Kapitel XX.

Vom Irrtum

[567] § 1. Philalethes. Nachdem wir genugsam von allen den Mitteln, welche uns die Wahrheit erkennen oder ahnen lassen, gesprochen haben, wollen wir noch etwas von unseren Irrtümern und unrichtigen Urteilen sagen. Die Menschen müssen sich wohl oft irren, weil es so viele Mißhelligkeiten unter ihnen gibt.

Die Ursachen davon können auf folgende vier zurückgeführt werden: 1) den Mangel an Beweisen, 2) die geringe Geschicklichkeit, sich derselben zu bedienen, 3) den Mangel an gutem Willen, davon Gebrauch zu machen, 4) die falschen Wahrscheinlichkeitsregeln.

§ 2. Wenn ich von dem Mangel an Beweisen spreche, so begreife ich auch noch diejenigen darunter, welche man finden könnte, wenn man dazu die Mittel und die bequeme Gelegenheit hätte; aber deren gerade entbehrt man am häufigsten. Der Zustand der Menschen ist so, daß ihr Leben im Aufsuchen dessen, wovon sie leben müssen, hingeht; sie sind von dem, was in der Welt vorgeht, so wenig unterrichtet, wie ein Lasttier, welches immer denselben Weg geht, auf der Landkarte bewandert werden kann. Sie müßten Sprachen, Lektüre, Unterhaltung, Naturbeobachtungen und technische Erfahrungen haben. § 3. Da nun aber dies alles ihre Lebensverhältnisse nicht angeht, können wir da leugnen, daß der große Haufe der Menschen zum Glück und zum Unglück nur durch einen blinden Zufall geführt wird? Müssen sie sich den herrschenden Meinungen und den in ihrem Vaterlande autorisierten Führern überlassen selbst hinsichtlich ihres ewigen Glücks oder Unglücks? Oder soll man ewig unglücklich sein, weil man, statt in diesem, in einem anderen Lande geboren ist? Gleichwohl muß man zugeben, daß niemand von der Sorge für seinen Unterhalt so sehr in Anspruch genommen ist, daß er nicht eine gewisse[567] Ruhezeit hätte, um an seine Seele zu denken und sich in dem, was die Religion betrifft, zu unterrichten, mag er auch noch so sehr mit unwichtigeren Sachen beschäftigt sein.

Theophilus. Angenommen, daß die Menschen nicht immer imstande sind, sich selbst zu unterrichten, und daß sie, da sie die Sorge für den Unterhalt ihrer Familie aus Fürsorge nicht aufgeben können, um schwierige Wahrheiten aufzusuchen, genötigt sind, den in ihrer Heimat autorisierten Meinungen zu folgen, so müßte man doch immer urteilen, daß bei denen, welche die wahre Religion, auch ohne sie erwiesen zu haben, besitzen, die innere Gnade den Mangel der Motive zur Gläubigkeit ersetzt; und die Liebe heißt uns ferner urteilen, wie ich Ihnen schon bemerkt habe, daß Gott für die Menschen von gutem Willen, wenn sie auch in der dichten Finsternis der gefährlichsten Irrtümer groß geworden sind, alles tut, was seine Güte und Gerechtigkeit erheischen – obwohl vielleicht auf eine uns unbekannte Weise. Es gibt in der römischen Kirche mit Beifall aufgenommene Geschichten von Leuten, die besonders auferweckt worden sind, um heilbringender Hilfe nicht zu entbehren. Aber Gott kann den Seelen durch die innere Wirksamkeit des heiligen Geistes zu Hilfe kommen, ohne ein so großes Wunder nötig zu haben, und das Beste und Tröstlichste für das Menschengeschlecht besteht darin, daß um sich in den Stand der Gnade Gottes zu setzen, man nur guten Willen nötig hat, aber aufrichtigen und ernsten. Ich erkenne an, daß man selbst auch diesen guten Willen nicht ohne Gottes Gnade hat, sofern alles natürliche oder übernatürliche Gute von ihm kommt: aber es ist immer genug, daß man nur den Willen zu haben braucht, und Gott unmöglich eine leichtere und vernünftigere Bedingung verlangen könnte.

§ 4. Philalethes. Es gibt Menschen, welche gut genug gestellt sind, um alle geeigneten Bequemlichkeiten zur Aufklärung ihrer Zweifel zu haben, aber sie werden davon durch allerlei künstliche Hindernisse abwendig gemacht, die zu bemerken leicht genug ist, ohne daß es notwendig wäre, sich an dieser Stelle über sie zu verbreiten. Ich will lieber von denen reden, welchen es an Geschicklichkeit fehlt, um die Beweise, welche sie sozusagen[568] an der Hand haben, geltend zu machen, und welche weder eine lange Reihe von Folgerungen behalten noch alle Umstände abwägen können. Es gibt Leute, die nur einen Schluß, und es gibt deren, die nur zwei machen können. Es ist hier nicht der Ort festzustellen, ob diese Unvollkommenheit von einer natürlichen Verschiedenheit der Seelen selbst oder der Organe herrührt, oder ob sie vom Mangel an Übung, welche die natürlichen Fähigkeiten schärft, abhängt. Es genügt uns hier, daß sie ersichtlich ist, und man nur vom Palast oder von der Börse in die Hospitäler oder Irrenhäuser zu gehen braucht, um sie wahrzunehmen.

