Zehntes Kapitel.
Von dem Missbrauche der Worte

[99] § 1. (Der Missbrauch der Worte.) Neben der natürlichen Unvollkommenheit der Sprache und der so schwer vermeidlichen Dunkelheit und Verwirrung beim Gebrauch der Worte giebt es auch freiwillige Fehler und Versäumnisse, deren man sich bei dieser Art der Mittheilung schuldig macht; dadurch werden diese Zeichen noch unklarer und unsicherer, als sie es schon von Natur sind.

§ 2. (Erstens: Worte ohne allen, oder ohne klaren Sinn.) Der erste und gröbste dieser Missbräuche ist, dass man Worte gebraucht, ohne klare und bestimmte Vorstellungen, oder, was noch schlimmer ist, dass man sich dieser Zeichen bedient, ohne damit überhaupt etwas zu bezeichnen. Von diesem Missbrauche giebt es zwei Arten; erstens finden sich in allen Sprachen Worte, die bei näherer Prüfung in ihrem ursprünglichen und eigentlichen Gebrauche keine klare und deutliche Vorstellung bezeichnen, und grösstentheils durch die verschiedenen philosophischen und religiösen Secten eingeführt worden sind. Die Begründer und Begünstiger dieser Secten suchten nach etwas ganz Besonderem ausserhalb des gewöhnlichen Wissens, um damit entweder seltsame Ansichten zu stützen, oder die Schwächen ihrer Behauptungen zu verdecken; deshalb prägten sie neue Worte, die bei ihrer Prüfung sich meist als bedeutungslose Ausdrücke ergeben. Entweder hatten die Erfinder keine bestimmte Gesammt-Vorstellung damit verbunden, oder[99] nur eine solche, deren Bestandtheile sich nicht vertrugen; deshalb wurden diese Worte, wenn sie bei ihrer Secte in Gebrauch kamen, zu leeren Lauten, die gar keine, oder eine nur geringe Bedeutung hatten; die Anhänger begnügten sich, sie als die Kennzeichen ihrer Kirche oder Schule viel im Munde zu führen, ohne sich den Kopf über ihren genauen Sinn zu zerbrechen. Ich brauche hier nicht die Beispiele zu häufen, Jedermann kennt sie aus Büchern und der Unterhaltung, und sollte er noch mehr davon wünschen, so können die grossen Münzmeister dieser Kunstausdrücke, d.h. die Schulmeister und Metaphysiker (zu denen die streitenden Natur- und Moral-Philosophen der letzten Jahrhunderte wohl auch gehören dürften) ihn im Ueberfluss damit versorgen.

§ 3. Zweitens dehnen Andere diesen Missbrauch noch weiter aus; sie sind so wenig sorgfältig bei Worten, die schon in ihrer ursprünglichen Bedeutung keine klare und deutliche Vorstellung bezeichneten, dass sie mit unverzeihlicher Nachlässigkeit Worte, die die Eigenthümlichkeit der Sprache an sehr wichtige Vorstellungen geknüpft hat, gebrauchen, ohne sich überhaupt etwas Bestimmtes dabei zu denken. Weisheit, Gnade, Ruhm u.s.w. sind Worte, die man täglich in der Leute Mund hört; fragt man aber, was sie damit meinen, so werden die Meisten stocken und nicht antworten können. Dies zeigt klar, dass sie diese Laute zwar gelernt und schnell auf der Zunge haben, aber keine bestimmten Vorstellungen damit vorbinden, die sie Andern dadurch ausdrücken wollen.

§ 4. (Dies kommt davon, dass die Worte gelernt werden, ehe noch die entsprechenden Vorstellungen gekannt sind.) Da die Menschen von der Wiege abgewöhnt werden, Worte zu lernen, die leicht aufzufassen und zu behalten sind, ehe sie die Gesammt-Vorstellungen kannten oder gebildet hatten, die dazu gehörten, oder ehe sie sie in den Dingen, welche sie bezeichnen, gefunden hatten, so setzen sie dies ihr ganzes Leben durch fort und nehmen sich nicht die Mühe, bestimmte Vorstellungen festzuhalten. Sie benutzen die Worte für ihre schwankenden und verworrenen Vorstellungen und begnügen sich, die von Andern gebrauchten Worte zu benutzen, als wenn schon der blosse Laut auch immer denselben Sinn mit sich führte. So behilft man[100] sich zwar im täglichen Leben, wenn man sich verständlich machen will und macht so lange Zeichen, bis man dies erreicht hat; allein wenn man über Glaubenssätze oder eigene Angelegenheiten sprechen will, erfüllt diese Bedeutungslosigkeit der Worte das Reden mit einer Masse von leerem und unverständlichem Geräusch und Geplapper. Namentlich gilt die, für Gegenstände der Moral, wo die Worte meist mit willkürlichen und verschieden zusammengesetzten Verstellungen verknüpft worden sind, die in Wirklichkeit nicht regelmässig und dauernd mit einander verbunden sind; deshalb wird dabei nur an den leeren Ton gedacht, oder es werden nur dunkle und schwankende Begriffe damit verbunden. Die Menschen nehmen die Worte nicht, wie sie in ihrer Umgebung gebraucht werden, und damit es nicht scheine, als kennten sie deren Bedeutung nicht, so gebrauchen sie sie dreist, ohne sich um deren rechten Sinn viel den Kopf zu zerbrechen. Neben der Bequemlichkeit haben sie dabei den Vortheil, dass sie bei den Besprechungen, auch wenn sie nicht im Rechte sind, doch selten des Unrechts überführt werden können; denn es ist ebenso schwer, solche Leute ohne feste Begriffe von ihrem Irrthume zu befreien, als einen Vagabunden aus seiner Wohnung zu weisen, der keinen festen Aufenthalt hat. Jeder Leser möge an sich selbst und Andern beobachten, ob es sich nicht so verhält, wie ich hier angenommen habe.

