§ 5. Strikes und Arbeiterkoalitionen

[175] »Jedes Steigen der Löhne kann keine andere Wirkung haben als ein Steigen der Preise des Getreides, des Weines etc.: die Wirkung einer Teuerung. Denn was ist der Lohn? Er ist der Kostenpreis des Getreides etc.; er ist der volle Preis jeder Sache. Gehen wir noch weiter. Der Lohn ist die Proportionalität der Elemente, die den Reichtum bilden und die täglich von der Masse der Arbeiter reproduktiv verzehrt werden. Nun, den Lohn verdoppeln... heißt also, jedem Produzenten einen größern Anteil als sein Produkt zukommen lassen, was ein Widerspruch ist; und wenn die Steigerung nur auf eine kleine Zahl von Industrien sich erstreckt, so heißt es, eine allgemeine Störung im Austausch, mit einem Wort, eine Teuerung hervorrufen... Es ist unmöglich, erkläre ich, daß Arbeitseinstellungen, die Lohnerhöhung zur Folge haben, nicht auf eine allgemeine Preissteigerung hinauslaufen: Das ist ebenso sicher, wie daß zwei mal zwei vier ist.« (Proudhon, Bd. I, S. 110 u. 111.)

Wir bestreiten alle diese Behauptungen, ausgenommen die, daß zwei mal zwei vier ist.

Erstens gibt es keine allgemeine Verteuerung. Wenn der Preis aller Dinge gleichzeitig mit dem Lohne um das Doppelte steigt, so ist das keine Veränderung in den Preisen, sondern eine Veränderung in den Ausdrücken.

Ferner kann eine allgemeine Steigerung der Löhne niemals eine mehr oder minder allgemeine Verteuerung der Waren herbeiführen. In der Tat, wenn alle Industrien die gleiche Anzahl Arbeiter im Verhältnis zum fixen Kapital (zu den Werkzeugen, die sie verwenden) beschäftigten, so würde eine allgemeine Steigerung der Löhne ein allgemeines Sinken der Profite bewirken und der Marktpreis der Waren keine Veränderung erleiden.

Da indes das Verhältnis der Handarbeit zum fixen Kapital in den verschiedenen Industrien ungleich ist, werden alle Industriezweige, welche ein[175] verhältnismäßig größeres fixes Kapital und weniger Arbeiter verwenden, früher oder später gezwungen sein, den Preis ihrer Waren herabzusetzen. Im entgegengesetzten Fall, wenn der Preis ihrer Ware nicht fällt, wird sich ihr Profit über den durchschnittlichen Profitsatz erheben. Die Maschinen sind keine Lohnempfänger. Das allgemeine Steigen der Löhne wird somit die Industrien weniger treffen, welche im Verhältnis zu den anderen mehr Maschinen als Arbeiter verwenden. Da indes die Konkurrenz stets die Tendenz hat, die Profite auszugleichen, können Profite, die sich über den Durchschnittssatz erheben, nur vorübergehend sein. So wird, von einigen Schwankungen abgesehen, ein allgemeines Steigen der Löhne, anstatt nach Herrn Proudhon einer allgemeinen Verteuerung, vielmehr ein teilweises Sinken der Preise zur Folge haben, das heißt ein Sinken des Marktpreises der Waren, die vorzugsweise mit Hilfe von Maschinen hergestellt werden.

Das Steigen und Fallen des Profits und der Löhne drücken nur das Verhältnis aus, in welchem Kapitalisten und Arbeiter an dem Produkt eines Arbeitstages teilnehmen, ohne in den meisten Fällen den Preis des Produkts zu beeinflussen. Daß aber »Arbeitseinstellungen, die Lohnerhöhung zur Folge haben, auf eine allgemeine Preissteigerung, sogar auf eine Teuerung, hinauslaufen« [I, S. 111] – sind Ideen, die nur dem Hirn eines unverstandenen Poeten entspringen können.

In England sind die Strikes regelmäßig Veranlassung zur Erfindung und Anwendung neuer Maschinen gewesen. Die Maschinen waren, man darf es behaupten, die Waffe, welche die Kapitalisten anwendeten, um die Revolte der Geschick erfordernden Arbeit niederzuschlagen. Die self-acting mule, die größte Erfindung der modernen Industrie, schlug die rebellischen Spinner aus dem Felde. Hätten Gewerkschaften und Strikes keine andere Wirkung als die, mechanische Erfindungen gegen sich wachzurufen, schon dadurch hätten sie einen ungeheuren Einfluß auf die Entwicklung der Industrie ausgeübt.