Theophilus. Es sind die Armen nicht allein in der Not; manchen Reichen mangelt mehr als ihnen, weil solche Reiche zuviel verlangen und sich freiwillig in eine Art von Dürftigkeit versetzen, welche sie wichtigen Erwägungen obzuliegen verhindert. Das Beispiel tut dabei viel. Man bemüht sich, dem von seinesgleichen zu folgen, das man auszuüben verpflichtet ist, wenn man sich nicht als Querkopf zeigen will; und dies bewirkt leicht, daß man ihnen ähnlich wird. Es ist gar schwer, zugleich der Vernunft und der Sitte zu genügen. Was diejenigen anbetrifft, denen Fähigkeit fehlt, so gibt es deren vielleicht weniger, als man denkt; ich glaube, daß der gesunde Menschenverstand mit Fleiß verbunden für alles ausreichen kann, was nicht gerade Schlagfertigkeit erfordert. Ich stelle den gesunden Menschenverstand voran, weil ich nicht glaube, daß Sie die Untersuchung der Wahrheit von den Bewohnern der Irrenhäuser verlangen wollen. Allerdings gibt es deren nicht viele, welche nicht wieder zu sich kommen könnten, wenn wir die Mittel dazu kennten; und welcher ursprüngliche Unterschied zwischen unseren Seelen auch stattfinden mag, (wie ich in der Tat an einen solchen glaube), so könnte sicherlich immerhin die eine so weit kommen, wie die andere (aber vielleicht nur nicht so schnell), wenn sie nur richtig geleitet würde.

§ 6. Philalethes. Es gibt eine andere Art von Menschen, denen es nur am guten Willen fehlt. Eine heftige Sucht zum Vergnügen, eine beständige Beschäftigung mit dem, was ihr Vermögen betrifft, eine allgemeine Trägheit oder Nachlässigkeit, eine besondere Abneigung gegen[569] das Stadium und Nachdenken verhindern sie, ernstlich an die Wahrheit zu denken. Es gibt sogar solche, welche fürchten, daß eine von jeder Parteilichkeit freie Untersuchung den Meinungen, welche sich am besten mit ihren Vorurteilen und ihren Plänen vertragen, nicht günstig sei. Man kennt Personen, welche einen Brief nicht lesen wollen, von dem sie vermuten, daß er schlechte Neuigkeiten bringe, und viele Leute vermeiden, ihre Rechnungsbilanz aufzustellen oder sich von dem Zustande ihres Vermögens zu unterrichten, aus Furcht zu erfahren, was sie lieber für immer nicht wissen möchten. Es gibt Leute, welche große Einkünfte haben und sie alle auf Genußmittel für den Leib wenden, ohne an die Mittel zu denken, den Verstand zu vervollkommnen. Sie geben sich große Mühe, immer in einer schönen und glänzenden Equipage zu erscheinen und dulden es unbekümmert, daß ihre Seele mit schlechten Lumpen des Vorurteils und des Irrtums bedeckt sei und die Blöße d.h. die Unwissenheit durchscheine. Ohne von dem Interesse zu sprechen, welches sie am zukünftigen Leben nehmen sollten, vernachlässigen sie nicht weniger das, was in dem auf dieser Welt zu führenden Leben zu erkennen ihr Interesse ist. Auch ist es etwas Seltsames, daß sehr oft diejenigen, welche die Macht und das Ansehen als eine ihrer Geburt oder ihrem Vermögen zukommende Berechtigung betrachten, sie nachlässigerweise Leuten von niedrigerer Stellung, als die ihrige ist, welche sie aber an Wissen überragen, preisgeben; denn die Blinden müssen freilich durch die Sehenden geführt werden, sonst fallen sie in den Graben, und eine schlimmere Knechtschaft gibt es nicht, als die des Verstandes.