§ 5. (Die schwankende Anwendung der Worte.) Zweitens besteht ein grosser Missbrauch der Worte in der unregelmässigen Benutzung derselben. Man wird kaum eine Abhandlung finden, namentlich über Streitfragen, wo nicht dieselben Worte (und zwar meist die wichtigsten Worte, um welche diese Sache sich dreht) bald für diese, bald für jene Gesammtvorstellung benutzt werden. Dies ist ein grober Missbrauch der Sprache, da bei ihr die Worte als Zeichen der Vorstellungen zu deren Mittheilungen an Andere dienen sollen. Die Bedeutung ist keine natürliche, sondern ist willkürlich angenommen; es ist also ein offenbarer Betrug und Missbrauch, wenn dasselbe Wort einmal für diese Sache, ein andermal für jene benutzt wird; geschieht dies absichtlich, so kann es nur eine grosse Narrheit oder eine grosse Unehrlichkeit sein. Ebenso gut könnte Jemand auf seine Rechnungen[101] mit Andern die Ziffern manchmal für diese und manchmal für jene Zahl gebrauchen (z.B. die 3 einmal für 3, ein andermal für 4 oder 8), als er in seinen Reden oder Ausführungen die Worte bald für diese oder jene Gesammtvorstellung benutzt. Geschieht dies bei Rechnungen, so würde schwerlich Jemand sich mit ihm einlassen, und wer in weltlichen Angelegenheiten und Geschäften so sprechen und die 8 manchmal sieben, manchmal neun nennte, je nachdem es ihm passt, würde bald einen jener beiden Namen bekommen, welche den Leuten nicht gefallen. Dennoch gilt in gelehrten Streitigkeiten und Beweisen dieses Verfahren für Scharfsinn und Gelehrsamkeit; ich muss es aber für unehrlicher erklären als das Verstellen der Zahlen bei Berechnung einer Schuld. Der Betrug ist grösser, weil die Wahrheit von grösserer Bedeutung und höherem Werth ist, als das Geld.

§ 6. (3) sucht man durch falschen Gebrauch der Worte sich den Schein der Tiefsinnigkeit zu geben.) Ein dritter Missbrauch der Worte liegt in dem Haschen nach Dunkelheit, indem man entweder veralteten Worten einen neuen und ungebräuchlichen Sinn unterlegt, oder neue und zweideutige Ausdrücke einführt, ohne sie vorher zu definiren, oder indem man die Worte so verbindet, dass ihr gewöhnlicher Sinn verkehrt wird. Die Aristotelische Philosophie hat hierin zwar am meisten geleistet; indess haben auch andere Secten sich davon nicht frei gehalten. Beinahe alle sind mit Schwierigkeiten belastet (so unvollkommen ist die menschliche Wissenschaft), die sie schönstens durch dunkle Worte verdeckt haben, deren Bedeutung sie verwirren, damit sie, wie der Nebel vor der Menschen Augen, deren schwache Seite verhüllen sollten. So haben die Worte Körper und Ausdehnung im gewöhnlichen Sinne eine verschiedene Bedeutung, wie Jeder bei einiger Aufmerksamkeit bemerkt; denn wäre ihre Bedeutung genau dieselbe, so könnte man ebenso verständlich sagen: der Körper der Ausdehnung, wie: die Ausdehnung des Körpers; dennoch giebt es Leute, die es für nöthig halten, deren Bedeutung zu vermengen. Dieser Missbrauch und diese fehlerhafte Vermengung des Sinnes der Worte ist durch die Behandlung, welche die Logik und die Wissenschaften in den Schulen erfahren haben, zu Ehren gekommen, und[102] die bewanderte Kunst des Disputirens hat die erklärliche Unvollkommenheit der Sprachen sehr gesteigert; man hat sie mehr benutzt und hergerichtet, um die Bedeutung der Worte zu verwirren, als um die Erkenntniss und Wahrheit der Dinge zu erlangen. Wenn man die gelehrten Bücher von dieser Gattung studirt, wird man finden, dass die Worte darin viel dunkler, unsicherer und nach ihrer Bedeutung unbestimmter sind, als in dem täglichen Verkehr.

§ 7. (Die Logik und das Streiten haben viel dazu beigetragen.) Dies ist unvermeidlich, wenn das Talent und die Gelehrsamkeit nach dem Geschick im Streiten bemessen werden. Wenn Ruhm und Lohn diesen Siegen folgen, die meist von der Spitzfindigkeit und Feinheit der Worte abhängen, so kann man sich nicht wundern, wenn bei solcher Richtung der Witz des Menschen die Bedeutung der Worte so vereitelt, erschwert und verfeinert, dass es ihm dann bei Vertheidigung oder Bekämpfung eines Satzes nie an Worten dazu fehlt und der Sieg nicht Dem, der die Wahrheit auf seiner Seite hat, sondern Dem zufällt, der das letzte Wort behält.

§ 8. (Dies wird Scharfsinn genannt.) Obgleich diese Kunst nutzlos und der gerade Gegensatz zum Weg nach der Erkenntniss ist, so hat sie doch bisher den löblichen und geachteten Namen des Scharfsinnes und der Feinheit geführt und sowohl den Beifall der Schulen wie die Unterstützung eines Theils der Gelehrten erhalten. Es ist dies kein Wunder, da die alten Philosophen (ich meine jene streitsüchtigen und zanksüchtigen Philosophen, die Lucian so witzig und treffend schildert) und die heutigen Führer der Schulen in ihrer Ruhm- und Ehrsucht nach ausgebreiteten und grossen Kenntnissen, die leichter begehrt als zu erwerben sind, darin ein gutes Mittel fanden, um mittelst eines unlösbaren Gewebes von Worten ihre Unwissenheit zu verdecken und sich die Bewunderung Anderer durch so unverständliche Andeutungen zu verschaffen, die um so mehr Wunder wirkten, je weniger sie begriffen werden konnten. Allein die Geschichte lehrt, dass diese gelehrten Doctoren nicht weiser und nicht nützlicher wie ihre Nachbaren waren, und dass sie dem menschlichen Leben oder den Gemeinschaften, in denen sie leben, keinen Vortheil brachten,[103] man müsste es denn als einen solchen und als lobens- und lohnenswerth ansehen, wenn neue Worte geprägt werden, ohne neue Dinge dafür zu schaffen, oder wenn die Bedeutung der alten verwirret und verdunkelt und damit Alles in Frage gestellt und dem Streite unterworfen wird.