»Ich finde«, fährt Herr Proudhon fort, »in einem von Herrn Léon Faucher ... im September 1845 veröffentlichten Artikel, daß die englischen Arbeiter seit einiger Zeit sich weniger mit Koalitionen abgeben – sicherlich ein Fortschritt, zu dem man ihnen nur Glück wünschen kann –, daß jedoch diese Besserung in der Moral der Arbeiter vorzugsweise ihrer wirtschaftlichen Bildung entstammt. Nicht von den Fabrikanten, rief auf einem Meeting in Bolton ein Spinnereiarbeiter aus, hängen die Löhne ab; in den Zeiten schlechten Geschäftsganges sind die Meister sozusagen nur die Peitsche, deren sich die Notwendigkeit bedient, und ob sie es wollen oder nicht, sie[176] müssen zuschlagen. Das regulierende Prinzip ist das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, und die Meister besitzen nicht die Macht... ›A la bonne heure‹«, ruft Herr Proudhon aus, »das sind einmal wohlerzogene Arbeiter, Musterarbeiter etc. etc. etc.« »Dieses Elend fehlte England noch: Es wird den Kanal nicht überschreiten.« (Proudhon, Bd. I, S. 261 u. 262.)

Von allen Städten Englands ist Bolton diejenige, wo der Radikalismus am meisten entwickelt ist. Die Arbeiter von Bolton sind bekannt als so revolutionär, wie es nur irgend möglich. Während der großen Agitation gegen die Kornzölle glaubten die englischen Fabrikanten, den Grundbesitzern nur dadurch die Spitze bieten zu können, daß sie die Arbeiter ins Feld führten. Aber die Interessen der Arbeiter waren denen der Fabrikanten nicht minder entgegengesetzt als die Interessen der Fabrikanten denen der Grundbesitzer, und so mußten natürlich die Fabrikanten in den Arbeitermeetings stets unterliegen. Was taten sie daher? Um den Schein zu retten, organisierten sie Meetings, bestehend zum großen Teil aus Werkführern, aus der kleinen Anzahl der ihnen ergebenen Arbeiter und aus den eigentlichen Freunden des Handels selbst. Wenn dann die wirklichen Arbeiter daran teilzunehmen versuchten, wie in Bolton und Manchester, um gegen diese künstlichen Demonstrationen zu protestieren, verbot man ihnen den Eintritt mit der Erklärung, es sei ein ticket-meeting. Man versteht darunter Versammlungen, wo nur Personen zugelassen werden, die mit Einlaßkarten versehen sind. Nichtsdestoweniger hatten die Maueranschläge öffentliche Meetings angekündigt. Jedesmal, wenn ein solches Meeting stattgefunden, brachten die Fabrikantenblätter einen pomphaften, detaillierten Bericht über die auf demselben gehaltenen Reden. Selbstverständlich waren es die Werkführer, die diese Reden verübt. Die Londoner Zeitungen reproduzierten sie wörtlich. Herrn Proudhon passiert das Malheur, die Werkführer für gewöhnliche Arbeiter zu halten, und er verbietet ihnen ausdrücklich, den Kanal zu überschreiten.

Wenn in den Jahren 1844 und 1845 die Strikes weniger die Blicke auf sich lenkten als früher, so kommt das daher, daß dies die ersten Prosperitätsjahre für die englische Industrie seit 1837 waren. Nichtsdestoweniger hat sich keine einzige der Gewerkschaften aufgelöst.

Hören wir nunmehr die Werkführer von Bolton. Nach ihnen sind die Fabrikanten nicht Herren des Lohnes, weil sie nicht Herren des Preises der Produkte sind, und sie sind nicht Herren des Preises der Produkte, weil sie nicht Herren des Weltmarktes sind. Aus diesem Grunde, geben sie zu verstehen,[177] soll man keine Koalitionen machen, die den Zweck haben, den Meistern eine Lohnerhöhung abzuzwingen. Herr Proudhon hingegen verbietet ihnen die Koalitionen aus Furcht, daß eine Koalition ein Steigen der Löhne zur Folge habe, das eine allgemeine Teuerung mit sich bringen würde. Wir brauchen nicht hervorzuheben, daß in einem Punkte die Werkführer und Herr Proudhon ein Herz und eine Seele sind: darin, daß ein Steigen der Löhne dem Steigen der Produkte gleichkommt.

