Atomgeschwindigkeit

[65] Welche Beweglichkeit liegt in den stofflichen Urelementen,

Siehst du, mein Memmius, leicht aus folgenden wenigen Worten;

Breitet zuerst Aurora das Frührot über die Lande,

Fliegt dann buntes Gevögel durch einsam liegende Wälder

Und läßt hoch in der Luft die flüssige Stimme erschallen,

Dann liegt allen vor Augen und ist mit Händen zu greifen,

Wie in diesem Momente die neuerwachende Sonne

Alles im Nu umkleidet mit leuchtendem Strahlengewande.

Aber das heitere Licht und die Wärmestrahlen der Sonne

Dringen doch nicht durch das Leere, Drum muß sich ihr Gang noch verzögern.

Denn sie haben da gleichsam die Wellen der Luft zu zerteilen;

Auch erfüllen die Bahn nicht vereinzelt die Wärmeatome,

Sondern zusammengeballt und eng miteinander verflochten;

So wird eins durch das andre gehemmt und zugleich auch von

außen Aufgehalten, so daß sich ihr Gang notwendig verlangsamt.

Doch wenn die Urelemente, die einfach sind und solide,

Schweifen im stofflosen Leeren und nichts sie von außen zurückhält,

Und sie selbst mit den eig'nen zur Einheit verbundenen Teilchen

Auf ein einziges Ziel die begonnene Richtung verfolgen,

Müssen (das ist kein Wunder) an Schnelle sie alles besiegen

Und weit schneller vollenden den Weg als die Strahlen der Sonne;[65]

Ja, viel größere Räume durcheilen sie ebenso hurtig

Als die Blitze des Himmels durchmessen die Räume des Himmels.


* * *


[Hiervon genug! Denn es scheint nicht nötig, noch Weitres zu sagen,]

Noch auf der Bahn zu verfolgen die einzelnen Urelemente,

Um zu erspähn, auf welcherlei Art sich ein jegliches reget.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 65-66.
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