[144] 9. Der ungerechte Mammon

Duan Mu Schu im Staate We war ein Nachkomme Dsï Gungs. Er überkam das Vermögen seiner Vorfahren, so daß in seinem Hause Zehntausende von Goldstücken aufgehäuft waren. Da er nicht Ordnung halten konnte, so ließ dieser Nachkomme seinen Wünschen freien Lauf. Was die Menge zu tun begehrt, woran sich Menschengedanken zu erfreuen trachten: alles tat er, an allem erfreute er sich. Mauern und Häuser, Terrassen und Wandelgänge, Gärten und Parks, Teiche und Weiher, Speise und Trank, Wagen und Gewänder, Klänge der Musik und dienende Sklavinnen; das alles hatte er so reichlich wie die Fürsten von Tsi und Tschu. Was immer seinen Stimmungen zusagte, was Auge, Ohr und Mund ergötzen konnte, und waren es auch Erzeugnisse ferner Gegenden, die nicht im eignen Lande wuchsen: alles schaffte er herbei, als wären es Dinge innerhalb der eignen Zäune und Wände. Und wenn er reiste, so fragte er nicht nach Hindernissen und Gefahren durch Berge und Ströme, nicht nach[144] Länge und Ferne der Wege und Straßen: überall kam er hin, so leicht wie andere Menschen ein paar Schritte gehen. Der Gäste und Besucher verkehrten in seiner Halle täglich an die hundert. In der Küche ging Rauch und Feuer nie aus. In dem Saale über der Terrasse hörten die Klänge der Musik nie auf. Was von den aufgetragenen Speisen übrigblieb, verteilte er unter seine Verwandten; was die Verwandten übrigließen, verteilte er in der Nachbarschaft; was in der Nachbarschaft noch übrigblieb, verteilte er im ganzen Reich.

Als er nun in die sechziger Jahre kam und Leib und Seele alterten, da gab er seine häuslichen Geschäfte auf und verteilte alles. Was seine Kammern bargen an Perlen und Edelsteinen, Wagen und Gewändern, Weibern und Sklavinnen, war im Laufe eines Jahres alles zu Ende. Für seine Söhne und Enkel ließ er keinen Besitz mehr übrig. Und als er krank ward, war nichts mehr da, um Heilkräuter und Pulver zu kaufen. Als er starb, war kein Geld mehr da für seine Beerdigung.

Alle Leute im ganzen Reich hatten aber seine Wohltaten genossen. Sie taten sich nun zusammen und brachten Geld auf, um ihn zu beerdigen, und erstatteten seinen Söhnen und Enkeln ihr Vermögen wieder zurück.

Kin Gu Li (der Schüler des Mo Di) hörte davon und sprach: »Duan Mu Schu war ein Narr, der seinem Ahn Schande machte.«

Duan Gan Scheng hörte davon und sprach: »Duan Mu war ein großartiger Mensch, dessen Geist den seines Ahns noch übertraf. Wie er handelte, was er tat, davor scheuen sich die Gedanken der Menge, und doch hat er die wahre Vollkommenheit erlangt. Die Herren von We aber halten viel auf sich selbst wegen ihrer Moralvorschriften. Sie sind allerdings nicht imstande, die Gesinnung dieses Mannes zu verstehen.«

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 144-145.
Lizenz: