[163] 9. Vom Schaden des Spürsinns

Der Staat Dsin hatte unter Räubern zu leiden. Es gab aber einen Mann namens Hi Yung, der die Räuber am Gesicht erkannte. Indem er die Stelle zwischen Augenbrauen und Augenlid prüfte, fand er den Tatbestand heraus. Der Fürst[163] von Dsin ließ ihn alle Räuber beobachten, und unter Hunderten und Tausenden entging ihm nicht einer. Darüber war der Fürst von Dsin hocherfreut.

Er teilte es (seinem Kanzler) Dschau Wen Dsï mit und sprach: »Ich habe einen Mann gefunden, durch den ich sämtliche Räuber des ganzen Reiches beseitigen kann; was brauche ich noch mehr!«

Wen Dsï sprach: »Wenn Eure Hoheit sich auf solche Untersuchungen verläßt, um der Räuber habhaft zu werden, so werden die Räuber niemals alle werden, und außerdem wird Hi Yung nicht eines natürlichen Todes sterben.« Eines Tages kam die ganze Schar der Räuber zusammen zu gemeinsamer Beratung.

Sie sprachen: »Wer uns alle diese Schwierigkeiten bereitet, das ist Hi Yung.« Darauf taten sie sich zusammen und ermordeten ihn heimlich.

Als der Fürst von Dsin das hörte, erschrak er sehr. Er berief sofort den Wen Dsï, teilte es ihm mit und sprach: »Es ist richtig so gegangen, wie Ihr gesagt: Hi Yung ist tot. Was für ein Mittel gibt es nun, um der Räuber habhaft zu werden?«

Wen Dsï sprach:


»Wer die Fische auf dem Grunde sieht,

Fällt leicht ins Wasser hinein.

Wer die Gedanken der Menschen errät,

Kommt leicht in Not und Pein.


Wenn Eure Hoheit wünschen, daß es keine Räuber mehr gibt, so gibt es kein besseres Mittel, sie als Würdige zu erheben und sich ihnen anzuvertrauen, damit die Oberen die Unterweisung erkennen, durch die Einfluß auf die Unteren ausgeübt werden kann. Wenn das Volk erst Ehrgefühl hat, so wird niemand mehr Räuber sein wollen.«

Daraufhin berief der Fürst den Sui Hui zur Leitung des Staates, und die Räuberbanden zogen sich über die Grenze zurückt nach Tsin.

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 163-164.
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