Geheimnis zu enthüllen und dessen Wichtigkeit und Folgen begreiflich zu machen, um die natürliche Theologie und das, was man die Lehre vom Geist nennt, in einer Weise zu begründen, die in der Tat natürlich und dem, was wir erfahrungsmäßig feststellen und verstehen können, entsprechend ist, welche uns ferner von den wichtigen Betrachtungen nichts verloren gehen läßt, die jene Wissenschaften liefern müssen oder sie vielmehr im Werte erhöht, wie durch das System der vorherbestimmten Harmonie geschieht. Besser als so, glaube ich, können wir diese lange Besprechung über die Namen der Substanzen nicht enden.

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Leipzig 21904, S. 308-341.
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