Theophilus. Es gibt keinen deutlicheren Beweis von der Nachlässigkeit der Menschen hinsichtlich ihrer wahren Interessen, als ihre geringe Sorge für die Erkenntnis und Ausübung dessen, was der Gesundheit, einem unserer größten Güter, zuträglich ist, und obwohl die Großen ebenso und noch mehr als die übrigen die schlimmen Wirkungen dieser Versäumnis empfinden, kommen sie doch nicht davon zurück. Was den Glauben anbetrifft, so betrachten manche das Denken, was sie zur Untersuchung bringen könnte, als eine Versuchung des Teufels, welche sie nicht besser überwinden zu können glauben,[570] als indem sie den Geist auf jedwedes andere richten. Die Menschen, welche nur die Vergnügungen lieben oder sich irgend einer Beschäftigung widmen, pflegen die übrigen Dinge zu vernachlässigen. Ein Spieler, ein Jäger, ein Trinker, ein Lüstling und selbst ein Liebhaber von Kleinigkeiten wird eher sein Vermögen und sein Gut einbüßen, als daß er sich die Mühe gibt, einen Prozeß anzustrengen oder mit sachverständigen Leuten Rücksprache zu nehmen. Es gibt Leute, wie der Kaiser Honorius war, der, als man ihm die Nachricht brachte, daß Rom verloren sei, glaubte, es wäre sein Huhn, das diesen Namen trug, was ihn mehr schmerzte, als die Wahrheit. Es wäre zu wünschen, daß diejenigen, welche Macht haben, in gleichem Verhältnisse auch Erkenntnis hätten, aber wenn sie auch das einzelne in den Wissenschaften, den Künsten, der Geschichte und den Sprachen nicht besäßen, so würde doch ein solides und geübtes Urteil und eine Kenntnis des zugleich Großen und Allgemeinen, mit einem Wort eine summa rerum (Summe des Wissenswertesten) genügen können. Und wie der Kaiser Augustus einen kurzen Abriß der Kräfte und Bedürfnisse des Staates hatte, welchen er breviarium imperii (Reichsbrevier) nannte, so könnte man einen Abriß der Interessen des Menschen haben, welcher enchiridion sapientine (Handbuch der Weisheit) genannt zu werden verdiente, wenn die Menschen für das, was ihnen am wichtigsten ist, Sorge tragen wollten.

§ 7. Philalethes. Endlich kommen unsere meisten Irrtümer von dem falschen Wahrscheinlichkeitsmaße her, welches man dadurch erhält, daß man entweder sein Urteil trotz offenbarer Bestimmungsgründe zurückhält oder es trotz entgegengesetzter Wahrscheinlichkeiten fällt. Dieses falsche Maß besteht 1) in zweifelhaften, als Prinzipien angenommenen Sätzen, 2) in angenommenen Hypothesen und 3) in der Autorität. § 8. Wir urteilen gewöhnlich über die Wahrheit aus der Übereinstimmung mit dem, was wir als unzweifelhafte Grundsätze betrachten, und dies läßt uns das Zeugnis anderer und selbst unserer Sinne verachten, wenn sie dem entgegengesetzt sind oder scheinen; aber ehe man sich mit so viel Sicherheit darauf verläßt, sollte man sie mit der äußersten Strenge prüfen. § 9. Die Kinder nehmen Sätze in sich[571] auf, welche ihnen von Vater und Mutter, Wärterinnen, Lehrern und anderen Personen ihrer Umgebung eingeflößt werden, und wenn diese Sätze einmal Wurzel gefaßt haben, so gelten sie für heilig wie ein Urim und Thummim, das Gott selbst ihnen in die Seele gelegt hätte. § 10. Man kann das, was gegen diese inneren Orakelsprüche verstößt, kaum ertragen, während man die größten Abgeschmacktheiten, wenn sie sich damit vertragen, verdaut. Man ersieht dies aus der unendlichen Hartnäckigkeit, die man bei verschiedenen Personen hinsichtlich des festen Glaubens an schnurstracks entgegengesetzte Meinungen als Glaubensartikel wahrnimmt, obwohl sie sehr oft gleich sehr abgeschmackt sind. Nehmen Sie einen Menschen von gesundem Verstande, aber von demselben Grundsatz durchdrungen, daß man glauben muß, was in der Kirchengemeinschaft geglaubt wird, sowie man in Wittenberg oder in Schweden lehrt – welche Neigung hat derselbe nicht, ohne Mühe die Lehre von der Konsubstantialität anzunehmen und zu glauben, daß ein und dasselbe Ding zugleich Fleisch und Brot ist?

