Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Von der Dieselbigkeit und Verschiedenheit

[346] § 1. (Worin die Dieselbigkeit besteht.) Einen andern Anlass zum Vergleichen entnimmt die Seele von dem Sein der Dinge. Wird ein Ding als daseiend zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort aufgefasst, so vergleicht man es mit sich selbst zu einer andern Zeit und an einem andern Ort und bildet danach die Vorstellungen der Dieselbigkeit und Verschiedenheit. Sieht man ein Ding zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, so ist man sicher (sei es, was man will), dass es dasselbe Ding ist und kein anderes, was zu diesem Zeitpunkt an einem andern Orte besteht, so sehr sich auch beide gleichen und in jeder andern Rücksicht nicht zu unterscheiden sind. Es besteht also die Dieselbigkeit dann, wenn die als dieselben erklärten Vorstellungen[346] sich durchaus nicht von dem unterscheiden, was sie in dem Augenblick waren, wo man ihr früheres Sein betrachtet, und womit man ihr gegenwärtiges vergleicht. Denn man bemerkt niemals und kann es sich nicht als möglich vorstellen, dass zwei Dinge derselben Art an demselben Orte zu derselben Zeit bestehen sollten, und deshalb schliesst man mit Recht, dass das zu irgend einer Zeit an einem Orte bestehende Ding jedes andere der Art daselbst ausschliesse und daher nur allein es Selbst ist. Fragt man daher, ob ein Ding dasselbe sei oder nicht, so bezieht sich dies immer auf Etwas, das zu dieser Zeit an diesem Orte bestand, welches in diesem Zeitpunkte sicherlich mit sich selbst dasselbe war und kein anderes. Daraus folgt, dass ein Ding nicht zwei Anfänge des Daseins noch zwei Dinge denselben Anfang haben können, da es für zwei Dinge derselben Art unmöglich ist, in demselben Zeitpunkt an demselben Orte zu sein oder für ein und dasselbe Ding in verschiedenen Orten. Was daher denselben Anfang gehabt hat, ist dasselbe Ding, und was einen nach Zeit und Ort davon verschiedenen Anfang gehabt hat, ist nicht dasselbe, sondern verschieden. Die Schwierigkeiten bei dieser Beziehung sind von der geringen Sorgfalt und Aufmerksamkeit für genaue Begriffe der Dinge entstanden, auf die man diese Beziehung angewendet hat.

§ 2. (Die Dieselbigkeit der Substanzen.) Man hat nur von drei Arten von Substanzen eine Vorstellung, 1) von Gott, 2) von endlichen Geistern, und 3) von Körpern. Gott ist ohne Anfang, ewig, unveränderlich, überall; über seine Dieselbigkeit kann daher kein Zweifel entstehen. Endliche Geister haben Jeder seine bestimmte Zeit und Stelle des Anfanges im Dasein gehabt; die Beziehung auf diese Zeit und Stelle wird immer für jeden seine Dieselbigkeit bestimmen, so lange er besteht. Dasselbe gilt für jeden Theil des Stoffs, welcher, wenn kein Zusatz oder Abzug von Stoff gemacht worden, derselbe ist. Denn wenn auch diese drei Arten vom Substanzen einander in derselben Stelle nicht ausschliessen, so muss doch eine jede dies für die andern ihrer Art thun, sonst wären die Begriffe und Worte der Dieselbigkeit und Verschiedenheit leer, und dergleichen Substanzen oder sonst Etwas könnten nicht von einander unterschieden werden.[347]

Könnten z.B. zwei Körper gleichzeitig an demselben Orte sein, so müssten diese zwei Stücke des Stoffs ein und dasselbe sein, mögen sie gross oder klein sein; ja, alle Körper müssten dann dieselben sein. Denn wenn zwei Körper an derselben Stelle gleichzeitig sein könnten, so könnten es auch alle Körper, und nimmt man das für möglich an, so verschwindet aller Unterschied von Dieselbigkeit und Verschiedenheit, von Einem und Mehreren, und sie werden lächerlich. Allein es ist ein Widerspruch, dass Zweie Eins seien; deshalb bleiben die Dieselbigkeit und Verschiedenheit Beziehungen und Vergleichungen, die begründet und für das Denken nützlich sind.

(Die Dieselbigkeit von Eigenschaften.) Da alle andern Dinge nur Eigenschaften oder Beziehungen sind, die in Substanzen enden, so wird die Dieselbigkeit und Verschiedenheit auch von jeder einzelnen auf die selbe Weise bestimmt. Nur bei Dingen, die in zeitlicher Folge bestehen, wie die Handlungen endlicher Wesen, z.B. die Bewegung und das Denken, die beide in einem stetigen Zuge zeitlichen Fortganges sich befinden, kann über deren Verschiedenheit keine Frage entstehen; denn da jedes denselben Augenblick, wo es beginnt, auch erlöscht, so kann es nicht zu verschiedenen Zeiten oder Orten bestehen, wie beharrliche Dinge, und deshalb ist jede Bewegung oder jedes Denken zu verschiedenen Zeiten auch verschieden, und jeder Theil desselben hat einen verschiedenen Anfang.

§ 3. (Der Grund der Einzelheit. Principium individuationis.) Aus dem Gesagten ergiebt sich leicht das so viel gesuchte principium individuationis; es ist offenbar das Dasein selbst, welches einem Dinge für eine besondere Zeit und Ort bestimmt wird; indem diese zwei Dingen derselben Art nicht zugetheilt werden können. Wenn dies auch bei einfachen Substanzen und Eigenschaften sich leichter begreift, so ist es doch, wenn man darauf achtet, auch bei zusammengesetzten nicht schwieriger zu fassen, wenn man auf das achtet, worauf es angewendet wird. Man nehme z.B. ein Atom, d.h. einen stetig unter einer Oberfläche fortbestehenden Körper, der in einer besondern Stelle des Raumes und der Zeit da ist; offenbar ist er in jedem Zeitpunkt seines Daseins derselbe mit sich selbst. Denn indem er zu diesem Zeitpunkt das[348] ist, was er ist und nichts Anderes, so ist er derselbe und muss dies bleiben, so lange sein Dasein währt; denn so lange wird er derselbe und kein anderer sein. Ebenso werden, wenn zwei oder mehr Atome zu derselben Masse verbunden werden, jedes nach der vorgehenden Regel dasselbe bleiben, und so lange sie verbunden fortbestehn, muss die aus denselben Atomen bestehende Masse dieselbe Masse oder derselbe Körper bleiben, wenn auch die Theile noch so verschieden gemischt werden. Wird dagegen ein Atom weggenommen oder ein neues zugefügt, so ist es nicht länger dieselbe Masse oder derselbe Körper. Der Zustand lebender Wesen hängt in seiner Dieselbigkeit nicht von der Masse derselben Theilchen ab, sondern von etwas Anderem; denn hier hebt der Wechsel in grossen Stücken des Stoffes die Dieselbigkeit nicht auf. So bleibt eine Eiche dieselbe, wenn sie aus einem Pflänzchen zu einem grossen Baume geworden und dann wieder beschnitten wird; ein Füllen, was zu einem Pferde herangewachsen und bald dick, bald mager ist, bleibt immer dasselbe Pferd, obgleich ein offenbarer Wechsel der Theile stattgehabt hat. Hier ist allerdings die Masse nicht mehr dieselbe, und doch ist die Eiche und das Pferd dasselbe geblieben. Der Grund ist, weil die Dieselbigkeit in den beiden Fällen, nämlich bei einer blossen Masse von Stoff und bei einem lebendigen Körper nicht auf dasselbe Ding angewendet wird.

