Die Entwicklung der Individualität in der natürlichen und kulturellen Umgebung.

[70] 1. Vom Elternleibe losgetrennt beginnt der tierische Organismus ein selbständiges Leben. Als Erbe nimmt er nur eine Anzahl von Reflexreaktionen mit, die ihm über die erste Not hinweghelfen sollen. Indem er diesen Besitz seiner besonderen Umgebung anpaßt, entsprechend modifiziert und vermehrt, Erfahrungen erwirbt, wird er zur leiblichen und psychischen Individualität. Das menschliche Kind verhält sich hier gerade so, wie das mit der Eierschale davonlaufende und pickende Rebhuhn, und der an der Nabelschnur die Schale noch nach sich ziehende eben ausgeschlüpfte Alligator,79 der aber schon mit offenem Rachen fauchend und schnappend auf jeden angenäherten Körper losfährt. Nur weniger reif, weniger reich ausgestattet, trennt sich das menschliche Kind äußerlich von der Mutter, deren leiblicher und psychischer Besitz noch lange ergänzen muß, was dem Kinde zur Selbständigkeit fehlt.

2. Individuelle Erfahrungen sammeln die Tiere in derselben Weise wie der Mensch. Die Biologie und die Kulturgeschichte sind gleichwertige, sich gegenseitig ergänzende Quellen der Psychologie und Erkenntnislehre. Mag es auch recht schwierig sein, sich in das psychische Leben der Insekten z.B. hineinzudenken, deren Lebensbedingungen, deren Sinne uns so wenig bekannt sind, mag es auch verlockend scheinen, dieselben als bloße Maschinen zu studieren, von Schlüssen auf das psychische Leben ganz abzusehen, den wertvollen Leitfaden der Analogie zur eigenen Psyche sollte man desto weniger unbenützt lassen, je unzureichender gerade hier die übrigen Mittel der Forschung sind. Wir sind ja gelegentlich sehr geneigt, die Kluft zwischen dem Menschen und[70] seinen tierischen Genossen zu überschätzen. Wir vergessen zu leicht, wie viel in unserem eigenen psychischen Leben mechanisch verläuft. Halten wir das Benehmen der Insekten, Fische und Vögel der Flamme und dem Glase gegenüber für auffallend dumm, so bedenken wir nicht, wie wir selbst uns gegen solche Objekte verhalten würden, wenn dieselben unserer Erfahrung gänzlich fremd wären und nun plötzlich auftreten würden. Dieselben müßten uns geradezu als Zauberei erscheinen, und wir würden wohl mehr als einmal gegen dieselben anrennen. Gehen wir von dem Studium der dem Menschen nächststehenden Tiere aus, zu den fernerstehenden allmählich fortschreitend, so muß dies zu einer soliden vergleichenden Psychologie führen. Erst eine solche wird die Erscheinungen des höchsten und des niedersten psychischen Lebens durchleuchten, die wahren Übereinstimmungen und Unterschiede beider klarlegen.

3. Einige Beispiele mögen das Verhältnis der tierischen zur menschlichen Psyche beleuchten. L. Morgan80 ließ einen jungen Hund einen Stock herbeibringen. Derselbe brannte sich beim Aufnehmen des Stockes an Nesseln und wollte denselben Stock nicht mehr anfassen, auch wenn dieser im freien Felde lag. Andere Stöcke faßte er ohne Widerstand an, und so auch den verhängnisvollen Stock nach einigen Stunden, nachdem mit dem Schmerz auch die lebhafte Vorstellung desselben geschwunden war. – Ein anderer Hund faßte einen Stock mit schwerem Knopf in der Mitte, was ihm große Unbequemlichkeiten verursachte. Durch viele Versuche lernte er aber den Stock nahe am Knopf – in der Nähe des Schwerpunktes – fassen. – Zwei junge Hunde trugen Stöcke quer im Maul, deren Enden an die Pfeiler eines engen Durchgangs für Fußgänger anstießen. Die Hunde ließen die Stöcke fallen und liefen hindurch. Zurückgesandt, faßte der eine den Stock an einem Ende und zog ihn ohne Schwierigkeit hindurch, während der andere fortfuhr, in der Mitte anzufassen, anzustoßen und fallen zu lassen. Bei der Rückkehr an denselben Ort, nach einer Stunde, hatte auch der scheinbar klügere vergessen, den[71] Vorteil zu nützen, den ihm offenbar der Zufall dargeboten hatte. – Ein Hund lernt leicht ein Gittertor öffnen, indem er den Kopf unter den Riegel schiebt und diesen hebt. Beobachtet man genau, so zeigt sich, daß dieses Verfahren, durch spielende oder ungestüme Versuche, hinaus zu gelangen, zufällig gefunden wurde und keineswegs in der klaren Einsicht der Bedingungen des Öffnens. – Ein Hund verfolgte mehrmals ein aufgescheuchtes Kaninchen auf einem krummen Pfad durch das Gebüsch, wobei ihm dasselbe schließlich in seinen Bau entwischte. Endlich aber schlug der Hund, nachdem er das Tier aufgejagt, den geraden Weg zum Bau ein, woselbst er das ankommende Tier erwartete und erfaßte. – Pferde und Hunde, welche eine Last einen steilen Hügel hinanzuschleppen haben, ziehen den Zickzackweg von geringerer Steigung dem geraden Weg vor.