Theophilus. Sie scheinen von den Lehrsätzen der Evangelischen nicht gehörig unterrichtet zu sein, welche die reale Gegenwart des Leibes unseres Herrn im Abendmahl annehmen. Tausendmal haben sie sich darüber erklärt, daß sie keine Konsubstantialität des Brotes und des Weines mit dem Fleisch und Blut Jesu Christi geglaubt haben wollen und noch weniger, daß eine und dieselbe Sache zusammen Fleisch und Brot ist. Sie lehren nur, daß man durch den Empfang des sinnlichen Symbols auf eine unsichtbare und übernatürliche Weise den Leib des Heilands empfängt, ohne daß er in dem Brote eingeschlossen ist. Und die von ihnen gemeinte Gegenwart ist nicht eine lokale oder sozusagen räumliche d.h. eine durch die Ausdehnung des gegenwärtigen Körpers bestimmte, so daß, was die Sinne dagegen haben können, sie nichts angeht. Und um zu zeigen, daß die aus der Vernunft möglicherweise gezogenen Schwierigkeiten sie nicht berühren, erklären sie, daß das, was sie unter der Substanz des Körpers verstehen, nicht in der Ausdehnung oder Dimension besteht, und es macht ihnen keine Schwierigkeit zuzugestehen, daß der verklärte[572] Leib Jesu Christi eine gewisse regelmäßige und örtliche, aber seinem Zustand in dem erhabenen, von ihm eingenommenen Platze angemessene Gegenwart behauptet, die von derjenigen sakramentalen Gegenwart, um welche es sich hier handelt, oder von seiner wunderbaren Gegenwart, mit welcher er die Kirche regiert, verschieden ist, durch welche er zwar nicht wie Gott überall ist, aber da, wo er sein will. Dies ist die Ansicht der Gemäßigsten, so daß, um den Widersinn ihrer Lehre zu zeigen, man erst zeigen müßte, daß jede Wesenheit des Körpers nur in der Ausdehnung und dem, was einzig und allein durch sie gemessen wird, besteht, was meines Wissens noch niemand getan hat. Auch trifft diese ganze Schwierigkeit nicht weniger die Reformierten, welche der gallikanischen und niederländischen Konfession, ferner der, der sächsischen Konfession entsprechenden, für das Konzil von Trient bestimmten, von Männern beider Konfessionen, der Augustanischen und Helvetischen abgefaßten Erklärung der Versammlung von Sendomir, dem Glaubensbekenntnis der unter der Autorität des Königs Wladislas von Polen zum Kolloquium nach Thorn gerufenen Reformierten und der stehenden Lehre des Calvin und Beda folgen, welche auf das Bestimmteste und Stärkste erklärt haben, daß die Symbole tatsächlich das, was sie darstellen, gewähren, und daß wir der eigenen Substanz des Leibes und Blutes Jesu Christi teilhaftig werden. Calvin, nachdem er diejenigen widerlegt hat, welche sich mit einer metaphorischen Teilnahme des Gedankens oder der Besiegelung und einer Glaubenseinheit begnügen, fügt noch hinzu, es gäbe keinen noch so starken Ausdruck, um die Realität festzustellen, den er nicht zu unterzeichnen bereit sei, wenn man nur alles vermeide, was die Umschreibung der Orte oder die Verbreitung der Ausdehnung betreffe: es scheint im Grunde also seine Lehre die Melanchthons und sogar Luthers gewesen zu sein (wie Calvin es selbst in einem seiner Briefe voraussetzt) ausgenommen, daß er außer der Bedingung der Wahrnehmung des Symbols, mit welcher Luther sich begnügt, noch die Bedingung des Glaubens fordert, um die Teilnahme der Unwürdigen auszuschließen. Ich habe Calvin an hundert Stellen seiner Werke und selbst in seinen Briefen, wo er es nicht nötig hatte, über diese reale Gemeinschaft[573] so bestimmt gefunden, daß ich keine Veranlassung sehe, ihn hier eines bloßen Kunstgriffs zu verdächtigen.

§ 11. Philalethes. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich von diesen Herren der gewöhnlichen Ansicht gemäß geredet habe. Auch erinnere ich mich jetzt bemerkt zu haben, daß hervorragende Theologen der anglikanischen Kirche für diese reale Teilnahme gewesen sind.

Gehen wir nun aber von den festgestellten Prinzipien zu den angenommenen Hypothesen über. Diejenigen, welche anerkennen, daß es nur Hypothesen sind, halten sie dennoch oft hitzig aufrecht, fast als ob es gesicherte Grundsätze wären, und übersehen die entgegengesetzten Wahrscheinlichkeiten. Es würde für einen gelehrten Professor unerträglich sein, seine Autorität in einem Augenblick durch den ersten besten, der seine Hypothesen verwirft, umgestürzt zu sehen, seine Autorität, sage ich, die seit 30 bis 40 Jahren in der Mode ist, durch so viele Nachtwachen erworben, mit so viel Griechisch und Latein aufrechterhalten worden ist, welche die allgemeine Tradition und ein ehrwürdiger Bart bekräftigt. Alle Gründe, welche man anwenden könnte, um ihn von der Falschheit seiner Hypothese zu überzeugen, sind ebensowenig fähig, auf seinen Geist zu wirken, als die Anstrengungen des Boreas den Reisenden zwingen konnten, seinen Mantel fahren zu lassen, den er nur um so fester hielt, mit je mehr Heftigkeit der Wind blies.

