[146] 11. Wert der Selbstsucht

[146] Yang Dschu sprach: »Be Tscheng Dsï Gau gab nicht Ein Haar her, um der Außenwelt zu nützen. Er ließ sein Reich im Stich und pflügte in der Verborgenheit sein Feld. Der Große Yü gab sein ganzes Ich hin, ohne sich zu nützen. Sein ganzer Leib verrunzelte darob. Die Menschen des Altertums gaben kein Haar her, und wenn sie damit der ganzen Welt hätten nützen können. Und umgekehrt, wenn alle in der ganzen Welt ihnen huldigen wollten, so nahmen sie es nicht an. Kein einziger gab ein Haar her, kein einziger nützte der Gesamtheit, und die Gesamtheit war in Ordnung.«

Meister Kin fragte den Yang Dschu und sprach: »Würdet Ihr wohl auf ein einziges Härchen Eures Leibes verzichten, wenn Ihr damit der ganzen Welt könntet aufhelfen?« Meister Yang sprach: »Der Welt kann unmöglich mit Einem Haar geholfen werden.« Meister Kin sprach: »Nehmen wir an, es könnte ihr dadurch geholfen werden: würdet Ihr es tun?« Meister Yang gab keine Antwort.

Meister Kin ging weg und redete mit Meng Sun Yang darüber. Meng Sun Yang sprach: »Ihr versteht des Meisters Sinn nicht. Darf ich es Euch erklären? Würdet Ihr bereit sein, Euch die Haut ritzen zu lassen, wenn ihr zehntausend Goldstücke dafür bekämet?« Er sprach: »Ich würde es tun.« Meng Sun Yang sprach: »Würdet Ihr bereit sein, Euch ein Glied abhacken zu lassen, wenn Ihr ein Königreich dafür bekämet?« Meister Kin schwieg. Nach einer Weile sprach Meng Sun Yang: »Ein Haar ist weniger als die Haut, die Haut ist weniger als ein Glied, das ist klar. Doch handelt es sich in dem Verhältnis von Haar und Haut, von Haut und Gliedern nur um ein Weniger oder Mehr. Ein Haar ist freilich nur der zehntausendste Teil des ganzen Leibes, aber warum soll man auch nur diesen Einen Teil gering achten?« Meister Kin sprach: »Ich vermag Euch nichts darauf zu erwidern. Aber die Sache steht so, daß wenn man Eure Worte dem Lau Dan[147] und Guan Yin vorlegte, sie Euch recht geben würden, wenn man aber meine Worte dem Mo Di und dem Großen Yü vorlegte, sie mir recht geben würden.«

Meng Sun Yang wandte sich darauf an seine Jünger und redete von anderen Dingen.

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 146-148.
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