Fünftes Kapitel.
Von den Worten für gemischte Zustände und für die Beziehungen

[31] § 1. (Sie bezeichnen begriffliche Vorstellungen gleich andern allgemeinen Worten.) Da die Worte für die gemischten Zustände allgemeine sind, so bezeichnen sie, wie ich gezeigt habe, Arten von Dingen, die ihre eigene Wesenheit haben. Diese Wesenheiten sind, wie ich ebenfalls gezeigt habe, nur begriffliche Vorstellungen der Seele, denen ein Name gegeben worden ist. Insoweit haben die Worte und Wesenheiten der gemischten Zustände nichts von anderen Vorstellungen Abweichendes, indessen findet sich bei näherer Prüfung doch etwas Eigenthümliches an ihnen, was Beachtung verdient.

§ 2. (Die Vorstellungen, welche sie bezeichnen, sind von dem Verstande gebildet.) Die erste Eigenthümlichkeit ist, dass die begrifflichen Vorstellungen,[31] oder wenn man lieber will, die Wesenheiten der verschiedenen gemischten Zustände von dem Verstande gebildet sind; dadurch unterscheiden sie sich von den einfachen Vorstellungen, die der Verstand nicht aus sich bilden kann, sondern von den wirklichen Dingen, die auf ihn wirken, nur so erhält, wie sie ihm dargeboten werden.

§ 3. (Sie sind willkürlich und nach keinem Vorbilde gemacht.) Diese Wesenheiten von den Arten der gemischten Zustände sind aber nicht blos willkürlich gemacht, sondern auch ohne ein Vorbild oder Berücksichtigung eines bestehenden Dinges. Sie unterscheiden sich darin von den Vorstellungen der Substanzen, bei denen man annimmt, dass sie von einem wirklichen Dinge abgenommen sind, mit dem sie übereinstimmen. Dagegen nimmt sich die Seele bei ihren gemischten Zuständen die Freiheit, den bestehenden Dingen nicht genau zu folgen. Sie verbindet und hält Verbindungen als ebenso viele Vorstellungen fest, während sie andere, die in der Natur oft vorkommen und durch die äusseren Dinge klar geboten sind, vernachlässigt und ohne besondere Benennung oder Hervorhebung lässt. Auch werden sie nicht, wie die zusammengesetzten Vorstellungen der Substanzen, nach wirklich bestehenden Dingen geprüft und nicht nach Mustern untersucht, welche solche Verbindungen in der Natur enthalten. Niemand wird, um zu wissen, ob seine Vorstellung des Ehebruchs oder der Blutschande richtig ist, sie unter den bestehenden Dingen aufsuchen; ihre Wahrheit beruht nicht darauf, dass Jemand Zeuge einer solchen Handlung gewesen ist, es genügt vielmehr, dass man eine solche Sammlung in eine Vorstellung vereinigt hat, welche die eigentliche Muster-Vorstellung bildet, ohne Rücksicht, ob eine solche Handlung in rerum natura begangen worden ist oder nicht.

§ 4. (Wie dies geschieht.) Um dies recht zu verstehen, muss man untersuchen, worin die Bildung dieser zusammengesetzten Vorstellungen besteht, und bemerken, dass diese nicht in der Herstellung einer neuen Vorstellung besteht, sondern in der Verbindung solcher, die man schon vorher hatte. Die Seele thut hierbei dreierlei: 1) wählt sie eine bestimmte Anzahl aus, 2) verbindet sie diese und macht sie zu einer Vorstellung,[32] 3) bindet sie dieselben durch einen Namen zusammen. Beachtet man, wie die Seele hier vorgeht, und welche Freiheiten sie sich gestattet, so bemerkt man leicht, dass das Wesen der verschiedenen gemischten Zustände nur das Werk der Seele ist, und mithin die Arten von den Menschen selbst gemacht werden.