Theophilus. In der Tat haben die Kopernikaner an ihren Gegnern erfahren, daß auch Hypothesen, die als solche anerkannt werden, doch um nichtsdestoweniger mit brennendem Eifer aufrechterhalten werden. Und die Kartesianer sind nicht weniger ihrer kanelierten Stoffteilchen und kleinen Kugeln des zweiten Elementes sicher, als wenn es Lehrsätze des Euklid wären. Es scheint, daß der Eifer für unsere Hypothesen nur eine Wirkung unserer Leidenschaft ist, Achtung für uns einflößen zu wollen. Allerdings haben diejenigen, welche Galilei verurteilten, den Stillstand der Erde für mehr als eine Hypothese gehalten, denn sie hielten ihn fürschrift- und vernunftgemäß. Aber hinterher hat man bemerkt, daß die Vernunft wenigstens diese Lehre nicht stützte, und was die h. Schrift anbetrifft, so hat der P. Fabry, Pönitentiarius von St. Peter, ein ausgezeichneter Theolog und[574] Philosoph, in einer zu Rom selbst veröffentlichten Apologie der Beobachtungen des berühmten Optikers Eustachio Divini sich nicht gescheut zu erklären, daß die wirkliche Bewegung der Sonne in dem heiligen Texte nur vorläufig zu verstehen sei, und daß, wenn die Ansicht des Kopernikus sich bewahrheiten sollte, man es ohne Schwierigkeit so erklären dürfte, wie jene Stelle des Vergil:


terraeque urbesque recedunt,

es entweichen die Länder und Städte.


Indessen fährt man in Italien und Spanien und selbst in den Erbstaaten des Kaisers unaufhörlich fort, die Lehre des Kopernikus zum großen Schaden jener Völker zu unterdrücken, deren Geist sich zu den schönsten Entdeckungen erheben könnte, wenn sie eine vernünftige und philosophische Freiheit genössen.

§ 12. Philalethes. Die herrschenden Leidenschaften scheinen, wie sie sagen, in der Tat die Quelle unserer Liebe für die Hypothesen zu sein, aber sie erstrecken sich noch viel weiter. Die größtmögliche Wahrscheinlichkeit wird nicht dazu dienen, einem Geizigen oder Ehrsüchtigen sein Unrecht begreiflich zu machen, und ein Liebender wird sich mit der größten Leichtigkeit von der Welt von seiner Geliebten anführen lassen, so wahr ist der Satz, daß wir leicht glauben, was wir wünschen, und nach der Bemerkung des Vergil:


qui amant, sibi somnia fingunt,

erschaffen sich Träume, die lieben.


Man bedient sich aus diesem Grunde zweier Mittel, um den augenscheinlichsten Wahrscheinlichkeiten, wenn sie unsere Leidenschaften und Vorurteile bekämpfen, auszuweichen. § 13. Das erste ist der Gedanke, daß in dem uns entgegengehaltenen Beweisgründe irgend ein Trugschluß verborgen sei. § 14. Und das zweite ist die Voraussetzung, daß wir ebenso gute und selbst bessere Gründe, um den Gegner zu schlagen, auf die Bahn bringen könnten, wenn wir die bequeme Gelegenheit, Geschicklichkeit oder Hilfe hätten, die sie aufzufinden nötig ist. § 15. Diese Mittel, sich gegen das Überzeugtwerden zu wehren, sind mitunter gut, aber mitunter auch Sophismen, wenn der Gegenstand hinlänglich[575] klargemacht worden ist, und man alles in Rechnung gezogen hat; denn nachdem dies geschehen ist, kann man im ganzen erkennen, auf welcher Seite die Wahrscheinlichkeit sich findet. Auf diese Art ist z.B. keine Veranlassung zu zweifeln, daß die organischen Wesen viel mehr durch die von einem vernünftigen Agens geleiteten Bewegungen als durch das zufällige Zusammentreffen der Atome gebildet worden sind, so wie es niemand gibt, welcher im allergeringsten darüber ungewiß ist, ob die vom Druck herrührenden Buchstaben, welche eine verständige Rede bilden, durch einen aufmerksamen Menschen oder durch eine verworrene Mischung so zusammengebracht worden sind. Ich möchte also annehmen, daß es nicht von uns abhängt, bei solchen Gelegenheiten unsere Zustimmung aufzuschieben, aber wir können das, wenn die Wahrscheinlichkeit weniger ersichtlich ist, und mögen uns dann selbst mit den schwächsten Beweisen begnügen, die mit unserer Neigung sich am besten vertragen. § 16. Es scheint mir sogar wirklich nicht ausführbar, daß ein Mensch sich auf die Seite neigt, wo ihm die geringste Wahrscheinlichkeit erscheint; die Wahrnehmung, die Erkenntnis und Zustimmung sind nicht willkürlich, wie es nicht von mir abhängt, die Übereinstimmung zweier Vorstellungen zu sehen oder nicht zu sehen, wenn mein Geist darauf gerichtet ist. Gleichwohl können wir den Fortschritt unserer Untersuchungen freiwillig aufhalten, sonst könnten Unwissenheit und Irrtum in keinem Fall eine Sünde sein. In dieser Hinsicht üben wir also unsere Freiheit aus. Allerdings nimmt man in den Fällen, wobei kein Interesse obwaltet, die allgemeine Meinung oder die Ansicht des ersten besten an, aber in den Punkten, wo unser Glück oder Unglück im Spiel ist, läßt sich unser Geist ernstlicher darauf ein, die Wahrscheinlichkeiten zu wägen, und ich meine, daß in diesem Falle, d.h. wenn wir Aufmerksamkeit haben, wir nicht die Wahl haben, uns für diejenige Seite zu entscheiden, welche wir wollen, wenn zwischen den beiden Parteien ganz und gar sichtbare Unterschiede vorhanden sind, und dann wird vielmehr die größte Wahrscheinlichkeit unsere Zustimmung bestimmen müssen.