Aus diesen Beispielen scheinen sich folgende Regeln ableiten zu lassen: 1. Die Tiere wissen Associationen, welche der Zufall herbeiführt, zu ihrem Vorteil zu nützen. 2. Wegen Komplikation der Tatsachen können auch nicht fest zusammenhängende Merkmale sich associieren; es kann z.B. das Brennendem Stock zugeschrieben werden, auf den die Aufmerksamkeit eben gerichtet ist, während die Nesseln unbeachtet bleiben. 3. Nur oft erneuerte, biologisch wichtige Associationen erhalten sich. – Man wird zugeben, daß das Verhalten der meisten Menschen nach denselben Regeln verständlich ist. – Züge von unglaublicher Dummheit erzählt Morgan81 von einer Kuh, deren Kalb bald nach der Geburt verendete. Da diese Kuh sich nur in Gegenwart des Kalbes melken ließ, stopfte der Hirt den Balg des Kalbes ohne Kopf und Beine mit Heu aus, welches Phantom die Kuh beroch und mit Zärtlichkeit leckte, während der Hirt das Melken vornahm. Als aber später durch das beharrliche Liebkosen das Heu zum Vorschein kam, fraß die Kuh dieses mit aller Gemütsruhe auf. Züge von gelegentlicher menschlicher[72] Stumpfheit, welche an die referierten erinnern, erzählt aber Maupassant in mancher seiner meisterhaften Novellen; dieselben beruhen kaum auf reiner Erfindung.

4. Ist das psychische Leben durch die biologische Notwendigkeit einmal zu gewisser Stärke entwickelt, so äußert es sich auch selbständig über diese Notwendigkeit hinaus. Ein solcher Überschuß des psychischen Lebens tritt in der Neugier zu Tage. Man kennt das kurze abgebrochene Bellen, welches der Hund hören läßt, wenn irgend eine ungewöhnliche Erscheinung seine Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Er beruhigt sich erst, wenn sich diese in einer für ihn verständlichen Weise aufklärt. – Eine schlafende Katze82 wurde durch den Schall eines Kindertrompetchens sehr erregt, legte sich aber ruhig wieder nieder, als sie den Knaben wahrnahm, der das Geräusch verursachte. – Ein Affe83 in einem Tiergarten fing ein Oppossum, untersuchte dasselbe, fand den Beutel, aus dem er die Jungen herausnahm, und legte sie nach genauer Besichtigung wieder hinein. In letzterem Falle geht das Interesse des kleinen Zoologen schon beträchtlich über die biologische Notwendigkeit hinaus. Romanes84 beobachtete, daß ein Hund beunruhigt und furchtsam wurde, als ein Knochen, den er benagt hatte, durch einen verborgenen Faden in Bewegung gesetzt wurde. Er deutete dies, etwas kühn, als Anlage zum Fetischismus. Es erinnert dies in der Tat entfernt an die Verehrung eines Südseeinsulaners für einen beschriebenen Holzspan,85 der in einer ihm unverständlichen Weise eine Nachricht vermittelt hatte.

5. Das psychische Leben des Tieres wird noch wesentlich bereichert durch Beobachtung des Verhaltens seiner Artgenossen, durch deren Beispiel und deren, wenn auch unvollkommene,[73] sprachliche Mitteilungen, welche schon in den reflektorisch entstehenden Warnungs- und Lockzeichen liegen. So können Verhaltungsweisen älterer Artgenossen auf jüngere, durch Tradition,86 übertragen werden, so können aber auch von einzelnen Individuen neu aufgebrachte Verhaltungsweisen auf viele oder alle Mitglieder einer Art übergehen. Das Leben einer Art erfährt also im Verlauf der Zeit Veränderungen. Wenn diese auch sehr selten so rapid87 auftreten, wie dies im Kulturleben des Menschen etwa durch Erfindungen geschieht, so sind die Vorgänge doch hier wie dort gleichartig, und hier wie dort können wir von einer Geschichte88 sprechen.

6. Die Unterschiede, welche der Mensch in psychischer Beziehung gegen die Tiere darbietet, sind nicht qualitativer, sondern bloß quantitativer Art. Infolge seiner verwickelten Lebensbedingungen hat sich 1. sein psychisches Leben intensiver und reicher gestaltet, 2. ist sein Interessenkreis größer und weiter, 3. ist er fähig, zur Erreichung seiner biologischen Ziele, einen längeren Umweg einzuschlagen, 4. übt das Leben der Zeitgenossen und Vorfahren, vermöge der vollkommeneren mündlichen und schriftlichen Mitteilung, einen stärkeren und direkteren Einfluß auf das Individuum, 5. findet in der Lebenszeit des einzelnen eine raschere Umwandlung des psychischen Lebens statt.

7. Der Mensch erwirbt seine kulturellen Errungenschaften in kleinen Schritten auf dem Weg primitiver Erfahrungen, wie die Tiere. Wenn die Früchte der Bäume nicht mehr reichen, beschleicht er wie ein Raubtier seine Jagdbeute und verwendet ähnliche Kunstgriffe wie dieses. Allerdings zeigt sich hier schon in der Wahl der Mittel die größere Kraft seiner durch reichere Erfahrung gestärkten Phantasie. Der Indianer beschleicht in der[74] Renntiermaske die Renntierherde;89 der Australier schwimmt, durch ein Rohr atmend, unter Wasser an die Wasservögel heran, die er so mühelos herabzieht und erstickt; der Ägypter verbirgt zu demselben Zweck seinen Kopf in einem Kürbis. Zur Verwendung solcher Mittel mögen wohl zufällige Erfahrungen geleitet haben. Der Zufall hat vermutlich auch das Fangen der Fische bei Ebbe durch einen Pfahlzaun gelehrt.90 Die äußerst sinnreiche Konstruktion der verschiedenen Fallen zeugt ebenso sehr für die Schlauheit des Menschen, wie für jene der Tiere, welche dieselben bald kennen und vermeiden lernen und so dem Menschen stets neue Aufgaben stellen. Neue wichtige Erfahrungen mußte der Mensch machen, als ihn die Vermehrung seines Geschlechtes zwang, von dem Jäger- zum Nomadenleben und schließlich zum Landbau überzugehen.

