Einunddreissigstes Kapitel.
Von entsprechenden und nicht entsprechenden Vorstellungen

[398] § 1. (Entsprechende Vorstellungen sind die, welche ihre Muster vollkommen darstellen.) Von den wirklichen Vorstellungen sind manche entsprechend und andere nicht. Entsprechend nenne ich die, welche vollkommen die Muster darstellen, von denen man sie abgenommen hält, als deren Bezeichnungen man sie nimmt, und auf die man sie bezieht. Nicht entsprechend sind die Vorstellungen, welche nur theilweise oder unvollständig die Muster darstellen, auf die sie bezogen werden. Hierbei ist klar:

§ 2. (Die einfachen Vorstellungen sind sämmtlich entsprechend.) Erstens, dass alle einfachen Vorstellungen entsprechend sind; denn sie sind nur die Wirkungen gewisser Kräfte in den Dingen, die Gott so eingerichtet und geordnet hat, dass sie solche Vorstellungen in dem Menschen erwecken. Deshalb müssen sie mit diesen Kräften übereinstimmen und ihnen entsprechen,[398] und man ist sicher, dass sie der Wirklichkeit der Dinge angemessen sind. Denn wenn der Zucker die Vorstellung von Weiss und Süss erregt, so ist man sicher, dass der Zucker die Kraft, diese Vorstellung hervorzubringen, besitzt, da sie ohnedem vom Zucker nicht hätten hervorgebracht werden können. So entspricht also jede Wahrnehmung einer auf einen unserer Sinne einwirkenden Kraft, und deshalb ist die hervorgebrachte Vorstellung eine wirkliche (und keine Einbildung der Seele, welche keine einfachen Vorstellungen hervorbringen kann), die entsprechend sein muss, weil sie lediglich dieser Kraft entsprechen muss. Deshalb sind alle einfachen Vorstellungen entsprechende. Allerdings werden die Dinge, welche diese einfachen Vorstellungen erregen, nur in den wenigsten Fällen so benannt, als wären sie nur die Ursachen dieser Vorstellungen, sondern als wären sie wirklich in den Dingen enthalten. So wird das Feuer zwar schmerzlich für das Gefühl genannt, was nur die Kraft, diesen Schmerz in uns zu erwecken, bezeichnet; aber es heisst auch leuchtend und heiss, als wenn Beides in dem Feuer etwas Wirkliches und mehr als eine blosse, diese Vorstellungen in uns hervorbringende Kraft wäre, und sie heissen deshalb Eigenschaften des Feuers oder in dem Feuer. Allein da sie in Wahrheit nur Kräfte sind, durch welche diese Vorstellungen erweckt werden, so möchte ich auch in diesem Sinne verstanden werden, wenn ich von zweiten Eigenschaften, als in den Dingen enthalten, spreche oder von ihren Vorstellungen, als wenn die Gegenstände sie erweckten. Diese Ausdrucksweise ist des Verständnisses wegen dem gewöhnlichen Vorstellen angepasst worden; aber in Wahrheit sollen damit nur die Kräfte in den Dingen bezeichnet werden, welche diese Wahrnehmungen oder Vorstellungen erwecken; denn gäbe es keine geeigneten Organe für die Eindrücke, welche das Feuer auf das Auge und Gefühl macht, und wäre die Seele nicht mit diesen Organen verbunden, um so die Vorstellungen von Licht und Hitze von denselben vermittelst der Eindrücke des Feuers oder der Sonne zu empfangen, so würde es ebensowenig Hitze und Licht in der Welt geben wie Schmerzen, wenn das Geschöpf fehlte, was sie fühlen könnte, obgleich die Sonne genau so wie jetzt, bestehen, und der Aetna seine Flammen höher wie jetzt schleudern[399] könnte. Die Dichtheit und Ausdehnung und deren Begrenzung, die Gestalt mit Bewegung und Ruhe, von denen man die Vorstellungen hat, würden dagegen ebenso wie jetzt, wirklich in der Welt bestehen, möchte ein Wesen da sein, was sie wahrnähme oder nicht; deshalb ist man berechtiget, sie als wirkliche Besonderungen des Stoffes anzusehen, welche für alle andern Wahrnehmungen bei den Körpern die erregenden Ursachen sind. Indess gehört diese Untersuchung nicht hierher; ich gehe daher nicht weiter darauf ein, sondern will weiter zeigen, welche zusammengesetzte Vorstellungen als entsprechende gelten können, und welche nicht.