§ 4. (Die Dieselbigkeit der Pflanzen.) Man hat deshalb zu sehen, worin eine Eiche sich von einer Masse Stoff unterscheidet, und dies scheint mir darin zu liegen, dass letzterer nur ein Zusammenhang von irgend wie verbundenen Stofftheilen ist, aber erstere eine solche Anordnung derselben, wie sie die Theile einer Eiche ausmacht, und eine solche Organisation dieser Theile, dass sie Nahrung empfangen und vertheilen, und damit das Holz, die Rinde, die Blätter u.s.w. von einer Eiche bilden und erhalten können, worin das Pflanzenleben besteht. Mithin ist das eine Pflanze, was eine solche Organisation der Theile in einem zusammenhängenden Körper hat, welcher an dem gemeinsamen Leben Theil nimmt, und sie bleibt eine, so lange sie an demselben Leben Theil nimmt, wenn auch dieses Leben sich auf neue Stofftheile erstreckt, die mit der lebenden Pflanze lebendig zu[349] einer gleichen stetig dauernden Organisation, entsprechend dieser Art von Pflanzen, vereint werden. Diese Organisation besteht zu jedwedem Zeitpunkt in irgend einer Ansammlung von Stoff und ist damit in dieser Bestimmtheit von allen andern verschieden; es ist das Einzel-Leben, welches vor- und rückwärts von diesem Zeitpunkt ab stetig besteht, und in derselben Stetigkeit von unmerklich sich folgenden Theilen, die mit dem lebendigen Körper einer Pflanze verbunden wer den, jene Dieselbigkeit hat, welche die Pflanze zu derselben und alle ihre Theile zu Theilen dieser Pflanze macht, so lange sie in dieser stetigen Organisation vereint fortbestehen, die allen so geeinten Theilen das gemeinsame Leben zu gewahren geeignet ist.

§ 5. (Die Dieselbigkeit der Thiere.) Der Fall ist bei den Thieren nicht so verschieden, dass man nicht daraus leicht entnehmen könnte, was die Dieselbigkeit eines Thieres ausmacht und erhält. Etwas Aehnliches hat man bei Maschinen, was zur Erläuterung dienen kann. Was ist z.B. eine Taschenuhr? Offenbar nur eine passende Organisation oder Einrichtung von Theilen zu einem bestimmten Zweck, welchen sie, wenn eine genügende Kraft hinzukommt, erfüllen kann. Nimmt man diese Maschine als einen stetig dauernden Körper, dessen Theile in ihrer Einrichtung sämmtlich in Stand gehalten und durch einen steten Zugang und Abgang unmerklicher Theilchen vergrössert oder verkleinert worden, und der ein gemeinsames Leben hat, so müsste man daran etwas dem Körper der Thiere sehr Aehnliches haben; nur mit dem Unterschied, dass bei den Thieren die richtige Organisation und Bewegung, worin das Leben besteht, zugleich beginnt, da die Bewegung von innen kommt, während bei den Maschinen diese Kraft von aussen kommt und oft fehlt, obgleich die Maschine in Ordnung und zur Aufnahme der Kraft geeignet ist.

§ 6. (Die Dieselbigkeit des Menschen.) Dies zeigt, worin die Dieselbigkeit des Menschen besteht; nämlich in der blossen Theilnahme an demselben fortgesetzten Leben, wobei die Stofftheilchen immer fliessend und mit demselben organisirten Körper lebendig verbunden sind. Wer die Dieselbigkeit des Menschen in etwas Anderem als bei den Thieren sucht, also nicht in einem[350] zweckmässig organisirten Körper, der von einem bestimmten Zeitpunkt aus in einer Organisation zum Leben in stetig fliessenden und mit ihm vereinten Stofftheilchen fortbesteht, wird schwer eine Leibesfrucht, einen in Jahren Vorgerückten, einen Verrückten und einen Mässigen als denselben Menschen darlegen können, wenn er nicht etwas aufstellt, was auch Seth, Ismael, Sokrates, Pilatus, St. Angustin und Cäsar Borgia zu ein und demselben Menschen macht. Denn wenn nur die Dieselbigkeit der Seele die Dieselbigkeit des Menschen bedingt, und die Natur des Stoffes kein Hinderniss bietet, dass dieselbe Seele sich mit verschiedenen Körpern verbinden kann, so ist es möglich, dass diese Personen, die zu verschiedenen Zeiten gelebt haben und verschiedenen Charakters gewesen sind, doch ein und derselbe Mensch gewesen sind; man müsste dabei durch einen ungewöhnlichen Gebrauch des Wortes Mensch diese Ausdrücke auf eine Vorstellung anwenden, von welcher die Gestalt und der Körper ausgeschlossen blieben. Auch würde diese Ausdrucksweise noch schlechter zu den Begriffen der Philosophen passen, welche eine Seelenwanderung zulassen und glauben, dass die Seelen der Menschen wegen ihres schlechten Lebenswandels in die Leiber von wilden Thieren, mit Organen, die zu ihren anvernünftigen Neigungen passen, als Wohnstellen verstossen werden. Indess wird trotzdem wohl Niemand, auch wenn er sicher wäre, dass des Heliogabal Seele in einem seiner Schweine stäke, sagen, dieses Schwein sei ein Mensch oder Heliogabal.

§ 7. (Die Dieselbigkeit passt sich der Vorstellung an.) Deshalb umfasst die Einheit der Substanz nicht alle Arten der Dieselbigkeit und entscheidet nicht in Jedem Falle; vielmehr muss man, um hierüber richtig zu urtheilen, beachten, welche Vorstellung das gebrauchte Wort bezeichnet; denn die Ausdrücke: dass Etwas dieselbe Substanz, derselbe Mensch und dieselbe Person sei, bezeichnen nicht ein und dasselbe, wenn Substanz, Mensch und Person drei verschiedene Vorstellungen bezeichnen; denn die Dieselbigkeit muss so sein, wie die zu dem Worte gehörende Vorstellung. Hätte man dies etwas sorgfältiger beachtet, so würden viel Verwirrung hierüber und manche scheinbar grossen Schwierigkeiten vermieden worden, sein, namentlich in Bezug auf die Dieselbigkeit[351] von Personen, welche hier zunächst in Betracht kommen soll.

§ 8. (Derselbe Mensch.) Das Thier ist ein lebendiger und organisirter Körper, und deshalb bleibt ein Thier dasselbe, wenn dasselbe fortgesetzte Leben sich verschiedenen Stofftheilen mittheilt, je nachdem sie sich im Laufe der Zeit mit diesem lebendigen und organisirten Körper verbinden. Was man auch sonst für Definitionen aufstellt, so setzt es eine unbefangene Beobachtung doch ausser Zweifel, dass die Vorstellung, welche das Wort Mensch bezeichnet, nur das Zeichen für ein lebendes Wesen von solcher bestimmten Form ist. Denn ich bin überzeugt, dass Jeder, der ein Geschöpf von seiner Gestalt und Einrichtung sieht, es einen Menschen nennen wird, wenn es auch in seinem ganzen Leben nicht mehr Verstand als eine Katze oder ein Papagei gehabt hat, und dass, wenn er eine Katze oder einen Papageireden, beweisen und philosophiren hörte, er sie doch nur für eine Katze oder einen Papagei halten und so nennen und nur sagen würde, der eine sei ein dummer, unvernünftiger Mensch, und der andere ein sehr kluger, vernünftiger Papagei. Der nachfolgende Bericht eines bedeutenden Schriftstellers wird diese Annahme eines vernünftigen Papageien unterstützen. Seine Worte sind:

»Ich glaube aus des Prinzen Moritz eignem Munde eine verbreitete und vielgeglaubte Geschichte von einem Papagei gehört zu haben, den er während seiner Regierang in Brasilien gehabt; doch habe ich auch anderwärts davon gehört. Der Papagei sprach, fragte und antwortete auf gewöhnliche Fragen wie ein vernünftiges Wesen, so dass die Umgebung des Prinzen es für Zauberei hielt oder meinte, er sei von dem Teufel besessen. Einer von des Prinzen Kaplanen, der später lange in Holland lebte, konnte seitdem keinen Papagei mehr leiden und meinte, alle hätten den Teufel im Leibe. Ich hatte vielerlei Sonderbares über dieses Thier gehört, was selbst von glaubwürdigen Männern bestätigt wurde, und dies gab mir Anlass, den Prinzen Moritz darüber zu befragen. Er sagte mit seiner gewöhnlichen Einfachheit und Trockenheit im Gespräch, dass Manches von der Geschichte wahr sei; ein grosser Theil sei aber falsch. Ich bat ihn, das Erstere mir mitzutheilen, worauf er[352] kurz und kalt sagte, dass er von einem solchen alten Papagei, während er in Brasilien gewesen, gehört hätte; obgleich er nichts davon geglaubt und es weit dahin gewesen wäre, so hätte er doch aus Neugierde das Thier holen lassen. Es wäre ein sehr grosser und alter Vogel gewesen, der, als er zuerst in das Zimmer gebracht worden, wo der Prinz mit vielen Holländern sich befunden, sogleich gesagt habe: Was ist das hier für eine Gesellschaft weisser Leute? Sie hätten ihn dann, indem sie auf den Fürst gewiesen, gefragt, für wen er diesen Mann halte, und er habe geantwortet: Für irgend einen General. Als er dem Fürsten näher gebracht worden, hätte der Vogel gefragt: D'où venez-vous! – Ich sagte: Von Marinnan; mais qui êtes – vous? – Der Papagei: Ein Portugiese. – Der Fürst: Was machst Du da? – Der Papagei: Je garde les poules. – Der Prinz hätte gelacht und gesagt: Vous gardez les poules? und der Papagei habe geantwortet: Oui, moi et je sais bien faire! und dabei habe er vier- oder fünfmal so gekluckst, wie eine alte Henne, wenn sie ihre Küchlein rufe. – Ich schrieb die Worte dieses Gespräches gleich französisch nieder, nachdem der Prinz Moritz mir es erzählt hatte. Ich frag ihn, in welcher Sprache der Papagei gesprochen habe, und er sagte: Brasilianisch. Auf meine Frage, ob der Prinz Brasilianisch verstehe, sagte er: Nein, aber er hätte zwei Dolmetscher bei sich gehabt, einen Holländer, der Brasilianisch, und einen Brasilier, der Holländisch gesprochen; Jeden hätte er allein hierüber befragt, und beide hätten ihm genau dieselben Worte des Papageien berichtet. – Ich musste diese sonderbare Geschichte erzählen, da sie so ungewöhnlich ist und ich sie aus einer zuverlässigen Quelle habe; denn der Prinz glaubte an Alles, was er hierüber erzählte, und er hatte immer für einen rechtschaffenen und frommen Mann gegolten. Ich überlasse es den Naturforschern, über diesen Fall zu grübeln, und den Andern, ob sie es glauben wollen; indess ist es mitunter gut, eine anstrengende Arbeit durch solche Abschweifung zu stützen und zu beleben, wenn sie auch nicht zur Sache gehört.«

(Derselbe Mensch.) Ich habe hier die Geschichte ausführlich mit den eignen Worten des Berichterstatters wiedergegeben, weil er sie anscheinend für glaubwürdig[353] gehalten hat; denn man kann nicht annehmen, dass ein so rechtlicher Mann, dessen Zeugniss allein schon genügen könnte, so mühsam an einem Ort, wo er nichts zu thun hatte, von einem Manne, den er seinen Freund nennt, und von einem Prinzen, dessen Rechtlichkeit und Frömmigkeit er lobt, eine Geschichte erdichten sollte, die er, wenn er sie selbst nicht geglaubt, nur für lächerlich hätte halten müssen. So viel ist klar, der Prinz, der für diese Geschichte einsteht, und unser Verfasser, der sie erzählt, nennen dieses sprechende Wesen einen Papagei, und ich frage Jeden, der diese Geschichte der Beachtung werth hält, ob, wenn dieser Papagei und alle seiner Gattung immer so gesprochen hätten, wie es nach des Prinzen Worten jener eine gethan, er sie nicht für eine Art vernünftiger Thiere gehalten haben würde; aber ob er trotzdem sie wohl für Menschen und für keine Papageien gehalten hätte? Ich meine, nicht die Vorstellung eines denkenden und vernünftigen Wesens allein macht bei dem Meisten die Vorstellung des Menschen aus, sondern es gehört dazu auch ein Körper von einer bestimmten Gestalt. Ist dies richtig, so gehört die Dieselbigkeit eines fortbestehenden Körpers, der nicht auf einmal sich verändert, ebenso wie die Dieselbigkeit einer stofflosen Seele zur Dieselbigkeit des Menschen.

§ 9. (Die Dieselbigkeit der Person.) Nach Feststellung dessen fragt es sich, worin die Dieselbigkeit der Person besteht? Ich verstehe darunter ein denkendes, vernünftiges Wesen mit Verstand und Ueberlegung, was sich als sich selbst und als dasselbe denkende Wesen zu verschiedenen Zeiten und Orten auffassen kann, indem dies nur durch das Selbstbewusstsein geschieht, was vom Denken nicht zu trennen ist, und wie mir scheint, ihm wesentlich ist; da unmöglich Jemand auffassen kann, ohne zu bemerken, dass er auffasst, und da man beim Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Nachdenken oder Wollen weiss, dass man es thut. So verhält es sich immer mit den gegenwärtigen Wahrnehmungen und Auffassungen, und dadurch ist ein Jeder sich das, was er nennt: »Er selbst« ohne dass dabei darauf geachtet wird, ob dieses selbe Selbst sich in denselben oder andern Substanzen fortsetzt. Da das Selbstbewusstsein das Denken immer begleitet und macht, dass Jeder das ist, was man[354] »Sein Selbst« nennt, und wodurch man sich von andern denkenden Dingen unterscheidet, so besteht die Dieselbigkeit der Person oder die Dieselbigkeit eines vernünftigen Wesens nur hierin, und soweit dieses Selbstbewusstsein sich rückwärts auf vergangene Handlungen oder Gedanken ausdehnen kann, so weit reicht die Dieselbigkeit der Person; sie ist dieselbe jetzt, wie damals; dasselbe Selbst, welches jetzt sich dessen bewusst ist, hat die Handlung verrichtet.