Die Muschelschalenhaufen, »Kjökkenmöddings«, an den Küsten zeigen, daß die Ernährung vieler Menschen der Steinzeit von jenen der Tiere kaum verschieden war. Der primitive Mensch schlägt sein Lager in Baumgeflechten auf, wie die Vögel und Affen oder benutzt eine Höhle als Wohnung, wie die Raubtiere. Die runde Indianerhütte,91 welche durch das Zusammenbinden der Wipfel von Bäumchen entsteht, weicht allmählich bei größerem Raumbedarf der länglichen rechteckigen Hütte. Klimatische Verhältnisse und die Art des vorhandenen Materials bedingen den Übergang zum Holzbau und Steinbau mit rohen oder behauenen Steinen.

8. Sehr auffallend unterscheidet sich der Mensch von seinen tierischen Genossen durch den Gebrauch der Kleidung. Zwar schützen sich zarte Krebse durch Verkriechen in Muschelschalen, und gewisse Insektenlarven bereiten sich eine Hülle von Steinchen und Blättern, allein solche Fälle sind verhältnismäßig sehr selten. Meist genügt die von der Natur mitgegebene Körperhülle zu ausreichendem Schutz. Durch welche Umstände verlor nun der Mensch bis auf ein Rudiment das vermutlich von seinen Vorfahren ererbte Haarkleid? Was mußte wohl vorausgehen, bevor der Mensch unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen[75] durch Kleider sich zu schützen suchte? Hat der aus wärmerem Klima nach dem Norden vertriebene Mensch durch die Kleider die Behaarung verloren? Oder haben verwickelte prähistorische Vorgänge den gegenwärtigen Zustand herbeigeführt? Tierfelle und Baumrinden92 waren die ersten Hüllen, nach welchen der schutzbedürftige Mensch griff. Auch Geflechte aus Gras mußten diese gelegentlich ersetzen. Fortschreitend führte dies zur Herstellung von gedrehten Fäden aus Pflanzenfasern, Haaren und Wolle, zum Spinnen und zum Flechten mit diesen Fäden, d.h. zum Weben. Die Notwendigkeit, die Häute oder gewebten Stücke zu Kleidern zu verbinden, lehrte das Nähen.

9. Das Tier und der Mensch wählen bei Befriedigung ihrer Bedürfnisse etwas verschiedene Wege. Beide können sich nur durch die Muskel ihres Leibes mit den Körpern der Umgebung in Beziehung setzen. Während aber das Tier, ganz von seinem Bedürfnis erfüllt, meist unmittelbar die Ergreifung des bedürfnisbefriedigenden oder die Entfernung des störenden Körpers anstrebt, sieht der Mensch in größerer psychischer Stärke und Freiheit auch noch die Seitenwege und wählt von diesen den bequemsten. Er hat schon die Muße gefunden, das Verhalten der Körper gegen Körper zu beobachten, obgleich dies unmittelbar ihn wenig berührt, und weiß es gelegentlich zu nützen. Er weiß, daß die Tiere ihre Genossen, die Vögel den Kürbis nicht fürchten und wählt danach seine Masken. Während der Affe vergebens nach dem Vogel hascht, trifft ihn der Mensch mit dem Wurfgeschoß, dessen Verhalten und Wirkung beim Zusammentreffen mit andern Körpern er im planmäßigen Spiel erprobt hat. Auch der Affe hüllt sich gern in die Decke, wenn er sie hat; er weiß sich aber das Fell und die Rinde nicht zu schaffen. Der Affe wirft gelegentlich nach dem Feind, schlägt auch mit dem Stein Früchte auf. Der Mensch stabilisiert aber jedes vorteilhaftere Verfahren; er ist mehr ökonomisch veranlagt. Er beschäftigt sich mit dem Stein, formt ihn zu Hammer und Axt, schleift wochenlang an seinem Speer, erfindet, den Zwischenmitteln die Aufmerksamkeit zuwendend, Waffen und Werkzeuge, die ihm unschätzbare Vorteile verschaffen.[76]

10. Wenn durch einen Blitzschlag z.B. ein Feuer entsteht, so benützen die Affen diese Gelegenheit, sich zu wärmen, so gern als der Mensch. Aber nur der letztere bemerkt, daß zugelegtes Holz das Feuer erhält. Nur er macht von dieser Beobachtung Gebrauch, pflegt, erhält und überträgt für seinen Zweck das Feuer.93 Ja die neuen Erfahrungen, die er bei Beschaffung leicht entzündbaren und fortglimmenden Materials, des Zunders, gewinnt, befähigen ihn, sogar das Feuer neu zu erzeugen, den Feuerbohrer zu erfinden und in den dauernden Besitz des Feuers zu gelangen. Im Besitz des Feuers erschaut er gelegentlich mit seinem über das Dringendste hinausreichenden Blick die Glasbildung, die Metallschmelzung u.s.w. Die Benützung des Feuers ist der Schlüssel zu den Schätzen der chemischen Technologie, sowie die Benützung der Werkzeuge und Waffen zu jenen der mechanischen Technologie. So verlockend und psychologisch lehrreich es wäre, die Entwicklung der Technologie aus primitiven Erfahrungen zu verfolgen, so würde dies hier doch zu weit führen. Die psychologischen Folgerungen, die sich aus einem solchen Studium ergeben, habe ich gedrängt darzustellen versucht in meinem Vortrag: »Über den Einfluß zufälliger Umstände auf die Entwicklung von Erfindungen und Entdeckungen.«94 Viel Material findet man in kulturgeschichtlichen Schriften.95