§ 3. (Die Zustands-Vorstellungen sind sämmtlich entsprechend.) Zweitens müssen die zusammengesetzten Vorstellungen von Zuständen, da sie willkürliche Zusammenfassungen einfacher Vorstellungen sind, welche die Seele ohne Rücksicht auf wirkliche oder feste Muster zusammenstellt, immer entsprechende Vorstellungen sein, weil sie keine Abbilder wirklich bestehender Dinge sein sollen, sondern nur Muster, welche die Seele gebildet hat, um die Dinge danach zu ordnen und zu benennen, mithin ihnen nichts fehlen kann. Sie haben vielmehr diejenige Verbindung einfacher Vorstellungen, und damit die Vollkommenheit, welche die Seele ihnen geben wollte, und bei der die Seele sich beruhigt und nichts vermisst. Wenn ich z.B. die Vorstellung einer Figur mit drei an drei Winkeln sich treffenden Seiten habe, so habe ich eine vollständige Vorstellung, an der mir zu ihrer Vollkommenheit nichts fehlt. Dass die Seele mit dieser Vollkommenheit ihrer Vorstellung zufrieden ist, erhellt daraus, dass sie nicht fassen kann, wie Jemand eine vollständigere oder vollkommnere Vorstellung von dem mit dem Wort: Dreieck bezeichneten Dinge dann haben kann, wenn es besteht, als sie selbst in der zusammengesetzten Vorstellung von drei Seiten und drei Winkeln bereits besitzt, in der Alles enthalten ist, was wesentlich ist oder sein könnte, oder nothwendig, um sie zu vervollständigen, wo und wie das. Ding selbst auch bestehen mag. Dagegen verhält es sich mit den Vorstellungen von Substanzen anders. Hier verlangt man ein Abbild wirklich bestehender Dinge, welche deren Verfassung darstellen sollen, von welcher deren Eigenschaften[400] abhängen, und da man bemerkt, dass die Vorstellungen diese Vollkommenheit niemals erreichen, und dass ihnen allen etwas fehlt, was man noch gern darin hätte, so sind sie alle nichtentsprechend. Aber gemachte Zustandsvorstellungen und Beziehungen sind Bilder ohne Vorbilder, sollen nur sich selbst darstellen und müssen deshalb entsprechend sein, da jedes Ding sich zu sich selbst entsprechend verhält. Wer zuerst die Vorstellung einer erkannten Gefahr, der Abwesenheit aller Störung durch Furcht und der ruhigen Ueberlegung, was zu thun sei, und dessen feste Ausführung, ohne von der Gefahr sich abschrecken zu lassen, zusammenfasste, hatte unzweifelhaft in seiner Seele die aus dieser Verbindung zusammengesetzten Vorstellungen, und indem er nichts weiter als diese selbst wollte und keine andern einfachen Vorstellungen in ihr suchte als die, welche sie hatte, so konnte sie auch nur eine entsprechende Vorstellung sein, und indem er sie mit dem daran geknüpften Namen: »Muth« in sein Gedächtniss aufnahm, um sie Andern zu bezeichnen und die damit übereinstimmenden Handlungen danach zu benennen, hatte er damit einen Maassstab, um daran die übereinstimmenden Handlungen zu messen und danach zu benennen. Die so gebildete und als Muster aufbewahrte Vorstellung musste nothwendig entsprechend sein, da sie nur sich auf sich bezog und keinen andern Ursprung hatte als das Belieben und den Willen Dessen, der zuerst diese Verbindung gebildet hatte.