§ 9. (Solche Gelehrsamkeit nützt der menschlichen Gesellschaft wenig.) Denn trotz dieser gelehrten Streiter und dieser allwissenden Doctoren waren es doch nur angelehrte Staatsmänner, welchen die Staaten dieser Welt den Frieden, Schutz und die Freiheit verdanken, denn es war nur das einfache und verachtete Handwerk (ein unbeliebtes Wort), von dem die Staaten die Fortschritte in nützlichen Künsten empfingen. Trotzdem hat ihre kunstvolle Unwissenheit und dieses gelehrte Gewäsch in dem letzten Zeitalter sehr vorgeherrscht, da Die, welche auf diesem leichten Weg zur Höhe ihres Ansehens und ihrer Herrschaft gelangt waren, es in ihrem Interesse fanden, die praktischen Leute und die Unwissenden mit schwerverständlichen Worten zu unterhalten. Kluge und geschäftsfreie Personen wurden in Streit über unverständliche Ausdrücke verwickelt und in diesem endlosen Labyrinth stets eingeschlossen gehalten. Ueberdem erlangt man am leichtesten Ansehen und kann sonderbare und widersinnige Lehren am leichtesten vertheidigen, wenn man sie mit einer Legion von dunkelen, zweifelhaften und unbestimmten Worten umgiebt; ihre Verstecke gleichen dann mehr den Höhlen der Räuber oder dem Bau der Füchse, als den Festungen ehrlicher Krieger. Wenn man sie schwer daraus vertreiben kann, so kommt es nicht von ihrer Stärke, sondern von den Dornen und Disteln und der Dunkelheit des Dickichts, was sie umgiebt. Da die Unwahrheit der menschlichen Seele zuwider ist, so giebt es für den Unsinn keinen anderen Schutz als die Dunkelheit.

§ 10. (Aber sie zerstört die Mittel zur Erkenntniss und Mittheilung.) Diese gelehrte Unwissenheit und diese Kunst, selbst eifrige Personen von wahren Kenntnissen fern zu halten, ist in der Welt ausgebreitet worden und hat viel verwirrt, während sie versicherte, den Verstand zu belehren; denn es zeigte sich, dass wohlmeinende und weise Männer, deren Erziehung[104] und Bildung nicht bis zu dieser Spitze getrieben war, sich verständlich unter einander ausdrücken und den einfachen Gebrauch der Sprache zur Wohlthat machen konnten. Allein obwohl nie Ungelehrten die Worte weiss und schwarz u.s.w. gut verstanden und feste Begriffe mit diesen Worten verbanden, so fanden sich doch Philosophen von so grosser Gelehrsamkeit und Spitzfindigkeit, dass sie bewiesen, der Schnee sei schwarz, d.h. weiss sei schwarz. Ihr Ergebniss war dabei nur, dass sie die Mittel und Werkzeuge der Rede, der Unterhaltung, Belehrung und des Verkehrs zerstörten, indem sie mit grosser Kraft und Spitzfindigkeit nur die Bedeutung der Worte vermengten. Sie machten die Sprache damit noch mangelhafter, als sie es schon durch ihre natürlichen Mängel ist, ein Erfolg, den die Ungelehrten nicht hätten erreichen können.

§ 11. (Und vermengt die Laute der Buchstaben.) Diese gelehrten Leute thaten für die Belehrung des Verstandes und Verbesserung des Lebens gerade so viel, als die, welche die Bedeutung bekannter Schriftzeichen verändern und durch einen feinen gelehrten Kunstgriff, der den Verstand der ungelehrten, schwachen und gemeinen Leute überstieg, zur grossen Verwunderung und Nutzen ihrer Leser zeigten, dass sie in ihren Schriften A für B und D für E setzen können. Es ist ebenso unsinnig, das Wort schwarz, was eine bestimmte sinnliche Eigenschaft anerkanntermassen bezeichnet, für ein anderes zu setzen, was das Entgegengesetzte bezeichnet, d.h. den Schnee schwarz zu nennen, als den Buchstaben A, welcher für das Zeichen eines besonderen Lautes, wie ihn bestimmte Bewegungen der Sprachorgane erzeugen, gilt, statt B zu setzen, welches anerkanntermassen einen anderen Laut bezeichnet.

§ 12. (Diese Kunst hat die Religion und die Gerechtigkeit verwirrt.) Dieser Unfug hat sich auch nicht auf logische Spielereien und unterhaltende leere Tiefsinnigkeiten beschränkt, sondern ist in die grossen Angelegenheiten des Lebens und der menschlichen Gesellschaft eingedrungen und hat da die richtigen Wahrheiten im Recht und in der Religion verdunkelt und verwirrt; er hat Unordnung, Verwirrung und Unsicherheit in Angelegenheiten der Menschen gebracht, und jene beiden grossen Richtmaasse, die Religion und die Gerechtigkeit, wenn nicht zerstört, doch zum[105] grossen Theile nutzlos gemacht. Wozu anders haben die meisten Commentare und Disputationen über die göttlichen und menschlichen Gesetze geführt, als deren Absicht zweifelhafter und deren Sinn dunkler zu machen? Was haben diese vielfältigen spitzfindigen Unterhaltungen und kleinlichen. Feinheiten anders erreicht, als eine Dunkelheit und Ungewissheit, die die Worte nur dunkler macht und den Leser in Verlegenheit bringt. Woher anders sollte es kommen, dass die Fürsten, wenn sie zu ihren Dienern reden, in ihren gewöhnlichen Befehlen leicht verstanden werden; aber nicht, wenn sie in ihren Gesetzen zu dem Volke reden? Kommt es, wie gesagt, nicht oft vor, dass ein Mensch mit natürlichem Verstande eine Bibelstelle oder ein Gesetz ganz wohl versteht, so lange er keinen Erklärer befragt und zu keinem Advokaten geht; erst wenn diese sich an die Erklärung machen, bedeuten die Worte entweder gar nichts oder nur das, was diesen Herren beliebt.

§ 13. (Sie darf nicht für eine Wissenschaft gelten.) Ob das Interesse dieser Leute dabei im Spiele gewesen ist, will ich hier nicht untersuchen; allein ich überlasse es der Erwägung, ob es für die Menschheit, der es daran liegt, die Dinge zu kennen, wie sie sind, und zu thun, was sie soll, und nicht das Leben im Geschwätz darüber und im Schleudern der Worte gegeneinander zu verbringen, nicht besser wäre, wenn der Gebrauch der Worte einfach und geradezu eingerichtet würde, und wenn die Sprache, die nur für die Vermehrung des Wissens und für die Verbindung zu Gemeinschaften gegeben worden, nicht auf die Verdunkelung der Wahrheit gerichtet, und Moral und Religion damit unverständlich gemacht würde. Wenigstens sollte da, wo dies vorkommt, die Erkenntniss und die Wissenschaft nicht dafür verantwortlich gemacht werden.