11. Jeder, der experimentiert hat, weiß, daß es viel leichter ist, eine zweckmäßige Bewegung der Hand auszuführen, welche ja fast von selbst unseren Absichten entspricht, als das Verhalten von Körpern gegeneinander genau zu beobachten und in der Vorstellung zu reproduzieren. Ersteres gehört zu unserer fortwährend geübten biologischen Funktion, während letzteres, außerhalb unseres unmittelbaren Interesses liegend, ein solches erst bei einem Überschuß sich spielend betätigenden Sinnen- und Vorstellungslebens gewinnen kann. Das Beobachten und erfinderische Phantasieren setzt schon ein gewisses Wohlbehagen und[77] Muße voraus. Um dieses zu üben, mußte der primitive Mensch schon unter relativ günstigen Verhältnissen leben. Übrigens erfinden die wenigsten Menschen. Die meisten benützen und lernen das von jenen wenigen Erfundene. Darin besteht die Erziehung, welche mäßige Mängel der Anlage ersetzen und den Kulturgewinn wenigstens erhalten kann. Es liegt in der Natur der Sache, daß der über das unmittelbar Nützliche hinausschweifende Blick ein größerer Segen ist für die Gesamtheit als für den Inhaber desselben.

12. Erwägt man das eben Gesagte, so kann man ermessen, wie nur sehr schwer und langsam sich der primitive Mensch über seine tierischen Genossen erheben konnte. Erst mit der Erhebung selbst nimmt das Wachstum der Kultur rascher zu. Mächtig steigt dieselbe durch die Bildung der Gesellschaft, durch die Teilung in Stände, Berufe, Handwerke, wobei dem einzelnen ein Teil der Sorge um den Unterhalt abgenommen und dafür ein engeres Feld der Tätigkeit zugewiesen wird, welches er nun vollständiger beherrschen kann. Die gesellige Vereinigung erzeugt noch besondere Erfindungen, welche nur durch dieselbe möglich, ihr eigentümlich sind. Es ist dies die räumlich und zeitlich (rhythmisch) organisierte Arbeit96 vieler mit gemeinsamem Ziel, wie wir sie in der Handhabung der Waffen kämpfender Truppen, in der Fortschaffung großer Lasten, z.B. bei den Ägyptern, teilweise in der Fabriksarbeit der Gegenwart antreffen. Die durch historische Umstände bevorzugten Stände solcher Associationen verfehlen nicht, die Arbeit der andern mehr als billig auszunützen. Indem aber die ersteren neue Bedürfnisse erfinden, regen sie auch zum Suchen nach neuen Mitteln der leichteren Befriedigung an, und was nicht den letzteren zuliebe geschah, kommt ihnen oft durch die Kultursteigerung doch indirekt zu statten. Dies gilt in Bezug auf materielle und geistige Kultur.

13. Der Mensch lernt die Leistungen der Tiere für seine Zwecke ausnützen und steigert hierdurch ungemein seine Kraft. In der Association gewinnt er Erfahrungen über den hohen Wert der[78] Menschenarbeit. Dies führt dazu, Kriegsgefangene nicht zu töten, sondern zur Arbeit zu zwingen. Die Sklaverei, welche einen Grundpfeiler der antiken Kultur bildet und unter verschiedenen Formen bis in die Neuzeit fortbesteht, hat hierin ihren Ursprung. In Europa und Amerika ist heute die Sklaverei dem Namen und der Form nach aufgehoben, das Wesen der Sache aber, die Ausnützung vieler Menschen durch wenige, ist geblieben. Die Unterjochung von Genossen anderer oder derselben Art wird übrigens nicht nur vom Menschen geübt; wir finden sie auch anderwärts, z.B. im Ameisenstaat.

14. Neben der Tier- und Menschenarbeit verfiel man nach und nach auf die Ausnützung der Arbeitskräfte der »unbelebten« Natur. So entstanden die Wassermühlen, die Windmühlen. Mehr und mehr Arbeiten, die zuvor durch Tier- oder Menschenkraft verrichtet worden waren, übertrug man nun dem bewegten Wasser und der bewegten Luft, welche nur die Maschinenanlage erforderten, nicht genährt werden mußten und im allgemeinen auch weniger widerspenstig waren, als Tiere und Menschen. Die Erfindung der Dampfmaschine erschloß den reichen Arbeitsvorrat, welcher in der seit Jahrmillionen als Steinkohle aufgespeicherten Waldvegetation der Vorwelt verborgen war und nun zur Leistung für die Menschen herangezogen wird. Die neu erstandene Elektrotechnik erweitert durch die elektrische Kraftübertragung das Anwendungsgebiet der Dampfmaschine sowohl, als auch jenes der an abgelegenen Orten angreifenden Wind- und Wasserkräfte. Schon im Jahre 1878, also vor dem großen Aufschwung der Elektrotechnik, waren in England Dampfmaschinen mit der Gesamtsumme von 4 1/2 Millionen Pferdekräften in Gang, welche der Arbeitskraft von 100 Millionen Menschen entsprachen. Die mehrfache Bevölkerung von England hätte also diese Arbeit nicht leisten können. Die Industriemaschinen Englands verrichteten aber im Jahre 1860 so viel, als 1200 Millionen fleißiger Handarbeiter, also fast die ganze Bevölkerung der Erde hätte zustande bringen können97

