Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Ueber die zusammengesetzten Vorstellungen von Substanzen

[310] § 1. (Wie die Vorstellungen von Substanzen gebildet werden.) Die Seele wird, wie gesagt, mit einer grossen Zahl einfacher Vorstellungen versorgt, die ihr so, wie sie an den äussern Dingen angetroffen werden, durch die Sinne und in Bezug auf ihre eigenen Thätigkeiten, durch die Selbstwahrnehmung zugeführt werden. Sie bemerkt dabei, dass eine grosse Anzahl solcher einfacher Vorstellungen stets mit einander geht. Daraus vermuthet sie, dass sie einem Dinge zugehören,[310] und da die Worte den gewöhnlichen Auffassungen angepasst und für die schnelle Mittheilung gebraucht werden, so belegt man solche in einen Gegenstand vereinigte Vorstellungen mit einem Namen. Aus Unachtsamkeit spricht man nachher davon und behandelt das wie eine Vorstellung, was in Wahrheit eine Verbindung vieler Vorstellungen ist, und weil, wie gesagt, man sich nicht vorstellen kann, wie diese einfachen Vorstellungen für sich bestehn können, so gewöhnt man sich daran, ein Unterliegendes anzunehmen, in dem sie bestehn und von dem sie ausgehen. Dieses unterliegende nennt man deshalb die Substanz.

§ 2. (Unsere Vorstellung der Substanz im Allgemeinen.) Prüft sich deshalb Jemand in Bezug auf seinen Begriff von Substanz im Allgemeinen, so zeigt sich, dass er dabei nur die Vorstellung von einem nicht näher bekannten Träger solcher Eigenschaften hat, die einfache Vorstellungen in uns erwecken können, und diese Eigenschäften werden gewöhnlich die Accidenzen genannt. Fragt man, was das ist, dem die Farben oder die Schwere anhängen, so können nur die ausgedehnten dichten Theile genannt werden, und fragt man, wem die Dichtheit und Ausdehnung anhängt, so ist der Antwortende in keiner bessern Lage, wie der früher erwähnte Indier, welcher auf seine Angabe, dass die Welt von einem grossen Elephanten getragen werde, gefragt wurde, auf was der Elephant sich stütze; er nannte darauf eine grosse Schildkröte, und auf die fernere Frage, was die breitrückige Schildkröte trage, erwiderte er, Etwas, aber er wisse nicht was. So spricht man hier wie in allen Fällen, wo man Worte ohne klare und deutliche Vorstellungen gebraucht, gleich Kindern, die auf die Frage, was das ist, was sie nicht kennen, sofort antworten: Etwas. Dies bedeutet bei Kindern wie bei Erwachsenen in solchem Falle, dass sie nicht wissen, was, und dass sie von dem Dinge, das sie kennen und besprechen wollen, überhaupt keine bestimmte Vorstellung haben, vielmehr es gar nicht kennen und im Dunkeln tappen. So ist die mit dem allgemeinen Kamen Substanz bezeichnete Vorstellung nur der angenommene, aber unbekannte Träger jener seienden Eigenschaften, die nach unserer Meinung sine re substante nicht bestehen können, d.h. nicht ohne[311] etwas, was sie trägt. Diese Träger nennt man Substantia, was nach der wahren Entstehung des Worts in einfachem Deutsch das darunter Stehende oder das Tragende bedeutet.

§ 3. (Von den Arten der Substanzen.) Wenn so die dunkele und bezügliche Vorstellung der Substanz im Allgemeinen gebildet ist, gelangt man zu besondern Arten derselben durch die Zusammenfassung solcher einfachen Vorstellungen, die nach der Erfahrung und Beobachtung der Sinne zusammen bestehen, und von denen deshalb angenommen wird, dass sie aus der besondern innern Verfassung oder dem unbekannten Wesen dieser Substanz abfliessen. So gelangt man zu der Vorstellung von Mensch, Pferd, Gold, Wasser u.s.w. Ich berufe mich hier auf die eigene Erfahrung eines Jeden, ob er dabei sich etwas Mehreres klar vorstellt, als dass gewisse einfache Vorstellungen zusammen bestehen. Die beobachteten Eigenschaften des Eisens oder eines Diamanten zusammen machen die wahre zusammengesetzte Vorstellung dieser Substanzen aus, die der Schmied oder Juwelier meist besser als der Philosoph kennt, der, wenn er von irgend welchen substantiellen Formen spricht, nur die Vorstellung einer Zusammenfassung der in den Substanzen angetroffenen einfachen Vorstellungen dabei im Sinne hat. Indess hat die zusammengesetzte Vorstellung der Substanz neben diesen sie bildenden einfachen Vorstellungen noch allemal auch die verworrene Vorstellung von Etwas, dem jene angehören und an dem sie bestehn. Deshalb sagt man bei Besprechung irgend einer Art von Substanz, dass es ein Ding mit solchen oder solchen Eigenschaften sei. So ist der Körper ein ausgedehntes, gestaltetes und bewegliches Ding, der Geist ein zum Denken befähigtes Ding; und so gelten Härte, die Erregbarkeit durch Reiben, und die Kraft, Eisen anzuziehen, als Eigenschaften des Magnetsteins. Diese und andere Ausdrücke zeigen, dass man unter Substanz immer neben der Ausdehnung, Gestalt, Dichtheit, Bewegung, dem Denken und andern wahrnehmbaren Eigenschaften noch etwas Besonderes vorstellt, obgleich man nicht weiss, was es ist.

§ 4. (Die allgemeine Vorstellung der Substanz ist nicht klar.) So spricht und denkt man zwar von einzelnen Arten der körperlichen Substanzen,[312] wie von Pferd, Stein u.s.w., obgleich die Vorstellung davon nur die Verbindung oder Zusammenfassung der einfachen sinnlichen Eigenschaften ist, die man in dem Pferd oder Stein genannten Dinge anzutreffen pflegt; allein da man nicht begreifen kann, wie sie für sich oder die eine in der andern bestehen kann, so nimmt man an, dass sie in einem gemeinsamen Unterliegenden bestehen und davon getragen werden. Diesen Träger nennt man Substanz, obgleich man offenbar davon keine klare und deutliche Vorstellung hat.

§ 5. (Die Vorstellung der Seele ist so klar wie die des Körpers.) Dasselbe zeigt sich bei den Thätigkeiten der Seele, wie Denken, Begründen, Fürchten u.s.w.; man hält sie nicht für selbstständig und kann auch nicht annehmen, dass sie dem Körper zukommen und von ihm hervorgebracht werden; deshalb bezieht man sie auf eine andere Substanz, die man Geist nennt; da man indess von dem Stoffe nur die Vorstellung eines Etwas hat, in welchem die verschiedenen sinnlichen und wahrnehmbaren Eigenschaften bestehen, so hat man in der Annahme einer Substanz, in der das Denken, Wissen, Zweifeln, eine Kraft zu bewegen u.s.w. besteht, eine ebenso klare Vorstellung von der Substanz des Geistes wie von der des Körpers; die eine gilt (ohne dass man weiss, was sie ist) als die Unterlage der einfachen von Aussen empfangenen Vorstellungen; die andere (von der man auch nicht weiss, was sie ist) als die Unterlage der in uns selbst wahrgenommenen Thätigkeiten. Die Vorstellung des Stoffes, als körperliche Substanz, steht deshalb unsern Begriffen und Auffassungen ebenso fern als die des Geistes oder der geistigen Substanz. Wenn man somit keinen Begriff von der Substanz des Geistes hat, so kann man doch daraus sein Nichtdasein so wenig folgern, als man aus diesem Grunde das Dasein der Körper leugnen kann; man könnte dann mit gleichem Rechte sagen, dass es keinen Körper gebe, weil man keine klare und deutliche Vorstellung vom Stoffe habe, wie man sagte, es gebe keinen Geist, weil man keine klare und deutliche Vorstellung von ihm habe.

