Kapitel XIII.

Weitere Betrachtungen über unsere Erkenntnis

[500] § 1. Philalethes. Vielleicht wird es noch hinzuzufügen passend sein, daß unsere Erkenntnis, wie noch in anderen Dingen mehr, so auch darin mit dem Gesichte sich analog verhält, daß sie weder ganz notwendig noch ganz freiwillig ist. Man kann nicht umhin zu sehen, wenn man die Augen dem Lichte geöffnet hat, aber man kann sie gewissen Gegenständen zuwenden (§ 2) und sie mit mehr oder weniger Aufmerksamkeit betrachten. Ist das Vermögen also einmal in Anwendung gebracht, so hängt es nicht mehr vom Willen ab, die Erkenntnis zu bestimmen, ebensowenig, wie jemand das, was er sieht, zu sehen sich enthalten kann. Man soll aber seine Vermögen gehörig anwenden, um sich zu unterrichten.

Theophilus. Wir haben über diesen Punkt bereits früher gesprochen und festgestellt, daß es vom Menschen nicht abhängt, diese oder jene sinnliche Empfindung in der Gegenwart in haben, aber es hängt von ihm ab, sich darauf vorzubereiten, um sie in der Folge zu haben und nicht zu haben; und somit sind die Meinungen nur auf indirekte Art freiwillig.

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Leipzig 21904, S. 500.
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