15. Man sollte nun meinen, daß bei einer solchen Steigerung der Arbeitskräfte der arbeitende Teil der Menschheit, der nur[79] mehr die Maschinen zu bedienen hat, bedeutend entlastet werden müßte. Wenn man aber genau zusieht, so ist dies keineswegs der Fall. Die Arbeit bleibt so aufreibend wie zuvor. Der Traum des Aristoteles von einem zukünftigen maschinen-technischen Zeitalter ohne Sklaverei hat sich nicht erfüllt. Die Umstände, an welchen dies liegt, hat J. Popper in einer sehr schönen und aufklärenden Schrift dargelegt.98 Die kolossale Leistung der Maschinen wird nämlich nicht sowohl zur Erleichterung des Unterhalts der Menschen, als vielmehr größtenteils zur Befriedigung der Luxusbedürfnisse des herrschenden Teiles der Menschheit aufgewendet. Es ist z.B. sehr angenehm, sich die Schnelligkeit der heutigen Eisenbahnzüge, die Leichtigkeit des Post-, Telegraphen- und Telephonverkehrs vorzustellen, für jenen, der diese Leichtigkeit genießt. Anders sieht es aber aus, wenn man die Kehrseite dieser Dinge ins Auge faßt und die Qual derjenigen betrachtet, welche diese Verkehrshetze aufrecht zu halten haben. Angesichts des intensiven Kulturlebens regen sich noch andere Gedanken. Die summenden Straßenbahnen, die schwirrenden Räder der Fabriken, das strahlende elektrische Licht betrachten wir nicht mehr mit reinem Vergnügen, wenn wir die Masse der Kohle erwägen, welche hierbei stündlich in die Luft geht. Wir nähern uns mit unheimlicher Geschwindigkeit der Zeit, da die Erde diese Schätze, die Ersparnisse ihrer Jugendzeit, wie ein alternder Organismus fast erschöpft haben wird. Was dann? Werden wir in die Barbarei zurücksinken? Oder wird sich bis dahin die Menschheit die Weisheit des Alters erworben und haushalten gelernt haben? Fortschritte der Kultur sind nur bei einem gewissen Übermute denkbar und können deshalb im allgemeinen nur von den teilweise entlasteten Menschen angeregt werden. Dies gilt für die materielle und für die geistige Kultur. Die letztere hat aber die köstliche Eigenschaft, daß ihre Verbreitung auf den belasteten Teil der Menschheit nicht zu hindern ist. Es kann also nicht fehlen, daß einmal dieser Teil der Menschen in richtiger Erkenntnis der Verhältnisse gegen den herrschenden Teil Front macht und[80] eine billigere, zweckmäßigere Verwendung des gemeinsamen Besitzes fordert.99

16. Zu den Erfindungen, welche aus dem sozialen Leben des Menschen hervorgehen, gehört auch die Sprache und die Schrift. Die reflektorischen Lautäußerungen, die bei durch bestimmte Anlässe hervorgerufenen Gemütserregungen eintreten, werden von selbst und unwillkürlich zu Erinnerungen, Zeichen dieser Anlässe und Erregungen, d.h. sie werden von einem unter gleichen Umständen lebenden Individuum derselben Art verstanden. So wenig spezialisiert die Lautäußerungen der Tiere auch sein mögen, so ist die Menschensprache doch nur eine weitere Entwicklung der Tiersprache. Sie entsteht, indem bei größerer Mannigfaltigkeit der Erlebnisse die Laute sich weiter modifizieren und spezialisieren, durch Nachahmung sich in dieser Spezialisierung verbreiten und durch Tradition sich erhalten. Das emotionelle Moment, welches den Laut erzeugt hat, tritt immer mehr zurück, der Laut spezialisiert sich und associiert sich immer mehr mit den entsprechenden Vorstellungen. Jerusalem verfolgt sehr schön die Bildung von Namen aus solchen Gefühlslauten bei Laura Bridgman.100 In beschränktem Maße können wir die Vorgänge der Sprachwandlung an unseren Kindern beobachten. Ausgedehnteres Material liefert uns die Vergleichung der Sprachen von Völkern gemeinschaftlicher Abstammung. Wir sehen da, wie mit der Teilung des Volkes in mehrere Zweige, die in verschiedenen Verhältnissen leben, die Sprache sich ebenfalls[81] teilt. Die Worte wandeln sich. Worte, für welche keine Objekte mehr vorhanden sind, verschwinden, oder werden zur Bezeichnung anderer verwandter oder ähnlicher Objekte verwendet wegen des für dieselben fehlenden Ausdrucks. Da der Vergleichungspunkt von Fall zu Fall wechselt, erlangt dasselbe Wort in verwandten Sprachen nach und nach oft weit voneinander entfernte Bedeutungen. Dadurch kann die Lektüre einer holländischen Zeitung, oder der Aufschriften in den Straßen einer holländischen Stadt, einem Deutschen eine harmlose ergötzliche Unterhaltung gewähren und ohne Zweifel mutatis mutandis auch umgekehrt.101 Die Wichtigkeit des Wortes als Zentrum der Associationen wurde schon früher (S. 44 u. f.) hervorgehoben. Die psychische Entwicklung erfährt durch die sprachliche Mitteilung und Übertragung von Erfahrungen die mächtigste Förderung. Die Bedeutung der Sprache für die Abstraktion soll später noch erörtert werden.102

Die Lautsprache bedient sich nur ganz ausnahmsweise der Nachahmung eines zu bezeichnenden Hörbaren. Die Geberdensprache, welcher sich fremde Völker zur Verständigung untereinander bedienen, oder die natürliche Geberdensprache der Taubstummen (im Gegensatz zur künstlichen Fingersprache derselben), macht von der Nachahmung des Sichtbaren, wo nicht direkt auf dasselbe hingewiesen werden kann, den ausgiebigsten Gebrauch.103