§ 4. (Dagegen können Zustands-Vorstellungen in Bezug auf feste Namen nichtentsprechend sein.) Kommt ein Anderer nach ihm und hört er von ihm in der Unterhaltung das Wort: Muth, so kann Dieser leicht eine Vorstellung bilden und Muth nennen, welche von der des ersten Urhebers, die dieser bei Gebrauch des Wortes im Sinne hat, abweicht, und wenn in diesem Falle der Andere will, dass diese Vorstellung der des Ersten so entspreche wie der Name derselben im Klange dem Namen des Erstern entspricht, von dem er ihn gelernt hat, so kann seine Vorstellung schlecht und nichtentsprechend sein, weil er in diesem Falle die Vorstellung des Ersten zu seinem Muster nimmt, und deshalb seine Vorstellung insofern mangelhaft und nicht entsprechend ist, als sie von dem Muster, auf das sie[401] sich bezieht, abweicht und er doch sie mit demselben Wort bezeichnen will; denn er möchte, dass dieser Name das Zeichen für die Vorstellung Jenes (welcher es vor seinem eigentlichen Gebrauche zunächst angeheftet war) und für seine eigne wäre, als stimmten beide überein, und deshalb ist seine Vorstellung fehlerhaft und nichtentsprechend, sofern sie diese Forderung nicht genau erfüllt.

§ 5. Deshalb können diese zusammengesetzten Vorstellungen von Zuständen durch ihre Beziehung und beabsichtigte Uebereinstimmung mit Vorstellungen eines andern vernünftigen Wesens und durch ihre Bezeichnung mit den gebräuchlichen Worten sehr mangelhaft, schlecht und nichtentsprechend werden; indem sie dem nicht entsprechen, was als ihr Original und Urbild genommen ist in dieser Hinsicht allein können auch die Vorstellungen von gemischten Zuständen schlecht, unvollkommen und nicht entsprechend werden, und nach dieser Rücksicht sind diese Vorstellungen am meisten der Fehlerhaftigkeit unterworfen; obwohl dies mehr auf die Ausdrucksweise als auf das richtige Wissen sich bezieht.

§ 6. (Die Vorstellungen von Substanzen sind in Beziehung auf wirkliche Wesenheiten nicht entsprechend.) Drittens habe ich oben gezeigt, welche Vorstellungen von Substanzen man hat. Diese haben nun in der Seele eine zwiefache Beziehung; 1) manchmal werden sie auf das wirkliche Wesen bezogen, was man in jeder Art von Dingen voraussetzt, und 2) sollen sie manchmal, mir Bilder oder Darstellungen von Dingen in der Seele bezeichnen, welche durch Vorstellungen solcher Eigenschaften bestehen, die in ihnen erkennbar sind. In beiden Fällen sind die Abbilder dieser Originale und Muster unvollkommen und nicht entsprechend.