§ 10. (Das Selbstbewusstsein macht die Dieselbigkeit der Person aus.) Allein man kann fragen, ob es auch dieselbe identische Substanz sei? Man würde wohl nicht daran zweifeln, wenn diese Wahrnehmungen mit ihrer Selbstbewusstheit in der Seele immer gegenwärtig blieben; dann wäre dasselbe denkende Wesen immer selbst bewusst gegenwärtig und müsste deshalb offenbar als ein und dasselbe gelten. Allein die Sache wird schwieriger, weil dieses Selbstbewusstsein immer durch Vergesslichkeit unterbrochen wird, und man deshalb in keinem Zeitpunkt seines Lebens die ganze Reihe aller eignen frühem Handlungen mit einem Blick vor Augen hat; selbst das beste Gedächtniss verliert den Anblick eines Theils davon, während es die andern beschaut, und weil man öfters und zwar den grössten Theil des Lebens nicht an das Vergangene denkt, sondern mit seinen jetzigen Gedanken beschäftiget ist oder in gesundem Schlafe überhaupt keine Gedanken hat, wenigstens nicht mit jenem Selbstbewusstsein, was die Gedanken während des Wachens auszeichnet. Da in all diesen Fällen das Selbstbewusstsein unterbrochen ist, und man den Anblick der eignen Vergangenheit verliert, so entsteht der Zweifel, ob man noch dasselbe denkende Ding sei, d.h. dieselbe Substanz. Mag sich dies indess rechtfertigen lassen oder nicht, so trifft es doch nicht die Dieseselbigkeit der Person; es handelt aber sich nur um diese und nicht um die Dieselbigkeit der Substanz, die in derselben Person denkt. Auf diese kommt es hier gar nicht an, weil verschiedene Substanzen durch ein und dasselbe Selbstbewusstsein (wenn sie daran Theil nehmen), ebenso zu einer Person geeint worden, wie verschiedene Körper durch dasselbe Leben zu einem Thiere, dessen Dieselbigkeit trotz des Wechsels dieser Substanzen vermittelst[355] der Einheit des fortgesetzten Lebens sich erhält. Denn wenn die Dieselbigkeit des Bewusstseins es macht, dass ein Mensch derselbe bleibt, so kommt es bei der Dieselbigkeit der Person nicht darauf an, ob sie blos an eine einzelne Substanz gebunden ist, oder ob sie sich durch eine Folge verschiedener Substanzen fortsetzen kann. Denn so weit ein vernünftiges Wesen die Vorstellung einer früheren Handlung mit demselben Bewusstsein, welches es zuerst bei ihr hatte, und welches es bei einer jetzigen Handlung hat, sich wiederholen kann, so weit ist es auch dieselbe Person. Denn wenn nur das Bewusstsein von seinen gegenwärtigen Gedanken und Handlungen macht, dass es mit sich selbst dasselbige ist, so bleibt es auch dasselbe Selbst, so weit dasselbe Bewusstsein sich über vergangene und zukünftige Handlungen erstrecken kann; der Abstand der Zeit oder der Wechsel der Substanz macht es nicht zu zwei Personen, so wenig wie ein Mensch zu zweien wird, wenn er heute eine andere Kleidung als gestern trägt, und ein längerer oder kürzerer Schlaf dazwischen liegt, sofern nur dasselbe Bewusstsein diese getrennten Handlungen in eine Person einigt, ohne Rücksicht auf die verschiedenen Substanzen, die dazu mitgewirkt haben.

§ 11. (Die Dieselbigkeit der Person bei dem Wechsel der Substanzen.) Für die Wahrheit dessen hat man eine Bestätigung an seinem eigenen Körper, dessen sämmtliche Theile, so lange sie lebendig mit dem denkenden Selbstbewusstsein so verbunden sind, dass man es fühlt, wenn sie berührt oder erregt werden, und dass man des sie treffenden Guten und Schädlichen sich bewusst ist, ein Theil seiner selbst sind, d.h. ein Theil von seinem denkenden Selbstbewusstsein. In dieser Weise sind eines Menschen Beine ein Theil von ihm selbst; er fühlt mit ihnen und ist dabei betheiligt. Haut man eine Hand ab und trennt man damit deren Wärme, Kälte und andere Zustände von dem Selbstbewusstsein, so ist sie nicht mehr ein Theil jenes Selbst und gehört so wenig wie der entfernteste Stofftheil dazu. Deshalb kann die Substanz, an welcher das persönliche Selbst zu einer Zeit haftete, zu einer andern Zeit sich ändern, ohne dass die Dieselbigkeit der Person davon berührt wird, da die[356] Person offenbar dieselbe bleibt, wenn sie auch ihre Beine verliert.

§ 12. (Ob auch bei dem Wechsel der denkenden Substanz.) Indess fragt es sich, 1) ob die Person dieselbe bleibt, wenn die Substanz, welche denkt, wechselt, und 2) ob, wenn letztere dieselbe bleibt, zwei verschiedene Personen daraus werden können? Ich antworte, dass dies für alle die nicht zweifelhaft sein kann, welche das Denken für eine blosse stoffliche thierische Einrichtung halten, ohne alle stofflose Substanz. Denn mag diese Ihre Annahme wahr sein oder nicht, so legen sie doch offenbar die Erhaltung der persönlichen Dieselbigkeit in etwas Anderes als in die Dieselbigkeit der Substanz, da die thierische Dieselbigkeit auf der Dieselbigkeit des Lebens und nicht auf der der Substanz beruht. Wer aber das Denken nur in eine stofflose Substanz verlegt, muss, ehe er hierüber mit Jenen streiten kann, zeigen, weshalb die Dieselbigkeit der Person sich bei dem Wechsel der stofflosen Substanz oder bei einer Mannichfaltigkeit besonderer stoffloser Substanzen nicht ebenso erhalten kann, als die thierische Dieselbigkeit sich bei dem Wechsel der stofflichen Substanzen oder der Mannichfaltigkeit besonderer Körper erhält; er müsste denn sagen, dass nur ein stoffloser Geist die Dieselbigkeit des Lebens der Thiere so ausmache, wie ein stoffloser Geist die Dieselbigkeit der Person bei dem Menschen. Indess werden wenigstens die Cartesianer dies nicht einräumen, da sie sonst die Thiere auch zu denkenden Geschöpfen machen würden.

§ 13. Sodann antworte ich auf den ersten Theil dieser Frage, ob bei dem Wechsel der denkenden Substanz (wenn man nur stofflose Substanzen als denkend annimmt) die Dieselbigkeit der Person sich erhalten kann? dass nur Die sie beantworten können, welche die Natur der denkenden Substanz kennen und wissen, ob das Bewusstsein vergangener Handlungen von einer denkenden Substanz auf die andere übertragen werden kann. Ich gebe zu, dass dies nicht möglich ist, wenn dasselbe Selbstbewusstsein ein und dieselbe einzelne Handlung ist; allem da es die jetzige Vorstellung einer frühem Handlung ist, so müsste noch dargelegt werden, dass es unmöglich sei, dass von der Seele dasjenige als vergangen vorgestellt[357] werden könne, was in Wirklichkeit niemals gewesen ist. Wie weit daher das Bewusstsein vergangener Handlungen an ein einzelnes Wesen so geknüpft ist, dass ein anderes es nicht haben kann, dies wird so lange schwer zu bestimmen sein, als man nicht weiss, welche Art von Handlung nicht ohne ein sie begleitendes Selbstbewusstsein geschehen könne, und wie denken de Substanzen sie vollziehen können, deren Denken nicht ohne Selbstbewusstsein geschehen kann. Allein da das, was man das selbige Bewusstsein nennt, nicht dieselbe einzelne Handlung ist, weshalb sollte da nicht eine geistige Substanz die Vorstellung davon haben, als hätte sie selbst sie gethan, obgleich es nie geschehen und sie vielleicht von einem andern Wesen gethan worden ist. Weshalb, sage ich, sollte eine solche Vorstellung auch ohne Wirklichkeit der Thatsachen nicht ebenso gut möglich sein, wie die verschiedenen Vorstellungen im Traume, welche man während des Träumens für wahr hält. Die entgegengesetzte Behauptung dürfte schwer aus der Natur der Dinge abzuleiten sein und könnte, so lange man die Natur der denkenden Substanzen nicht deutlicher kennt, noch am besten aus der Güte Gottes bewiesen werden, der, so weit es sich um das Glück und Elend seiner fühlenden Geschöpfe handelt, nicht gestatten wird, dass durch einen verhängnissvollen Irrthum jenes Bewusstsein von Einem auf den Andern übergehen könne, was Lohn und Strafe mit sich führt. Wie weit dies als ein Grund gegen Die benutzt werden kann, welche das Denken in ein System fliessender Lebensgeister verlegen, überlasse ich der Erwägung. Indess muss in Bezug auf die vorliegende Frage zugegeben werden, dass, wenn dasselbe Bewusstsein (was, wie ich gezeigt, etwas ganz Anderes ist, als die selbe numerische Gestalt oder Bewegung in dem Körper) von einer denkenden Substanz auf eine andere übertragen werden kann, allerdings zwei denkende Substanzen dann möglicherweise nur eine Person ausmachen; denn wo dasselbe Bewusstsein sich erhält, sei es in einer oder mehreren Substanzen, da erhält sich auch die Dieselbigkeit der Person.