§ 5. (Ihre Willkürlichkeit erhellt daraus, dass die Vorstellung oft vor dem Gegenstande da ist.) Man wird nicht bestreiten, dass diese Vorstellungen von gemischten Zuständen aus einer willkürlichen Verbindung von Vorstellungen durch die Seele hervorgehen und unabhängig von einem ursprünglichen Muster in der Natur, wenn man erwägt, dass diese Art zusammengesetzter Vorstellungen gebildet, selbstständig gemacht, benannt und so zu einer Art erhoben wird, ehe noch ein Exemplar dieser Art, bestanden hat. Niemand kann bezweifeln, dass die Vorstellungen des Kirchenraubs oder des Ehebruchs in der Seele des Menschen gebildet und mit Namen belegt worden sind, dass also diese Arten von gemischten Zuständen fertig gewesen sind, ehe noch eine Handlung der Art begangen worden war. Man hat sie schon besprochen, erörtert und als entdeckte Wahrheiten behandelt, als sie vielleicht nur erst in der Seele bestanden, und zwar ebenso gut, als jetzt, wo sie ein Vielleicht zu häufiges Dasein gewonnen haben. Hieraus erhellt, dass die Arten der gemischten Zustände nur die Geschöpfe des Verstandes sind; in ihm haben sie ihr Bestehen, was den Zwecken der Wahrheit und Erkenntniss ebenso dient, als wenn sie im Dasein beständen. Unzweifelhaft haben Gesetzgeber oft Gesetze für gewisse Handlungen gemacht, die nur erst die Geschöpfe ihres Verstandes waren und nur darin ihr Dasein hätten; auch wird wohl Niemand leugnen, dass die Auferstehung eine Art gemischten Zustandes in der Seele gewesen ist, ehe sie noch wirkliches Dasein erlangt hatte.

§ 6. (Beispiele: Mord, Blutschande, Meuchelmord.) Um die Willkürlichkeit in Bildung dieser gemischten Zustände durch die Seele einzusehen, braucht man nur einzelne sich anzusehen. Man erkennt dann, dass die Seele es ist, welche mehrere zerstreute Vorstellungen in eine verbindet und durch die Benennung mit einem Worte zur Wesenheit einer bestimmten Art[33] erhebt, ohne sich durch die in der Natur bestehenden Verbindungen dabei leiten zu lassen. Ist etwa die Vorstellung des Menschen in der Natur enger, wie die des Schafes mit dem Tödten, verbunden, so dass man deshalb eine besondere Art von Handlungen daraus gemacht hat, die man mit Mord bezeichnet, während bei dem Schafe dies nicht geschieht? Und welche Verbindungen hat in der Natur die Beziehung eines Vaters mehr wie die des Sohnes oder Nachbars mit dem Tödten, so dass jene mit letzterer zu einer Vorstellung verbunden und damit zu dem Wesen der bestimmten Art Vatermord gemacht worden, während bei den beiden andern nichts der Art geschehen ist? So hat man zwar die Tödtung des Vaters oder der Mutter zu einer bestimmten Art gemacht, die sich von dem Tödtendes Sohnes oder der Tochter unterscheidet; aber in andern Fällen sind Sohn und Tochter so gut wie Vater und Mutter zusammengefasst, und in derselben Art zusammengefasst worden, nämlich bei der Blutschande. So verbindet die Seele bei den gemischten Zuständen nach Belieben, und wie es ihr passt, Einzelnes zu einer zusammengesetzten Vorstellung, während sie Anderes, das in der Natur ebenso viel Verbindung hat, frei gelassen und zu keiner Vorstellung verknüpft hat, weil sie keines Namens da bedarf. Es ist also klar, dass die Seele in freier Wahl eine Anzahl Vorstellungen verbindet, die in dem Sein nicht mehr Verbindung mit einander haben als andere, welche die Seele nicht beachtet. Wie könnte sonst das Stück einer Waffe, mit der man eine Wunde zu machen beginnt, aufgefasst und zu einer bestimmten Art des Meuchelmordes benutzt werden, während der Stoff und die Gestalt der Waffe dabei unbeachtet bleibt? Ich sage nicht, dass dies ohne Grund geschehen ist, wie sich auch nebenbei ergeben wird, aber es ist doch aus freier Wahl der Seele geschehen, die ihre eigenen Zwecke im Auge hat. Deshalb sind diese Arten der gemischten Zustände das Werk des Verstandes, und es ist klar, dass die Seele in der Regel bei Bildung dieser Vorstellungen das Vorbild nicht in der Natur sucht und die zu bildende Vorstellung nicht auf bestehende Dinge bezieht, sondern dass sie sie nur so verbindet, wie es ihren Absichten dient, ohne sich an die genaue Nachahmung eines bestehenden Dinges zu binden.[34]

