[51] 4. Sammlung des Geistes

Liä Dsï fragte den Guan Yin und sprach: »Die Adepten gehen durch Gegenstände ohne Hindernis hindurch, sie treten auf Feuer und werden nicht heiß, sie wandeln über der Welt dahin und zittern nicht. Darf ich fragen, wodurch man diese Stufe erreichen kann?«

Guan Yin sprach: »Es ist das die Bewahrung der reinen Kraft, nicht Weisheit, Gewandtheit, Entschlossenheit oder Wagemut. Setz' dich: ich will mit dir darüber reden. Alles was Gestalt, Klang und Farbe hat, ist ein Ding. Ein Ding ist von dem andern nicht räumlich entfernt, ein Ding ist dem andern nicht zeitlich voran: das alles ist nur Erscheinung. Die Dinge entstehen jenseits der Form und enden jenseits des Wandelbaren. Wer das erreichen und ergründen könnte – der könnte wohl Vollkommenheit erlangen. Der würde weilen im Maß ohne Lüste und würde sich bergen in spurloser Zeit. Er wandelt umher, da wo alle Dinge beginnen und enden. Er macht seine Natur einheitlich, er nährt seine Kraft, er hält sein WESEN zusammen, um durchzudringen zur Entstehung der Dinge. Wer also ist, dessen Geist wahrt völlige Geschlossenheit, dessen Seele ist ohne Mangel, wo könnten da die Dinge in ihn eindringen?

Nimm einen Betrunkenen, der vom Wagen fällt. Fällt er auch heftig, er stirbt nicht daran. Seine Knochen sind wie die der andern Leute, aber er bleibt von deren Beschädigung verschont.[51] Das macht: seine Seele ist in sich abgeschlossen. Er merkt weder, wie er fährt noch wie er fällt. Leben und Tod, Schrecken und Furcht dringen nicht in seine Brust, darum braucht er die Dinge, die er begegnet, nicht zu fürchten. Wenn nun dieser Mensch im Wein eine solche völlige Abgeschlossenheit erlangt! Der Berufene ist geborgen im Geist, darum können ihm die Außendinge nicht schaden.«

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 51-52.
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