§ 14. Der zweite Theil der Frage: ob, wenn die stofflose Substanz dieselbe bleibt, doch zwei Personen sein können? scheint mir von der Frage abzuhängen, ob ein[358] und dasselbe stofflose Wesen, was sich seiner vergangenen Handlungen bewusst ist, dieses Bewusstseins seines frühem Daseins ganz beraubt werden und es unwiederbringlich verlieren könne, und ob es dann, als finge es eine neue Rechnung von einem neuen Zeitpunkt an, mit seinem Bewusstsein nicht darüber hinausgehen könne? Alle Die, welche an ein früheres Dasein glauben, sind offenbar dieser Ansicht, da sie zugeben, dass die Seele von ihrem vorirdischen Dasein kein Bewusstsein behalten hat, mag sie einen Körper gehabt haben oder nicht; denn wollten sie dies leugnen, so spräche die Erfahrung gegen sie. Wenn daher die Dieselbigkeit der Person nicht weiter reicht wie das Bewusstsein, dann muss ein Geist, der früher bestanden und nicht viele Zeitalter in Schweigen verharrt hat, nothwendig zu verschiedenen Personen werden. Man nehme; dass ein Christ, Platoniker oder Pythagoräer, nachdem Gott am siebenten Tage sein Schöpfungswerk vollendet hatte, annähme, seine Seele hätte seitdem immer bestanden und hätte verschiedene menschliche Körper durchwandert, wie ich denn Jemand gekannt, welcher überzeugt war, seine Seele sei die des Sokrates gewesen (aus welchen Gründen, will ich hier nicht untersuchen; allein seinen Posten füllte der Mann nicht schlecht aus; er galt für einen sehr verständigen Mann, und die Presse hat gezeigt, dass es ihm weder an Talenten noch Kenntnissen fehlte), würde man da sagen können, dass er dieselbe Person mit Sokrates ausmache, obgleich er sich keiner von dessen Handlungen und Gedanken bewusst war? Wenn Jemand sich betrachtet und erkennt, dass er einen stofflosen Geist in sich hat, von dem sein Denken ausgeht, und welcher bei dem steten Wechsel in seinem Körper ihn als denselben erhält, und das ist, was er sein Selbst nennt; und wenn er weiter seine Seele für dieselbe halten sollte, die bei der Belagerung von Troja in Nestor oder Thersites sich befunden (denn da die Seele, so weit wir deren Natur kennen, gegen jeden Stoff sich gleichgültig verhält, so ist diese Annahme nicht widersinnig), was so gut möglich ist, als sie jetzt die Seele in einem andern Menschen ist, aber ohne dass er etwas von den Handlungen des Nestor oder Thersites weiss, kann dieser wohl sich für eine Person mit Jenen halten? kann ihn eine Handlung Jener interessiren? kann er sie sich selbst[359] zurechnen und mehr wie die jedes andern Menschen, der einmal gelebt hat, sie als seine eigenen ansehen? Wenn daher dieses Bewusstsein zu den Handlungen beider Personen nicht hinreicht, so ist er so wenig dieselbe Person mit Jenen, als wenn die Seele oder der stofflose Geist, der jetzt in ihm wohnt, geschaffen worden war und zu sein begonnen hatte, als er in seinen Körper eintrat, sollte es auch noch so wahr sein, dass derselbe Geist, welcher des Nestor oder Thersites Körper erfüllte, numerisch derselbe mit dem gewesen, der ihn jetzt erfüllt. Dies würde ihn so wenig zu einer Person mit Nestor machen, als wenn einige von den Stofftheilen, die sonst zu Nestor gehörten, jetzt einen Theil von ihm ausmachten, da die Dieselbigkeit der stofflosen Substanz ohne die Dieselbigkeit des Bewusstseins so wenig die Dieselbigkeit einer mit einem Körper verbundenen Person ausmacht, als dies der Fall ist, wenn derselbe Stofftheil ohne Bewusstsein mit irgend einem Körper verbunden wird. Sollte er aber einmal einer der Handlungen des Nestor sich bewusst werden, so wird er sich dann für dieselbe Person mit Nestor halten.

§ 15. Deshalb hat die Dieselbigkeit der Personen bei der Auferstehung keine Schwierigkeit, wenn sie auch mit einem Körper erfolgt, welcher in Gestalt und in seinen Theilen nicht genau der ist, den man hier hatte, sofern nur dasselbe Bewusstsein in der den Körper bewohnenden Seele verharrt. Dennoch wird die Seele allein, bei dem Wechsel ihrer Körper, nur demjenigen, der sie hat, für die Dieselbigkeit des Menschen genügen. Denn wenn die Seele eines Fürsten mit dem Bewusstsein des fürstlichen Lebens in den Leib eines Schuhflickers einträte, sobald dessen Seele ihn verlassen hätte, so würde doch Jeder ihn für dieselbe Person mit dem Fürsten halten, der für dessen Thaten einzustehen hätte; allein würde man ihn deshalb für denselben Menschen nehmen? Auch der Körper macht den Menschen und würde hier wahrscheinlich für Jedermann den Menschen bestimmen, während die Seele trotz all ihrer fürstlichen Gedanken keinen andern Menschen aus ihm machen würde; vielmehr würde er für Jeden, sich selbst ausgenommen, derselbe Schuhflicker bleiben.

Ich weiss, dass im gewöhnlichen Sprechen dieselbe[360] Person und derselbe Mensch als ein und dasselbe gelten, und es kann allerdings Jeder sprechen, wie ihm beliebt, und mit einer beliebigen Vorstellung einen beliebigen artikulirten Laut verbinden und damit beliebig wechseln; allein wenn er bestimmen will, was die Dieselbigkeit des Geistes, des Menschen und der Person ausmacht, so muss er erst feste Vorstellungen davon bieten, und ist der Sinn dieser Worte festgestellt, so wird es nicht schwer sein, bei ihnen und ähnlichen zu bestimmen, wann sie dieselben sind, und wann nicht.

§ 16. (Das Bewusstsein macht die Dieselbigkeit der Person aus.) Wenn auch dieselbe stofflose Substanz oder Seele nicht allein für alle Orte und Zustände die Dieselbigkeit des Menschen ausmacht, so verbindet doch offenbar das Bewusstsein, so weit es reicht, und sollte es bis zu vergangenen Zeitaltern sich erstrecken, die Existenzen und Handlungen, seien sie der Zeit nach auch noch so entfernt, zu einer Person, und zwar ebenso wie es dies für die Existenzen und Handlungen des unmittelbar verflossenen Augenblicks thut. Deshalb ist das Wesen, welches das Bewusstsein von gegenwärtigen und vergangenen Handlungen hat, dieselbe Person, der beide Handlungen angehören. Hätte ich das Bewusstsein, dass ich den Regenbogen bei der Fluth Noah's so gesehen, wie dass ich letzten Winter die Ueberschwemmung der Themse gesehen, oder wie dass ich jetzt dies schreibe, so könnte ich nicht zweifeln, dass ich, der ich jetzt schreibe, und der im vergangenen Winter die Ueberschwemmung der Themse und der die grosse Sündfluth sah, genau dieselbe Person sind, gleichviel in welcher Substanz sie sich befinde; der Fall wäre dann dem gleich, wo ich, der ich jetzt schreibe, derselbe während meines Schreibens bin (mag ich aus denselben stofflichen oder unstofflichen Substanzen bestehen oder nicht), der ich gestern war. Denn für dieses Ich-selbst-sein ist es gleichgültig, ob es aus denselben oder verschiedenen Substanzen gemacht ist, und ich bin ebenso betheiligt und verantwortlich für eine That vor tausend Jahren, wenn sie durch das Bewusstsein die meine wird, wie für die, welche ich in dem eben verflossenen Augenblick verübt habe.

