Siebentes Kapitel.
Von den Neben-Redetheilen

[78] § 1. (Die Nebenworte verbinden Theile oder ganze Gedanken miteinander.) Ausser den Worten, welche Vorstellungen der Seele bezeichnen, giebt es viele andere, die man zur Bezeichnung der Verbindung benutzt, welche die Seele Vorstellungen oder Sätzen giebt. Denn bei der Mittheilung ihrer Gedanken an Andere braucht die Seele nicht blos Zeichen für ihre Vorstellungen, sondern auch für die Anzeige oder Andeutung gewisser eigener Thätigkeiten, welche sich zu dieser Zeit auf diese Vorstellungen beziehen. Es geschieht dies auf verschiedene Weise; so ist das »Ist« oder »Ist nicht« das allgemeine Zeichen der Bejahung oder Verneinung. Allein neben diesen, durch welche allein die Wahrheit oder Unwahrheit in Worten, ausgedrückt werden kann, verbindet man bei Mittheilung seiner Gedanken an Andere nicht blos die Satztheile, sondern auch ganze Gedanken mit[78] ihren Beziehungen und abhängigen Sätzen mit einander, um eine zusammenhängende Rede zu bilden.

§ 2. (Hierin besteht die Kunst, gut zu sprechen.) Die Worte, welche die verschiedenen Verbindungen durch Bejahen und Verneinen ausdrücken, womit eine fortgehende Erzählung oder Begründung gebildet wird, heissen die Nebenworte, und auf ihrem richtigen Gebrauche beruht hauptsächlich die Klarheit und Schönheit eines guten Stils. Um gut zu denken, genügt es nicht, klare und deutliche Vorstellungen zu haben und ihre Uebereistimmung oder ihren Gegensatz zu bemerken, sondern es gehört dazu ein fortlaufendes Denken, und man muss die gegenseitige Abhängigkeit der Gedanken und Gründe kennen. Um diese regelrechten und vernünftigen Gedanken gut auszudrücken, bedarf es der Worte, welche die Verbindung, Beschränkung, Unterscheidung, den Gegensatz, die Steigerung u.s.w. anzeigen, die den verschiedenen Theilen der Rede zu geben sind. Greift man hier falsch, so verwirrt man den Hörer, anstatt ihn zu unterrichten; deshalb sind diese Worte, obgleich sie nicht eigentlich Vorstellungen bezeichnen, so nothwendig und unentbehrlich in der Sprache, und deshalb unterstützen sie so sehr die gute Ausdrucksweise.

§ 3. (Sie zeigen, welche Beziehungen die Seele ihren eigenen Gedanken giebt.) Dieser Theil der Sprachlehre ist vielleicht ebenso vernachlässigt worden, wie umgekehrt andere Theile mit einem Uebermaass von Fleiss gepflegt worden sind. Es ist allerdings leicht, wenn Einer nach dem Andern über die Casus und Genera, über die Modi und Zeiten, über Gerundium und Supinum schreibt; hierauf hat man viel Fleiss verwendet, und selbst die Neben-Sprach theile sind in mehreren Sprachen mit dem Schein grosser Genauigkeit in Arten und Klassen geordnet worden. Indess sind die Vorworte und die Verbindungsworte zwar wohlbekannte Namen in den Sprachlehren, und die Neben-Sprachtheile sind sorgfältig danach geordnet und in Unterabtheilungen gebracht worden, allein um den rechten Gebrauch dieser Nebentheile und ihre Bedeutung und Kraft darzulegen, ist etwas mehr Mühe nöthig; man muss dazu in seine eigenen Gedanken eindringen und sorgfältig die verschiedenen Stellungen der Seele in ihren Reden beobachten.[79]

§ 4. Es genügt auch für das Verständniss dieser Worte nicht, sie, wie es in den Wörterbüchern geschieht, durch Worte aus einer andern Sprache wiederzugeben, die ihrem Sinne möglichst nahe kommen; denn ihre Bedeutung ist meist in der einen Sprache so schwer fassbar, als in der andern. Sie sind sämmtlich Zeichen einer gewissen Thätigkeit oder Andeutung der Seele; will man sie daher recht verstehen, so müssen die verschiedenen Standpunkte, Stellungen, Auffassungen, Wendungen, Beschränkungen, Ausnahmen und andere Gedanken der Seele, wofür keine oder nur mangelhafte Namen vorhanden sind, sorgfältig untersucht werden. Hier besteht eine grosse Mannigfaltigkeit, welche die Zahl dieser Neben-Sprachtheile in den meisten Sprachen weit übersteigt, und daher er klärt es sich, dass die meisten dieser Sprachtheile verschiedene und selbst entgegengesetzte Bedeutungen haben. In der Hebräischen Sprache giebt es ein solches Wort, was nur aus einem Buchstaben besteht, und von dem, soviel ich mich entsinne, 70 oder wenigstens 50 Bedeutungen gezählt werden.

§ 5. (Ein Beispiel am Aber.) Das »Aber« ist eines der gebräuchlichsten Nebenworte in der Sprache, und man glaubt es genügend erklärt zu haben, wenn man sagt, es entspreche dem sed im Lateinischen und dem mais im Französischen; allein es dient auch zur Andeutung verschiedener Beziehungen, die den Sätzen oder Satztheilen gegeben werden und welche in diesem kurzen Worte enthalten sind.

Z.B.: 1) »Um aber nicht mehr zu sagen«; hier zeigt es ein Anhalten des Geistes in seinem Gange an, ehe er noch zu Ende gekommen ist.

2) »Ich sehe aber nur zwei Pflanzen«; hier beschränkt es den Sinn auf das Ausgesprochene und verneint alles Uebrige.

3) »Du betest, aber es geschieht nicht, damit Gott Dich zur wahren Religion führe.«

4) »– aber wohl, dass er Dich in Deiner eigenen befestige.« Das erste dieser »Aber« bezeichnet eine Annahme von etwas Anderem, als da sein sollte; das letzte zeigt, dass die Seele einen geraden Gegensatz zwischen diesem und dem Vorgehenden aufstellt.

5) »Alle Thiere haben Sinne, aber der Hund ist ein[80] Thier.« Hier bedeutet es nur, dass der zweite Satz mit dem ersten so verbunden ist, wie die zweite Prämisse bei dem Schluss.

§ 6. (Dieser Gegenstand wird hier nur kurz berichtet.) Ausser diesen könnte man noch viele andere Bedeutungen dieses Nebenwortes anführen, wenn es auf seinen vollen Umfang und alle Orte, wo es Platz greift, ankäme; geschähe es, so würde sich ergeben, dass dieses Wort nicht überall die Bezeichnung eines trennenden verdient, welche die Sprachlehrer ihm geben. Indess geht meine Untersuchung nicht so weit; die hier an dem einen gegebenen Beispiele mögen zur Untersuchung des Gebrauchs und der Wirkung dieser Redetheile anregen; man wird dann auf manche Thätigkeit der Seele bei dem Sprechen stossen, die durch diese Nebenworte Andern mitgetheilt werden soll. Manche dieser Worte haben beständig, andere in gewissen Verbindungen die Bedeutung eines ganzen in ihnen enthaltenen Gedankens.

Quelle:
John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 2, Berlin 1872, S. 78-81.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Versuch über den menschlichen Verstand
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 1: Buch I und II
Philosophische Bibliothek, Bd.76, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 2. Buch 3 und 4
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 1. Buch 1 und 2.
Versuch über den menschlichen Verstand: Theil 1