Theophilus. Ich bin im Grunde ihrer Ansicht; auch haben wir uns in unseren früheren Gesprächen, als wir[576] von der Freiheit redeten, hinlänglich darüber erklärt. Damals habe ich gezeigt, daß wir niemals das glauben, was wir wollen, sondern vielmehr das, was wir als das Wahrscheinlichste erblicken, und daß wir nichtsdestoweniger uns indirekt dasjenige können glauben machen, was wir wollen, indem wir nämlich die Aufmerksamkeit von einem mißliebigen Gegenstande abwenden, um sie auf einen anderen zu richten, der uns gefällt, wodurch es geschieht, daß wir durch fortgesetztes Erfassen der Gründe für einen Lieblingssatz endlich an ihn als den wahrscheinlichsten glauben. Was die Meinungen anbetrifft, welche uns nicht interessieren, und die wir auf oberflächliche Gründe hin annehmen, so geschieht dies, wenn man beinahe nichts bemerkt, was dem widerspricht, und wir finden, daß die uns im günstigen Lichte dargestellte Meinung die entgegengesetzte Ansicht, welche in unserer Auffassung nichts für sich hat, ebensoviel und mehr übertrifft, als wenn für die eine und andere Seite viele Gründe vorhanden gewesen wären. Denn der Unterschied zwischen 0 und 1 oder zwischen 2 und 3 ist ebenso groß, wie der zwischen 9 und 10, und wir bemerken dieses Übergewicht, ohne an die Prüfung zu denken, welche zum Urteilen noch nötig sein würde, aber wozu uns nichts einladet.

§ 17. Philalethes. Das letzte falsche Wahrscheinlichkeitsmaß, an das ich zu erinnern die Absicht habe, ist die falsch verstandene Autorität, welche mehr Menschen in der Unwissenheit und im Irrtum hält, als alle die übrigen zusammen. Wieviel Leute sieht man, die für ihre Ansicht keinen anderen Grund haben, als die unter ihren Freunden und unter ihren Standes-oder Partei- oder Landesgenossen angenommenen Meinungen? Irgend eine Meinung ist von dem ehrwürdigen Altertum gebilligt gewesen, sie kommt mir unter dem Freibrief der früheren Jahrhunderte zu; andere gehen sich ihr hin, darum bin ich vor dem Irrtum geschützt, wenn ich sie annehme. Es wäre ebenso begründet, das Los zu werfen, um seine Meinungen zu fassen, als auf solche Regeln hin sie zu wählen. Außer dem, daß alle Menschen dem Irrtum unterworfen sind, würden wir, glaube ich, wenn wir die geheimen Triebfedern sehen könnten, welche die gelehrten und Parteihäupter in Bewegung setzen, oft[577] etwas ganz anderes finden als die reine Liebe zur Wahrheit. Es gibt wenigstens sicherlich keine so abgeschmackte Meinung, welche nicht auf diesen Grund hin angenommen werden könnte, da es keinen Irrtum gibt, der nicht seine Parteigänger hat.