Erstens ist es gebräuchlich, Namen für Dinge aufzustellen, die angeblich gewisse Wesenheiten haben, vermöge deren sie zu dieser oder jener Art gehören; und wenn Namen nur Vorstellungen in der Seele bezeichnen, so müssen diese auf solche wirkliche Wesenheiten als ihre Muster bezogen werden. Dass man (namentlich wenn man die Wissenschaften so, wie in diesem Theile der Welt, gelehrt bekommen hat) gewisse eigenthümliche[402] Wesenheiten der Substanzen annimmt, denen jedes Exemplar der betreffenden Art entsprechend gebildet ist, und an denen es Theil hat, bedarf keines Beweises; ja, man würde jede andere Ansicht für seltsam halten. Deshalb giebt man gewöhnlich die eigenthümlichen Namen, unter die man die besondern Substanzen ordnet, den Dingen, als wenn sie durch solche besondere wirkliche Wesenheiten sich unterschieden. Wer würde es nicht übelnehmen, wenn man zweifelte, dass er sich nur deshalb einen Menschen nenne, weil er die wirkliche Wesenheit eines solchen habe? Und doch weiss man auf die Frage, was diese Wesenheiten sind, nichts zu antworten, und kennt sie nicht. Deshalb müssen die Vorstellungen, die sich auf solche wirkliche Wesenheiten als auf ihre unbekannten Muster beziehen, nichtentsprechend sein, ja, sie können überhaupt nicht als Darstellungen jener Wesenheiten gelten, unsere zusammengesetzten Vorstellungen von Substanzen sind, wie ich gezeigt habe, Zusammenfassungen einfacher Vorstellungen, von denen man bemerkt hat oder annimmt, dass sie immer beisammen bestehen. Eine solche zusammengesetzte Vorstellung kann aber nicht das wirkliche Wesen einer Substanz sein; sonst müssten die Eigenschaften eines solchen Körpers von dieser zusammengesetzten Vorstellung abhängen, daraus ableitbar sein, und ihre nothwendige Verknüpfung müsste bekannt sein; wie z.B. alle Eigenschaften eines Dreiecks, soweit sie entdeckbar sind, von der zusammengesetzten Vorstellung dreier Linien, die einen Raum einschliessen, abhängen und daraus abgeleitet werden können. Allein offenbar enthalten unsere zusammengesetzten Vorstellungen der Substanzen nicht solche Vorstellungen, von denen alle andern an ihnen bemerkten Eigenschaften abhängen. Die gewöhnliche Vorstellung von Eisen ist die eines Körpers von bestimmter Farbe, Gewicht und Härte; eine weitere Eigenthumlichkeit, die ihm zugehört, ist die Hämmerbarkeit, aber sie hat keine nothwendige Verknüpfung mit dieser so zusammengesetzten Vorstellung oder einem ihrer Theile, und man kann ebenso gut annehmen, dass die Farbe, das Gewicht von dieser Hämmerbarkeit abhänge, wie umgekehrt diese von jenen. Obgleich man also nichts von diesen wirklichen Wesenheiten kennt, so ist doch nichts gewöhnlicher, als dass die Arten der[403] Dinge auf solche Wesenheiten zurückgeführt werden. Das Stückchen Stoff, was den Ring an meinem Finger bildet, hat nach Annahme der meisten Menschen eine wirkliche Wesenheit, wodurch es Gold ist und wovon alle Eigenschaften herkommen, die man darin bemerkt, wie die eigenthümliche Farbe, das Gewicht, die Härte, die Schmelzbarkeit, die Feuerbeständigkeit und der Wechsel der Farbe bei Berührung mit Quecksilber u.s.w. Forsche ich aber nach der Wesenheit, aus der all diese Eigenschaften abfliessen, so zeigt sich klar, dass ich sie nicht finden kann; das Weiteste ist die Annahme, dass, da es sich nur um einen Körper handelt, sein wirkliches Wesen oder seine innere Verfassung, von der diese Eigenschaften abhängen, nur aus der Gestalt, Grösse und der Verbindung seiner dichten Theile bestehe, und da ich von diesen keine bestimmte Wahrnehmung habe, so kann ich auch keine Vorstellung von seinem Wesen haben, welches seine besondere glänzende gelbe Farbe, sein schwerstes Eigengewicht von allen Dingen und seine Fähigkeit, die Farbe bei Berührung mit Quecksilber zu verändern, verursache. Will Jemand behaupten, dass das wirkliche Wesen und die innere Verfassung, von denen diese Eigenschaften abhängen, nicht die Gestalt, Grösse und die Ordnung oder Verbindung seiner dichten Theile, sondern etwas Anderes sei, und dies seine eigentliche Form nennen, so weiss ich dann von seinem wirklichen Wesen noch weniger wie vorher; denn ich habe wenigstens im Allgemeinen eine Vorstellung von Gestalt, Grösse und Lage dichter Theile, wenn ich auch die besondere Gestalt, Grösse und Zusammensetzung der Theile nicht kenne, woraus die erwähnten Eigenschaften hervorgehen, die ich an dem besondern Stück Stoff an meinem Finger bemerke, und nicht an jenem andern Stück Stoff, mit dem ich meine Schreibfeder geschnitten habe. Sagt man mir aber, dass Etwas neben der Gestalt Grösse und Stellung der dichten Theile dieses Körpers sein Wesen sei, was die substantielle Form heisse, so gestehe ich, dass ich davon gar keine Vorstellung habe, sondern nur von dem Worte; Form; die aber weit abliegt von der Vorstellung seines wirklichen Wesens oder seiner Verfassung. Ebenso unwissend wie hier bin ich auch über das wirkliche Wesen aller andern natürlichen Substanzen; ich habe von ihnen[404] allen keine bestimmte Vorstellung, und ich möchte glauben, dass es Andern, wenn sie ihr Wissen näher prüfen, nicht besser geht.

