[64] 15. Bescheidenheit

Yang Dschu war im Süden von Pe. Lau Dan wanderte im Westen in Tsin. Als jener an die Grenze kam bei Liang, traf er den Lau Dsï (Laotse). Mitten auf dem Wege blickte Lau Dsï zum Himmel empor und seufzte: »Ich dachte erst, man könnte dich lehren, nun aber bist du doch unbelehrbar.« Yang Dsï erwiderte nichts.

Als sie zur Herberge kamen und er fertig war mit Waschen, Mundausspülen, Abtrocknen und Kämmen, zog er seine[64] Schuhe aus vor der Tür und begab sich auf den Knien vor ihn hin und sprach: »Vorhin hat der Meister gen Himmel geblickt und seufzend gesprochen: ›Ich dachte erst, man könnte dich lehren, nun aber bist du doch unbelehrbar.‹ Ich wollte gern den Meister um ein Wort der Erklärung bitten, aber beim Gehen war nicht Muße, darum wagte ich es nicht. Nun hat der Meister Muße, und ich bitte um Aufschluß über meine Fehler.«

Lau Dsï sprach: »Du hast so etwas Selbstzufriedenes in deinem Blick. Da mag niemand mit dir sein.


Die höchste Reinheit erscheint als Schmach,

Das weite Leben erscheint als ungenügend.«


Yang Dsï errötete beschämt und sprach: »Ich will mirs gewissenhaft zu Herzen nehmen.«

Als er in die Herberge eingetreten, war er zuvorkommend empfangen worden, der Wirt hatte eine Matte gebracht, die Wirtin ein Handtuch, die Gäste waren von ihren Plätzen aufgestanden, und die sich wärmten, hatten ihm am Herde Platz gemacht. Als er herauskam, da machten ihm die Gäste die Matte streitig.

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 64-65.
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