Theophilus. Man muß indessen zugeben, daß man in vielen Fällen nicht umhin kann, sich der Autorität hinzugeben. St. Augustinus hat ein recht hübsches Buch de utilitate credendi (über den Nutzen des Glaubens) geschrieben, welches über diesen Gegenstand gelesen zu werden verdient: und was die angenommenen Meinungen angeht, so haben sie etwas Ähnliches für sich, als das, was die Juristen Präsumption (günstiges Vorurteil) nennen. Obgleich man nicht genötigt sein mag, ihnen immer ohne Beweis zu folgen, so ist man doch ebensowenig berechtigt, sie im Geiste eines anderen zu zerstören, ohne gegenteilige Beweise zu haben. Es ist nämlich nicht erlaubt, ohne Grund etwas zu verändern. Man hat viel über den Beweis gestritten, welcher von der großen Zahl der Bekenner einer Ansicht hergenommen wird, seitdem der verstorbene Nicole sein Buch über die Kirche veröffentlicht hat, aber alles, was man aus diesem Beweis ziehen kann, wenn es sich darum handelt, einen Grund anzuerkennen, nicht aber eine Tatsache zu beglaubigen, kommt nur auf das, was ich eben bemerkt habe, zurück. Und wie hundert Pferde nicht schneller laufen als ein Pferd, obwohl sie mehr ziehen können, so ist es ebenso mit hundert Menschen, verglichen mit einem; sie können nicht schneller gehen, aber erfolgreicher arbeiten, sie können nicht besser urteilen, aber sie werden imstande sein, mehr Stoff zu liefern, an dem das Urteil geübt werden kann. Das ist der Sinn des Sprüchworts: plus vident oculi quam oculus (vier Augen sehen mehr als zwei). Man bemerkt das in den Versammlungen, wo in Wahrheit viele Betrachtungen auf die Bahn gebracht werden, die vielleicht einem oder zweien entgehen; man läuft aber die Gefahr, indem man über alle diese Zweifel beschließt, nicht das beste Teil zu ergreifen, wenn nicht gescheite Leute dabei sind, welche mit dem Durcharbeiten und Erwägen derselben betraut werden. Darum haben verschiedene urteilsvolle Theologen der römischen Glaubenspartei in der Einsicht, daß die Autorität der Kirche[578] d.h. die der an Würde höchsten und von der großen Masse am meisten gestützten, in Sachen der Vernunft auch unsicher sein könne, dieselbe auf die bloße Bezeugung von Tatsachen unter dem Namen der Tradition zurückgeführt. Dies war die Meinung Heinrich Holdens, eines Engländers und Lehrers an der Sorbonne, Verfassers eines »Analyse des Glaubens« betitelten Werkes, worin er gemäß den Prinzipien des Kommonitoriums Vincents von Lerina den Satz aufstellt, daß man in der Kirche keine neuen Entscheidungen geben dürfe, und daß alles, was die im Konzil versammelten Bischöfe tun können, darin besteht, die Tatsache der in ihren Diözesen allgemein angenommenen Lehre zu bezeugen. Das Prinzip ist ansprechend, solange man bei den Allgemeinheiten bleibt, aber wenn man zur Sache kommt, so findet sich, daß verschiedene Länder verschiedene Meinungen seit langer Zeit angenommen haben, und daß man noch dazu in den nämlichen Ländern von dem einen zum entgegengesetzten anderen – trotz der Arnauldschen Argumente gegen die unmerklichen Veränderungen – übergegangen ist; daß man sich überdies oft, ohne sich auf die bloße Beglaubigung zu beschränken, in das Urteilen selbst eingemischt hat. Im Grunde ist's auch die Meinung des gelehrten bayerischen Jesuiten Gretser, Verfassers einer von den Theologen seines Ordens anerkannten Glaubensanalyse, daß die Kirche über die Streitpunkte richten kann, indem sie neue Glaubenssätze gründet, da ihr der Beistand des heiligen Geistes verheißen ist, obwohl man diese Ansicht meistens zu verhüllen trachtet, besonders in Frankreich, wie wenn die Kirche nur die schon aufgestellten Lehren zu erläutern hättet. Aber die Erläuterung ist ein schon angenommener Satz oder ein neuer, den man aus der angenommenen Lehre zu gewinnen glaubt. Die Praxis widersetzt sich meistens dem ersteren Sinn, und was kann im zweiten Sinne der aufgestellte neue Satz anderes als ein neuer Glaubenssatz sein?

Ich bin indessen nicht der Ansicht, daß man das Altertum in Religionssachen verachten dürfe, und glaube sogar, man dürfe sagen, daß Gott die wirklich ökumenischen Konzilien bisher vor jedem Irrtum, welcher der Heilslehre zuwider läuft, bewahrt hat. Übrigens[579] ist Parteivorurteil ein wunderliches Ding. Ich habe Leute mit Eifer eine Meinung umfassen sehen, allein aus dem Grunde, daß sie in ihrem Stande angenommen war oder selbst allein deshalb, weil sie der eines Mitgliedes einer Religionsgemeinschaft oder eines Volkes, die sie nicht liebten, zuwider war, wenn auch die betreffende Frage mit der Religion und dem Volksinteresse fast nichts gemein hatte. Sie kannten vielleicht nicht einmal die wahre Quelle ihres Eifers, aber ich merkte, daß sie auf die erste Nachricht, daß der oder jener dies oder jenes geschrieben habe, in den Bibliotheken herumwühlten und sich aufstachelten, um etwas zur Widerlegung zu finden. Dies geschieht auch oft von denen, welche auf den Universitäten Thesen verteidigen und sich gegen ihre Gegner auszuzeichnen suchen. Was sollen wir aber von den in den symbolischen Büchern selbst unter den Protestanten vorgeschriebenen Lehren sagen, welche man oft zu beschwören genötigt ist? Und von denen einige glauben, sie bedeuteten bei uns nur die Verpflichtung zu dem Bekenntnis dessen, was diese Bücher oder Formulare von der heiligen Schrift enthalten, worin wieder andere ihnen widersprechen. Und in den religiösen Orden der römischen Kirche schreibt man, indem man mit den in der Kirche geltenden Lehren sich nicht begnügt, den Lehrern noch engere Schranken vor, wie die von dem General der Jesuiten Claudius Aquaviva, wenn ich mich nicht irre, in deren Schulen verbotenen Lehrsätze es bezeugen. Gut wäre es – (um dies im Vorübergehen zu bemerken) – wenn man eine systematische Sammlung der durch Konzilien, Päpste, Bischöfe, Oberen, Fakultäten entschiedenen und verworfenen Sätze machte, welche der Kirchengeschichte zum Nutzen sein würde. Man kann zwischen Lehren und Annehmen einer Ansicht unterscheiden. Es gibt auf der ganzen Welt keinen Eid und kein Verbot, welches jemand bei derselben Ansicht zu verbleiben zwingen könnte, denn die Überzeugungen sind an sich unwillkürlich; aber eine Lehre zu lehren, welche für gefährlich gilt, kann und muß man sich enthalten, wenn es nicht gegen die Gewissenspflicht läuft; und im letzteren Falle muß man sich aufrichtig erklären und, falls man zu lehren berufen ist, seine Stelle niederlegen, immer vorausgesetzt, daß man es tun könne, ohne[580] sich einer äußersten Gefahr auszusetzen, die einen zwingen könnte, sich ohne Aufsehen zu entfernen. Ein anderes Mittel aber, die Rechte des Publikums und des einzelnen zu vereinigen, gibt es nicht, da das eine verhindern muß, was es für schlimm erachtet, und der andere der von seinem Gewissen geforderten Pflichten sich nicht entschlagen kann.