§ 6. (Von den Arten der Substanzen.) Was daher auch die geheime und tiefere Natur der Substanz im Allgemeinen sein mag, so sind doch alle unsere Vorstellungen[313] von den besondern Arten der Substanzen nur unterschiedene Verbindungen einfacher Vorstellungen, die in der, wenn auch unbekannten Ursache ihrer Einheit zusammenbestehen, welche macht, dass das Ganze von selbst besteht. Nur durch solche Verbindungen einfacher Vorstellungen stellt man sich die besondern Arten der Substanzen vor; von solcher Art sind deren Vorstellungen in uns, und nur solche theilen wir durch ihre Namen Andern mit; z.B. durch Mensch, Pferd, Sonne, Wasser, Eisen. Bei dem Hören solcher Worte bildet Der, welcher die Sprache versteht, in seiner Seele eine Verbindung der einfachen Vorstellungen, die er unter diesem Namen zusammen angetroffen hat oder als bestehend sich vorstellt, und lässt sie auf der unbekannten Unterlage ruhen und ihr anhängen, ohne dass sie selbst einem andern Dinge anhängt; trotzdem zeigt es sich gleichzeitig, und Jeder findet bei Untersuchung seiner Gedanken, dass er von der Substanz, sei sie Gold oder ein Pferd, Eisen, ein Mensch, Vitriol oder Brot nur die Vorstellung der sinnlichen Eigenschaften hat, die er als einer Unterlage anhängend annimmt, welche diese Eigenschaften oder einfachen Vorstellungen stützt, die er beisammen bestehend angetroffen hat. Was ist so die Sonne anders als die Zusammenfassung der einfachen Vorstellungen von hell, heiss, rund, regelmässiger Bewegung in einer bestimmten Entfernung von uns und vielleicht noch einigen andern Eigenschaften? je nachdem Der, welcher die Sonne sich vorstellt oder von ihr spricht, mehr oder weniger genau diese sinnlichen Eigenschaften, Vorstellungen oder Eigenthümlichkeiten beobachtet hat, die sich in dem »Sonne« genannten Dinge befinden.

§ 7. (Die Kraft bildet einen erheblichen Theil von der zusammengesetzten Vorstellung der Substanzen.) Denn Derjenige hat die vollkommenste Vorstellung von einer Art der Substanzen, der die meisten in ihr bestehenden einfachen Vorstellungen gesammelt und verbunden hat, und dazu gehören auch ihre thätigen Kräfte und leidenden Empfänglichkeiten. Diese sind zwar keine einfachen Vorstellungen, indess können sie hier der Kürze halber als solche gelten. So ist die Kraft, Eisen anzuziehn, eine Vorstellung, die zu der zusammengesetzten Vorstellung der Substanz gehört, welche man Magnet[314] nennt; und das Vermögen, so angezogen zu weiden, ist ein Theil der Substanz, welche Eisen heisst; beide Kräfte gelten als ihren Unterlagen anhaftende Eigenschaften. Da Jede Substanz durch die in ihr bemerkten Kräfte ebensowohl sinnliche Eigenschaften in andern Substanzen verändern, wie einfache Vorstellungen in uns erwecken kann, die wir unmittelbar von ihr empfangen, so zeigt sie durch diese neuen in andern Substanzen eingeführten Eigenschaften uns die Kräfte, die dadurch mittelbar unsere Sinne ebenso regelmässig erregen, als ihre sinnlichen Eigenschaften es unmittelbar thun. So nimmt man durch die Sinne unmittelbar die Hitze und die Farbe des Feuers wahr, obgleich sie, genau betrachtet, nur Kräfte des Feuers sind, welche diese Vorstellungen in uns erwecken. Ebenso nimmt man durch die Sinne die Farbe und Brüchigkeit der Holzkohle wahr, wodurch man eine andere Kraft des Feuers kennen lernt, nämlich die Farbe und Festigkeit des Holzes zu verändern. Bei jenen zeigt uns das Feuer unmittelbar, bei diesen mittelbar diese verschiedenen Eigenschaften, die man deshalb dem Feuer zutheilt und damit zu einem Theile der zusammengesetzten Vorstellung desselben macht. Denn alle Kräfte, die man kennt, endigen lediglich in der Veränderung einer sinnlichen Eigenschaft der Dinge, auf welche sie wirken und die damit uns neue Eigenschaften zeigen; deshalb habe ich diese Kräfte zu den einfachen Vorstellungen gerechnet, aus denen die zusammengesetzten der verschiedenen Substanzen sich bilden, obgleich diese Kräfte an sich wahrhaft zusammengesetzte Vorstellungen sind. In diesem weitem Sinne rechne ich einige dieser Kräfte zu den einfachen Vorstellungen, die in die Seele mit eintreten, wenn man an einzelne Substanzen denkt; denn man muss auf die verschiedenen in ihnen enthaltenen Kräfte zurückgehen, wenn man wahre und bestimmte Begriffe von den verschiedenen Arten der Substanzen erlangen will.

§ 8. (Und weshalb?) Auch kann es nicht auffallen, dass die Kräfte einen grossen Theil unserer zusammengesetzten Vorstellungen der Substanzen ausmachen, da die zweiten Eigenschaften der Substanzen hauptsächlich zur Unterscheidung derselben dienen und meist einen erheblichen Theil der zusammengesetzten Vorstellungen[315] ihrer verschiedenen Arten ausmachen. Da uns die Sinne für die Wahrnehmung der Masse, des Gewebes und der Gestalt der kleinsten Körpertheilchen fehlen, von denen ihre wahrhaften Zustände und Unterschiede abhängen, so benutzt man diese zweiten Eigenschaften als die eigenthümlichen Merkmale und Zeichen zur Bildung ihrer Vorstellungen und zur Unterscheidung derselben; alle diese zweiten Eigenschaften sind aber nur Kräfte. Sowohl die Farbe und der Geschmack des Opiums, wie seine einschläfernde und schmerzstillende Natur sind reine, von seinen ersten Eigenschaften abhängige Kräfte, wodurch er verschiedene Wirkungen in verschiedenen Theilen des Körpers hervorzubringen vermag.

§ 9. (Drei Arten von Vorstellungen bilden die zusammengesetzten Vorstellungen der Substanzen.) Die Vorstellungen, welche die zusammengesetzten der körperlichen Substanzen bilden, sind dreierlei Art. Erstens die Vorstellungen der ersten Eigenschaften der Dinge, welche die Sinne wahrnehmen und die in den Dingen auch dann sind, wenn sie nicht wahrgenommen werden; dazu gehören die Masse, Gestalt, Zahl, Lage und Bewegung der Bestandtheile der Körper; sie bestehen wirklich in den Körpern, auch wenn man nicht; auf sie achtet. Zweitens die sinnlichen zweiten Eigenschaften, die von jenen abhängen und nur Kräfte sind, womit die Substanzen verschiedene Vorstellungen in uns vermittelst der Sinne hervorbringen; diese Vorstellungen sind nur so weit in den Dingen, als diese Dinge ihre Ursache sind. Drittens die Fähigkeit der Substanzen, solche Veränderungen der ersten Eigenschaften zu bewirken oder zu empfangen, dass die so veränderte Substanz nun andere Vorstellungen als zuvor erweckt. Man nennt sie sämmtlich thätige und leidende Kräfte, und so weit man Kenntniss oder Begriffe davon hat, endigen sie alle in einfachen sinnlichen Vorstellungen. Denn welche Veränderungen ein Magnet auch in den kleinsten Theilen des Eisens hervorbringen mag, so würde man doch von einer solchen Kraft keine Vorstellung haben, wenn nicht wahrnehmbare Bewegungen sie offenbarten, und sicher giebt es tausend Veränderungen, welche die Körper, die man täglich in den Händen hat, an einander bewirken können,[316] von denen, man keine Ahnung hat, weil sie in keinen Wahrnehmbaren Wirkungen sich äussern.