§ 7. Wird nun diesem besondern Stück Stoff an meinem Finger ein allgemeiner bereits gebräuchlicher Name gegeben und es Gold genannt, so geschieht es, oder man nimmt an, dass es deshalb geschehe, weil dieser Name zu einer besondern Art von Körpern gehört, die ein inneres Wesen haben, wodurch diese besondere Substanz zu dieser Art gehört und so genannt wird. Ist dem so, was offenbar der Fall ist, so muss der Name, welcher die Dinge mit diesem angeblichen Wesen bezeichnet, zunächst auf diese Wesen sich beziehen, und folglich muss auch die mit diesem Namen bezeichnete Vorstellung auf dieses Wesen sich beziehen und dasselbe darstellen. Da nun aber Die, welche diese Worte gebrauchen, dieses Wesen nicht kennen, so müssen in dieser Beziehung all ihre Vorstellungen von Substanzen nichtentsprechend sein, weil sie das wirkliche Wesen nicht enthalten, was sie doch sollen.

§ 8. (Die Vorstellungen der Substanzen, als Zusammenfassungen ihrer Eigenschaften, sind sämmtlich nichtentsprechend.) Zweitens lassen Andere diese nutzlose Annahme unbekannter wirklicher Wesenheiten, welche den Unterschied der Substanzen bestimmen sollen, bei Seite, und suchen die in der Welt bestehenden Substanzen dadurch abzubilden, dass sie die Vorstellungen der in ihnen angetroffenen Eigenschaften zusammenstellen. Sie kommen allerdings dadurch der Aehnlichkeit mit ihnen näher als Die, welche sich wirkliche Wesenheiten ausdenken, die sie selbst nicht kennen; indess gelangen auch sie dann nicht zu vollkommen entsprechenden Abbildern dieser Substanzen, und diese Abbilder enthalten auch nicht genau und vollständig Alles, was in ihren Originalen angetroffen wird, weil diese Eigenschaften und Kräfte der Substanzen, aus denen ihre zusammengesetzten Vorstellungen gebildet werden, so zahlreich und mannichfach sind, dass keines Menschen zusammeagesetzte Vorstellung sie sämmtlich befassen kann. Es ist klar, dass unsere abgezogenen Begriffe von Substanzen nicht all die einfachen Vorstellungen enthalten, die in denselben vereint sind, da man nicht einmal alle[405] an der Substanz bekannten Eigenschaften hinein verlegt, weil man die Bedeutung ihrer Namen möglichst klar und leicht zu machen sucht und deshalb die besondern Vorstellungen der Arten der Substanzen meist nur aus wenigen in ihnen gefundenen Bestimmungen bildet. Da aber diese ursprünglich keinen Vorrang und kein Recht dazu haben, und sie das Eigenthümliche der Substanz nicht mehr als andere, die ausgelassen werden, ausmachen, so ist klar, dass auf beiden Wegen diese Vorstellungen von Substanzen mangelhaft und nichtentsprechend werden müssen. Die einfachen Vorstellungen, aus denen die zusammengesetzten von Substanzen gebildet werden, sind sämmtlich Kräfte (nur die Gestalt und die Masse einiger ausgenommen), welche in Beziehungen zu andern Substanzen bestehen, und man kann deshalb niemals sicher sein, dass man alle in einem Körper enthaltenen Kräfte kenne, ehe man nicht erprobt hat, welche Veränderungen der Körper in andern Substanzen bewirken oder von ihnen je nach der verschiedenen Anwendung empfangen kann. Diese Probe ist indess schon bei einem Körper unmöglich, geschweige bei allen, und man kann deshalb keine entsprechenden Vorstellungen von irgend einer Substanz haben, die all ihre Eigenschaften befasste.