§ 14. (4) indem die Worte für die Dinge selbst genommen werden.) Viertens besteht ein anderer grosser Missbrauch der Worte darin, dass sie für die Dinge selbst genommen werden. Es gilt dies zwar im Allgemeinen für alle Worte, hauptsächlich aber für die Substanz-Worte. In diesen Missbrauch gerathen Die am meisten, welche ihre Gedanken auf ein System beschränken und sich ganz dem festen Glauben an die[106] Vollkommenheit einer angenommenen Hypothese hingeben; sie halten die Ausdrücke ihrer Secten für so der Natur der Dinge entsprechend, dass sie nach ihrer Ueberzeugung genau mit der vorhandenen Wirklichkeit übereinstimmen. Wer von den in der Peripatetischen Philosophie Auferzogenen hält nicht die zehn Worte, mit denen die zehn Kategorien bezeichnet werden, genau der Natur der Dinge entsprechend? Wer aus dieser Schule ist nicht überzeugt, dass die substantiellen Formen, die Pflanzen-Seelen, die Scheu vor dem Leeren, die beabsichtigten Arten u.s.w. etwas Wirkliches sind? Sie haben diese Worte bei ihrem Eintritt in die Wissenschaft gelernt und gesehen, wie ihre Meister und Systeme grossen Werth darauf legen; deshalb glauben sie fest, dass sie der Natur entsprechen und etwas wirklich Bestehendes darstellen. Ebenso haben die Platoniker ihre Weltseele und die Epikuräer das Streben ihrer Atome nach Bewegung; jedes philosophische System hat seine bestimmte Reihe von Ausdrücken, die für Andere unverständlich sind. Trotzdem erscheint dieses Geschwätz, welches bei der Schwäche des menschlichen Verstandes so gut die Unwissenheit zu schützen und den Irrthum zu verdecken vermag, durch den steten Gebrauch innerhalb der Secte zuletzt als ein wichtiger Theil der Sprache und als die bezeichnendste Ausdrucksweise. Sollten die luftigen und die ätherischen Wagen einst durch das Uebergewicht dieser Lehre irgendwo allgemeine Anerkennung finden, so würden diese Ausdrücke unzweifelhaft sich in den Seelen einprägen und die Ueberzeugung, dass dergleichen wirklich bestehen, herbeiführen, wie dies bei den Peripatetikern mit ihren Formen und bezweckenden Arten geschehen ist.

§ 15. (Ein Beispiel am Stoff.) Ein aufmerksamer Leser philosophischer Schriften wird oft genug bemerken, wie Worte, die für die Dinge genommen werden, den Verstand irre geleitet haben, und zwar selbst Worte, bei denen man es am wenigsten erwartet hätte. Ich will nur ein sehr gebräuchliches anführen, den Stoff; wie viele verwickelte Streitigkeiten hat es nicht darüber gegeben, als wenn wirklich so etwas in der Natur und getrennt von deren Körper vorhanden wäre, weil doch[107] offenbar das Wort: »Stoff« eine von der Vorstellung des Körpers verschiedene Vorstellung bezeichnet. Allerdings müssten sie, wenn leere Worte dieselbe Vorstellung bezeichneten, in allen Fällen einander vertreten können; nun sagt man wohl: Alle Körper bestehen aus einem Stoff, aber nicht: Aller Stoff besteht aus einem Körper. Man sagt wohl, dass ein Körper grösser als der andere ist, aber es klingt hart (und ist wohl niemals geschehen), dass man gesagt: Ein Stoff ist grösser als der andere. Woher kommt das? Davon, dass zwar Stoff und Körper nicht in Wirklichkeit getrennt bestehen, vielmehr ist da, wo der eine ist, auch der andere; aber dass beide Worte doch verschiedene Begriffe bezeichnen, von denen der eine nur einen Theil des andern ausmacht. Denn Körper bezeichnet eine dichte, ausgedehnte und gestaltete Substanz, woran der Stoff nur eine unklare Theilvorstellung ist, die zwar die Substanz und Dichtheit des Körpers, aber ohne Ausdehnung und Gestalt bezeichnen soll. Deshalb spricht man beim Stoff immer nur von einem, weil er in Wahrheit nur die Vorstellung einer dichten Substanz enthält, die überall gleich und einförmig ist. Deshalb spricht man ebenso wenig von verschieden Stoffen einer Welt, als von verschiedenen Dichtigkeiten, obgleich man beide auf verschiedene Körper bezieht, weil Ausdehnung und Gestalt von mannichfaltiger Art sein kann. Da indess die Dichtheit nicht ohne Ausdehnung und Gestalt bestehen kann, so hat der Umstand, dass man den Stoff für den Namen von Etwas getrennt Bestehendem nahm, offenbar diese dunklen und unverständlichen Streitigkeiten und Ausführungen veranlasst, die über die prima materia die Köpfe und Bücher der Philosophen angefüllt haben. Wie weit dasselbe für Ausdrücke gelte, möge der Leser selbst erwägen. Sicher wäre weniger Streit in der Welt, wenn man die Worte nur für das nähme, was sie sind, d.h. für Zeichen unserer Vorstellungen und nicht für die Dinge selbst. Denn wenn man über Stoff oder einen ähnlichen Ausdruck verhandelt, so verhandelt man sicherlich nur über die damit bezeichneten Vorstellungen, mögen diese Vorstellungen mit gewissen in der Natur bestehenden Dingen übereinstimmen oder nicht. Und wenn man immer angäbe, welche Vorstellungen die Worte bezeichnen sollen, so könnte nicht halb so viel Dunkelkeit und[108] Schwanken die Aufsuchung und Vertheidigung der Wahrheit, wie jetzt, erschweren.

§ 16. (Dies macht den Irrthum dauernd.) So schädlich also dieser Missbrauch der Worte ist, so verlocken diese Worte doch in Folge ihres stetigen und häufigen Wiederholens zu Begriffen, die weit ab von der Wahrheit liegen. Man würde nur schwer Jemand, überzeugen können, dass die Worte, welche sein Vater oder Schulmeister oder der Pfarrer des Ortes oder sonst ein ehrwürdiger Herr gebraucht haben, nichts in der Natur wirklich Bestehendes bezeichnen; deshalb lassen die Menschen so schwer von ihren Irrthümern, selbst bei philosophischen Fragen, wo es sich nur um die Wahrheit handelt. Sie haben die Worte zu lange gebraucht, sie haften fest in ihrer Seele, und deshalb kann es nicht auffallen, wenn die damit verbundenen falschen Begriffe so schwer zu beseitigen sind.

