[81] 8. Schlimme Heilung

Hua Dsï aus Yang Li in Sung erkrankte in seinen mittleren Jahren an Vergeßlichkeit. Was er morgens genommen, hatte er abends vergessen; was er abends gegeben, hatte er morgens vergessen; unterwegs vergaß er zu gehen; daheim vergaß er zu sitzen; heute wußte er nicht mehr, was früher war; später wußte er nicht mehr, was heute war. Das ganze Haus war darüber im Unglück. Man bat den Zeichendeuter. Der[81] fragte das Orakel darüber, aber es kam kein Spruch. Man bat den Zauberer. Der betete darüber, aber er bannte es nicht. Man bat den Arzt. Der kurierte daran, aber es hörte nicht auf.

In Lu war ein Gelehrter, der bot sich selber an, es heilen zu können. Die Angehörigen des Hua Dsï boten ihm die Hälfte ihres Vermögens und baten um sein Mittel. Der Gelehrte sprach: »Das ist wahrlich nicht etwas, das durch Orakel erfragt oder durch Gebete erbeten oder durch Medizinen geheilt werden kann. Ich werde versuchen, sein Herz zu wandeln, seine Sorgen zu ändern, vielleicht wird es hernach besser.«

So versuchte er es denn und entblößte ihn, da bat er um Kleider; er ließ ihn hungern, da bat er um Speise; er sperrte ihn ins Dunkle, da bat er um Licht. Da sagte es der Gelehrte vergnügt seinem Sohne und sprach: »Die Krankheit kann geheilt werden. Doch ist mein Mittel ein Geheimnis, das man nicht andern sagen kann. Laßt einmal alle Umstehenden sich entfernen und mich allein mit ihm bleiben sieben Tage lang.« Sie folgten ihm und wußten nicht, was er mit ihm tat. Und wirklich war die Krankheit vieler Jahre an Einem Morgen ganz verschwunden.

Als Hua Dsï nun zu sich gekommen war, da ward er sehr zornig. Er vertrieb sein Weib und schlug seinen Sohn und nahm einen Speer und verfolgte damit den Gelehrten. Die Leute von Sung hielten ihn fest und fragten, warum er das tue. Hua Dsï sprach: »Vorher war ich in Vergessenheit versunken und gleichgültig. Ich merkte nicht, ob es eine Welt gab oder nicht. Nun bin ich zum Bewußtsein erwacht, und was mir während dieser Jahrzehnte widerfahren an Bestehen und Vergehen, Gewinn und Verlust, Trauer und Freude, Liebe und Haß, regt sich mit tausend Verstrickungen verwirrend in mir. Ich fürchte, daß auch Bestehen und Vergehen, Gewinn und Verlust, Trauer und Freude, Liebe und Haß der Zukunft also mein Herz verwirren werden. O, daß ich doch jene Vergessenheit[82] auch nur auf einen Augenblick wieder finden könnte!«

Dsï Gung vernahm davon und wunderte sich darüber, also daß er es dem Meister Kung erzählte. Meister Kung sprach: »Das ist nichts, das du verstehen könntest.« Er wandte sich darauf an Yän Hui und sagte: »Merk es dir!«

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 81-83.
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