[165] 12. Festhalten des Sieges

[165] Der Kanzler Dschau Siang Dsï (von Dsin) ließ durch (den Feldherrn) Sin Dschï Mu Dsï die wilden Stämme im Norden des Reichs (Di) angreifen. Er siegte und nahm die beiden Bezirke der östlichen und der mittleren Horde ein. Er entsandte einen Eilboten, um die Nachricht zu überbringen. Siang Dsï war gerade beim Essen und wurde traurig darüber.

Seine Leute sprachen zu ihm: »An einem Morgen zwei Städte zu unterwerfen, das ist doch etwas, worüber sich die Menschen freuen. Weshalb zeigt Eure Hoheit sich darüber traurig?«

Siang Dsï sprach: »Das Hochwasser in den Flüssen dauert nicht länger als drei Tage. Ein Wirbelwind und ein Platzregen dauern keinen Morgen lang. Die Sonne verweilt keinen Augenblick im Mittag. Nun hat unser Geschlecht durch seinen Wandel noch nicht so viel Verdienste angesammelt. An einem Morgen zwei Städte zu unterwerfen, macht mich besorgt, daß uns der Untergang droht.«

Meister Kung hörte davon und sprach: »Das Geschlecht des Dschau wird sicher Glück haben!«

Wer Leid trägt, wird dadurch sein Glück machen; wer sich der Freude überläßt, wird dadurch seinen Untergang herbeiführen. Den Sieg zu erringen, ist nicht schwer; ihn festzuhalten ist schwer. Ein würdiger Herr hält seinen Sieg fest, und darum kommt sein Glück auf seine Nachkommen. Die Staaten Tsi, Tschu, Wu, Yüo haben alle einmal Siege errungen, und doch haben sie schließlich den Untergang sich zugezogen, weil es ihnen nicht gelang, den Sieg festzuhalten. Nur ein Herr, der den SINN der Wahrheit hat, vermag es, den Sieg festzuhalten. Meister Kung besaß so große Kraft, daß er die Falltür des Tors einer Hauptstadt aufhalten konnte, und doch verschmähte er es, durch seine Kraft berühmt zu werden. Meister Mo verstand es, den Angriff des Gung Schu Ban (auf die Hauptstadt des Staates Sung) erfolgreich abzuwehren,[166] und doch verschmähte er es, durch seine Kenntnisse im Waffenhandwerk berühmt zu werden. Darum, wer tüchtig ist im Festhalten des Sieges, hält seine Stärke für Schwäche.

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 165-167.
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