§ 10. (Die Kräfte bilden einen grossen Theil der zusammengesetzten Vorstellungen von Substanzen.) Die Kräfte bilden deshalb in Wahrheit einen grossen Theil in den zusammengesetzten Vorstellungen der Substanzen. Wer z.B. die des Goldes untersucht, wird finden, dass mehrere Vorstellungen desselben blos Kräfte sind; so die Kraft zu schmelzen, ohne im Feuer zu vergehen; ferner: sich in Königswasser aufzulösen. Diese Vorstellungen gehören ebenso nothwendig zu der zusammengesetzten des Goldes wie seine Farbe und Schwere, die, recht betrachtet, auch nur Kräfte sind. Denn dasselbe ist in Wahrheit nicht wirklich im Golde, sondern nur die Kraft, diese Vorstellung vermittelst der Angen bei gehörigem Lichte in uns zu erregen und die bei der Sonne nicht wegzulassende Hitze ist so wenig wirklich in der Sonne wie die weisse Farbe, welche sie in dem Wachse hervorbringt; Beides sind Kräfte derselben, die durch die Bewegung und Gestalt ihrer kleinsten Theile so auf den Menschen wirken, dass er die Vorstellung der Hitze bekommt, und auf Wachs so, dass es in dem Menschen die Vorstellung des Weissen hervorbringt.

§ 11. (Die zweiten Eigenschaften würden verschwinden, wenn man die ersten Eigenschaften ihrer kleinsten Theile wahrnehmen könnte.) Wären die Sinne so scharf, dass sie die kleinsten Theile und die wirkliche Verfassung der Körper erkennen könnten, wovon ihre sinnlichen Eigenschaften abhängen, so würden sie ganz andere Vorstellungen in uns erwecken; das Gelbe des Goldes würde dann verschwinden, und man wurde statt dessen ein bewunderungswürdiges Gewebe der Theile in Gestalt und Grösse sehen. Die Mikroskope zeigen dies deutlich; denn das, was dem blossen Auge als Farbe sich darstellt, erscheint bei einer solchen Steigereng der Schärfe des Sinnes als etwas ganz Anderes, und indem so das Verhältniss der Masse der kleinsten Theile eines farbigen Gegenstandes zu dem gewöhnlichen Sehen geändert wird, entstehen andere Vorstellungen wie vorher. So zeigt sich Sand oder gestossenes Glas dem blossen Auge dunkel und weiss; in einem Mikroskop aber durchsichtig; das Haar verliert darin seine frühere Farbe und[317] wird zum grossen Theil durchsichtig, gemischt mit einzelnen hellen farbigen Flecken, wie sie bei dem Strahlen von Diamanten und andern durchsichtigen Körpern vorkommen. Das Blut ist für das blosse Auge ganz roth; bei einem guten Mikroskop, wo seine kleineren Theile hervortreten, zeigen sich aber nur einzelne rothe Kügelchen darin, die in einer durchsichtigen Flüssigkeit schwimmen, und man kann nicht sagen, wie diese Kügelchen erscheinen würden, wenn man sie mittelst der Gläser noch 1000 oder 10000 mal mehr vergrössern könnte.

§ 12. (Unser Wahrnehmungsvermögen ist unserm Zustande angepasst.) Der unendlich weise Schöpfer der Menschen und der sie umgebenden Dinge hat die Sinne, Vermögen und Organe des Menschen den Bedürfnissen des Lebens und der hier von ihm zu erfüllenden Aufgabe angepasst. Vermittelst der Sinne können wir die Dinge erkennen, unterscheiden und so weit untersuchen, als es uns nützlich und für die Bedürfnisse des Lebens nöthig ist. Wir haben so viel Einblick in ihre wunderbare Einrichtungen und Wirkungen, als nöthig, um die Weisheit, Macht und Güte ihres Urhebers zu bewundern und zu preisen. Zu einer solchen, unseren gegenwärtigen Zustand angemessenen Erkenntniss fehlen uns nicht die Vermögen. Allein Gott scheint nicht gewollt zu haben, dass wir eine vollkommene, klare und entsprechende Erkenntniss der Dinge haben sollen; vielleicht übersteigt dies die Fassungskraft eines endlichen Wesens. Wir sind mit Vermögen (wenn auch schwach und stumpf) versehen, um so viel in den Geschöpfen zu erkennen, als nöthig, um uns zu dem Schöpfer und der Kenntniss unserer Pflichten zu führen, und wir haben die hinreichenden Fähigkeiten für das, was das Leben verlangt; dies ist unser Geschäft in dieser Welt. Wären aber unsere Sinne anders, schneller und schärfer, so würden die Dinge für uns eine ganz andere Gestalt und Erscheinung haben, die vielleicht mit unserm Dasein oder mindestens Wohlsein in diesem Theile des Weltalls sich nicht vertragen dürften. Wenn man bedenkt, wie wenig unser Zustand eine Erhebung in Regionen der Luft vertragen kann, die nur etwas höher sind als die, deren Luft wir gewöhnlich einathmen, so wird man zufrieden sein, dass diese zu unserer Wohnung bestimmte Erdkugel von[318] dem allweisen Baumeister für unsere und die, sie erregenden Körper gegenseitig angepasst worden. Wäre unser Gehörsinn nur tausendmal feiner, so würde ein fortwährender Lärm uns zerstreuen; man würde dann in dem stillsten Versteck weniger schlafen oder nachdenken können, als jetzt mitten in einer Seeschlacht, und wenn der belehrendste der Sinne, das Gesicht, bei einem: Menschen 1000 oder 100,000 mal schärfer wäre, als bei einem Mikroskope, so würden dann dem blossen Auge Dinge sichtbar werden, die viele Millionenmal kleiner wären als das Kleinste, was es jetzt sieht, und man würde so dem Gewebe und der Bewegung der kleinsten Theile der Körper näher kommen und bei vielen vielleicht ihre inneren zustände erkennen; allein ein solcher Mensch wäre dann in einer ganz andern Welt gegen seine Mitmenschen; Nichts würde ihm so erscheinen wie den Andern; seine Gesichts-Vorstellungen würden ganz verschieden sein, so dass er schwerlich mit den Andern über sichtbare Gegenstände und Farben sprechen und verkehren könnte. Er würde dann vielleicht den hellen Sonnenschein oder das helle Tageslicht nicht ertragen und nur sehr wenig auf einmal und nur in kleinen Entfernungen erkennen können. Selbst wenn ein Mensch mit solchen mikroskopischen Augen (wenn ich sie so nennen darf) tiefer als Andere in die geheime Zusammensetzung und in das Urgewebe der Körper eindringen könnte, so würde ihm das wenig nützen, wenn sein scharfes Gesicht ihn nicht auch auf den Markt und in die Börse begleiten könnte; wenn er dann den entferntem Dingen nicht ausweichen könnte, wo es nöthig ist, noch die Dinge so wie Andere unterscheiden könnte. Wer so scharfsehend wäre, dass er die Gestaltung der kleinsten Theile einer Uhrfeder sehen und beobachten könnte, auf welchem besondern Bau und Anstoss ihre elastische Bewegung beruht, würde sicherlich viel Wunderbares entdecken; allein wenn solche Augen nicht zugleich die Zeiger und die Ziffern auf dem Zifferblatt sehen und die Zeit nicht erkennen könnten, so wäre dem Besitzer damit wenig geholfen; er würde, während er die geheimsten Einrichtungen der Maschinentheile entdeckte, noch den Gebrauch derselben verlieren.

