Kapitel XXXII.

Von den wahren und falschen Vorstellungen

[266] § 1. Philalethes. Da die Wahrheit und die Falschheit sich nur auf die Sätze beziehen, so folgt daraus, daß, wenn die Vorstellungen wahr oder falsch genannt werden, stillgestanden ein Satz oder eine Behauptung dabei gemeint ist, – § 3 oder eine stillschweigende Voraussetzung ihrer Übereinstimmung mit etwas; – § 5 besonders mit allem dem, was andere mit diesem Namen bezeichnen (wie wenn sie von der Gerechtigkeit reden), sowie mit dem, was wirklich vorhanden ist, z.B.: das ist ein Mensch und nicht ein Centaur, sowie mit der Wesenheit, von der die Eigenschaften der Sache abhangen; und in diesem Sinne sind unsere gewöhnlichen Vorstellungen von den Substanzen falsch, wenn wir uns die Phantasiebilder gewisser substantieller formen machen. Übrigens wäre es besser, wenn die Vorstellungen richtig oder unrichtig als wahr oder falsch genannt würden.

Theophilus. Man könnte, glaube ich, darunter auch die wahren oder falschen Vorstellungen verstehen, aber da diese verschiedenen Bedeutungen miteinander nicht übereinkommen und nicht bequem unter einen allgemeinen Begriff gebracht werden können, so ziehe ich es vor, die Vorstellungen wahr oder falsch zu nennen in Bezug auf eine andere stillschweigende Bejahung, welche sie alle aufhalten, nämlich die der Möglichkeit. So gefaßt, sind die möglichen Vorstellungen wahr und die unmöglichen falsch.

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Leipzig 21904, S. 266.
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