17. Durch die Verwendung bleibender sichtbarer statt momentaner hörbarer Zeichen der Verständigung entsteht die Schrift. In dem Verharren104 liegt der Vorzug der Schrift vor dem vergänglichen,[82] rasch verfliegenden und wieder vergessenen, gesprochenen Wort. Am nächsten liegt es, Mitteilungen oder Nachrichten über Vorgänge zu geben durch Abbildung derselben. Die Indianer Nordamerikas bedienen sich in der Tat dieses Mittels. Ein Beispiel dafür ist die Zeichnung auf einem Felsen am Oberen See, welche Nachricht über einen Kriegszug zu Schiff gibt.105 Anfänge der Schrift liegen ferner im Tätowieren, indem die Zeichnungen auf der Haut nach und nach von selbst zu Stammeszeichen, zu »Totems« werden. Die konventionellen Erinnerungszeichen, Knoten, quere Kerben auf Stäben, welche der Länge nach gespalten von beiden einen Vertrag schließenden Teilen aufbewahrt wurden, die in der peruanischen Verwaltung verwendeten Knotenschnüre, »Quipus«, die »Wampungürtel« sind ebenfalls solche Anfänge. Die weitere Entwicklung der Schrift kann nun zwei verschiedene Wege einschlagen. Entweder schrumpfen die Abbildungen der Dinge durch schnelles vereinfachendes Schreiben zu konventionellen Begriffszeichen ein, wie in der chinesischen Schrift, oder die Abbildungen werden nach Art eines »Rebus«, indem sie an die Laute des Namens der abgebildeten Dinge erinnern, zu phonetischen Zeichen, wie in der Hieroglyphik der Ägypter. Die Neigung abstrakt zu denken und der Wunsch die Schrift dieser Neigung dienstbar zu machen, leitete auf den ersten, dagegen die Notwendigkeit Personennamen, überhaupt Eigennamen zu schreiben, leitete auf den zweiten Weg, auf dem sich die Buchstabenschrift entwickelt hat. Jede dieser Methoden hat ihre besonderen Vorteile. Die zweite kommt mit sehr wenigen Mitteln aus und folgt jeder phonetisch-sprachlichen und begrifflichen Wandlung mit Leichtigkeit. Die erstere ist von der Phonetik ganz unabhängig, wie denn das Chinesische auch von den Japanern, die eine ganz andere phonetische Sprache sprechen, gelesen wird. Die chinesische Schrift ist fast eine Pasigraphie, die allerdings, jeder begrifflichen Umwandlung entsprechend, ebenfalls einer Umwandlung bedarf.106[83]

18. Sprache und Schrift, ein Produkt der sozialen Kultur, wirken steigernd auf diese zurück. Man kann sich leicht vorstellen, daß das menschliche Leben sich vom tierischen nicht wesentlich unterscheiden könnte, wenn keine vollkommenere Mitteilung der Erfahrungen von Individuum zu Individuum stattfinden würde, jedes Individuum von neuem beginnen müßte und auf seine eigenen Erfahrungen beschränkt bliebe. Der Zustand der Wildheit könnte aber nicht überschritten werden, wenn die direkten Mitteilungen über die Zeit eines Menschenalters nicht weit hinausreichen würden. Die teilweise materielle Entlastung des einzelnen durch die Gesellschaft und die geistige Unterstützung desselben durch die Mitteilung der Zeitgenossen und Vorfahren, ermöglichen erst die Entstehung jenes Produktes des sozialen Lebens, welches wir Wissenschaft nennen. Der Wilde ist im Besitze der mannigfaltigsten Erfahrungen. Er kennt die giftigen und die genießbaren Pflanzen, verfolgt die Spuren der Jagdtiere und weiß sich vor den Raubtieren und Giftschlangen zu hüten. Er weiß Feuer und Wasser für seine Zwecke zu benutzen, Steine und Holz für seine Waffen auszuwählen, lernt Metalle schmelzen und bearbeiten. Er lernt an den Fingern zählen und rechnen, mit Hilfe seiner Hände und Füsse messen. Er sieht wie ein Kind das Himmelsgewölbe, beobachtet die Drehung desselben und die Lagenveränderung der Sonne und der Planeten auf demselben. Alle oder die meisten seiner Beobachtungen macht er jedoch bei Gelegenheit, oder zum Zwecke der nützlichen Anwendung für sich. Dieselben primitiven Erfahrungen bilden die Keime verschiedener Wissenschaften.107 Die Wissenschaft selbst kann erst entstehen, wenn durch materielle Entlastung so viel Freiheit und Muße gewonnen, anderseits durch häufige Inanspruchnahme der Intellekt so weit gestärkt ist, daß die Beobachtung an sich, ohne direkte Rücksicht auf deren Verwendung, das nötige Interesse gewonnen hat. Nun werden die Beobachtungen der Zeitgenossen und Vorfahren gesammelt, geordnet, geprüft, die durch zufällige Umstände veranlaßten Irrtümer ausgeschieden,[84] und der Zusammenhang des Feststehenden wird ermittelt. Was hierbei die Schrift leistet, sieht man schon an einem denkwürdigen Falle. Als die europäische Menschheit, nach länger als ein Jahrtausend währenden barbarischen Zuständen, den Faden der antiken Wissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert wieder aufnahm, hatte sie nicht nötig, von neuem denselben Anlauf zu wiederholen, sondern konnte rasch die antike Höhe erreichen und übersteigen.

Die historische Verfolgung der Bildung der Wissenschaften durch Aufsammlung und Ordnung von primitiven Erfahrungen gewährt ein reizendes und genußreiches Studium.108 Einige Wissensgebiete, wie Mechanik, Wärmelehre u. a. sind besonders lehrreich, weil in denselben das Emporwachsen der Wissenschaft aus dem Handwerk, aus dem Gewerbe besonders deutlich hervortritt.109 Man sieht hier, wie das materielle, das technische Bedürfnis, welches ursprünglich das Treibende war, sehr allmählich dem rein intellektuellen Interesse Platz macht. Die intellektuelle Beherrschung eines Tatsachengebietes wirkt nun auf die instinktive Technik, aus welcher sie hervorgegangen ist, zurück, und verwandelt dieselbe in eine zielbewußte wissenschaftliche Technik, welche nicht mehr auf zufällige Erfahrungen angewiesen ist, sondern planmäßig auf die Lösung ihrer Aufgaben losgehen kann. So bleiben theoretisches und praktisches Denken, wissenschaftliche und technische Erfahrung in dauerndem Kontakt und fördern sich gegenseitig.