§ 17. (Indem sie für Etwas benutzt werden, wozu sie nicht geeignet sind.) Fünftens besteht ein anderer Missbrauch der Worte darin, dass sie an die Stelle von Dingen gesetzt werden, die sie keineswegs bezeichnen und nicht bezeichnen können. Wenn die Namen von Substanzen, von denen man nur das Wort-Wesen kennt, zu Sätzen verbunden werden, und Etwas von ihnen bejaht oder verneint wird, so nimmt man meist stillschweigend an und meint, dass damit das wirkliche Wesen von Substanzen bezeichnet werde. Denn wenn Jemand sagt: das Gold ist biegsam, so meint und will er damit mehr sagen, als was ich bei diesen Worten meine (obgleich auch seine Meinung in Wahrheit nicht mehr sagt); er will nämlich sagen, dass das Gold, d.h. das wahre Wesen des Goldes, biegsam sei; so dass also die Biegsamkeit des Goldes von dessen wahrem Wesen bedingt und davon untrennbar sei. Indess da Jemand, der dieses wahre Wesen nicht kennt, diese Biegsamkeit in seiner Seele nicht mit einem ihm unbekannten Wesen verbinden kann, so geschieht es nur mit dem Laute, der es bezeichnet. Ebenso ist es klar, dass, wenn die Definition des Menschen: Ein »vernünftiges Thier« gut ist und die: Ein Thier ohne Federn mit zwei Füssen und breiten Nägeln schlecht ist, dass das Wort Mensch hierbei für die Bezeichnung seines wirklichen Wesens gilt, und dass man sagen will, die[109] erste Definition drückte das wirkliche Wesen des Menschen besser als die zweite aus. Denn weshalb hätte ohnedem Plato nicht das Wort anthrôpos oder Mensch zur Bezeichnung der Vorstellung nehmen sollen, die er aus der Vorstellung eines Körpers, der von andern sich durch eine gewisse Gestalt und andere äusserliche Bestimmungen unterscheidet, gebildet hatte; so gut wie Aristoteles die Gesammtvorstellung, die er anthrôpos oder Mensch nannte, aus einem mit Vernunft begabten Körper bildete? Es geschah nur, weil Beiden das Wort anthrôpos oder Mensch zur Bezeichnung von etwas Anderem galt, als es bezeichnete, und weil sie es an die Stelle von etwas Anderem als die Vorstellung, die man gewöhnlich damit ausdrücken will, gesetzt hatten.

§ 18. (Indem sie z.B. für das wirkliche Wesen der Substanzen gelten.) Sicherlich würden die Substanz-Worte nützlicher und die daraus gebildeten Urtheile sicherer sein, wenn die Vorstellungen, welche diese Worte bezeichnen, das wirkliche Wesen der Substanzen wären. Nur weil dieses nicht gekannt ist, gewähren die Worte so wenig Erkenntniss oder Gewissheit bei dem Reden darüber. Um diese Unvollkommenheit möglichst zu beseitigen, lässt man sie durch eine stillschweigende Annahme Etwas, was dieses wirkliche Wesen hat, bezeichnen, als ob man damit diesem näher käme. Denn wenn auch das Wort Mensch oder Gold in Wahrheit nur eine Gesammtvorstellung von Eigenschaften bezeichnet, die zu einer Art von Substanz verbunden sind, so setzt doch beinah Jeder im Gebrauche dieser Worte voraus, dass diese Worte Dinge bezeichnen, die das wahre Wesen besitzen, von denen diese Eigenschaften abhängen. Die Unvollkommenheit der Worte wird damit so wenig beseitigt, dass dieselbe durch diesen Missbrauch nur gesteigert wird, indem man das Wort zum Zeichen von Etwas macht, was gar nicht in der Vorstellung enthalten ist, also auch nicht von dem Worte bezeichnet werden kann.

§ 19. (Deshalb wird die Veränderung in der Vorstellung von Substanzen nicht für eine Veränderung ihrer Art gehalten.) Deshalb gut beigemischten Zuständen jede Auslassung oder Veränderung einer Vorstellung, welche die Gesammtvorstellung mitbildet,[110] für ein anderes Ding, d.h. von einer andern Art; wie dies z.B. bei dem fahrlässigen Todschlag, dem absichtlichen Todschlag, dem Mord, dem Vatermord u.s.w. sich ergiebt; und zwar weil die mit diesem Worte bezeichnete Gesammtvorstellung sowohl das Wort wie das wirkliche Wesen ist, und das Wort nicht insgeheim auf ein anderes Wesen bezogen wird. Bei Substanzen verhält es sich aber nicht so; denn wenn auch bei dem, was Gold heisst, der Eine in seiner Gesammtvorstellung das aufnimmt, was der Andere auslässt, und umgekehrt, so hält man dies doch für keine Veränderung der Art, weil das Wort insgeheim auf das wirkliche Wesen dieses Dinges bezogen wird und als damit verbunden gilt, und diese Eigenschaften davon abhängen sollen. Wenn man in seiner Vorstellung des Goldes die Festigkeit und Löslichkeit in Königswasser, die sie früher nicht enthielt, einfügt, so gilt doch die Art nicht als verändert, sondern nur als vollständiger aufgefasst durch Hinzufügung einer einfachen Vorstellung, die immer mit denen verbunden ist, welche dessen Gesammtvorstellung vorher befasste. Allein diese Beziehung des Wortes auf ein Ding, was man nicht kennt, hilft nichts, sondern verwickelt nur mehr in Schwierigkeiten. Denn durch diese stille Beziehung auf das wirkliche Wesen dieser Körper verliert das Wort Gold (welches als Bezeichnung einer mehr oder minder vollständigen Gesammtvorstellung diese Art Körper für den gewöhnlichen Verkehr genügend bezeichnet) jede Bedeutung überhaupt, da es für Etwas gesetzt wird, was man nicht kennt, und da dies Wort dann nichts bedeutet, wenn der Körper selbst fort ist. Denn wenn man es auch für ein und dasselbe hält, so ist es doch bei genauerer Betrachtung ein ganz verschiedenes Ding, ob man über Gold dem Worte nach, oder ob man über dasselbe als ein Stück von diesem Körper, z.B. über ein Stück Blatt-Gold, vor den Angen verhandelt, wenn man auch im riechen das Wort für die Sache nimmt.

