Kapitel XXVI.

Von der Ursache und Wirkung und einigen anderen Relationen

[218] §§ 1. 2. Philalethes. Ursache ist dasjenige, was eine einfache oder nicht zusammengesetzte Vorstellung hervorbringt, und Wirkung ist das, was hervorgebracht wird.

Theophilus. Ich sehe, daß Sie unter Vorstellung oft die objektive Realität der Vorstellung oder die von ihr vorgestellte Eigenschaft verstehen. Sie definieren nur die wirkende Ursache, wie ich schon oben bemerkt habe. Man muß zugehen, daß, wenn man sagt: Wirkende Ursache ist das, was hervorbringt, und Wirkung das, was hervorgebracht wird, – man nur gleichbedeutende begriffe braucht, freilich habe ich Sie ein wenig deutlicher sagen hören, Ursache sei, was da macht, daß etwas anderes dazusein anfange, obwohl auch dies Wort »macht« die hauptsächliche Schwierigkeit noch ganz bestehen läßt. Aber dies wird sich ein andermal besser erläutern lassen.

Philalethes. Um noch einige andere Relationen zu berühren, so bemerke ich, daß es Ausdrücke gibt die man zur Bezeichnung der Zeit anwendet. Man betrachtet diese gewöhnlich als nur positive Vorstellungen bezeichnend, die indessen doch relative sind, wie jung, alt usw.; denn sie schließen eine Beziehung zur gewöhnlichen Dauer der Substanz, welcher man sie zuschreibt, in sich. So wird ein Mensch im Alter von 20 Jahren jung genannt, und sehr jung im Alter von 7 Jahren. Alt nennen wir indessen ein Pferd von 20 und einen Hund von 7 Jahren. Aber wir sagen nicht, die Sonne und die Sterne, ein Rubin oder ein Diamant seien alt oder jung, weil wir die gewöhnlichen Zeitabschnitte ihrer Dauer nicht kennen. – § 5. Dasselbe findet hinsichtlich des Ortes und der Ausdehnung statt, wie wenn man sagt, daß etwas hoch oder niedrig, groß oder klein sei. So erscheint einem Flamänder ein Pferd sehr klein, welches nach der Vorstellung eines Wallisers groß wäre; jeder denkt an die Pferde, welche man in seinem Vaterlande zieht.

Theophilus. Diese Bemerkungen sind sehr triftig. Allerdings entfernen wir uns mitunter ein wenig von dieses[218] Sinn, wie wenn wir sagen, daß etwas alt ist, indem wir es nicht mit Dingen seiner Art, sondern mit anderen Arten vergleichen. Wir sagen z.B., daß die Welt oder die Sonne sehr alt ist. Jemand fragte Galilei, ob er glaubte, daß die Sonne ewig sei. Er antworteten: Eterno nò, ma ben antico (Nicht ewig, aber sehr alt).

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Leipzig 21904, S. 218-219.
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