§ 7. (Aber immer in Verfolgung des Zwecks der Sprache.) Obgleich die zusammengesetzten Vorstellungen oder Wesenheiten der gemischten Zustände von der Seele abhängen und mit grosser Freiheit von ihr gebildet werden, so geschieht dies doch nicht ganz aufs Gerathewohl, noch geschieht die Verbindung ohne allen Grund. Wenn auch diese zusammengesetzten Vorstellungen nicht immer der Natur nachgebildet sind, so werden sie doch immer den Zwecken angepasst, für welche begriffliche Vorstellungen gebildet werden, und obgleich die Verbindungen Vorstellungen betreffen, die wenig Zusammenhang und nicht mehr Einheit an sich haben, wie viele andere, die die Seele nie zu einer Vorstellung verbindet, so dienen sie doch nur der bequemen Mittheilung, also dem Hauptzwecke aller Sprache. Der Nutzen der Sprache liegt in der leichten und schnellen Bezeichnung allgemeiner Vorstellungen durch kurze Laute, wobei nicht blos eine reiche Menge von Besonderheiten befasst wird, sondern auch eine grosse Mannigfaltigkeit selbstständiger Vorstellungen durch eine zusammengefasste erreicht wird. Bei der Bildung der Worte für gemischte Zustände leitet deshalb blos die Rücksicht auf solche Verbindungen, die man einander mitzutheilen Anlass hat. Deshalb hat man einzelne zu einer bestimmten zusammengesetzten Vorstellung verbunden und ihnen einen Namen gegeben, während andere, die in der Wirklichkeit einander ebenso nahe stehen, lose und unbeachtet geblieben sind. Wenn man auch nicht über menschliches Handeln hinausgehen wollte, so würde doch, wenn von jedem hier vorkommenden Unterschiede besondere begriffliche Vorstellungen gebildet werden sollten, die Zahl derselben endlos werden und das Gedächtniss mit deren Fülle überladen und ohne Nutzen verwirrt werden. Es genügt deshalb die Benennung und Bildung so vieler zusammengesetzten Vorstellungen von gemischten Zuständen, als der gewöhnliche Verkehr dazu Anlass giebt. Wenn mit der Vorstellung des Tödtens die des Vaters oder der Mutter verbunden wird, und so als besondere Art von der Tödtung eines Kindes oder Nachbars unterschieden wird, so geschieht es wegen der besonderen Scheusslichkeit des Verbrechens und der besonderen Strafe, welche die Tödtung des Vaters oder der Mutter verdient, im Vergleich zur[35] Tödtung eines Kindes oder Nachbars. Deshalb wird jenes durch einen besonderen Namen ausgezeichnet, was der Zweck dieser besonderen Verbindung ist. Wenn somit auch die Vorstellungen der Mutter und Tochter in Bezug auf Tödten verschieden behandelt werden, und nur die eine damit verbunden und zu einer begrifflichen Vorstellung mit einem besonderen Namen und damit zu einer besonderen Art gemacht worden ist, so werden doch Beide in fleischlicher Beziehung bei der Unzucht wieder zusammen befasst, und zwar auch hier behufs derselben Bequemlichkeit des Ausdrucks durch ein Wort und der Behandlung in einer Art für solche hässlichen fleischlichen Vermischungen, die an Unsittlichkeit die andern überbieten; es geschieht nur, um ermüdende Umschreibungen und Beschreibungen zu vermeiden.