§ 20. (Dieser Missbrauch kommt davon, dass man meint, die Natur wirke immer regelmässig.) Den Anlass dazu, dass man die Namen für das wirkliche Wesen der Dinge nimmt, giebt die vorerwähnte Meinung, dass die Natur bei der Hervorbringung der Dinge regelmässig wirke und bei jeder Art eine Grenze setze, indem[111] sie jedem Exemplar dieses Namens die gleiche innere wirkliche Verfassung gebe, obgleich die Betrachtung ihrer verschiedenen Eigenschaften vermuthen lässt, dass viele Dinge gleichen Namens in ihrer innern Verfassung ebenso verschieden sind, wie die mit einem andern Art-Namen verbunden sei, lässt diese Namen für die Vertreter dieser wirklichen Wesenheiten nehmen; obgleich diese Namen in Wahrheit nur die Gesammtvorstellung in der Seele Derer, die sie gebrauchen, bezeichnen. So bezeichnen diese Worte dies Ding und werden doch jenem Dinge untergeschoben; ein Verfahren, was nothwendig das Sprechen unsicher machen muss, namentlich bei Denen, die sich in die Lehre von den substantiellen Formen vertieft haben, die nach ihrer Ueberzeugung die Arten der Dinge fest bestimmen und unterscheiden.

§ 21. (Dieser Missbrauch enthält zwei falsche Voraussetzungen.) Ist es nun auch verkehrt, die Worte zu den Zeichen für Vorstellungen zu machen, die man nicht hat, oder (was dasselbe ist) für unbekannte Wesenheiten, indem die Worte damit zu Zeichen von gar Nichts werden, so geschieht es doch sehr häufig, wie sich an dem Gebrauche, der von den Worten gemacht wird, leicht erkennen lässt. Wenn Jemand fragt, ob das Ding, was er sieht, sei es ein Pavian oder eine Missgeburt, ein Mensch sei, so fragt er offenbar nicht danach, ob dieses Ding mit seiner Gesammtvorstellung des Menschenstimme, sondern ob es das wirkliche Wesen von der Art Dinge enthalte, die nach seiner Annahme das Wort Mensch bezeichnet. Solcher Gebrauch der Substanz-Worte enthält aber folgende falsche Annahmen: Erstens, dass es gewisse bestimmte Wesenheiten gebe, nach denen die Natur alle einzelnen Dinge machte, durch welche sie sich in Arten sondern. Jedes Ding soll eine wirkliche Verfassung haben, durch die es das ist, was es ist, und von dem seine sinnlichen Eigenschaften abhängen; dies gilt als zweifellos; allein ich habe, dächte ich, bewiesen, dass dies nicht den Unterschied der einzelnen Arten ausmacht, und auch nicht die Grenzen für deren Namen. Zweitens deutet dies stillschweigend an, dass man auch die Vorstellung dieser wirklichen Wesenheiten[112] habe. Denn wozu fragt man sonst, ob ein Ding das wirkliche Wesen des Menschen habe, wenn man diese Wesen nicht als bekannt annähme? Und doch ist dies durchaus falsch, und eine solche Benutzung der Worte für Vorstellungen, die man nicht hat, muss nothwendig das Reden und die Beweise darüber verwirren und die Mittheilung durch Worte stören.

§ 22. (Die Annahme, dass die Worte eine feste und offenbare Bedeutung haben.) Sechstens ist noch ein allgemeinerer, wenn auch weniger bemerkter Missbrauch der Worte übrig, welcher darin besteht, dass man durch die lange Gewohnheit, gewisse Vorstellungen mit den Worten zu verknüpfen, diese Verknüpfung für so eng und nothwendig hält, dass der Sinn der Worte zuletzt für selbstverständlich gilt. Deshalb soll der Andere sich mit den empfangenen Worten begnügen, indem es für zweifellos gilt, dass der Hörer mit den bekannten Lauten dieselben Vorstellungen wie der Sprechende verknüpfe. Man vermeint deshalb durch den Gebrauch eines Ausdruckes in der Rede auch die Sache selbst dem Andern dargelegt zu haben, und man fasst ebenso die Worte Anderer nur in dem Sinne auf, den man selbst mit ihnen zu verbinden gewohnt ist. In Folge dessen bemüht man sich niemals, die eignen Worte zu erklären und den Sinn der Worte Anderer klar zu fassen; woraus nur Lärm und Streit ohne Belehrung und Fortschritt hervorgeht. Man hält die Worte für die festen und regelmässigen Zeichen anerkannter Vorstellungen, während sie in Wahrheit nur die willkürlichen und schwankenden Zeichen der eignen Vorstellungen sind. Dennoch wundert man sich, wenn im Gespräch oder im Streit (wo es oft unvermeidlich ist) der Andere nach dem Sinn eines Ausdrucks fragt, obgleich die in die Unterhaltung eingeflochtenen Ausführungen deutlich zeigen, dass zwei Menschen selten ihre Worte für Gesammtvorstellungen in gleichem Sinne gebrauchen. Beispiele dazu sind leicht zu finden; welches Wort ist bekannter als: Leben; es würde für eine Beleidigung gelten, wenn man nach seiner Bedeutung fragte, und doch entsteht mitunter die Frage, ob die in dem Samen fertig gebildet enthaltene Pflanze Leben habe; ob der Keim in dem Ei vor dem Brüten oder ob ein sinnlos und bewegungslos in Ohnmacht daliegender[113] Mensch Leben habe? Man eicht hieraus, dass mit diesem so bekannten Worte keine ganz klare Vorstellung verbunden wird. Allerdings hat man eine Reihe grober und verworrener Vorstellungen, mit denen die gebräuchlichen Worte der Sprache verbunden werden und die für den unbestimmten Gebrauch im täglichen Verkehr genügen; allein für wissenschaftliche Untersuchungen reicht dies nicht zu, da die Wissenschaft und die Beweise genaue und bestimmte Vorstellungen verlangen. Wenn auch die Menschen hinreichend klug sind, um auch ohne Frage und Erklärung der Worte die Rede eines Andern zu verstehen, und nicht so peinlich, dass sie Andere in dem Gebrauch der gehörten Worte verbesserten, so wüsste ich doch nicht, weshalb da, wo es sich um Wahrheit und Wissenschaft handelt, es ein Fehler sein sollte, wenn man nach dem Sinn zweideutiger Worte fragt, und weshalb man sich schämen sollte, dass man den Sinn der Worte eines Andern nicht kennt, da man ihn doch nur durch Belehrung sicher erfahren kann. Dieser Missbrauch, die Worte in gutem Glauben aufzunehmen, herrscht am meisten und am schlimmsten unter den Gelehrten; die Menge und die Hartnäckigkeit der Streitfälle, welche die geistige Welt so verwüsten, kommt davon her. Man weiss, dass eine grosse Verschiedenheit der Meinungen in den Büchern und in der Menge von Streitfällen besteht, welche die Welt spalten, und dennoch ist Alles, was die Gelehrten auf beiden Seiten in ihren gegenseitigen Ausführungen thun, nur, dass sie verschiedene Sprachen sprechen. Liessen sie ihre Kunstworte bei Seite und dächten sie an die Dinge, und wüssten sie, was sie dächten, so würde sich zeigen, dass sie Alle dasselbe denken, wenn sie auch Verschiedenes wollen.