§ 13. (Vermuthungen über die Geister.) Ich möchte hier noch eine kühne Vermuthung äussern; man[319] hat nämlich Grund (wenn man nämlich Berichten vertrauen darf, wofür unsere Philosophie nicht einstehen kann), zu glauben, dass die Geister Körper von verschiedener Grösse, Gestalt und Zusammensetzung annehmen können; allein ihr Vortheil über uns dürfte nicht darin liegen, dass sie so sich Sinnes- und Wahrnehmungs-Organe verschaffen können, sondern dass sie dieselben ihrer zeitweiligen Absicht und den Umständen, unter denen sie den Gegenstand betrachten wollen, anpassen können. Denn wie viel grösser würde die Kenntniss eines Menschen gegen die der andern sein, wenn er den Bau seiner Augen, also nur dieses einen Sinnes, so ändern könnte, dass sie sich immer den verschiedenen Graden des Sehens anpassten, welche man mit Hülfe der Gläser (zunächst durch zufällige Beleuchtung) kennen gelernt hat? Welche Wunder würde er entdecken, wenn er seine Augen allen Arten von Gegenständen so anpassen könnte, dass er die kleinsten Theile in dem Blute und in andern thierischen Flüssigkeiten nach ihrer Gestalt und Bewegung so genau, erkennen könnte, wie ein andermal die Gestalt und Bewegung der Thiere selbst. Da gegen würden uns unveränderliche Organe, mit denen wir die kleinsten Theile der Körper nach Gestalt und Bewegung erkennen könnten, von denen ihre jetzigen sinnlichen Eigenschaften abhängen, für unsern jetzigen Zustand nichts nützen. Gott hat sie sicherlich so gemacht, wie es für unsern jetzigen Zustand am besten ist. Er hat sie für die Nähe der uns umgebenden Körper eingerichtet, mit denen wir zu thun haben, und wenn wir auch durch die empfangenen Vermögen keine vollkommene Kenntniss der Dinge erlangen können, so genügen sie doch für die oben genannten Zwecke, die uns vor Allem angehn. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich dem Leser eine so weitgehende Vermuthung über die Mittel der Wahrnehmung bei hohem Wesen unterbreitet habe; allein trotzdem wird man doch wohl über das Wissen der Engel keine andere Vorstellung gewinnen können, als nach Verhältniss der Art, die wir an uns selbst bemerken. Gott kann allerdings in seiner unendlichen Macht und Weisheit Wesen mit tausend andern Vermögen und Sinnen erschaffen, allein unser Denken kann nicht über unsere eigenen hinaus, und es ist uns unmöglich, selbst nur vermuthungsweise[320] über das, was die Sinnes- und Selbstwahrnehmung uns bietet, hinauszugehen. Wenigstens darf die Annahme, dass die Engel mitunter sich Körper zulegen, uns nicht erschrecken, da schon mehrere der ältesten und gelehrtesten Kirchenväter ihnen Körper zugetheilt haben. So viel ist sicher, dass ihr Zustand und die Art ihres Seins uns unbekannt ist.

§ 14. (Die zusammengesetzten Vorstellungen von Substanzen.) Um indess auf die Frage über die Vorstellungen von Substanzen zurückzukommen, so wiederhole ich, dass das Eigenthümliche von deren Vorstellungen nur in der Zusammenfassung einer Anzahl von einfachen Vorstellungen besteht, die als zu einem Dinge geeint genommen werden. Wenn sie auch gemeiniglich einfache Wahrnehmungen und ihre Namen einfache Worte sind, so sind sie doch in Wahrheit zusammengesetzt und verbunden. So ist die mit dem Worte Schwan Bezeichnete Vorstellung die weisse Farbe, der lange Hals, der rothe Schnabel, die schwarzen Beine und verbundenen Zehen; und zwar Alles dies von einer gewissen Grösse, mit dem Vermögen, im Wasser zu schwimmen und eine Art Geräusch zu machen, und vielleicht noch einigen andern Eigenschaften, wenn man diese Art Vögel lange beobachtet hat; aber alle laufen auf einfache sinnliche Vorstellungen hinaus, welche in einem Unterliegenden geeint sind.

§ 15. (Die Vorstellung geistiger Substanzen ist so klar wie die von körperlichen.) Neben den eben besprochenen zusammengesetzten Vorstellungen von stofflichen wahrnehmbaren Substanzen kann man auch aus den einfachen Vorstellungen, die den Thätigkeiten der Seele entlehnt sind, und die man täglich in sich übt, wie Denken, Verstehen, Wollen, Wissen, Bewegen u.s.w., welche in einer Substanz beisammen sind, die zusammengesetzte Vorstellung einer geistigen Substanz bilden. Durch Zusammensetzung der Vorstellungen des Denkens, der Wahrnehmung, der Freiheit, der Selbstbewegung und anderer erlangt man eine ebenso klare Vorstellung und Begriff von geistigen Substanzen wie von körperlichen. Denn verbindet man die Vorstellungen von Denken und Wollen oder die Kraft, eine körperliche Bewegung zu veranlassen oder aufzuhalten mit der unbestimmten Vorstellung der Substanz, so hat man die Vorstellung eines[321] körperlosen Geistes, und ebenso erlangt, man durch Verbindungen Vorstellungen von zusammenhängenden dichten Theilen und der Kraft, bewegt zu werden, mit der Vorstellung der Substanz überhaupt die Vorstellung des Stoffes. Die eine ist so klar als die andere; denn die Vorstellungen des Denkens und des Bewegens sind so klar und bestimmt wie die der Ausdehnung, Dichtheit und des Bewegtwerdens. Die Vorstellung der Substanz bleibt in beiden gleich dunkel oder ist gar keine, sie ist blos Etwas, ich weiss nicht was, das nur angenommen wird, um die Vorstellungen, die man Accidenzen nennt, zu tragen. Nur aus Mangel, sich selbst zu beobachten, meint man, dass die Sinne uns nur stoffliche Dinge zeigen; vielmehr gewährt jedes Wahrnehmen bei gehöriger Betrachtung den Anblick beider Seiten der Natur, der körperlichen wie der geistigen. Während ich durch Sehen oder Hören weiss, dass ein körperliches Ding ausserhalb meiner der Gegenstand meiner Wahrnehmung ist, so erkenne ich noch sicherer, dass ein geistiges Wesen in mir ist, was siebt und hört. Dies kann offenbar nicht die Thätigkeit von einem Stoffe sein, der blos nicht wahrgenommen wird, vielmehr ist sie ohne ein stoffloses denkendes Wesen unmöglich.

§ 16. (Es giebt keine Vorstellung von der Substanz an sich.) Trotz der zusammengesetzten Vorstellung von einem Ausgedehnten, Gestalteten und mit andern sinnlichen Eigenschaften Versehenen, was Alles ist, was man von ihr weiss, bleibt doch die Vorstellung der Substanz des Körpers uns so fremd, als wenn wir sie gar nicht kennten, und trotz aller vermeintlichen Bekanntschaft und Vertrautheit mit dem Stoffe und den vielen Eigenschaften, welche man an den Körpern wahrzunehmen und zu kennen überzeugt ist, wird sich doch wohl bei der Prüfung ergeben, dass man von den, den Körpern zukommenden ersten Eigenschaften keine mehreren und klareren Vorstellungen hat als von denen des stofflosen Geistes.