§ 17. (Das Ich-selbst ist von dem Bewusstsein abhängig.) Das Ich-selbst ist jenes bewusste denkende[361] Ding, was ohne Rücksicht auf die Substanz, aus der es gebildet ist (sei sie stofflich oder geistig, einfach oder zusammengesetzt), fühlt, oder bewusst ist der Lust und des Schmerzes, welches fähig ist des Glückes und Elendes und so weit für sich selbst interessirt ist, als dieses Bewusstsein reicht. So findet Jeder, dass der kleine Finger, unter dieses Bewusstsein befasst, ebenso sehr ein Theil seiner selbst ist, als das, was es am meisten ist. Sollte bei der Trennung dieses kleinen Fingers dieses Bewusstsein mit ihm gehen und den obigen Körper verlassen, so würde offenbar der kleine Finger die Person und dieselbe Person sein, und das Ich-selbst hätte dann mit dem übrigen Körper nichts mehr zu thun. Wie in diesem Falle das Bewusstsein es ist, was, wenn es mit der Substanz bei Trennung eines Theils von dem andern geht, dieselbe Person ausmacht und dieses untrennbare Selbst bildet, so geschieht es auch in Beziehung auf Substanzen, die zeitlich getrennt sind. Das, womit das Bewusstsein dieses gegenwärtigen denkenden Dinges sich verbinden kann, ergiebt die Dieselbigkeit der Person, und das Ichselbst geht damit und mit nichts Anderem. Deshalb schreibt es sich alle Handlungen dieses Dinges zu und erkennt sie als seine eigenen so weit an, als dieses Bewusstsein reicht; aber auch nicht weiter, wie Jeder bei einigem Nachdenken bemerken wird.

§ 18. (Gegenstände des Lohns und der Strafe.) Auf dieser persönlichen Dieselbigkeit ruht alles Recht und alle Gerechtigkeit im Lohnen und Strafen. Glück, und Elend ist das, wobei Jeder für sich selbst interessirt ist, und wobei es gleichgültig ist, was mit irgend einer Substanz wird, die mit diesem Bewusstsein nicht verbunden oder behaftet ist. Denn das eben gegebene Beispiel ergiebt klär, dass, wenn das Bewusstsein mit dem Kleinen Finger bei dessen Abschneidung davon ginge, er dasselbe Ich-selbst sein würde, welches gestern noch bei dem ganzen Körper betheiligt war, der gestern an dem Ich-selbst Theil nahm, und dessen Handlungen er deshalb auch als seine eigenen jetzt anerkennen müsste. Wenn so der übrige Körper fortleben und sofort nach Abtrennung des kleinen Finger sein eigenes Bewusstsein haben sollte, wovon aber der kleine Finger nichts wüsste, so würde er nicht im Mindesten dabei als ein Theil seiner[362] betheiligt sein; er könnte keine von dessen Handlungen als die seine anerkennen, und es könnte keine ihm zugerechnet werden.

§ 19. Dies ergiebt, worin die Dieselbigkeit der Person besteht; nicht in der Dieselbigkeit der Substanz, sondern, wie gesagt, in der des Bewusstseins; sind Sokrates und der jetzige Bürgermeister von Königsburg hierin eins, dann sind sie dieselbe Person, und wenn derselbe Sokrates im Wachen und Schlafen nicht dasselbe Bewusstsein hat, so ist er in beiden Zuständen nicht dieselbe Person, und es wäre ebenso unrecht, den wachenden Sokrates für das, was der schlafende Sokrates gedacht und der wachende nicht gewusst hat, zu strafen, als den einen Zwilling wegen der Thaten des andern, von denen er nichts gewusst, blos weil ihr Aeusseres so gleich ist, dass man sie nicht unterscheiden kann, wie es deren wirklich gegeben hat.

§ 20. Indess kann man möglicherweise entgegnen, dass Jemand das Gedächtniss für gewisse Theile seines Lebens so ganz verlieren könne, dass er es nie wieder erlangen könne und kein Bewusstsein davon mehr habe; aber dennoch sei er dieselbe Person, welche diese Handlungen verübt und diese Gedanken gehabt, deren er früher bewusst gewesen, wenn er sie auch jetzt vergessen habe. Ich antworte darauf, dass man Acht haben muss, worauf das Er hier angewendet wird; in diesem Fall ist es nur der Mensch, und da derselbe Mensch auch leicht für dieselbe Person gilt, so wird das Er leicht von derselben Person verstanden. Ist es indess für denselben Menschen möglich, zu verschiedenen Zeiten zwei verschiedene einander unzugängliche Bewusstsein zu haben, so stellt derselbe Mensch unzweifelhaft zu verschiedenen Zeiten verschiedene Personen vor. Man sieht dies im Sinne der Menschen in den feierlichsten Aussprüchen ihrer Meinungen; denn das menschliche Gesetz straft den wahnsinnigen Menschen nicht wegen der Thaten des vernünftigen, noch den letztem für das, was der erste gethan, indem es sie zu zwei Personen macht. Auch die Sprache zeigt dies, wenn man sagt: Jemand ist nicht er selbst oder; Er ist ausser sich. Man deutet damit an, dass das Selbst geändert sei und dieselbe Person nicht mehr in diesem Menschen sich befinde.[363]

§ 21. (Der Unterschied zwischen der Dieselbigkeit des Menschen und der Person.) Dennoch kann man es sich kaum vorstellen, dass derselbe einzelne Mensch Sokrates zwei Personen sein sollte, um hier zu helfen, erwäge man, was mit Sokrates oder demselben einzelnen Menschen gemeint wird. Es muss entweder dieselbe einzelne, stofflose, denkende Substanz sein, d.h. numerisch dieselbe Seele und nichts weiter oder dasselbe organische Wesen, ohne Rücksicht auf die stofflose Seele, oder endlich derselbe stofflose Geist in Verbindung mit demselben organischen Wesen. Welche von diesen drei Annahmen man nun auch wähle, so bleibt es unmöglich, die Dieselbigkeit der Person in etwas Anderem zu suchen als in dem Bewusstsein, und es ist unmöglich, jene weiter, als dieses geht, auszudehnen. Denn bei der ersten Annahme muss man es als möglich anerkennen, dass zwei von verschiedenen Frauen zu verschiedenen Zeiten geborene Menschen derselbe Mensch seien. Eine anerkannte Ausdrucksweise muss es als möglich zulassen, dass derselbe Mensch zwei so verschiedene Personen ist, als irgend zu verschiedenen Zeiten gelebt und ihre Gedanken nicht gekannt haben. – Bei der zweiten und dritten Annahme kann Sokrates in diesem und jenem Leben nur vermöge desselbigen Bewusstseins derselbe Mensch sein; damit lässt man die Dieselbigkeit des Menschen in derselben Bestimmung wie die Dieselbigkeit der Person bestehen, und es ist dann leicht anzuerkennen, dass derselbe Mensch dieselbe Person ist. Wer aber so die Dieselbigkeit des Menschen nur in das Bewusstsein verlegt und in nichts weiter, mag erwägen, wie er das Kind Sokrates mit dem auferstandenen Sokrates zu ein und demselben Menschen machen will. Was indess für Manche auch den Menschen und also auch denselben einzelnen Menschen ausmachen mag, ein Punkt, worin vielleicht Wenige mit einander übereinstimmen, so kann doch die Dieselbigkeit der Person nur in das Bewusstsein gesetzt werden (welches allein bewirkt, dass man derselbe heisst), wenn man nicht in Widersinnigkeiten gerathen will.