§ 23. (Die Zwecke der Sprache sind: 1) Mittheilung der Vorstellungen.) Indem ich diese Untersuchung über den Missbrauch der Sprache schliesse, erhellt also, dass der Zweck aller Sprache in dem Verkehr mit Andern hauptsächlich ein dreifacher ist: 1) will man seine Gedanken dadurch Andern mittheilen; 2) soll dies möglichst schnell und leicht geschehen, und 3) will man die Kenntniss der Dinge ausbreiten. Die Sprache ist gemissbraucht oder mangelhaft, wenn sie einen dieser Zwecke nicht erfüllt.[114]

Die Worte verfehlen den ersten Zweck und eröffnen dem Andern nicht die eignen Vorstellungen, 1) wenn sie ohne bestimmte Vorstellungen gebraucht würden, obgleich sie Zeichen von solchen sein sollen; oder 2) wenn die Worte gegen den Sprachgebrauch mit ungehörigen Vorstellungen verbunden werden; oder 3) wenn sie schwankend gebraucht werden und bald diese, bald jene Vorstellung bezeichnen.

§ 24. (2. Dies schnell und leicht zu thun.) Man verstösst zweitens gegen die Schnelligkeit und Leichtigkeit der Mittheilung bei Gesammtvorstellungen ohne Namen dafür. Mitunter trifft dieser Fehler die Sprache selbst, die kein passendes Wort dafür enthält; oft ist es aber der Fehler des Sprechenden, der das Wort nicht kennt, was diese Vorstellung dem Andern zuführen würde.

§ 25. (Und 3. die Verbreitung der Kenntniss der Dinge.) Drittens enthalten die Worte keine Mittheilung der Kenntniss der Dinge, wenn ihre Vorstellungen nicht mit diesen übereinstimmen. Allerdings entspringt dieser Fehler daraus, dass unsere Vorstellungen den Dingen nicht so entsprechen, als es durch Aufmerksamkeit, Studium und Fleiss möglich wäre; allein der Fehler dehnt sich auch auf die Worte selbst aus, wenn sie als Zeichen für wirkliche Dinge gebraucht werden, die niemals bestanden und niemals wirklich gewesen sind.

§ 26. (Wie die Worte der Menschen gegen all diese Punkte verstossen.) Erstens macht Der, welcher nur Worte ohne bestimmte Vorstellung dazu in seiner Seele besitzt, bei deren Gebrauch im Gespräch nur ein Geräusch ohne Sinn und Bedeutung. So gelehrt es auch klingt, wenn er dunkle Worte und gelehrte Ausdrücke gebraucht, so ist er deshalb doch nicht kenntnissreicher; wie Jener nicht gelehrter war, der bei seinem Studium sich nur die Titel der Bücher, aber nicht ihren Inhalt merkte. Wenn auch diese Worte in einer Rede noch so grammatikalisch richtig gestellt und in wohltönende und glatte Perioden verbunden werden, so bleiben sie doch nur leere Töne und nichts weiter.

§ 27. Zweitens gleicht Der, welcher Gesammtvorstellungen ohne besondere Namen dafür hat, einem Buchhändler, in dessen Laden die Druckbogen ungebunden[115] und ohne Titel herumliegen, so dass er sie Andern nur durch Aufzeigung der losen Bogen und durch lange Erzählung mittheilen kann. Jener ist in seinen Reden gehindert, weil ihm die Worte zur Mittheilung seiner Gesammtvorstellungen fehlen; er muss deshalb die einzelnen einfachen Vorstellungen, aus denen sie bestehen, aufzählen und so oft zwanzig Worte machen, wo ein Anderer mit einem auskommt.

§ 28. Drittens sollte Der, welcher nicht immer dasselbe Zeichen für dieselbe Vorstellung gebraucht, sondern die Bedeutung seiner Worte wechselt, in den Schulen und bei der Unterhaltung Denen gleich gestellt werden, die auf dem Markte oder auf der Börse verschiedene Dinge unter denselben Namen verkaufen.

§ 29. Viertens wird Der, welcher Worte irgend einer Sprache gegen den gewöhnlichen Gebrauch für andere Vorstellungen benutzt, trotz allen Lichtes und aller Wahrheit, mit der sein Geist erfüllt ist doch nicht viel davon auf Andere verbreiten, wenn er seine Ausdrücke nicht erklärt. Die Laute sind dann wohl bekannt und dringen leicht in die an sie gewöhnten Ohren; aber da sie für andere Vorstellungen dienen, als an die Jene gewöhnt sind, so können die Gedanken des Sprechenden ihnen dadurch nicht mitgetheilt werden.

§ 30. Wer fünftens sich Substanzen in Gedanken macht, die nicht bestanden haben, und seinen Kopf mit Vorstellungen füllt, die mit der wirklichen Natur der Dinge nicht übereinstimmen, und ihnen doch bestimmte Namen giebt, wird allerdings seine Rede und vielleicht der Andern Köpfe mit den wilden Erzeugnissen seines Gehirns füllen, aber in der wirklichen Erkenntniss sie keinen Schritt weiter bringen.

§ 31. Wer Worte ohne Vorstellungen hat, dem fehlt der Sinn seiner Worte; er spricht nur leere Laute; wer Gesammtvorstellungen ohne Worte dafür hat, dem fehlt die Macht, sie mit Leichtigkeit auszudrücken; er muss Umschreibungen machen. Wer seine Worte schwankend und veränderlich gebraucht, wird entweder nicht beachtet oder nicht verstanden. Wer sich der Worte gegen den Sprachgebrauch bedient, spricht unpassend und Kauderwelsch, und wessen Vorstellungen nicht mit den wirklichen[116] Dingen stimmen, dem fehlt der Stoff zum wahren Wissen; er hat statt dessen nur Chimären.