§ 17. (Der Zusammenhang der dichten Theile und der Stoss sind die ersten Vorstellungen vom Körper.) Die ersten Vorstellungen, die man vom Körper im Gegensatz zum Geiste hat, sind der Zusammenhang dichter und somit trennbarer Theile und ein Vermögen,[322] die Bewegung durch den Stoss mitzutheilen. Dies dürften die ursprünglichen besondern und eigenthümlichen Vorstellungen von den Körpern sein, denn die Gestalt ist nur die Folge einer bestimmten Ausdehnung.

§ 18. (Denken und das Vermögen, zu bewegen, sind die ersten Vorstellungen vom Geist.) Unsere Vorstellungen vom Geiste, die ihm eigenthümlich angehören, sind: Denken und Wollen oder das Vermögen, die Körper durch Denken zu bewegen, und die daraus folgende Freiheit. Der Körper kann nur durch Stoss seine Bewegung einem andern ruhenden mittheilen; aber die Seele kann nach Belieben Körper bewegen oder anhalten. Die Vorstellungen des Seins, der Dauer und Beweglichkeit sind beiden gemeinsam.

§ 19. (Die Geister sind der Bewegung fähig.) Es kann nicht auffallen, dass ich den Geistern Beweglichkeit zuschreibe, denn ich habe keine andere Vorstellung von Bewegung, als den Wechsel des Orts in Bezug auf andere Dinge, die als ruhend gelten. Da nun die Geister ebenso wie die Körper nur da, wo sie sind, wirken können, und da die Geister zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten wirken, so muss ich allen endlichen Geistern einen Wechsel des Ortes beilegen. (Denn von dem unendlichen Geiste spreche ich hier nicht.) Die Seele ist wie der Körper ein wirkliches Wesen; sie kann also sicherlich wie die Körper ihren Abstand von einem andern Körper oder Wesen andern, also sich bewegen; und wenn die Mathematiker zwischen zwei Punkten einen Abstand und eine Veränderung dieses Abstandes in Betracht ziehen können, so kann man dies sicherlich auch für den Abstand zweier Geister und damit sich ihre Bewegung, Annäherung oder Entfernung von einander vorstellen.

§ 20. Jeder findet an sich selbst, dass seine Seele denken, wollen und auf seinen Körper an dem Orte, wo er ist, wirken kann; aber dass sie es nicht auf einen andern Körper oder an einem hundert Meilen entfernten Orte vermag. Niemand kann meinen, dass seine Seele in Oxford denken oder einen Körper bewegen kann, während er in London ist; Jeder weiss, dass seine Seele, die mit seinem Körper verbunden ist, während seiner Reise von Oxford nach London stetig ihren Ort wechselt, ebenso[323] wie die Kutsche und die Pferde, die ihn fahren; die Seele kann währenddem wahrhaft bewegt genannt werden, und sollte dies noch nicht als eine genügend klare Vorstellung ihrer Bewegung gelten, so wird die Trennung ihrer im Tode von dem Körper es thun; denn man kann unmöglich sich vorstellen, dass sie ohne Bewegung den Körper verlässt oder heraustritt.

§ 21. Wenn man sagt, die Seele kann den Ort nicht wechseln, weil sie keinen habe, da die Geister nicht in loco, sondern ubi seien, so wird wohl diese Redeweise in einem Zeitalter nicht mehr viel bedeuten, welches nicht Lust hat, solche unverständliche Ausdrücke zu bewundern oder sich dadurch täuschen zu lassen. Soll diese Unterscheidung einen Sinn haben und auf die gegenwärtige Frage anwendbar sein, so möge man sie in gutem Englisch aussprechen und damit zeigen, dass stofflose Geister der Bewegung unfähig seien. Allerdings kann man Gott keine Bewegung zutheilen, aber nicht weil er ein stoffloser, sondern weil er ein unendlicher Geist ist.

§ 22. (Vergleichung der Vorstellungen von Seele und Körper.) Man vergleiche die zusammengesetzten Vorstellungen der stofflosen Geister und des Körpers und sehe, ob eine und welche dunkler als die andere ist. Die Vorstellung des Körpers ist, meine ich, die einer ausgedehnten dichten Substanz, die durch Stoss Bewegung mittheilen kann, und von der Seele als eines stofflosen Geistes die einer Substanz, welche denkt und durch Wollen und Denken Körper in Bewegung setzen kann. Dies sind die Vorstellungen von Körper und Seele als Gegensätzen, und nun prüfe man, welche die dunkelste und am schwersten fassbare ist. Menschen, deren Denken nur auf körperliche Dinge gerichtet ist, und deren Seele sich ganz ihren Sinnen untergeordnet hat und selten an Etwas darüber hinaus denkt, sagen vielleicht, dass sie ein denkendes Ding nicht begreifen können, und dies mag wahr sein; allein sie werden, im richtigen Sinne, auch kein ausgedehntes Ding begreifen.

§ 23. (Der Zusammenhang dichter Theile im Körper ist so schwer begreiflich wie das Denken in der Seele.) Wenn Jemand sagt, er wisse nicht, was das Denkende in ihm sei, so meint er, dass er nicht wisse, was die Substanz dieses denkenden Dinges sei;[324] allein ich sage, dass er auch nicht weiss, was die Substanz des dichten körperlichen Dinges ist. Wenn er ferner sagt, er wisse nicht, wie er denke, so sage ich, dass er auch nicht weiss, wie er ausgedehnt ist, und wie die dichten Theile der Körper vereint sind oder zusammenhängen, am die Ausdehnung zu bilden. Denn wenn auch der Druck der Luft den Zusammenhang mancher Stofftheile erklärt, die grösser als die Lufttheile sind, so kann doch die Schwere oder der Druck der Luft den Zusammenhang der Lufttheile selbst nicht erklären oder bewirken, und soll der Druck des Aethers oder eines feineren Stoffes als die Luft die Theile eines Luftraumes wie anderer Körper einen und zusammenhalten, so kann dieser Aether doch kein Band für sich selbst sein und die Theile zusammenhalten, welche die kleinsten Stücke dieser materia subtilis bilden. Deshalb genügt diese geistreiche Hypothese von dem Zusammenhalt der wahrnehmbaren Körper durch den Druck unwahrnehmbarer Körper für die Theile des Aethers nicht. Wenn auch der Zusammenhalt anderer Körper dadurch erklärt wird, so bleibt doch der Zusammenhalt der Aethertheilchen selbst im Dunkeln; denn man kann sich den Aether nicht ohne Theile vorstellen, die körperlich und theilbar sind, und für diese Theile fehlt dann die Ursache ihres Zusammenhalts, die für die Theile anderer Körper damit gegeben wird.