§ 9. Wer zuerst ein Stück von der Substanz antraf, die man Gold benennt, konnte allerdings vernünftiger Weise annehmen, dass die an einem Klumpen bemerkte Grösse und Gestalt nicht von seinem wirklichen Wesen abhänge; deshalb gingen zwar beide in seiner Vorstellung von dieser Art Körper nicht mit ein, sondern nur die eigenthümliche Farbe und vielleicht das Gewicht waren die ersten Trennstücke, aus denen er die Vorstellung dieser Art von Körpern zusammensetzte. Allein beide sind nur Kräfte, von denen die eine unsere Augen so erregt, dass die Vorstellung des Gelben entsteht; und die andere hebt einen Körper von gleicher Grösse aufwärts, wenn man beide in die Schalen einer Wage legt. Ein Anderer fügte diesen vielleicht noch die Vorstellungen der Schmelzbarkeit und Festigkeit hinzu, was zwei andere leidende Kräfte sind, die sich auf das gegen Gold wirkende Feuer beziehen; ein Anderer setzte weiter die Biegsamkeit und Auflöslichkeit des Goldes in Königswasser hinzu, zwei andere Kräfte, die sich auf die Wirksamkeit[406] anderer Körper rücksichtlich der Veränderung der änssern Gestalt oder die Trennung in nicht mehr wahrnehmbare Theile beziehen. Diese Eigenschaften, oder ein Theil davon verbunden, machen gewöhnlich die zusammengesetzte Vorstellung von der Art der Substanzen aus, die Gold heisst.

§ 10. Wer indess die Eigenschaften der Körper allgemein oder die von dieser Art insbesondere untersucht hat, ist nicht zweifelhaft, dass das Gold noch viele andere Eigenschaften hat, die in dieser zusammengesetzten Vorstellung nickt enthalten sind. Wer das Gold näher untersucht, wird wahrscheinlich noch zehnmal mehr Eigenschaften vom Golde aufzählen können, die von seiner innern Verfassung ebenso untrennbar sind, wie seine Farbe und sein Gewicht, und wenn Jemand alle Eigenschaften kennte, welche den verschiedenen Personen von diesem Metalle bekannt sind, so würden hundertmal so viel Eigenschaften in die zusammengesetzte Vorstellung des Goldes eintreten, wie der Einzelne davon hat, und doch wäre es vielleicht noch nicht der tausendste Theil von denen, die noch darin entdeckt werden könnten; da die Veränderungen, welche diese Körper von andern erleiden, oder die er an diesen bewirken kann, bei gehöriger Zusammenstellung derselben nicht blos das, was man davon weiss, sondern auch das, was man davon sich vorstellen kann, weit übersteigen. Dies wird Niemand sonderbar finden, wenn er bedenkt, wie weit man noch von der Kenntniss aller Eigenschaften jener einen, nicht sehr zusammengesetzten Gestalt des Dreiecks entfernt ist, wenn auch die Anzahl seiner durch die Mathematiker entdeckten Eigenschaften schon sehr erheblich ist.

§ 11. (Die Vorstellungen von Substanzen als Zusammenfassungen ihrer Eigenschaften sind sämmtlich nichtentsprechend.) Demnach sind alle unsere zusammengesetzten Vorstellungen von Substanzen unvollständig und nichtentsprechend. Dies würde auch für die mathematischen Gestalten gelten, wenn man deren zusammengesetzte Vorstellungen nur durch Sammeln ihrer Eigenthümlichkeiten rücksichtlich anderer Figuren erlangen könnte. Wie unsicher und unvollkommen würde die Vorstellung einer Ellipse sein, wenn sie nur aus einigen ihrer Eigenschaften gebildet[407] wäre, während wir jetzt in ihrer einfachen Vorstellung das ganze Wesen dieser Figur haben, von wo aus wir ihre Eigenschaften entdecken, und mittelst der Beweise sehen, wie sie daraus abfliessen und davon untrennbar sind.