Aber ist die Furcht vor einer Teuerung die wirkliche Ursache des Hasses des Herrn Proudhon? Nein. Er ist auf die Werkführer von Bolton bloß deshalb ungehalten, weil sie den Wert durch Angebot und Nachfrage bestimmen und sich nicht um den konstituierten Wert kümmern, um den zu seiner Konstituierung gelangten Wert, um die Konstituierung des Wertes, die in sich begreift die beständige Austauschbarkeit und alle anderen Proportionalitäten der Verhältnisse und Verhältnisse der Proportionalitäten, mit der Vorsehung obendrein in den Kauf.

»Der Strike der Arbeiter ist illegal, und es ist nicht nur das Strafgesetzbuch, welches das verkündet, sondern auch das ökonomische System, die Notwendigkeit der bestehenden Ordnung... Daß jeder einzelne Arbeiter freie Verfügung über seine Person und seinen Arm hat, kann geduldet werden; aber daß die Arbeiter mittelst Koalitionen dem Monopol Gewalt anzutun sich erfrechen, kann die Gesellschaft nicht zugeben.« (Bd. I, S. 334 u. 335.)

Herr Proudhon will uns einen Artikel des Strafgesetzbuches als ein allgemeines und notwendiges Resultat der Verhältnisse der bürgerlichen Produktion auftischen.

In England sind die Koalitionen durch eine Parlamentsakte autorisiert, und es war das ökonomische System, welches das Parlament gezwungen hat, diese Autorisierung von Gesetzes wegen zu verkünden. Als im Jahre 1825 das Parlament unter dem Minister Huskisson die Gesetzgebung abändern mußte, um sie mehr und mehr mit einem aus der freien Konkurrenz hervorgegangenen Zustand der Dinge in Einklang zu setzen, mußte es notwendig alle Gesetze abschaffen, welche die Koalitionen der Arbeiter verboten. Je mehr die moderne Industrie und die Konkurrenz sich entwickeln, desto mehr Elemente treten auf, welche die Koalitionen hervorrufen und fördern; sobald die Koalitionen eine ökonomische Tatsache geworden sind, von Tag zu Tag an Bestand gewinnend, kann es nicht lange dauern, bis sie auch eine gesetzliche Tatsache werden.[178]

Somit beweist der Artikel des Code pénal höchstens, daß die moderne Industrie und die Konkurrenz unter der Konstituante und dem Kaiserreich noch nicht genügend entwickelt waren.

Die Ökonomen und die Sozialisten8 sind über einen einzigen Punkt einig: die Koalitionen zu verurteilen. Nur motivieren sie ihre Verurteilung verschieden.

Die Ökonomen sagen zu den Arbeitern: Koaliert euch nicht. Indem ihr euch koaliert, hemmt ihr den regelmäßigen Gang der Industrie, verhindert ihr die Fabrikanten, den Bestellungen nachzukommen, stört ihr den Handel und beschleunigt das Eindringen der Maschinen, die eure Arbeit zum Teil überflüssig machen und dadurch euch zwingen, einen noch niedrigeren Lohn zu akzeptieren. Übrigens ist euer Tun umsonst; euer Lohn wird stets durch das Verhältnis der gesuchten Hände zu den angebotenen Händen bestimmt werden. Und es ist ein ebenso lächerliches wie gefährliches Beginnen, euch gegen die ewigen Gesetze der politischen Ökonomie aufzulehnen.

Die Sozialisten sagen zu den Arbeitern: Koaliert euch nicht, denn was werdet ihr schließlich dabei gewinnen? Eine Lohnsteigerung? Die Ökonomen werden euch bis zur Evidenz beweisen, daß auf den Gewinn von wenigen Pfennigen, den ihr günstigenfalls dabei für eine kurze Zeit erzielen könnt, ein dauernder Rückschlag folgen wird. Geschickte Rechner werden euch beweisen, daß ihr Jahre braucht, um mittelst der Lohnerhöhung nur die Kosten herauszuschlagen, die ihr zur Organisation und Erhaltung der Koalitionen ausgeben mußtet. Wir, in unserer Eigenschaft als Sozialisten, sagen euch, daß, abgesehen von dieser Geldfrage, ihr darum nicht minder die Arbeiter sein werdet, wie die Meister stets die Meister bleiben, nach wie vor. Darum keine Koalitionen, keine Politik; denn sich koalieren, heißt das nicht Politik treiben?

