[119] 1. Streit der Urmächte

Die Willenskraft sprach zum Schicksal: »Deine Wirkungen können sich den meinigen nicht vergleichen.« Das Schicksal sprach: »Was hast du für Wirkungen auf die Natur, daß du dich mir vergleichen willst?« Die Willenskraft sprach: »Langes und kurzes Leben, Erfolg und Mißerfolg, Ehre und Niedrigkeit, Armut und Reichtum: das alles steht in meiner Macht«.

Das Schicksal sprach: »Der Großvater Peng war nicht weiser als die heiligen Herrscher Yau und Schun und wurde doch achthundert Jahre alt. Yän Yüan (der Lieblingsjünger Kungs) war an Begabung nicht geringer als die andern und mußte doch mit zweiunddreißig Jahren sterben. Kungs Geisteskraft war nicht geringer als die der Fürsten seinerzeit, und doch kam er in Not zu Tschen und Tsai. Der Wandel des Tyrannen Dschou Sin aus dem Hause Yin war nicht besser als der der drei Vollkommenen zu seiner Zeit, und doch saß er auf dem Herrscherthron. Der würdige Gi Dscha wurde nicht mit dem Wu-Gebiet belehnt, und der Mörder Heng aus dem Hause Tiän kam in den Besitz der Alleinherrschaft im Staate Tsi.

Die unbeugsam guten Brüder Be I und Schu Tsi verhungerten[119] am Schou-Yang-Berg, das böse Haus Gi ward reicher als Dschan Kin.

Wenn das alles durch dein Vermögen, o Willenskraft, gekommen ist, warum gabst du gerade jenem so langes Leben und diesem so kurzes? Warum gabst du dem Heiligen Mißerfolg und dem Sünder Erfolg? Warum machtest du den Würdigen niedrig und den Narren geehrt? Warum machtest du die Guten arm und die Bösen reich?«

Die Willenskraft sprach: »Wenn es so ist, wie du redest, dann habe ich allerdings keine Wirkung auf die Natur. Daß die Natur sich so verhält, das ist dann also etwas, das du gemacht?«

Das Schicksal sprach: »Wenn ich doch Schicksal heiße, wie kann da noch von ›machen‹ die Rede sein? Das Gerade treibe ich, das Krumme dulde ich. Hohes Alter, das aus sich selber kommt; frühes Sterben, das aus sich selber kommt; Erfolg und Mißerfolg, Ehre und Niedrigkeit, die aus sich selber kommen: die kann ich auch nicht erkennen, die kann ich auch nicht erkennen.«

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 119-120.
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