§ 24. Allein wenn man auch den Druck einer umgebenden Flüssigkeit noch so gross annimmt, so kann doch damit die Ursache des Zusammenhalts der dichten Stofftheile nicht erklärt werden. Allerdings kann solcher Druck die Abtrennung zweier glatten Ebenen von einander in senkrechter Richtung hindern, wie bei dem Versuche mit zwei geglätteten Marmorplatten sich zeigt, allein die Trennung, in einer den Ebenen parallelen Richtung kann dadurch nie gehindert werden. Da die umgebende Flüssigkeit in jeden durch diese seitliche Bewegung frei gewordenen Raum nachfolgen kann, so hemmt sie eine solche Bewegung verbundener Körper so Wenig wie die Bewegung eines Körpers, der von allen Seiten von dieser Flüssigkeit umgehen ist und keinen andern Körper berührt. Gäbe es daher nicht noch eine andere Ursache des Zusammenhaltes, so müssten alle Körper durch solche seitliche gleitende Bewegung sich leicht in Theile trennen[325] lassen. Ist der Druck des Aethers die entsprechende Ursache des Zusammenhalts, so kann dieser da nicht sein, wo diese Ursache nicht wirkt, und da sie (wie gezeigt) gegen eine solche seitliche Bewegung nicht wirken kann, so könnte für jede mögliche schneidende Ebene eines Körpers so wenig Zusammenhalt wie für die beiden polirten Marmorstücke bestehen, die trotz allen Drucks der Flüssigkeit doch seitlich leicht von einander gleiten. So vermeintlich klar daher auch die Vorstellung der Ausdehnung eines Körpers ist, so erhellt doch, da sie nur der Zusammenhalt der dichten Theile ist, bei näherer Betrachtung, dass die klare Vorstellung einer denkenden Seele ebenso leicht ist wie die eines ausgedehnten Körpers. Denn der Körper ist nicht weiter ausgedehnt, als die Verbindung und der Zusammenhalt seiner dichten Theile geht, und deshalb begreift man die Ausdehnung der Körper nicht, wenn man nicht weiss, worin die Verbindung und der Zusammenhalt ihrer Theile besteht. Mir scheint diese ebenso unbegreiflich wie die Art des Denkens, und wie es geschieht.

§ 25. Die meisten Menschen pflegen sich allerdings zu wundern, wie Jemand eine Schwierigkeit in dem findet, was sie täglich wahrzunehmen glauben. Sieht man nicht, sagen sie, die Körpertheile fest aneinander haften? Giebt es etwas Gewöhnlicheres? und wie will man dies in Zweifel ziehen? Ebenso fragen sie bei dem Denken und der freiwilligen Bewegung: Erfährt man sie nicht jeden Augenblick an sich selbst? und kann man daher daran zweifeln? – Allerdings sind die Thatsachen, wie ich anerkenne, klar, allein betrachtet man sie näher und fragt man, wie sie erfolgen, so geräth man in beiden Fällen in Verlegenheit und kann weder einsehen, wie die Körpertheile zusammenhängen, noch wie man sich selbst wahrnimmt oder bewegt, erkläre man mir, wie die Gold- oder Messingtheilchen (die jetzt flüssig und so lose sind wie die des Wassers oder des Sandes in der Sanduhr) in wenig Augenblicken sich so verbinden und so fest aneinanderhaften, dass der stärkste Mann sie nicht trennen kann; jeder Verständige wird hier sich in Verlegenheit befinden, wenn er seinen oder Anderer Verstand zufriedenstellen soll.

§ 26. Die kleinen Körperchen, welche das flüssige[326] Wasser bilden, sind so ausserordentlich klein, dass Niemand selbst durch ein Mikroskop (und doch sollen manche 10,000 mal, ja 100,000 mal vergrössern) ihre Grösse, Gestalt und Bewegung bestimmt gesehen zu haben behaupten wird, und ebenso sind sie so lose, dass die geringste Kraft sie trennt: ja, ihrer fortwährenden Bewegung nach kann man ihnen gar keinen Zusammenhang beilegen, und doch vereinen sich diese feinen Atome, verdichten sich und werden, wenn eine strenge Kälte eintritt, so zusammenhängend, dass nur grosse Gewalt sie trennen kann. Wer die Bande, welche diese Haufen kleiner Körper so fest zusammenbinden; wer den Kitt, der sie so zähe aneinanderklebt, fände, hätte ein grosses, noch unbekanntes Geheimniss entdeckt, und doch würde er auch dann die Ausdehnung der Körper (welche der Zusammenhang seiner dichten Theile ist) nicht erklären können, wenn er nicht zeigen könnte, worin die Vereinung oder Befestigung der Bestandtheile dieser Bande, dieses Kittes oder der Kleinsten Stofftheile besteht. Es scheint hiernach, dass diese erste, angeblich augenscheinliche Eigenschaft der Körper bei ihrer Prüfung uns so unbegreiflich wie irgend Etwas wird, und dass eine dichte, ausgedehnte Substanz ebenso schwer zu fassen ist, als eine denkende und stofflose, wenn man sich dem auch noch so sehr entgegenstellt.

§ 27. Denn geht man weiter, so wird der Druck, welcher den Zusammenhang der Körper erklären soll, ebenso unbegreiflich, wie dieser Zusammenhang selbst. Denn der Stoff gilt als endlich; deshalb gehe man an die Grenzen des Weltalls, um zu sehen, welche Reifen, welche Bande sich denken lassen, die diese Masse von Stoff so dicht zusammenpressen, und woher der Stahl seine Festigkeit und die Theile des Diamanten ihre Härte und Unauflöslichkeit haben. Ist der Stoff endlich, so muss er eine Grenze haben, und es muss da Etwas sein Auseinanderstäuben hindern. Will man diesem damit entgehen, dass man sich in den angenommenen Abgrund eines unendlichen Stoffes stürzt, so wird damit nicht mehr Licht für den Zusammenhang der Körper gewonnen und dessen Verständniss dadurch nicht näher gebracht, dass man ihn in eine der verkehrtesten und unverständlichsten Annahmen auflöst. Die Ausdehnung des Stoffes (welche nur der Zusammenhang der letzten Theile ist) wird also[327] so wenig wie die Vorstellung des Denkens klarer und bestimmter, wenn man ihre Natur, Ursache und Weise näher untersucht.

§ 28. (Die Mittheilung der Bewegung durch Stoss oder durch Denken ist also unbegreiflich.) Eine andere unserer Vorstellungen betrifft die Kraft der Körper, durch Stoss die Bewegung mitzutheilen, und die der Seele, die Bewegung durch das Denken zu erwecken. Die tägliche Erfahrung bietet uns diese beiden Vorstellungen; fragt man aber, wie es geschieht, so befindet man sich wieder im Dunkeln. Denn für die Mittheilung der Bewegung durch Stoss, wo der eine Körper so viel davon verliert, als der andere erhält, welches der gewöhnlichste Fall ist, hat man nur die Vorstellung, dass die Bewegung aus dem einen in den andern übergeht; allein dies ist ebenso dunkel und unbegreiflich, wie die Art, auf welche die Seele ihren Körper durch Denken bewegt oder zur Ruhe be stimmt, obgleich es jeden Augenblick geschieht. Noch schwerer ist die Zunahme der Bewegung durch den Stoss zu verstehen, die mitunter stattfinden soll. Man erfährt täglich, dass Bewegungen offenbar durch Stoss und Denken veranlagst werden; allein die Art des Vorganges ist schwer begreiflich; man ist für beide gleich rathlos. Mag man daher die von dem Körper oder die von der Seele kommende Bewegung nehmen, so ist die letztere ebenso klar, wie die erstere, und wenn man die thätige Kraft zu bewegen betrachtet, so ist sie bei der Seele klarer, wie bei dem Körper; denn zwei ruhende, an einander liegende Körper geben nie die Vorstellung einer Kraft in dem einen, die den andern bewegt; sie bleibt immer eine erborgte; die Seele gewährt dagegen täglich die Vorstellung einer thätigen Kraft, Körper zu bewegen, und deshalb fragt es sich wohl, ob die thätige Kraft nicht die Eigenschaft der Geister und die leidende die der Körper ist. Dann wären die erschaffenen Geister nicht ganz stofffrei, weil sie sowohl leidend wie thätig sind. Der reine Geist, d.h. Gott ist nur thätig; der reine Stoff ist nur leidend, und Wesen, die thätig und leidend sind, dürften an beiden Theil haben. Sei dem aber, wie man wolle, so hat man doch über den Geist ebenso viele und klare Vorstellungen als über die Körper; die Substanz ist bei beiden unbekannt, aber die[328] Vorstellung vom Denken der Seele ist so klar, wie die von der Ausdehnung der Körper, und die der Seele beigelegte Mittheilung der Bewegung durch Denken ist ebenso offenbar als die dem Körper beigelegte durch Stoss. Die fortwährende Erfahrung lässt uns beide bemerken, obgleich unser beschränkter Verstand keine von beiden begreifen kann; denn wenn die Seele über diese ursprünglichen, durch Sinnes- und Selbstwahrnehmung gewonnenen Vorstellungen hinaus blicken und in ihre Ursachen und Entstehungsweise eindringen will, so zeigt sich, dass sie nur ihre eigene Kurzsichtigkeit entdeckt.