§ 8. (Die unübersetzbaren Worte verschiedener Sprachen sind ein Beweis dafür.) Eine mässige Kenntniss verschiedener Sprachen überzeugt leicht von der Wahrheit des Obigen, da eine Menge Worte in der einen Sprache kein ihnen entsprechendes in der andern haben. Dies zeigt, dass die Einwohner des einen Landes nach ihrer Sitte und Lebensweise zur Bildung und Benennung von zusammengesetzten Vorstellungen veranlasst worden, während in einem andern Lande dies nicht geschah. Dies konnte nicht geschehen, wenn diese Arten das feste Werk der Natur wären und keine durch die Seele gemachten und abgetrennten Zusammenfassungen, denen man der Leichtigkeit der Mittheilung wegen besondere Namen gegeben hat. Die Ausdrücke der englischen Gesetze, die doch keine leeren Laute sind, werden kaum entsprechend im Spanischen oder Italienischen ausgedrückt werden können, obgleich beide reiche Sprachen sind, noch weniger werden sie sich in das Karaibische oder in die Westu-Sprachen übersetzen lassen; das Wort Versura der Römer und Corban der Juden haben in andern Sprachen keine ihnen entsprechenden Worte, wovon die Ursache nach dem Gesagten klar ist. Ja, wenn man etwas näher tritt und verschiedene Sprachen vergleicht, so zeigt sich, dass zwar in den Wörterbüchern und Uebersetzungen ein Wort als das entsprechende für ein anderes steht, aber doch bei den Worten für zusammengesetzte Vorstellungen, namentlich für gemischte Zustände, kaum[36] eins von zehn genau dieselbe Vorstellung bezeichnet, wie das Wort, was in den Wörterbüchern als gleichbedeutend aufgeführt ist. Es giebt keine gebräuchlicheren und weniger zusammengesetzten Vorstellungen, als die Maasse für Zeit, Raum und Gewicht, und die lateinischen Namen Hora, pes, libra lassen sich leicht durch die deutschen Stunde, Fuss und Pfund wiedergeben, und dennoch waren die Vorstellungen, welche die Römer mit diesen Namen verbanden, sehr von denen verschieden, die der Deutsche mit den seinigen verbindet. Sollte der Römer mit diesen deutschen Maassen, oder umgekehrt der Deutsche mit jenen rechnen, so würden sie ganz in Verwirrung gerathen. Diese Beispiele sind so klar, dass sie keinen Zweifel übrig lassen, und noch mehr gilt dies für die Worte, von höheren und zusammengesetzten Begriffen, die den grössten Theil der Reden über sittliche Dinge ausmachen. Vergleicht man diese Worte mit denen einer andern Sprache, in die sie übersetzt worden, so zeigt sich, dass nur wenig in dem ganzen Umfange ihrer Bedeutung einander entsprechen.

§ 9. (Dies zeigt, dass die Arten der Mittheilung halber gebildet worden sind.) Wenn ich so ausführlich diese Frage behandle, so geschieht es, um den Irrthümern in Bezug auf genera und species und deren Wesenheiten entgegenzutreten, als wären es regelmässige und feste natürliche Dinge von wirklichem Dasein, da sie doch bei genauerer Betrachtung nur ein Kunstgriff des Verstandes sind, um solche Zusammenfassungen von Vorstellungen, über die man oft zu sprechen hat, leichter mit einem allgemeinen Ausdruck zu bezeichnen und viele einzelne Dinge, soweit sie mit der begrifflichen Vorstellung übereinkommen, mit einem Worte zu befassen. Wenn dabei das zweideutige Wort Art es Manchem sonderbar erscheinen lässt, dass, wie ich behaupte, die Arten der gemischten Zustände von dem Verstande gebildet werden, so wird doch Niemand bestreiten können, dass diese begrifflichen zusammengesetzten Vorstellungen, die besondere Namen bekommen haben, von der Seele gebildet werden, und wenn es wahr ist, wie es der Fall ist, dass die Seele die Muster zur Ordnung und Benennung der Dinge macht, so erwäge man, wer wohl die Grenzen zwischen diesen Arten feststellt, da nach meiner[37] Meinung species und Art nur den einzigen Unterschied haben, dass jenes ein lateinisches und dieses ein deutsches Wort ist.

