[63] 14. Vergebliche Weltflucht

Meister Liä Dsï wollte nach Tsi, kehrte aber auf halbem Wege wieder um. Da begegnete er dem Be Hun Wu Jen. Der sprach: »Was kommst du schon wieder zurück?« Er sprach: »Ich fürchte mich.« »Ach, du fürchtest dich?« »Ich aß unterwegs in zehn Garküchen, und fünfmal setzten sie mir, ohne Geld zu nehmen, die Suppe hin.« »Nun gut, warum brauchst du dich da zu fürchten?« Er sprach: »Innere Wahrheit läßt sich nicht erraten, Gestalt und Klugheit scheint nach außen. Wenn man aber nur mit seinem Äußeren auf die Menschen Eindruck macht, so bringen sie einem leichthin allerlei Ehren dar, und daraus entsteht nur Leid und Verwirrung. Nun betreiben die Garköche den Verkauf ihrer Nahrungsmittel als Gewerbe, nicht viel haben sie übrig als Gewinn. Ihr Streben nach Vorteil und Macht ist nicht heftig. Und wenn trotzdem schon sie so zu mir waren, wie wäre es da erst beim Fürsten des Landes ergangen, auf dessen Person die Last des Reiches ruht und dessen Weisheit zu Ende ist in seinen Staatsgeschäften. Der würde mich sicher mit Staatsgeschäften betraut und große Taten von mir verlangt haben. Darum habe ich mich gefürchtet.«[63]

Be Hun Wu Jen sprach: »Du zeigst eine prachtvolle Vorsicht! Aber wenn du dich auch zurückziehst: sieh zu, die Leute werden dich doch überlaufen.«

Nicht lange danach ging er zu ihm. Da war vor der Tür alles voll von Schuhen. Be Hun Wu Jen blieb mit dem Gesicht nach der Tür stehen und stützte das Kinn auf seinen Stab. Nach einer Weile ging er weg, ohne ein Wort zu sagen. Der Pförtner sagte es dem Liä Dsï. Liä Dsï nahm seine Schuhe auf und lief ihm barfuß nach.

Er holte ihn am Hoftor ein und fragte ihn: »Meister, da du doch einmal gekommen bist, willst du mir nicht einen heilsamen Rat spenden?« Jener sprach: »Es ist zu spät! Ich habe dir ja gesagt, daß die Menschen dich überlaufen werden, und nun ist's richtig so, daß sie dich überlaufen. Darum handelt sich's nicht, daß du verstehst die Leute anzuziehen, daß sie dich überlaufen, sondern darum, daß du es nicht verstehst zu machen, daß sie dich nicht überlaufen. Was brauchst du auf sie zu wirken? Sobald einmal die Wirkung auf andere sich erstreckt, gibt es sicher eine Gegenwirkung. Dein eignes Ich wird schwankend und du merkst es nicht. Die mit dir wandeln, sagen es nicht. Ihr leer Gerede ist für Menschen Gift. Bewußtlos, achtlos, wie kann man so einander zur Reife helfen!«

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 63-64.
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