§ 29. Kurz, die Sinneswahrnehmung überzeugt uns, dass es dichte, ausgedehnte Substanzen giebt, und die Selbstwahrnehmung, dass es denkende Substanzen giebt; die Erfahrung versichert uns von dem Dasein solcher Wesen, und dass das eine die Kraft hat, Körper durch Stoss zu bewegen, und das andere durch Denken; daran kann man nicht zweifeln, und die Erfahrung versieht uns jeden Augenblick mit den klaren Vorstellungen von beiden; allein über diese, aus ihren Quellen empfangenen Vorstellungen reichen unsere Vermögen nicht hinaus. Jede Untersuchung ihrer Natur, Ursachen und Wirkungsarten lässt das Wesen der Ausdehnung nicht klarer als das des Denkens erkennen; jede weitere Erklärung ist bei dem einen so schwer wie bei dem andern, und man kann ebenso schwer begreifen, wie eine Substanz, die man nicht kennt, durch Denken den Körper bewegt, als wie eine Substanz, die man nicht kennt, durch Stoss denselben bewegt. Deshalb kann man von dem Körper so wenig wie von der Seele einsehen, worin die ihnen zugehörenden Vorstellungen bestehen. Deshalb dürften die von der Sinnes- und Selbstwahrnehmung empfangenen einfachen Vorstellungen die Grenzen unseres Denkens bilden; darüber hinaus kann die Seele trotz aller Anstrengung nicht einen Schritt weiter kommen und nichts entdecken, wenn sie über die Natur und die verborgenen Ursachen dieser Vorstellungen grübelt.

§ 30. (Die Vorstellung des Körpers und des Geistes, mit einander verglichen.) Somit steht es, wenn man die Vorstellungen von Körper und von Geist mit einander vergleicht, so, dass die Substanz des Geistes so unbekannt ist, wie die des Körpers. Von zwei ursprünglichen[329] Eigenschaften des Körpers, nämlich von den dichten und zusammenhängenden Theilen und vom Stoss, hat man klare Vorstellungen und ebenso von den zwei ursprünglichen Eigenschaften der Seele, vom Denken und der Kraft zu handeln, oder einzelne Gedanken oder Bewegungen zu erwecken und zu hemmen. Ebenso hat man klare Vorstellungen von andern, den Körpern zugehörenden Eigenschaften, welche aber nur mannichfache Besonderungen jener beiden ursprünglichen Eigenschaften sind. Ebenso hat man Vorstellungen von den Besonderungen des Denkens, wie das Glauben, das Zweifeln, das Beabsichtigen, das Fürchten, das Hoffen, die sämmtlich nur Besonderungen des Denkens sind. Auch hat man die Vorstellung vom Wollen und von einem, dem gemässen Bewegen des Körpers und damit auch der Seele, da, wie gezeigt, die Geister der Bewegung fähig sind.

§ 31. (Der Begriff des Geistes ist nicht schwerer als der des Körpers.) Wenn endlich der Begriff des stofflosen Geistes auch manche nicht leicht zu beseitigende Schwierigkeit bietet, so kann man deshalb doch das Dasein solcher Geister so wenig leugnen oder bezweifeln, als das Dasein der Körper; denn der Begriff des Körpers ist auch mit grossen Schwierigkeiten belastet, die kaum erklärt und gelöst werden dürften. Man zeige mir, dass der Begriff des Geistes mehr Verwickelungen oder Widersprüche enthalte, als der Begriff des Körpers! Die endlose Theilbarkeit einer endlichen Ausdehnung verwickelt, mag man sie zugeben oder leugnen, in folgen, die man nicht erklären oder von Widersprüchen nicht befreien kann; in Folgen, die schwieriger und anscheinend verkehrter sind, als Alles, was aus dem Begriffe einer stofflosen wissenden Substanz folgt.

§ 32. (Wir kennen nur die einfachen Vorstellungen.) Man darf sich darüber nicht wundern, da man nur einige oberflächliche Vorstellungen von den Dingen hat, weil sie nur durch die Sinne von Aussen oder durch die Beobachtung der innern Vorgänge bekannt werden, ohne dass man etwas Weiteres davon weiss, und uns die Vermögen fehlen, um die innern Zustände und die wahre Natur der Dinge zu erkennen. Indem man daher in sich das Wissen und die Macht, willkürlich zu bewegen, so sicher wahrnimmt, wie in den äussern Dingen den Zusammenhang[330] und die Trennung der dichten Bestandtheile, d.h. die Ausdehnung und Bewegung der Körper, so kann man mit dem Begriffe des stofflosen Geistes und seines Daseins ebenso sich begnügen, wie mit dem Begriffe und Dasein des Körpers. Es ist nicht widersprechender, dass ein Denken getrennt und unabhängig von Dichtheit besteht, als dass die Dichtheit besonders und unabhängig vom Denken besteht, da sie beide nur einfache, von einander unabhängige Vorstellungen sind und man von beiden klare Vorstellungen hat. Ich wüsste deshalb nicht, warum man das Dasein eines denkenden Dinges ohne Dichtheit, d.h. ohne Stoff, nicht ebenso zulassen wollte, als ein dichtes Ding, ohne Denken, oder den Stoff; Eines ist so schwer und so leicht zu fassen, als das Andere; da, wenn man über diese einfachen Vorstellungen der Sinnes- und Selbstwahrnehmung hinausgehen und in die Natur der Dinge tiefer eindringen will, man sofort in Dunkelheit, Verwickelungen und Schwierigkeiten geräth und dann nur die eigene Blindheit und Unwissenheit wahrnimmt. Sollte aber auch eine dieser beiden zusammengesetzten Vorstellungen klarer als die andere sein, so ist doch so viel offenbar, dass die einfachen Vorstellungen, aus denen sie bestehen, nur aus der Sinnes- und Selbstwahrnehmung stammen; dies gilt von den Vorstellungen aller Substanzen; ja von der Gottes selbst.

§ 33. (Die Gottes-Vorstellung.) Prüft man die Vorstellung, welche man von dem unbegreiflichen höchsten Wesen hat, so zeigt sich, dass man auf demselben Wege zu ihr kommt und dass sowohl die zusammengesetzte Vorstellung von Gott, wie von andern Geistern, aus den einfachen durch Selbstwahrnehmung gewonnenen Vorstellungen gebildet wird, d.h. aus dem, was man in sich selbst bemerkt, also von den Vorstellungen des Daseins und der Dauer, des Wissens und der Macht, der Lust und des Glückes und andern Eigenschaften und Kräften, deren Besitz werthvoll ist. Wenn daraus die angemessenste Vorstellung des höchsten Wesens gebildet werden soll, so wird Jede dieser Eigenschaften durch unsere Vorstellung der Unendlichkeit vergrössert und durch deren Verbindung die Vorstellung Gottes erlangt; denn ich habe bereits gezeigt, dass die Seele ihre durch Sinnes- und[331] Selbstwahrnehmung gewonnenen Vorstellungen so erweitern kann.