§ 10. (Bei gemischten Zuständen hält der Name die Verbindung zusammen und macht sie zu einer Art.) Die nahe Verwandtschaft zwischen Arten, Wesenheiten und deren allgemeinen Namen, wenigstens beigemischten Zuständen, zeigt sich auch darin, dass der Name es ist, der diese Wesenheiten erhält und Omen eine lange Dauer giebt. Denn da die Seele die Verbindung zwischen den losen Theilen dieser Vorstellungen gemacht hat, so würde diese Verbindung, die keine Unterlage in der Natur hat, sofort wieder sich lösen, wenn nicht Etwas sie so gleichsam zusammenhielte und die Theile an der Zersplitterung hinderte. Wenn daher auch die Zusammenfassung von der Seele ausgeht, so ist der Name doch gleichsam der Knoten, der sie fest zusammenhält. Welche Menge von Vorstellungen hält z.B. nicht das Wort Triumph zusammen und überliefert sie uns als eine Art? Wäre dieses Wort nie gebildet worden oder wieder ganz verloren gegangen, so würden wir wohl Beschreibungen des bei dieser Feierlichkeit Vorgegangenen besitzen, allein das, was diese verschiedenen Stücke in die Einheit einer Vorstellung zusammenfasst und erhält, ist dies daran geknüpfte Wort; ohne dieses Wort würden die verschiedenen Stücke nicht als Theile eines Vorgangs gelten, so wenig wie eine andere Schaustellung, die nur einmal geschehen und nie durch ein Wort zu einer zusammengesetzten Vorstellung verbunden worden ist. Mögen deshalb Die, welche die Wesenheiten und Arten als wirklich in der Natur bestehende Dinge ansehen, erwägen, wie sehr beigemischten Zuständen die der Wesenheit nöthige Einheit von der Seele abhängt, und wie sehr die Erhaltung und Befestigung dieser Einheit von dem Namen abhängt, den man ihr im gemeinen Gebrauche gegeben hat.

§ 11. Dem entsprechend hat man, wenn man von gemischten Zuständen spricht, nur die im Sinne und lässt nur solche als Arten gelten, die durch einen Namen ausgezeichnet sind. Da diese Namen nur das Werk des Menschen sind, um damit zu bezeichnen, so beachtet man keine Art und lässt keine als solche gelten, wenn sie[38] keinen Namen hat, der als Zeichen gilt, dass der Mensch verschiedene lose Vorstellungen zu einer verbunden hat. Durch den Namen sind die Theile dauernd vereint; ohne den würden sie sich schnell wieder trennen, wenn die Seele diese begriffliche Vorstellung bei Seite legte und nicht mehr wirklich an sie dächte. Ist aber ein Name daran geknüpft, an dem die Theile der Vorstellung einen festen und dauernden Halt haben, dann gilt das Wesen für hergerichtet und die Art als vollständig. Wozu sollte man sein Gedächtniss mit solchen Verbindungen beladen, wenn man nicht durch die Abtrennung sie allgemein machen wollte? Und wozu würde man sie allgemein machen, wenn man ihnen nicht allgemeine Namen geben wollte, um das Gespräch und die Mittheilung zu erleichtern? Deshalb gilt die Tödtung eines Menschen, mit einem Schwert oder einer Hacke nicht als eine besondere Art des Handelns, dringt aber die Spitze des Schwertes zuerst in den Körper, so gilt es für eine besondere Art, die ihren besonderen Namen hat und mit Erstechen bezeichnet wird, während in Ländern, wo dieser Name fehlt, es nicht für eine besondere Art gilt. Wenn dagegen bei körperlichen Substanzen die Seele das Wort-Wesen bildet, so gelten doch die hier verbundenen Vorstellungen als in der Natur vereinigt, gleichviel, ob die Seele sie verbindet oder nicht. Deshalb betrachtet man sie als besondere Namen, ohne dass die Seele dabei durch Abtrennung oder Benennung der zusammengesetzten Vorstellung mitgewirkt habe.