§ 12. (Die einfachen Vorstellungen sind ektypa und entsprechend.) So hat die Seele drei Arten von Trenn-Vorstellungen oder Wort-Wesen: 1) einfache Vorstellungen, welche ektypa oder Abbilder, aber sicherlich entsprechende sind; denn sie sollen nur die Kraft in den Dingen bezeichnen, welche in der Seele bestimmte Wahrnehmungen hervorbringen; deshalb können diese Wahrnehmungen, wenn sie hervorgebracht werden, nur die Wirkung solcher Kräfte sein. So hat das Papier, worauf ich schreibe, die Kraft, im Hellen (nach der gewöhnlichen Meinung ausgedrückt) die Weiss genannte Wahrnehmungsvorstellung hervorzubringen, und sie kann deshalb nur die Wirkung von einer solchen Kraft ausserhalb der Seele sein, da die Seele nicht die Kraft hat, solche Vorstellungen für sich hervorzubringen. Indem somit die einfache Vorstellung nur als die Wirkung einer solchen Kraft gilt, so ist sie wirklich und entsprechend, und die Empfindung des Weissin meiner Seele ist, weil sie nur die Wirkung dieser in dem Papier enthaltenen Kraft ist, dieser Kraft völlig entsprechend, da sonst diese Kraft eine andere Vorstellung hervorbringen würde.

§ 13. (Die Vorstellungen von Substanzen sind ektypa aber nichtentsprechend.) Zweitens sind auch die zusammengesetzten Vorstellungen der Substanzen Abbilder, aber keine vollständigen und entsprechenden, was leicht begreiflich ist, weil man bei keiner Zusammenfassung der einfachen Vorstellungen einer bestehenden Substanz sicher sein kann, dass sie allen in der Substanz enthaltenen entspricht; denn man hat nicht alle Wirkungen anderer Substanzen auf sie erprobt, und nicht alle Veränderungen, die sie von solchen erhält oder in ihnen bewirkt, erkannt, und kann deshalb auch keine genau entsprechende Zusammenfassung all ihrer thätigen und leidenden Vermögen haben. Deshalb ist die entsprechende zusammengesetzte Vorstellung der Kräfte irgend einer bestehenden Substanz und ihrer Beziehungen, welches diese Art der Vorstellungen von Substanzen ist, unmöglich.[408] Aber selbst wenn dies möglich wäre, und man eine solche Vorstellung aller zweiten Eigenschaften oder Kräfte einer Substanz haben könnte, so würde man damit doch noch keine Vorstellung von ihrem Wesen haben; denn die Kräfte oder wahrnehmbaren Eigenschaften sind nicht das wirkliche Wesen der Substanz, sondern nur davon abhängig und daraus abfliessend; daher kann keine Verbindung dieser Eigenschaften das wirkliche Wesen des Dinges sein. Hieraus erhellt, dass die Vorstellungen von den Substanzen nichtentsprechend und nicht das sind, was man verlangt. Ueberdem fehlt dem Menschen die Vorstellung der Substanz überhaupt, und er weiss nicht, was sie an sich ist.

§ 14. (Die Vorstellungen der Zustände und Beziehungen sind Urbilder, und müssen entsprechend sein.) Drittens sind die zusammengesetzten Vorstellungen der Zustände und Beziehungen Urbilder, Originale, und keine Abbilder, die nach dem Muster eines Daseienden so gemacht sind, dass sie ihnen genau entsprechen sollen. Es sind Verbindungen von einfachen Vorstellungen, welche die Seele selbst macht, und da solche Verbindungen genau so viel enthalten, als sie nach ihrer Absicht sollen, so sind sie Urbilder und Wesenheiten von Zuständen, die möglicher Weise so bestehen können. Sie sind also nur für solche Zustände bestimmt, und gehören nur zu solchen, die, wenn sie bestehen, dann auch genau damit übereinstimmen. Deshalb müssen die Vorstellungen von Zuständen und Beziehungen nothwendig entsprechend sein.

Quelle:
John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand. In vier Büchern. Band 1, Berlin 1872, S. 398-409.
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Versuch über den menschlichen Verstand
Philosophische Bibliothek, Bd.75, Versuch über den menschlichen Verstand, Teil 1: Buch I und II
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