Die Ökonomen wollen, daß die Arbeiter in der Gesellschaft bleiben, wie dieselbe sich gestaltet hat und wie sie sie in ihren Handbüchern gezeichnet und besiegelt haben.

Die Sozialisten wollen, daß sie die alte Gesellschaft beiseite lassen, um desto besser in die neue Gesellschaft eintreten zu können, die sie ihnen mit so vieler Vorsorge ausgearbeitet haben.

Trotz beider, trotz Handbücher und Utopien, haben die Arbeiterkoalitionen keinen Augenblick aufgehört, mit der Entwicklung und der Zunahme[179] der modernen Industrie sich zu entwickeln und zu wachsen. Das ist heute so sehr der Fall, daß der Entwicklungsgrad der Koalitionen in einem Lande genau den Rang bezeichnet, den dasselbe in der Hierarchie des Weltmarktes einnimmt. England, wo die Industrie am höchsten entwickelt ist, besitzt die umfangreichsten und bestorganisierten Koalitionen.

In England hat man sich nicht auf partielle Koalitionen beschränkt, die keinen anderen Zweck hatten als einen augenblicklichen Strike und mit demselben wieder verschwanden. Man hat dauernde Koalitionen geschaffen, trades unions, die den Arbeitern in ihren Kämpfen mit den Unternehmern als Schutzwehr dienen. Und gegenwärtig finden alle diese lokalen trades unions einen Sammelpunkt in der National Association of United Trades, deren Zentralkomitee in London sitzt und die bereits 80000 Mitglieder zählt. Diese Strikes, Koalitionen und trades unions traten ins Leben gleichzeitig mit den politischen Kämpfen der Arbeiter, die gegenwärtig unter dem Namen der Chartisten eine große politische Partei bilden.

Die ersten Versuche der Arbeiter, sich untereinander zu assoziieren, nehmen stets die Form von Koalitionen an.

Die Großindustrie bringt eine Menge einander unbekannter Leute an einem Ort zusammen. Die Konkurrenz spaltet sie in ihren Interessen; aber die Aufrechterhaltung des Lohnes, dieses gemeinsame Interesse gegenüber ihrem Meister, vereinigt sie in einem gemeinsamen Gedanken des Widerstandes -Koalition. So hat die Koalition stets einen doppelten Zweck, den, die Konkurrenz der Arbeiter unter sich aufzuheben, um dem Kapitalisten eine allgemeine Konkurrenz machen zu können. Wenn der erste Zweck des Widerstandes nur die Aufrechterhaltung der Löhne war, so formieren sich die anfangs isolierten Koalitionen in dem Maß, wie die Kapitalisten ihrerseits sich behufs der Repression vereinigen zu Gruppen, und gegenüber dem stets vereinigten Kapital wird die Aufrechterhaltung der Assoziationen notwendiger für sie als die des Lohnes. Das ist so wahr, daß die englischen Ökonomen ganz erstaunt sind zu sehen, wie die Arbeiter einen großen Teil ihres Lohnes zugunsten von Assoziationen opfern, die in den Augen der Ökonomen nur zugunsten des Lohnes errichtet wurden. In diesem Kampfe – ein veritabler Bürgerkrieg – vereinigen und entwickeln sich alle Elemente für eine kommende Schlacht. Einmal auf diesem Punkte angelangt, nimmt die Koalition einen politischen Charakter an.

Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine[180] gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst. In dem Kampf, den wir nur in einigen Phasen gekennzeichnet haben, findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sie sich als Klasse für sich selbst. Die Interessen, welche sie verteidigt, werden Klasseninteressen. Aber der Kampf von Klasse gegen Klasse ist ein politischer Kampf.