§ 18. Philalethes. Dieser Gegensatz zwischen dem Publikum und dem einzelnen und selbst zwischen den öffentlichen Meinungen der verschiedenen Parteien ist ein unvermeidliches Übel. Aber oft sind eben diese Gegensätze nur scheinbar und bestehen nur in den Formeln. Ich bin auch zu erklären verpflichtet, um dem menschlichen Geschlechte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, daß es nicht so viel im Irrtum verstrickte Leute gibt, als man gewöhnlich voraussetzt, nicht daß ich glaube, sie besitzen die Wahrheit, sondern weil sie in der Tat über die Lehren, von denen man soviel Aufhebens macht, absolut keine feste Meinung haben und, ohne etwas zu prüfen und nur mit den oberflächlichsten Vorstellungen über die betreffende Angelegenheit im Kopfe, entschlossen sind, sich fest zu ihrer Partei zu halten, wie Soldaten, welche die von ihnen verteidigte Sache nicht prüfen; und wenn das Leben eines Menschen zeigt, daß er keine aufrichtige Rücksicht auf die Religion nimmt, so genügt es ihm, Hand und Zunge zur Behauptung der gemeinsamen Meinung bereit zu halten, um sich denen, welche ihm Unterstützung gewähren können, zu empfehlen.

Theophilus. Diese von Ihnen dem menschlichen Geschlechte zugestandene Gerechtigkeit gereicht ihm nicht zum Lobe, und die Menschen wären eher zu entschuldigen, wenn sie aufrichtig ihren Meinungen folgten, als wenn sie sie aus Interesse erheucheln. Indessen ist in ihrem Ton vielleicht doch noch mehr Aufrichtigkeit, als Sie zu verstehen zu geben scheinen. Denn sie können ohne irgend welche Erkenntnis des Grundes zu einem blinden Glauben gekommen sein, indem sie sich allgemein und bisweilen blindlings aber häufig ohne Arg dem Urteile anderer unterwerfen, deren Autorität sie einmal anerkannt haben. Allerdings trägt das Interesse, das sie darin finden, zu dieser Unterwerfung bei, aber das hindert nicht, daß sich endlich die Meinung bildet.[581] In der römischen Kirche begnügt man sich fast mit diesem dunklen Glauben, da es in ihr keinen aus der Offenbarung herstammenden Lehrsatz gibt, der in ihr für absolut grundlegend erachtet wird und für notwendig gilt »necessitate medii«, d.h. an den zu glauben eine zur Seligkeit notwendige Bedingung ist. Sie sind es aber alle »necessitate praecepti«, durch die Notwendigkeit, daß darin gelehrt wird, der Kirche zu gehorchen, wie man es nennt, und der darin aufgestellten Lehre alle gebührende Aufmerksamkeit zu widmen, alles unter der Strafe der Todsünde. Aber diese Notwendigkeit erheischt nur eine vernünftige Neigung sich belehren zu lassen und verpflichtet nach den gelehrtesten Kirchenlehrern nicht unbedingt zur Zustimmung. Indessen glaubte selbst der Kardinal Bellarmin, daß nichts besser wäre als dieser Kinderglaube, der sich einer geltenden Autorität unterwirft; und mit Genugtuung erzählt er die Anrede eines Sterbenden an den Teufel, welchen er durch diesen, von ihm oft wiederholt gehörten Zirkelspruch verscheuchte:


Ich glaube, was die Kirche glaubt;

Die Kirche glaubt, was ich glaube.

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Leipzig 21904, S. 567-582.
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