§ 34. Wenn ich finde, dass ich nur wenige Dinge, und zum Theil oder vielleicht alle nur unvollkommen kenne, so kann ich doch die Vorstellung von zweimal so viel Wissen bilden, und ich kann sie so oft wie die Zahl verdoppeln und damit auf alle seienden und möglichen Dinge ausdehnen. Dasselbe kann ich mit dem vollkommneren Wissen thun, d.h. mit dem Wissen von allen ihren Eigenschaften, Kräften, Ursachen, Wirkungen, Beziehungen u.s.w., bis Alles in den Dingen, und alle Beziehungen zu denselben gekannt sind, und ich kann so die Vorstellung eines unendlichen und grenzenlosen Wissens bilden. Ebenso kann man die Kraft bis zur unendlichen vergrössern und auch die Dauer so zu einer nach Anfang und Ende unendlichen machen und damit die Vorstellung eines ewigen Wesens bilden, indem die Grade oder die Ausdehnung des Daseins, der Macht, der Weisheit und aller andern Vollkommenheiten (die man vorstellen kann), welche dem höchsten, Gott genannten Wesen beigelegt werden, sämmtlich grenzenlos und unendlich sind, so entsteht daraus die bestmöglichste Vorstellung von ihm; aber all dies geschieht nur durch Steigerung jener einfachen Vorstellungen, die man durch Selbstwahrnehmung von den Thätigkeiten der Seele und durch die Sinne von den änssern Dingen entlehnt hat, zu jener Unermesslichkeit, zu welcher die Unendlichkeit sie ausdehnen kann.

§ 35. (Die Gottes-Vorstellung.) Denn die Unendlichkeit ist es, die mit den Vorstellungen des Daseins, der Macht, des Wissens u.s.w. verbunden, jene zusammengesetzte Vorstellung bildet, durch die man sich am besten das höchste Wesen vorstellt. Denn wenn auch Gott in seiner Wesenheit (die wir sicherlich nicht kennen, da wir nicht einmal die wirkliche Wesenheit eines Steines oder einer Fliege oder von uns selbst kennen) einfach und nicht zusammengesetzt ist, so haben wir doch keine andere Vorstellung von ihm, als die aus einem ewigen und unendlichen Dasein, Wissen, Macht, Glück zusammengesetzte. Dies sind Alles besondere Vorstellungen, ja, einige sind Beziehungen und daher selbst aus andern zusammengesetzt; aber alle sind, wie gezeigt, ursprünglich durch Sinnes- und Selbstwahrnehmung erlangt und bilden als[332] solche die Vorstellung oder den Begriff, den wir von Gott haben.

§ 36. (Jede einzelne Vorstellung in der zusammengesetzten von Geistern ist aus der Sinnes- und Selbstwahrnehmung entlehnt.) Auch theilt man Gott keine Vorstellung, mit Ausnahme der Unendlichkeit zu, die nicht auch einen Theil der Vorstellung von andern Geistern bildet. Denn man kann keine andern einfachen Vorstellungen, welche Dingen mit Ausnahme der Körper zugehören, haben, als die, welche die Selbstwahrnehmung von den Thätigkeiten der eigenen Seele bietet, und man kann daher auch nur solche den Geistern beilegen. Aller Unterschied, den man zwischen den Geistern sich vorstellen kann, betrifft nur die verschiedene Ausdehnung der Grade ihres Wissens, ihrer Macht, Dauer, Seligkeit u.s.w. Denn dass man bei den Vorstellungen von Geistern, wie bei denen von andern Dingen, auf die durch die Sinnes- und Selbstwahrnehmung empfangenen beschränkt ist, erhellt daraus, dass wenn man auch die Vorstellungen der Geister noch so sehr in ihrer Vollkommenheit über die der Körper und selbst bis zur Unendlichkeit erhöht, man doch sich über die Art, wie sie ihre Gedanken sich mittheilen, keine Vorstellung machen kann, obgleich man anerkennen muss, dass die Geister, als Wesen von vollkommnerem Wissen und grösserem Glück, auch eine vollkommnere Art für die Mittheilung ihrer Gedanken haben müssen, als wir, die dafür auf körperliche Zeichen und besondere Laute beschränkt sind, deren allgemeiner Gebrauch nur daher kommt, dass diese Zeichen die besten und schnellsten sind, deren wir fähig sind. Von einer unmittelbaren Mittheilung der Gedanken haben wir dagegen keine eigene Erfahrung, und deshalb auch überhaupt keinen Begriff davon, wie Geister ohne Worte ihre Gedanken mit Schnelligkeit mittheilen und noch weniger, wie Geister ohne Körper Meister ihrer Gedanken sein und dieselben nach Belieben mittheilen oder verbergen können, obgleich man doch ein solches Vermögen nothwendig bei ihnen voraussetzen muss.

§ 37. (Wiederholung.) So hat sich gezeigt, welche Art von Vorstellungen man von den mancherlei Substanzen hat, woraus sie bestehen und wie man zu ihnen gelangt. Danach dürfte ziemlich klar sein:[333]

1) dass all unsere Vorstellungen der mancherlei Substanzen nur Zusammenfassungen einfacher Vorstellungen sind mit der Annahme von Etwas, dem sie zugehören und in dem sie bestehen, obgleich man von diesem angenommenen Etwas durchaus keine klare Vorstellung hat;

2) dass all diese einfachen Vorstellungen, die so auf einer gemeinsamen Unterlage vereint die zusammengesetzten Vorstellungen der verschiedenen Substanzen bilden, nur durch Sinnes- und Selbstwahrnehmung erlangt werden. Deshalb kann man selbst bei den Vorstellungen, mit denen man am vertrautesten zu sein meint und die dem Verständniss unserer weitesten Fassungskraft am nächsten kommen, nicht über diese einfachen Vorstellungen hinauskommen; und umgekehrt kann man selbst bei den Vorstellungen, welche allen bekannten am fernsten stehen, und die Alles das unendlich übertreffen, was man in sich durch Selbstwahrnehmung und in andern Dingen durch Sinneswahrnehmung erkennt, auch über diese einfachen aus der Sinnes- und Selbstwahrnehmung stammenden Vorstellungen nichts weiter erreichen, wie die zusammengesetzten Vorstellungen der Engel und insbesondere Gottes selbst ergeben;

3) dass die meisten der einfachen Vorstellungen, aus denen die zusammengesetzten von den Substanzen bestehen, in Wahrheit nur Kräfte sind, wenngleich man sie als bejahende Eigenschaften auffassen kann. So sind z.B. die meisten der die Vorstellung des Goldes ausmachenden Vorstellungen, wie gelbe Farbe, schweres Gewicht, Dehnbarkeit, Schmelzbarkeit, Auflösbarkeit in Königswasser u.s.w., alle in einem unbekannten Unterliegenden vereint gedacht, nur so viele Beziehungen zu andern Substanzen, ohne in dem Golde an sich wirklich enthalten zu sein, obgleich sie von jenen wirklichen und ersten Eigenschaften seiner innern Verfassung abhängen, welche das Gold zu verschiedener Thätigkeit und zum Erleiden der Einwirkungen von andern Substanzen befähigen.[334]

Quelle:
John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 1, Berlin 1872, S. 310-335.
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Versuch über den menschlichen Verstand
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 1: Buch I und II
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