§ 32. (Wie bei den Substanzen.) Bei den Substanz-Begriffen ist man all diesen Fehlern ausgesetzt. Wer z.B. das Wort Tarantula benutzt ohne eine Vorstellung, die es bezeichnet, spricht zwar ein gutes Wort aus, aber meint nichts dabei. 2) Wer in einem neu entdeckten Lande viele ihm unbekannte Thiere und Pflanzen sieht, hat von ihnen eine ebenso wahre Vorstellung, wie von dem Pferde oder Hirsch; aber er kann nur durch lange Beschreibungen von denselben sprechen, so lange er ihnen keinen Samen giebt oder nicht die in jenem Lande gebräuchlichen Namen dafür benutzt. 3) Wer das Wort Körper bald für die blosse Ausdehnung, bald für die Ausdehnung und Dichtheit gebraucht, spricht sehr trügerisch. 4) Wer der Vorstellung, die man insgemein mit Maulesel benennt, den Namen Pferd giebt, spricht verkehrt und wird nicht verstanden. 5) Wer glaubt, das Wort Centaur bezeichne ein wirkliches Ding, täuscht sich und nimmt ein Wort für eine Sache.

§ 33. (Wie bei Zuständen und Beziehungen.) Bei den Zuständen und Beziehungen ist man nur den vier zuerst genannten Mängeln ausgesetzt; ich kann nämlich 1) die Worte für Zustände, z.B. für Dankbarkeit und Nächstenliebe in meinem Gedächtniss haben, ohne eine bestimmte mit ihnen zu verbindende Vorstellung zu haben; 2) kann ich Vorstellungen haben und ihre Namen nicht kennen; so kann ich die Vorstellung eines Menschen haben, der so lange trinkt, bis seine Farbe und Stimmung sich verändert, bis seine Zunge stammelt, seine Augen sich röthen und seine Füsse den Dienst versagen, ohne dass ich weiss, dieser Zustand heisse Betrunkenheit 3) kann ich die Vorstellungen und die Namen von Tugenden und Lastern haben, aber sie falsch gebrauchen; z.B. wenn ich Den mässig nenne, welchen Andere begehrlich nennen. 4) kann ich die Worte schwankend gebrauchen. Dagegen können 5) bei den Zuständen und Beziehungen meine Vorstellungen den Dingen nicht widersprechend sein; denn die Zustände sind beliebig gebildete Gesammtvorstellungen, und Beziehungen sind Betrachtungen oder Vergleichungen zweier Dinge mit einander und sind deshalb ebenfalls von dem Menschen[117] gebildet. Sie können den bestellenden Dingen nicht zuwiderlaufen, weil sie nicht als Abbilder der natürlichen Dinge oder Eigenschaften gelten, die aus der innern Verfassung und dem Wesen einer Substanz nothwendig abfliessen, sondern als Muster, die mit Namen in das Gedächtniss eingestellt sind, um Handlungen und Beziehungen eintretenden Falles danach zu benennen. Der Fehler liegt indess meist in der falschen Bezeichnung der Vorstellungen; die Worte werden in einem, von dem allgemeinen abweichenden Sinne gebraucht, und man wird deshalb nicht verstanden, oder es werden dem Sprechenden falsche Vorstellungen statt falscher Namen zur Last gelegt. Nur wenn die Bestandtheile der Vorstellungen von gemischten Zuständen und Beziehungen sich widersprechen, füllt man seinen Kopf mit Chimären; denn bei Prüfung solcher Vorstellungen können sie nicht einmal in der Seele bestehen, geschweige ein wirkliches Ding bezeichnen.

§ 34. (Auch die bildliche Rede ist ein Missbrauch der Sprache.) Da Witz und Phantasie leichter als trockene Wahrheit und richtige Kenntnisse in der Welt Aufnahme finden, so wird man die bildliche Rede und die Anspielungen schwerlich als eine Unvollkommenheit oder als einen Missbrauch der Sprache gelten lassen. In Reden, von denen man nur Vergnügen und Genuss, aber keine Belehrung und Bereicherung des Wissens verlangt, mögen auch die von daher entlehnten Verzierungen nicht als Fehler gelten; will man aber von den Dingen, wie sie wirklich sind, sprechen, so muss man gestehen, dass alle rhetorischen Künste, die über die Ordnung und Klarheit hinausgehen, sowie jeder künstliche und bildliche Gebrauch der Worte, welche die Bedeutsamkeit erfunden hat, nur dazu dienen, unrichtige Vorstellungen unterzuschieben, die Leidenschaften zu wecken, dadurch das Urtheil irrezuführen und also reinen Betrag zu verüben. So löblich und zulässig dergleichen Beredsamkeit in leidenschaftlichen Ergüssen und in Volks- Adressen sein mag, so ist sie doch in allen Reden, die belehren und berichtigen wollen, zu vermeiden; wo es sich am Wahrheit und Wissenschaft handelt, sind sie nur ein grosser Fehler, der die Sprache oder die Person trifft, die davon Gebrauch macht. Ich brauche hier ihr Wesen und ihre[118] Mannichfaltigkeit nicht darzulegen; aus den unzähligen Büchern über Beredsamkeit kann Jeder, der Lust hat, die nöthige Belehrung schöpfen; doch möchte ich erwähnen, dass für die Bewachung und Vermehrung der Wahrheit und Wissenschaft wenig gesorgt wird, seitdem die Künste der Täuschung gepflegt und geehrt werden. Die Neigung zu täuschen und getäuscht zu werden, ist sehr gewachsen, seitdem die Beredsamkeit, dieses mächtige Werkzeug des Irrthums und Betrugs, seine festen Professoren erhalten hat, öffentlich gelehrt wird und überall in grossem Ansehen steht Man wird mich sicherlich für dreist, wo nicht unvernünftig halten, dass ich mich so dagegen geäussert habe; denn die Beredsamkeit hat, gleich dem schönen Geschlecht, eine so verführerische Schönheit an sich, dass sie keinen Widerspruch verträgt, und es ist vergeblich, dass man in diesen Künsten die Täuschung, die Fehler aufdeckt, da Jedermann gern sich selber täuschen lässt.

Quelle:
John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 2, Berlin 1872, S. 99-119.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Versuch über den menschlichen Verstand
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 1: Buch I und II
Philosophische Bibliothek, Bd.76, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 2. Buch 3 und 4
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 1. Buch 1 und 2.
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