[139] 7. Pflege des Lebens und Bestattung der Toten

[139] Bau Schu Ya befragte den Guan I Wu über die Pflege des Lebens. Guan I Wu sprach: »Sich ausleben ist das Ganze! Nichts verhindern, nichts unterdrücken!« Bau Schu sprach: »Und wie macht man das in jedem Falle?« Guan I Wu sprach: »Laß deine Ohren hören, was sie begehren! Laß deine Augen sehen, was sie begehren! Laß deine Nase riechen, was sie begehrt! Laß deinen Mund reden, was er begehrt! Laß deinen Leib genießen, was er begehrt! Laß deinen Willen tun, was er begehrt!

Die Ohren verlangt es nach Klängen und Tönen; wenn man sie ihnen nicht zu hören gibt, so unterdrückt man die Ausbildung des Gehörs. Die Augen verlangt nach Schönheit und Farben; wenn man sie ihnen nicht zu sehen gibt, so unterdrückt man die Ausbildung des Sehvermögens. Die Nase verlangt nach Düften und Wohlgerüchen; wenn man sie ihr nicht zu riechen gibt, so unterdrückt man die Ausbildung des Riechvermögens. Den Mund verlangt über Recht und Unrecht zu reden; wenn man ihn nicht darüber sprechen läßt, so unterdrückt man die Ausbildung der Klugheit. Den Leib verlangt der Pracht und Fülle zu genießen; wenn man ihn nicht gewähren läßt, so unterdrückt man sein Wohlbefinden. Den Willen verlangt darnach, sich unbehindert auszuwirken; wenn man ihn nicht so handeln läßt, so unterdrückt man seine Natur.

Alle diese Unterdrückungen sind schlimme Tyrannen. Wer diese schlimmen Tyrannen beseitigt, der kann fröhlich sein Ende erwarten, sei es einen Tag, einen Monat, ein Jahr oder zehn Jahre lang. Das nenne ich Pflege des Lebens. Wer diese schlimmen Tyrannen festhält, ihrer gedenkt und sie nicht preisgibt, der schleicht elend dahin, um ein hohes Alter zu erreichen; und ob er hundert Jahre alt würde oder tausend Jahre oder zehntausend: ich nenne das nicht Pflege des Lebens.«[140]

Guan I Wu sprach: »Nachdem ich dir nun über die Pflege des Lebens gesprochen, wie steht es da wohl mit der Bestattung des Toten?« Bau Schu Ya sprach: »Die Bestattung des Toten ist Nebensache; was braucht man darüber zu reden?« Guan I Wu sprach: »Ich möchte es aber doch von dir hören.« Bau Schu Ya sprach: »Wenn ich erst tot bin, was geht das Weitere mich dann noch an? Mag man mich verbrennen oder ins Wasser werfen; mag man mich begraben oder offen liegen lassen; mag man mich in Stroh wickeln und in einen Graben werfen oder in prächtige Gewänder hüllen und in einem steinernen Sarkophag beisetzen: das alles mag gehen, wie es will!«

Da blickte Guan I Wu den Bau Schu Ya an und sprach: »Des Lebens und des Todes Sinn haben wir beide erfaßt.«

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 139-141.
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