§ 22. Allein ist nicht der Betrunkene derselbe Mensch mit dem Nüchternen? Wie könnte er sonst für die That in seiner Trunkenheit bestraft werden, obgleich er sich deren später nie bewusst ist? Allein er ist dennoch dieselbe[364] Person; ebenso wie Der, welcher im Schlafe geht und Verschiedenes verrichtet, dieselbe Person bleibt und für jedes dadurch angerichtete Unheil verantwortlich ist. Die menschlichen Gesetze strafen Beide nach einer Gerechtigkeit, die der menschlichen Art zu wissen entspricht; in diesen Fällen können sie nämlich nicht sicher unterscheiden, was wirklich und was Vorstellung ist; deshalb gilt die Unwissenheit im trunkenen Zustande oder im Schlafe nicht als eine Entschuldigung. Obgleich die Persönlichkeit mit dem Bewusstsein und dieses mit jener verknüpft ist, und der Trunkenbold vielleicht nicht gewusst hat, was er gethan, so straft ihn doch der menschliche Richter mit Recht, weil die That gegen ihn erwiesen ist, und der Mangel des Bewusstseins für ihn nicht erwiesen werden kann. Dagegen mag an jenem grossen Tage, wo die Geheimnisse aller Herzen offenbar werden, mit Recht erwartet werden, dass Jeder nur für seine bewussten Thaten verantwortlich sein und sein Urtheil empfangen wird, je nachdem ihn sein Gewissen anklagt oder entschuldigt.

§ 23. (Nur das Bewusstsein bedingt das Selbst.) Nur das Bewusstsein kann die von einander entfernter Dasein zu einer Person verbinden; die Dieselbigkeit der Substanz vermag dies nicht. Denn welcher Alt und Gestalt auch die Substanz sein mag, so ist sie doch ohne Bewusstsein keine Person; ein Leichnam könnte dann ebenso gut eine Person sein, wie jede andere Substanz ohne Bewusstsein. Wenn man sich zwei verschiedene, sich nicht mittheilende Bewusstsein vorstellen könnte, die auf denselben Körper wirken, und zwar das eine bei Tage, das andere bei Nacht, und umgekehrt ein Bewusstsein, was hintereinander auf zwei verschiedene Körper wirkte, so frage ich, ob denn im ersten Falle der Tages- und der Nacht-Mann nicht ebenso zwei verschiedene Personen darstellen würde, wie Sokrates und Plato? Und ob im andern Falle nicht eine Person in zwei Körpern ebenso bestände, wie ein Mensch derselbe in zwei verschiedenen Anzügen bleibt? Auch ist es unerheblich, wenn man sagt, dass in diesen Fällen die Dieselbigkeit und der Unterschied des Bewusstseins auf der Dieselbigkeit und dem Unterschied der stofflosen Substanzen beruhe, die sie mit sich diesen Körpern zuführen; denn mag dies wahr sein[365] oder nicht, so ändert es nichts an der Sache, da die persönliche Dieselbigkeit offenbar ebenso durch das Bewusstsein bestimmt werden würde, möchte es mit derselben stofflosen Substanz verbunden sein oder nicht. Denn wenn ich auch zugebe, dass die denkende Substanz bei dem Menschen als stofflos angenommen werden muss, so kann doch diese stofflose denkende Substanz sich manchmal von dem Bewusstsein des Vergangenen trennen und wieder damit verbinden, wie daraus erhellt, dass man oft seine vergangenen Handlungen vergisst, und die Seele oft das Gedächtniss eines frühem Bewusstseins wieder erlangt, das es seit 20 Jahren verloren hatte. Wenn dieser Zeitraum des Wissens und Vergessens regelmässig Tag und Nacht wechselte, so hätte man zwei Personen bei derselben stofflosen Substanz, wie vorhin zwei Personen mit einem Körper. Das Selbst ist daher nicht durch die Dieselbigkeit oder den Unterschied der Substanz bedingt, deren es nicht sicher sein kann, sondern nur durch die Dieselbigkeit des Bewusstseins.

§ 24. Man kann sich allerdings vorstellen, dass die Substanz, aus der man jetzt besteht, schon früher bestanden habe und mit demselben bewussten Wesen verknüpft gewesen sei; allein nimmt man das Bewusstsein hinweg, so ist die Substanz nicht mehr das Selbst und bildet so wenig als irgend eine andere einen Theil davon, wie das obige Beispiel mit dem abgelösten Beine ergiebt, von dessen Wärme, Kälte und andern Zuständen man kein Wissen mehr hat, und was deshalb so wenig, wie irgend ein Stoff in der Welt, noch zu des Menschen Selbst gehört. Dasselbe gilt auch für eine stofflose Substanz, die des Bewusstseins entbehrt, durch welches ich selbst bei mir selbst bin; kann ich irgend einen Theil ihres Daseins nicht durch Wiedererinnerung mit meinem gegenwärtigen Bewusstsein verbinden, wodurch ich jetzt Ich-selbst bin, so ist in diesem Theil ihres Daseins so wenig wie in irgend einem andern stofflosen Wesen mein Selbst enthalten. Denn was ich von dem Denken einer Substanz nicht zurückrufen und durch mein Bewusstsein zu meinem Gedanken und Handeln machen kann, das gehört nicht zu mir, wenn auch ein Theil von mir es gedacht oder gethan hat. Es ist ebenso, als hätte es irgend ein anderes stoffloses Wesen irgendwo gedacht oder gethan.[366]

§ 25. Ich gebe es als wahrscheinlich zu, dass dieses Bewusstsein mit einer einzelnen stofflosen Substanz verknüpft und eine Erregung derselben ist; allein mag man dies durch irgend eine beliebige Annahme erklären, so muss doch das einsichtige Wesen, was Glück und Elend empfindet, zugeben, dass ein Etwas besteht, was es selbst ist, für das es sich interessirt und was es glücklich haben will, und dass dieses Selbst in einer stetigen Dauer länger als einen Augenblick gelebt hat, und dass es daher möglicherweise so noch Monate und Jahre fortbestehen kann, ohne dass eine Grenze seiner Dauer gesetzt Ist, und dass es dasselbe Selbst durch das in der kommenden Zeit fortgehende selbige Bewusstsein sein werde. So erkennt man sich durch dieses Bewusstsein als dasselbe Selbst, welches vor einigen Jahren die und die Handlung begangen hat, wodurch man jetzt glücklich oder unglücklich ist. In all diesen Beziehungen des Selbst gilt nicht dieselbe numerische Substanz, sondern dasselbe fortgesetzte Bewusstsein als das, was dieses Selbst ausmacht. Es können dabei verschiedene Substanzen mit demselben verbunden oder davon getrennt worden sein; allein nur die lebendige Vereinung dieser Substanzen mit dem Bewusstsein hat sie zu einem Theile desselben Selbst gemacht. Deshalb macht jeder Theil unsers Körpers, der lebendig mit diesem Bewußtsein vereint ist, einen Theil von uns aus; allein mit der Trennung aus dieser Vereinung, worauf dieses Bewusstsein beruht, bleibt solcher Theil so wenig wie der Theil eines andern Menschen ein Theil von mir, und es ist möglich, dass er in kurzer Zeit ein wirklicher Theil einer andern Person wird. So zeigt sich, dass dieselbe, numerisch eine Substanz ein Theil von zwei Personen werden kann, und dass dieselbe Person sich trotz mannichfacher Wechsel der Substanzen erhalten kann. Könnte man einen Geist annehmen, der alles Gedächtnisses oder Bewusstseins seiner vergangenen Handlungen beraubt wäre, wie dies bei der Seele des Menschen für einen grossen Theil der seinigen, ja manchmal für alle der Fall ist, so würde die Vereinigung oder Trennung einer solchen geistigen Substanz die persönliche Dieselbigkeit so wenig stören, wie irgend ein Stofftheil es thut. Jede mit dem letzt denkenden Wesen lebendig geeinte Substanz ist ein Theil seines jetzigen Selbst, und[367] Alles, was durch das Bewusstsein früherer Handlungen damit vereint ist, bildet auch einen Theil desselben Selbst, welches sowohl früher als jetzt dasselbe ist.