§ 12. (Die Originale der gemischten Zustände sucht man nur in der Seele; auch dies zeigt, dass sie das Werk des Verstandes sind.) Es entspricht dem Gesagten, wonach die Wesenheiten der Arten von gemischten Zuständen nur die Geschöpfe des Verstandes und nicht das Werk der Natur sind, dass ihre Namen die Gedanken nur auf die Seele lenken, und nicht weiter. Wenn man von Gerechtigkeit, von Dankbarkeit spricht, so bildet man sich nicht ein, das ein Ding der Art bestehe, vielmehr endet das Denken in den begrifflichen Vorstellungen dieser Tugenden, ohne weiter zu blicken, während dies geschieht, wenn man von einem Pferde oder von Eisen spricht, deren Vorstellungen man nicht blos aus der Seele, sondern von bestehenden Dingen entnimmt,[39] welche die ursprünglichen Muster dafür darbieten. Dagegen verlegt man beigemischten Zuständen, welche das sittliche Gebiet betreffen, in der Regel die Muster nur in die Seele, und man bezieht sich darauf bei Unterscheidung der einzelnen mit Namen bezeichneten. Deshalb heissen auch die Wesenheiten dieser Arten von gemischten Zuständen vorzugsweise Begriffe, da sie dem Verstande aus einem besonderen Rechte zugehören.

§ 13. (Da der Verstand sie ohne Muster bildet, so erklärt sich daraus ihre grosse Zusammensetzung.) Deshalb sind auch die Vorstellungen gemischter Zustände in der Regel mehr zusammengesetzt oder auseinander gelegt, wie die Vorstellungen natürlicher Substanzen. Sie sind das Werk des Verstandes, der dabei sein eigenes Ziel verfolgt; er will damit die Vorstellungen kurz ausdrücken, die er Andern mittheilen will, und deshalb verbindet er oft sehr willkürlich Dinge in einem Begriff, die in der Natur keinen Zusammenhang haben. Mit einem Worte bindet er eine grosse Menge zusammengesetzter und einfacher Vorstellungen zusammen; man nehme z.B. das Wort Procession; welche grosse Mischung enthält es nicht! es vereint die selbstständigen Vorstellungen von Personen, Trachten, Kerzen, Befehlen, Bewegungen, Tönen, welche die Seele beliebig verbunden hat, um sie mit einem Worte auszudrücken. Dagegen sind die Vorstellungen von den Arten der Substanzen meist nur aus wenigen einfachen gebildet, und bei den Thier-Arten besteht das ganze Wort-Wesen derselben meist nur aus zweien, nämlich der Gestalt und der Stimme.

§ 14. (Die Namen gemischter Zustände bezeichnen immer deren wirkliche Wesenheiten.) Man bemerkt auch, dass die Namen für gemischte Zustände (wenn sie eine bestimmte Bedeutung haben) immer das wirkliche Wesen dieser Arten bezeichnen. Da diese begrifflichen Vorstellungen das Werk der Seele sind und sich nicht auf ein wirklich bestehendes Ding beziehen, so wird mit dem Namen auch kein solches, sondern nur die von der Seele gebildete Vorstellung gemeint; von ihr hängen alle weiteren Eigenschaften der Gattung ab und leiten sich daraus her; deshalb ist das wirkliche und das Wort-Wesen hier dasselbe, und es wird sich später herausstellen,[40] wie wichtig dies für die Kenntniss allgemeiner Wahrheiten ist.

§ 15. (Weshalb in der Regel hier die Namen den Vorstellungen vorausgehen.) Daraus erklärt sich, weshalb in der Regel die Kamen der gemischten Zustände schon da sind, ehe man noch die Vorstellungen, die sie bezeichnen, vollständig kennt. Da sie Nichts darstellen, was auch ohne Namen schon bemerkt wird, sondern ihre Arten oder vielmehr ihre Wesenheiten nur begriffliche, von der Seele willkürlich gebildete Vorstellungen sind, so ist es natürlich, ja nothwendig, dass man diese Namen kenne, ehe man ihre zusammengesetzten Vorstellungen zu gewinnen sucht. Wollte Jemand seinen Kopf mit einer Anzahl begrifflicher Vorstellungen füllen, für die Andere keine Namen hätten, so könnte er mit ihnen nichts anfangen, als sie bei Seite legen und wieder vergessen. Allerdings musste im Anfang der Sprache die Vorstellung da sein, ehe man ihr einen Namen geben konnte, und so wird auch jetzt noch, wenn Jemand eine neue Vorstellung bildet und ihr einen neuen Namen giebt, ein neues Wort gemacht. Allein dies gilt nicht für fertige Sprachen, die in der Regel mit solchen Vorstellungen genügend versorgt sind, die viel vorkommen und mitzutheilen sind; hier lernen offenbar die Kinder die Namen für die gemischten Zustände eher als deren Vorstellungen. Würde wohl von Tausenden auch nur Einer die Begriffe von Rahm und Ehrgeiz bilden, ehe er die Worte dafür gehört hätte? Bei einfachen Vorstellungen und Substanzen verhält es sich allerdings anders, weil ihren Vorstellungen ein wirkliches Ding und eine Verbindung in der Natur entspricht; hier werden bald die Vorstellungen vor den Namen, bald diese vor jenen erlangt, je nachdem es sich trifft.

