Erfindung der Musik

[209] Lange schon ahmte der Mensch mit dem Munde das Vogelgezwitscher

Nach, bevor er es lernte ergötzliche Lieder zu singen

Und durch ihre Verkündung das lauschende Ohr zu entzücken.

Zephyrs Säuseln im Rohr war die erste Belehrung des Landmanns.

Als er zu blasen begann auf dem hohlen Stengel des Schierlings.

Dann erlernte man mählich die süßen Töne der Klage,

Die der Flöte entströmt, wenn des Spielers Finger sie meistert,

Der die Weise gefunden in göttlich begeisterter Muße,

Während er einsam schweifte durch Triften der Hirten und Wälder.

Solche Musik bezauberte jetzt und ergötzte die Menschen,

Wenn sie den Hunger gestillt; dann freut uns ja allerlei Kurzweil.

Und so lagerten sie miteinander auf schwellendem Rasen

Oft an des Bächleins Rand in dem Schatten ragender Bäume,

Und sie labten vergnügt sich mit ihren bescheidenen Mitteln,

Wenn sie zumal auch das Wetter begünstigte und wenn der Frühling

Grünende Wiesengefilde mit farbigen Blumen bestickte.

Da gab's scherzhaft Gespräch und heitres Gekicher, wie üblich;

Denn die ländliche Muse war jetzt in der blühenden Vollkraft.

Ausgelassene Lust hieß jetzt sie das Haupt und die Schultern

Mit geflochtenen Kränzen aus Blumen und Blättern umwinden,

Trieb sie dazu, nun die Glieder im taktlosen Tanze zu schwingen

Und mit polterndem Fuße die Mutter Erde zu stampfen.

Dies erweckte nun wieder Gelächter und heitres Gekicher,

Weil dies damals noch neu und darum wunderbar wirkte.[209]

Mußte man wachen, so war's ein Ersatz für den fehlenden Schlummer,

Mancherlei Töne zu bilden und Melodien zu singen

Und mit gebogener Lippe die Hirtenflöte zu spielen.

Drum hat sich dies bei den Wächtern noch jetzt im Gebrauche gehalten.

Jetzt erlernte man auch auf die Einheit des Taktes zu achten;

Jene Urwaldrasse der erdentsprossenen Menschheit

Schöpfte gewiß hieraus nicht mindres Vergnügen als wir jetzt.

Denn was grade im Schwang, das gefällt und wirkt ja besonders,

Wenn man nicht vorher schon Schöneres hatte gesehen.

Wird dann später das Beßre entdeckt, so vernichtet es alles,

Was man früher geliebt: der Geschmack verändert sich eben.

So ward ihnen die Eichel verhaßt, so verließ man die alten

Lagerstätten, die Gräser und Laubwerk hatten gepolstert.

Ebenso fiel in Verachtung die frühere Kleidung aus Tierfell.

Einstmals mußte den Neid, wie mich dünkt, die Erfindung des Fellkleids

Wecken, so daß sein Träger von Meuchelmördern bedroht war.

Und doch mußt' es verschwinden und konnte nicht fürder mehr dienen,

Weil es im Hader des Streits zerrissen und blutüberströmt ward.

Damals war es das Fell, jetzt bringt das Gold und der Purpur

Sorgen dem Leben der Menschen und stiftet bei ihnen den Krieg an.

Doch kommt größere Schuld, wie mich dünkt, auf unsere Rechnung.

Jene Söhne der Erde, die nackt und noch ohne die Felle

Waren, litten vom Prost; doch was schadet es uns, wenn dem Kleide

Fehlet der Purpur, verbrämt mit Gold und mit riesigem Zierat?

Könnte doch auch ein plebejisch Gewand vor der Kälte uns schützen!

So müht also das Menschengeschlecht sich umsonst und vergebens

Immerfort ab und verzehrt in den nichtigsten Sorgen sein Leben.

Leider versteht es ja nicht, der Besitzgier Schranken zu setzen

Und die Grenze, wieweit sich das wahre Vergnügen noch steigert.

Dies ist's, was mit der Zeit das Leben ins offene Meer trieb

Und von Grund aus erregte die mächtigen Wogen des Krieges.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 209-210.
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