§ 26. (Person ist ein gerichtlicher Ausdruck.) Person ist, wie ich es nehme, das Wort für dieses Selbst. Das, was ein Mensch mit Sich und Selbst bezeichnet, wird ein Anderer »dieselbe Person« nennen. Es ist dies ein bei den Gerichten übliches Wort, was sich auf die Handlungen und deren Zurechnung bezieht; deshalb kommt es nur vernünftigen Wesen zu, welche für Gesetze und für Glück und Elend empfänglich sind. Diese Persönlichkeit erstreckt sich von der Gegenwart zurück in die Vergangenheit lediglich durch das Bewusstsein, wodurch es allein für vergangene Handlungen zurechnungsfähig wird und sie als seine eigenen aus demselben Grunde anerkennt, wie es dies für die gegenwärtigen thut. Dieses Alles gründet sich auf das Interesse an dem Glück, was das Bewusstsein untrennbar begleitet; dieses ist sich der Lust und des Schmerzes bewusst und verlangt, dass das bewusste Selbst glücklich sei. Alle vergangenen Handlungen, die es diesem gegenwärtigen Selbst durch Bewusstsein nicht aneignen kann, haben für es so wenig Bedeutung, als wenn sie gar nicht geschehen wären, und wenn es Lust oder Schmerz, d.h. Lohn oder Strafe wegen einer solchen Handlung empfängt, so ist dies ebenso, als wenn es ohne alles eigene Verdienst oder Schuld gleich bei dem Beginne seines Daseins glücklich oder unglücklich gemacht worden wäre. Sollte ein Mensch für das bestraft werden, was er in einem früheren Leben gethan hat, dessen er aber überhaupt sich nicht bewusst werden kann, so wäre zwischen einer solchen Strafe und einem gleich so geschaffenen elenden Dasein kein Unterschied. Deshalb sagt der Apostel: »dass an jenem grossen Tage, wo Jeder nach seinen Thaten empfangen werde, die Geheimnisse der Herzen offenbar werden sollen.« Dieser Ausspruch wird durch das Bewusstsein Aller gerechtfertiget, wonach sie, in welchen Körpern sie auch erscheinen oder welchen Substanzen dieses Bewusstsein auch anhangen mag, dieselben sind, welche diese Handlungen verübt und die Strafe dafür verdient haben.

§ 27. Vielleicht wird manche Annahme in dieser Untersuchung dem Leser sonderbar erscheinen, und vielleicht[368] sind sie es auch an sich; allein dann werden sie doch bei der Unwissenheit verzeihlich sein, in der wir uns über das denkende Wesen in uns befinden, das wir als unser Selbst ansehen. Wüssten wir, was es ist oder wie es mit einem System fliessender Lebensgeister verknüpft ist, und ob es sein Denken und Erinnern ohne einen organisirten Körper, wie den unsrigen, vollziehen könne, und ob Gott beschlossen habe, dass jeder solcher Geist für immer mit solch einem Körper verbunden sein solle, von dessen Organen sein Gedächtniss abhängt, so würde vielleicht die Verkehrtheit mancher meiner Annahmen hervortreten. Allein wenn man, wie jetzt (in der Dunkelheit über diesen Gegenstand), die menschliche Seele für eine stofflose, von dem Stoff unabhängige und dafür gleichgültige Substanz annimmt, so widerspricht es nicht der Natur der Dinge, wenn ich annehme, dass dieselbe Seele zu verschiedenen Zeiten mit verschiedenen Körpern vereint sein und damit für diese Zeit einen Menschen ausmachen könne; wie man ja auch von einem Stück, was gestern zu dem Körper eines Schafes gehörte, annehmen kann, dass es morgen einen Theil eines Menschenkörpers bilden werde, und dass es in solcher Verbindung ebenso ein Stück von Melibäos wie ein Stück von einem seiner Böcke werden könne.

§ 28. (Die aus dem unrichtigen Gebrauch der Worte entspringenden Schwierigkeiten.) Ich wiederhole: Jede Substanz, die dazusein beginnt, muss während ihres Daseins nothwendig dieselbe sein; mögen. Substanzen aller Art entstehen, so muss während der Verbindung derselben diese einzelne dieselbe bleiben; mögen während ihres Daseins Eigenschaften aller Art entstehen, so bleibt sie doch dieselbe, und diese Regel gilt sowohl von der Verbindung der Substanzen wie der Eigenschaften. Hieraus erhellt, dass die Schwierigkeiten und die Dunkelheit bei diesem Gegenstande mehr von dem falschen Gebrauch der Worte, als von der Dunkelheit in der Sache selbst kommen. Welcher Art auch die mit einem Worte bezeichnete Vorstellung ist, so kann doch, wenn diese Vorstellung fest damit verbunden gehalten wird, die Unterscheidung eines Dinges in dasselbe und Verschiedenes leicht gefasst werden und kein Zweifel dabei entstehen.[369]

§ 29. (Das fortgehende Dasein macht die Dieselbigkeit.) Nimmt man z.B. an, dass die vernünftige Seele den Begriff des Menschen ausmacht, so kann man leicht wissen, ob Jemand derselbe Mensch ist; es wird nämlich dieselbe Seele dann denselben Menschen ausmachen, gleichviel, ob sie in einem Körper ist oder nicht. Nimmt man aber an, dass eine vernünftige Seele in lebendiger Verbindung mit einem bestimmt gestalteten Körper den Menschen ausmache, so ist Jemand derselbe Mensch, so lange seine vernünftige Seele mit einer lebendigen Gestaltung von Theilen verbunden bleibt, wenn auch der Körper sich in einem stetigen Flusse befindet. Gilt aber für Jemand nur die lebendige Vereinigung der Stofftheile zu einer gewissen Gestalt als der Begriff des Menschen, so wird ein Mensch derselbe so lange sein, als diese lebendige Vereinigung und Gestalt bleibt, die bei dem einzelnen nur durch eine stetige Folge fliessender Theilchen sich vollziehen kann. Sei die Verbindung einer zusammengesetzten Vorstellung, welche sie wolle, so erhält, wenn das Dasein sie unter irgend einem Namen zu einem besondern Dinge macht, dasselbe Dasein in seinem Fortgange dieses selbige Einzelne unter derselben Benennung.

Quelle:
John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 1, Berlin 1872, S. 346-370.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Versuch über den menschlichen Verstand
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 1: Buch I und II
Philosophische Bibliothek, Bd.76, Versuch über den menschlichen Verstand. Teil 2. Buch 3 und 4
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