§ 16. (Weshalb ich bei diesem Gegenstand so ausführlich gewesen bin.) Das hier über gemischte Zustände Gesagte gilt auch mit wenig Unterschied für Beziehungen, und da hier Jeder sich selbst weiter helfen kann, so spare ich mir die Mühe weiterer Ausführung, zumal Manchen die Erörterungen dieses dritten Buches leicht zu umständlich für einen so geringfügigen Gegenstand, wie Worte, gelten könnten. Ich hätte allerdings gedrängter schreiben können, allein mir[41] lag daran, den Leser bei einem Punkt festzuhalten, der mir neu und ungewohnt erschien. (Wenigstens habe ich nicht eher an ihn gedacht, als bis ich zu schreiben begann.) Indem ich bis auf den Grund ging und ihn nach allen Seiten wendete, hoffte ich den Gedanken Anderer zu begegnen und den Leser, trotz allen Widerstrebens oder Leichtsinns, auf einen allgemeinen Uebelstand aufmerksam zu machen, der trotz seiner Wichtigkeit nur wenig beachtet wird. Bedenkt man, welcher Lärm über die Wesenheiten gemacht worden ist, und wie alle Wissenschaften, alle Reden und Gespräche durch einen sorglosen und verworrenen Gebrauch der Worte verdorben und gestört werden, so wird eine gründliche Offenlegung dieser Schäden wohl der Mühe werth erachtet werden. Man wird mir deshalb verzeihen, dass ich bei einem Gegenstand so lange verweilt bin, der so sehr der Einschärfung bedarf. Die Fehler, welche hier so häufig begangen werden, sind die grössten Hindernisse wahrer Erkenntniss und gelten dabei selbst für Kenntnisse: Man würde leicht bemerken, welch kleines Stückchen Vernunft und Wahrheit in diesen hoffärtigen Meinungen steckt, wenn überhaupt welche darin ist, mit denen so Viele sich aufblasen wenn man nur über die Modeworte hinausblickte und sich fragte, welche Vorstellungen hinter diesen Worten stecken oder auch nicht stecken, mit denen man überall sich bewaffnet und um sich wirft. Vielleicht habe ich der Wahrheit, dem Frieden und der Wissenschaft einen Dienst geleistet, wenn durch diese eingehenden Erörterungen die Aufmerksamkeit auf die eigene Sprache gelenkt werden sollte und man sich fragte, ob das, was man bei Andern so häufig bemerkt, nicht auch auf die eigene Person passe, nämlich, dass man zwar oft schöne und belobte Worte im Munde und in der Feder führt, aber doch nur solche, die eine unsichere, geringe oder gar keine Bedeutung haben. Es ist deshalb rathsam, auf sich selbst hierbei Acht zu haben und über die Prüfung durch Andere nicht unwillig zu werden. In dieser Absieht fahre ich mit dem fort, was ich über diese Gegenstände noch zu sagen habe.[42]

Quelle:
John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 2, Berlin 1872, S. 31-43.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Versuch über den menschlichen Verstand
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 1: Buch I und II
Philosophische Bibliothek, Bd.76, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 2. Buch 3 und 4
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 1. Buch 1 und 2.
Versuch über den menschlichen Verstand: Theil 1

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