Mit Bezug auf die Bourgeoisie haben wir zwei Phasen zu unterscheiden: die, während derer sie sich unter der Herrschaft des Feudalismus und der absoluten Monarchie als Klasse konstituierte, und die, wo sie, bereits als Klasse konstituiert, die Feudalherrschaft und die Monarchie umstürzte, um die Gesellschaft zu einer Bourgeoisgesellschaft zu gestalten. Die erste dieser Phasen war die längere und erforderte die größeren Anstrengungen. Auch das Bürgertum hatte mit partiellen Koalitionen gegen die Feudalherrn begonnen.

Man hat viel Untersuchungen angestellt, um den verschiedenen historischen Phasen nachzuspüren, welche die Bourgeoisie von der Stadtgemeinde an bis zu ihrer Konstituierung als Klasse durchlaufen hat.

Aber wenn es sich darum handelt, sich genau Rechenschaft abzulegen über die Strikes, Koalitionen und die anderen Formen, unter welchen die Proletarier vor unseren Augen ihre Organisation als Klasse vollziehen, so werden die einen von einer wirklichen Furcht befallen, während die anderen eine transzendentale Geringschätzung an den Tag legen.

Eine unterdrückte Klasse ist die Lebensbedingung jeder auf den Klassengegensatz begründeten Gesellschaft. Die Befreiung der unterdrückten Klasse schließt also notwendigerweise die Schaffung einer neuen Gesellschaft ein. Soll die unterdrückte Klasse sich befreien können, so muß eine Stufe erreicht sein, auf der die bereits erworbenen Produktivkräfte und die geltenden gesellschaftlichen Einrichtungen nicht mehr nebeneinander bestehen können. Von allen Produktionsinstrumenten ist die größte Produktivkraft die revolutionäre Klasse selbst. Die Organisation der revolutionären Elemente als Klasse setzt die fertige Existenz aller Produktivkräfte voraus, die sich überhaupt im Schoß der alten Gesellschaft entfalten konnten.

Heißt dies, daß es nach dem Sturz der alten Gesellschaft eine neue Klassenherrschaft geben wird, die in einer neuen politischen Gewalt gipfelt? Nein.

Die Bedingung der Befreiung der arbeitenden Klasse ist die Abschaffung jeder Klasse, wie die Bedingung der Befreiung des dritten Standes, der bürgerlichen Ordnung, die Abschaffung aller Stände9 war.[181]

Die arbeitende Klasse wird im Laufe der Entwicklung an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft eine Assoziation setzen, welche die Klassen und ihren Gegensatz ausschließt, und es wird keine eigentliche politische Gewalt mehr geben, weil gerade die politische Gewalt der offizielle Ausdruck des Klassengegensatzes innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft ist.

Inzwischen ist der Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie ein Kampf von Klasse gegen Klasse, ein Kampf, der, auf seinen höchsten Ausdruck gebracht, eine totale Revolution bedeutet. Braucht man sich übrigens zu wundern, daß eine auf den Klassengegensatz begründete Gesellschaft auf den brutalen Widerspruch hinausläuft, auf den Zusammenstoß Mann gegen Mann als letzte Lösung?

Man sage nicht, daß die gesellschaftliche Bewegung die politische ausschließt. Es gibt keine politische Bewegung, die nicht gleichzeitig auch eine gesellschaftliche wäre.

Nur bei einer Ordnung der Dinge, wo es keine Klassen und keinen Klassengegensatz gibt, werden die gesellschaftlichen Evolutionen aufhören, politische Revolutionen zu sein. Bis dahin wird am Vorabend jeder allgemeinen Neugestaltung der Gesellschaft das letzte Wort der sozialen Wissenschaft stets lauten:

»Kampf oder Tod; blutiger Krieg oder das Nichts. So ist die Frage unerbittlich gestellt«.

George Sand[182]


8

Das heißt: die damaligen, die Fourieristen in Frankreich, die Owenisten in England. F. E.

9

Stände hier im historischen Sinn der Stände des Feudalstaats, Stände mit bestimmten und begrenzten Vorrechten. Die Revolution der Bourgeoisie schaffte die Stände samt ihren Vorrechten ab. Die bürgerliche Gesellschaft kennt nur noch Klassen. Es war daher durchaus im Widerspruch mit der Geschichte, wenn das Proletariat als »vierter Stand« bezeichnet worden ist. F. E.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1959, Band 4.
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