19. Wie die Wissenschaft ist auch die Kunst110 ein Nebenprodukt, das sich bei Befriedigung der Bedürfnisse ergibt. Das Notwendige, das Nützliche, das Zweckmäßige wird zunächst gesucht. Ergibt sich hierbei Gefälliges ohne Rücksicht auf den Nutzen, so erregt auch dieses gelegentlich das Interesse, wird seiner selbst wegen festgehalten und gepflegt. So entsteht durch[85] das nützliche Geflecht, mit seiner regelmäßigen Wiederkehr der Formen, das Gefallen am Ornament, durch den nützlichen Rhythmus (S. 78) das Vergnügen am Metrum. Aus dem Bogen als Waffe entwickelt sich der Musikbogen,111 die Harfe und das Klavier u.s.w.

Kunst und Wissenschaft, jede rechtliche112 und ethische, ja jede höhere geistige Kultur kann nur in der geselligen Vereinigung gedeihen, nur wenn ein Teil für den andern Lasten übernimmt. Möchten die »obersten Zehntausend« klar erkennen, was sie dem arbeitenden Volke schulden! Möchten Künstler und Forscher bedenken, daß es ein großer gemeinsamer und gemeinsam erworbener Besitz der Menschheit ist, den sie für diese verwalten und mehren!

20. Die Verwicklung und Mannigfaltigkeit der Einflüsse, welche aus der natürlichen und kulturellen Umgebung des Menschen hervorgehen, bedingen bei demselben einen weit größeren Erfahrungs-, Associations- und Interessenkreis, als irgend ein Tier zu gewinnen vermag. Dem entspricht die höhere Intelligenz. Vergleichen wir aber die Menschen einer sozialen Klasse, oder sogar nur eines Berufes untereinander, so werden diese natürlich gemeinsame, der Klasse oder dem Beruf entsprechende Züge aufweisen; trotzdem wird aber jeder einzelne, der Variation seiner erblichen Anlage und der Eigentümlichkeit seiner Erlebnisse entsprechend, eine einzige, nicht wieder auffindbare psychische Individualität darstellen. Die Differenz der intellektuellen Individualitäten wird selbstverständlich ungemein vergrößert, wenn wir uns an die Schranken der Klasse und des Berufes nicht binden. Stellen wir uns nun vor, daß diese so verschiedenen Intelligenzen in freien Verkehr treten, in innigerer Berührung sich gegenseitig anregen bei Unternehmungen, welche wie Wissenschaft, Technik, Kunst u.s.w. eben gemeinsame Angelegenheiten sind, so kann man die gewaltige, gegenwärtig fast noch unausgenützte geistige Potenz der Menschheit abschätzen. Durch Zusammenwirken vieler verschiedener Individualitäten ergibt sich eben eine mächtige Bereicherung und Erweiterung des[86] Umfanges der Erfahrung ohne Abstumpfung der Schärfe und Lebendigkeit derselben. Ein zweckmäßig organisierter Unterricht kann ja zum Teil diesen freien Verkehr ersetzen. Aber eine allzustramme Organisation des Unterrichtes, Uniformierung der Volkserziehung nach Klassen und Berufen, Aufrichtung und Erhöhung der Schranken zwischen Klassen und Berufen, kann wieder sehr viel verderben. Hüten wir uns vor allzufesten starren Formen!113[87]

79

Morgan, Comparative Psychology. London 1894. p. 209.

80

Morgan, l. c. p. 91, 254, 288, 301, 302. Ein großer Bernhardiner hat nach Mitteilung meiner Schwester den ihm höchst fatalen Maulkorb durch Vergraben zu beseitigen gewußt. Bald darauf berichtete mir ein Kollege von einem Hund, der die Peitsche versteckte.

81

Morgan, Animal Life. London 1891. p. 334. – Gute psychologische und biologische Betrachtungen bei Th. Zell (Ist das Tier unvernünftig? Stuttgart – Tierfabeln. Ebendaselbst – Das rechnende Pferd. Berlin). Sehr gut ist die Unterscheidung von Augentieren und Nasentieren, sowie das Sparsamkeitsgesetz. Bei seinen Lesern setzt Zell eine allzugroße Naivetät voraus, was den Büchern nicht zum Vorteil gereicht.

82

Morgan, l. c. p. 339.

83

Morgan, l. c. p. 340.

84

Morgan, Comparative Psychologe, p. 259. – Schopenhauers Hund wußte »a priori«, daß jeder Vorgang seine Ursache hat, suchte in einem analogen Falle nach dieser und behalf sich ohne Fetischismus. (Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. Leipzig 1864. 3. Aufl. S. 76.) So merkwürdig richtet sich die Philosophie des Hundes nach jener seines Beobachters.

85

Tylor, Einleitung i. d. Studium d. Anthropologie. Braunschweig 1883. S. 197.

86

Auf Nachahmung hoffte man die Wanderungen der Zugvögel zurückzuführen. Dieselben entstanden vielleicht zu einer Zeit, als die Ziele der Wanderung noch nicht durch Meere getrennt waren. – Neue Blicke und neue größere Rätsel bei K. Graeser, Der Zug der Vögel. Berlin 1905.

87

Doch soll ein australischer Papagei auf den Einfall gekommen sein, die Schafe anzufallen und anzufressen, welches Beispiel von den übrigen Vertretern der Art nachgeahmt worden sein soll.

88

Vgl. H. v. Buttel-Reepen, Die stammesgeschichtliche Entstehung des Bienenstaates. Leipzig 1903.

89

Tylor, Anthropologie, S. 246.

90

Diodor, III, 15, 22.

91

Tylor, l. c. S. 275.

92

Tylor, l. c. S. 290.

93

Vgl. Populär-wissenschaftliche Vorlesungen, 3. Aufl., S. 293.

94

Populär-wissenschaftliche Vorlesungen, S. 287.

