[78] 5. Verschiedene Wertung von Wachen und Traum

Im südlichsten Winkel des Westpols ist ein Land. Man weiß nicht, wohin sich seine Grenzen erstrecken. Sein Name heißt Gu-Mang-Reich. Dort kreuzen sich nicht die Kräfte des Trüben und Lichten, darum gibt es nicht den Unterschied von Kälte und Wärme. Das Licht von Sonne und Mond scheint nicht, darum gibt es nicht den Unterschied von Tag und Nacht. Die Leute essen nicht und kleiden sich nicht, sondern schlafen meist. Alle fünfzig Tage wachen sie nur einmal auf. Sie halten das, was sie im Traum tun, für wirklich und das, was sie im Wachen sehen, für nichtig.

Inmitten der vier Meere liegt das Reich der Mitte; es breitet sich im Nord und Süd des (gelben) Flusses aus und erstreckt sich im Ost und West des Großen Berges (Taischan) über tausend Meilen weit. Das Trübe und Lichte ist wohl begrenzt; darum wechselt Kälte und Wärme. Dunkel und Licht ist klar geschieden; darum wechselt Tag und Nacht. Unter den Leuten gibt es Weise und Toren. Die Natur gedeiht üppig, Kunst und Handwerk sind reich entwickelt, Fürst und Volk stehen einander nahe, Sitte und Recht stützen einander. Was sie tun und reden, läßt sich nicht alles einzeln aufzählen. Wachsein und Schlafen wechseln. Was man im Wachen tut, hält man für wirklich, was man im Traume sieht, für nichtig.

Im nördlichsten Winkel des Ostpols ist ein Land, das heißt Fu-Lo-Reich. Sein Klima ist beständig heiß. Sonne und Mond scheinen mit übermäßigem Licht. Die Erde erzeugt nicht gutes Getreide. Die Leute leben von Wurzeln und Baumfrüchten; sie kennen nicht gekochte Speisen. Ihre Natur ist hart[78] und grausam. Starke und Schwache bekämpfen einander. Sie ehren nur den Sieger und fragen nicht nach Recht. Sie laufen meist umher und ruhen selten. Sie wachen stets und schlafen nie.

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 78-79.
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