[135] 1. Über den Ruhm

Yang Dschu übernachtete bei seinen Wanderungen in Lu einmal im Hause der Familie Meng. Herr Meng fragte und sprach: »Schließlich ist doch jeder nichts weiter als ein Mensch; wozu dient der Ruhm?« Er antwortete: »Die nach Ruhm trachten, tun es, um reich zu werden.« – »Wenn aber einer reich ist, warum hört er auch dann noch nicht auf?« Er antwortete: »Um der Ehre willen.« – »Wenn aber einer geehrt ist, warum hört er auch dann noch nicht auf?« Er antwortete: »Um des Todes willen.« – »Wenn einer tot ist, was kann er dann da noch wollen?« Er antwortete: »Er kann für seine Kinder und Enkel sorgen.« – »Wie kann denn der Ruhm den Kindern und Enkeln nützen?« Er sprach: »Der Berühmte hat selber viel Mühsal und Sorgen. Die, denen sein Ruhm zugute kommt, das sind seine Stammesangehörigen; die Gewinn davon haben, sind seine Landsleute: wieviel mehr erst seine Kinder und Enkel!« – »Wer aber nach Ruhm trachtet, muß uneigennützig sein; Uneigennützigkeit aber führt zur Armut. Wer nach Ruhm trachtet, muß demütig sein; Demut aber führt zur Niedrigkeit.« Er sprach: »Guan Dschung war Kanzler in Tsi. Sein Fürst war ausschweifend, er war auch ausschweifend; sein Fürst war üppig, er war auch üppig. In seiner Willensrichtung stimmte er mit ihm überein; in seinen[135] Worten richtete er sich nach ihm. Sein Weg hatte Erfolg, und die Vorherrschaft im Reiche ward errungen. Nach seinem Tode aber war er einfach Guan Dschung und nichts weiter. Der Mann Tiän war Kanzler in Tsi. War der Fürst übermütig, so zeigte er sich herablassend; war der Fürst habgierig, so zeigte er sich freigebig. Alles Volk fiel ihm zu, und er kam so auf den Thron von Tsi, und seine Nachkommen haben es bis auf den heutigen Tag noch ununterbrochen zu genießen.« – »So bringt also wahrer Ruhm in Armut und heuchlerischer Ruhm in Reichtum?« Er sprach: »Was wahr ist, erlangt keinen Ruhm; was Ruhm genießt, ist nicht wahr. Alle die berühmten Männer sind Heuchler und nichts weiter. Vor alters haben Yau und Schun heuchlerischerweise das Reich dem Hü Yu und Schan Küan angeboten, darum haben sie das Reich nicht verloren und erfreuten sich eines hundertjährigen Alters. Be I und Schu Tsi haben in Wahrheit auf den Thron von Gu Dschu verzichtet und haben auch tatsächlich für immer ihr Reich verloren, also daß sie am Schou Yang-Berge Hungers starben. An diesen Beispielen kann man sehen, zu welch verschiedenen Erfolgen Wahrheit und Heuchelei führen.«

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 135-136.
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