95

Vgl. Tylor, Urgeschichte der Menschheit. Leipzig. Ambrosius Abel (ohne Jahresz.). – E. B. Tylor, Einleitung i. d. Studium d. Anthropologie u. Zivilisation. Braunschweig 1883. – Otis T. Mason, The Origins of Invention. London 1895.

96

Wallaschek, Primitive Music. London 1893. – Deutsch und erweitert. Leipzig 1903. In dieser Schrift wird die praktische Bedeutung des Rhythmus erörtert. Bücher (Arbeit und Rhythmus. Leipzig 1902. 3. Aufl.) erörtert dieses Thema in etwas anderer Weise.

97

Bourdeau, Les Forces de l'Industrie. Paris 1884. p. 209-240. Aber schon Kublai Chan, eine weitausblickende, erfinderische Persönlichkeit, hat auch auf diesen Gebieten in großzügigster Weise Bahn gebrochen.

98

J. Popper, Die technischen Fortschritte nach ihrer ästhetischen und kulturellen Bedeutung. Leipzig 1888. S. 59 u. f.

99

Ein Programm hierzu gibt J. Popper in seinem Buche: »Das Recht zu leben und die Pflicht zu sterben.« Leipzig 1878. Poppers Ziele stehen den ursprünglichen sozialdemokratischen nahe, unterscheiden sich aber darin vorteilhaft, daß nach seinem Programm die Organisation sich auf das Wichtigste und Notwendigste beschränken, im übrigen aber die Freiheit des Individuums gewahrt werden soll. Im entgegengesetzten Falle könnte wohl die Sklaverei in einem sozialdemokratischen Staat noch allgemeiner und drückender werden, als in einem monarchischen oder oligarchischen. In einer ergänzenden Schrift (Fundament eines neuen Staatsrechts. 1905) führt Popper das Leitmotiv durch: »Für sekundäre Bedürfnisse das Majoritätsprinzip; für fundamentale das Prinzip der garantierten Individualität.« – In wichtigen Punkten stimmt mit Popper überein: A. Menger, Neue Staatslehre. Jena, G. Fischer, 1902.

100

Psychologie, S. 105. Ausführlicher: Laura Bridgman. Wien 1891. S. 41 u. f.

101

Analoge Beispiele aus der Sprache der Kinder s. Analyse S. 250.

102

Von älteren sprachphilosophischen Schriften ist wegen ihrer Originalität besonders lesenswert: L. Geiger, Ursprung und Entwicklung der menschlichen Sprache und Vernunft. Stuttgart 1868. – L. Noiré, Logos. Ursprung und Wesen der Begriffe. Leipzig 1885. – Whitney, Leben und Wachstum der Sprache. Leipzig 1876. – In vielen Richtungen sehr anregend: Fritz Mauthner, Beiträge zur Kritik der Sprache. Stuttgart, Cotta, 1901.

103

Tylor, Urgeschichte der Menschheit. S. 17-104.

104

Seit Erfindung des Phonographen kann eine gesprochene Rede beliebig oft reproduziert werden wie eine geschriebene. Das phonographische Archiv der Wiener Akademie ist ein Beispiel hierfür. Die Idee des Phonographen schuf die Phantasie des Cyrano de Bergerac (Histoire comique des états et empires de la lune. 1648).

105

Wuttke, Geschichte der Schrift. Leipzig 1872. I. S. 156, Abbildungen: S. 10, Taf. XIII. Auch andere Stellen für das hier Besprochene wichtig.

106

Gegenwärtig werden die alten philosophischen Probleme der Pasigraphie und Internationalen Sprache wieder theoretisch erörtert und praktisch zu lösen versucht, letzteres namentlich von der »Délégation pour l'adoption d'une langue auxiliaire internationale«. Sollte die Lösung dieser sprachtechnischen Aufgabe gelingen, so würde dies einen der wichtigsten Kulturfortschritte bedeuten.

107

Tylor, Anthropologie, S. 371 u. f.

108

Auf die Entwicklungsgeschichte der Wissenschaften im einzelnen kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. Schriften allgemeineren Inhalts, wie Whewell, Geschichte der induktiven Wissenschaften. Deutsch v. Littrow. Stuttgart 1840. Besonders lehrreich sind Werke über Spezialgebiete, wie M. Cantor, Mathematische Beiträge zum Kulturleben der Völker. Halle 1863, Cantor, Geschichte der Mathematik. 1880.

109

Vgl. des Verf. »Mechanik« und »Prinzipien der Wärmelehre«.

110

Vgl. Haddon, Evolution in Art. London 1895. – Wallaschek, Primitive Music, und Tylor, Anthropologie, S. 343 u. f.

111

Tylor, a. a. O. S. 353.

112

Lubbock, Die Entstehung der Zivilisation. Jena 1875. – Lubbock, Die vorgeschichtliche Zeit. Jena 1874.

113

Die Naturwissenschaften möchten sich aus dem Handwerk als Nebenprodukt ergeben haben. Da nun das Handwerk und überhaupt die körperliche Arbeit in der antiken Welt mißachtet, die arbeitenden, die Natur beobachtenden Sklaven von den mit Muße spekulierenden und dilettierenden Herren, welche die Natur oft nur vom Hörensagen kannten, streng geschieden waren, so erklärt sich hieraus ein guter Teil des Naiven, Verschwommenen und Traumhaften der antiken Naturwissenschaft. Nur selten bricht der Trieb, selbst zu versuchen, zu experimentieren, durch bei Geometern, Astronomen, Ärzten und Ingenieuren. Und dann ergibt sich auch immer ein bedeutender Fortschritt, wie bei Archytas von Tarent oder Archimedes von Syrakus.

Quelle:
Ernst Mach: Erkenntnis und Irrtum. Leipzig 31917, S. 70-88.
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