[70] 21. Der Sophist

Hui Yang kam zum König Kang von Sung. Der König Kang sprang auf und rief erregten Tones: »Was Uns erfreut, ist Heldenmut und Kraft. Wir mögen nicht Gerechtigkeit und Liebe. Womit kannst du, o Fremdling, Uns belehren?«

Hui Yang erwiderte: »Ich habe ein Mittel, dadurch wird der Mensch fest, also daß auch eines Heiden Stich nicht in ihn eindringen und eines Starken Schlag ihn nicht treffen kann. Hat der große König allein keinen Sinn dafür?« Der König von Sung sprach: »Gut! Das ist's, was Wir zu hören wünschen.«

Hui Yang sprach: »Stechen, ohne zu verletzen; schlagen, ohne zu treffen, ist eine Schande. Ich habe ein Mittel, das macht, daß ein Mensch, sei er auch heldenhaft, nicht mehr zu stechen, sei er auch stark, nicht mehr zu schlagen wagt. Das nicht mehr zu wagen, heißt aber noch nicht, es gar nicht mehr wollen. Ich habe ein Mittel, das macht, daß der Mensch von sich aus gar[70] nicht mehr den Willen zu solchen Taten hat. Diesen Willen nicht zu haben, ist aber noch nicht so gut, als den Vorteil zu lieben. Ich habe ein Mittel, das macht, daß alle Männer und Weiber auf der ganzen Welt freudig den Vorteil lieben wollen. Das ist noch besser als Heldenmut und Kraft und höher als aller Rang und Stand. Hat der große König allein keinen Sinn dafür?« Der König von Sung sprach: »Das ist's, was Wir zu erlangen wünschen.«

Hui Yang erwiderte: »Kung und Mo hatten es schon. Kung Kiu und Mo Di hatten kein Land und waren doch Fürsten, keine Diener und waren doch Herren. Auf der ganzen Welt alle Männer und Weiber reckten die Hälse und standen auf den Zehen und hofften Heil und Frieden von ihnen. Du, großer König, bist ein mächtiger Herrscher. Wenn Du wirklich diesen Willen hast, so werden alle in Deinem Reich Dein Heil erlangen. Das ist noch weit mehr als Kung und Mo.« Der König von Sung wußte nichts zu erwidern. Da ging Hui Yang eilends hinaus.

Der König von Sung sprach zu seinem Gefolge: »Diese Zungenfertigkeit! Der Fremdling hat durch sein Reden Uns überwältigt.«

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 70-71.
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