c) Die moderne Manufaktur

[486] Ich will nun an einigen Beispielen die oben aufgestellten Sätze erläutern. Der Leser kennt in der Tat schon massenhafte Belege aus dem Abschnitt über den Arbeitstag. Die Metallmanufakturen in Birmingham und Umgegend wenden großenteils für sehr schwere Arbeit 30000 Kinder und junge Personen nebst 10000 Weibern an. Man findet sie hier in den gesundheitswidrigen Gelbgießereien, Knopffabriken, Glasur-, Galvanisierungs- und Lackierarbeiten.656 Die Arbeitsexzesse für Erwachsne und[486] Unerwachsne haben verschiednen Londoner Zeitungs- und Buchdruckereien den rühmlichen Namen: »Das Schlachthaus« gesichert.657 Dieselben Exzesse, deren Schlachtopfer hier namentlich Weiber, Mädchen und Kinder, in der Buchbinderei. Schwere Arbeit für Unerwachsne in den Seilereien, Nachtarbeit in Salzwerken, Lichter- und andren chemischen Manufakturen; mörderischer Verbrauch von Jungen in Seidenwebereien, die nicht mechanisch betrieben werden, zum Drehen der Webstühle.658 Eine der infamsten, schmutzigsten und schlechtbezahltesten Arbeiten, wozu mit Vorliebe junge Mädchen und Weiber verwandt werden, ist das Sortieren der Lumpen. Man weiß, daß Großbritannien, abgesehn von seinen eignen unzähligen Lumpen, das Emporium für den Lumpenhandel der ganzen Welt bildet. Sie strömen dahin von Japan, den entferntesten Staaten Südamerikas und den kanarischen Inseln. Ihre Hauptzufuhrquellen aber sind Deutschland, Frankreich, Rußland, Italien, Ägypten, Türkei, Belgien und Holland. Sie dienen zur Düngung, Fabrikation von Flocken (für Bettzeug), Shoddy (Kunstwolle) und als Rohmaterial des Papiers. Die weiblichen Lumpensortierer dienen als Medien, um Pocken und andre ansteckende Seuchen, deren erste Opfer sie selbst sind, zu kolportieren.659 Als klassisches Beispiel für Überarbeit, schwere und unpassende Arbeit, und daher folgende Brutalisierung der von Kindesbeinen an konsumierten Arbeiter kann, neben der Minen- und Kohlenproduktion, die Ziegel- oder Backsteinmacherei gelten, wozu in England die neuerfundene Maschine nur noch sporadisch angewandt wird (1866). Zwischen Mai und September dauert die Arbeit von 5 Uhr morgens bis 8 Uhr abends, und, wo Trocknung in freier Luft stattfindet, oft von 4 Uhr morgens bis 9 Uhr abends. Der Arbeitstag von 5 Uhr morgens bis 7 Uhr abends gilt für »reduziert«, »mäßig«. Kinder beiderlei Geschlechts werden vom 6. und selbst vom 4. Jahr an verwandt. Sie arbeiten dieselbe Stundenzahl, oft mehr als die Erwachsnen. Die Arbeit ist hart, und die Sommerhitze steigert noch die Erschöpfung. In einer Ziegelei zu Mosley z.B. machte ein 24jähriges Mädchen 2000 Ziegel täglich, unterstützt von zwei unerwachsnen Mädchen als Gehilfen, welche den Lehm trugen und die Ziegelsteine aufhäuften. Diese Mädchen schleppten täglich 10 Tonnen die schlüpfrigen Seiten der Ziegelgrube[487] von einer Tiefe von 30 Fuß herauf und über eine Entfernung von 210 Fuß.

»Es ist unmöglich für ein Kind, durch das Fegfeuer einer Ziegelei zu passieren ohne große moralische Degradation... Die nichtswürdige Sprache, die sie vom zartesten Alter an zu hören bekommen, die unflätigen, unanständigen und schamlosen Gewohnheiten, unter denen sie unwissend und verwildert aufwachsen, machen sie für die spätre Lebenszeit gesetzlos, verworfen, liederlich... Eine furchtbare Quelle der Demoralisation ist die Art der Wohnlichkeit. Jeder moulder (Former)« (der eigentlich geschickte Arbeiter und Chef einer Arbeitergruppe) »liefert seiner Bande von 7 Personen Logis und Tisch in seiner Hütte oder cottage. Ob zu seiner Familie gehörig oder nicht, Männer, Jungen, Mädchen schlafen in der Hütte. Diese besteht gewöhnlich aus 2, nur ausnahmsweis aus 3 Zimmern, alle auf dem Erdgeschoß, mit wenig Ventilation. Die Körper sind so erschöpft durch die große Transpiration während des Tags, daß weder Gesundheitsregeln, Reinlichkeit noch Anstand irgendwie beobachtet werden. Viele dieser Hütten sind wahre Modelle von Unordnung, Schmutz und Staub... Das größte Übel des Systems, welches junge Mädchen zu dieser Art Arbeit verwendet, besteht darin, daß es sie in der Regel von Kindheit an für ihr ganzes spätres Leben an das verworfenste Gesindel festkettet. Sie werden rohe, bösmäulige Buben (rough, foulmouthed boys), bevor die Natur sie gelehrt hat, daß sie Weiber sind. Gekleidet in wenige schmutzige Lumpen, die Beine weit über das Knie entblößt, Haar und Gesicht mit Dreck beschmiert, lernen sie alle Gefühle der Sittsamkeit und der Scham mit Verachtung behandeln. Während der Essenszeit liegen sie auf den Feldern ausgestreckt oder guckenden Jungen zu, die in einem benachbarten Kanal baden. Ist ihr schweres Tagewerk endlich vollbracht, so ziehn sie beßre Kleider an und begleiten die Männer in Bierkneipen.«

Daß die größte Versoffenheit von Kindesbeinen an in dieser ganzen Klasse herrscht, ist nur naturgemäß.

»Das Schlimmste ist, daß die Ziegelmacher an sich selbst verzweifeln. Sie könnten, sagte einer der Bessern zum Kaplan von Southallfield, ebensowohl versuchen, den Teufel zu erheben und zu bessern als einen Ziegler, mein Herr!« (»You might as well try to raise and improve the devil as a brickie, Sir!«)660

Über die kapitalistische Ökonomisierung der Arbeitsbedingungen in der modernen Manufaktur (worunter hier alle Werkstätten auf großer Stufenleiter, außer eigentlichen Fabriken, zu verstehn) findet man offizielles und reichlichstes Material in dem IV. (1861) und VI. (1864) »Public Health Report«. Die Beschreibung der workshops (Arbeitslokale), namentlich der Londoner Drucker und Schneider, überbietet die ekelhaftesten[488] Phantasien unsrer Romanschreiber. Die Wirkung auf den Gesundheitszustand der Arbeiter ist selbstverständlich. Dr. Simon, der oberste ärztliche Beamte des Privy Council und offizielle Herausgeber der »Public Health Reports«, sagt u. a.:

»In meinem vierten Bericht« (1861) »zeigte ich, wie es für die Arbeiter praktisch unmöglich ist, darauf zu bestehen, was ihr erstes Gesundheitsrecht ist, das Recht, daß, zu welchem Werk immer ihr Anwender sie versammelt, die Arbeit, soweit es von ihm abhängt, von allen vermeidbaren gesundheitswidrigen Umständen befreit sein soll. Ich wies nach, daß, während die Arbeiter praktisch unfähig sind, sich selbst diese Gesundheitsjustiz zu verschaffen, sie keinen wirksamen Beistand von den bestallten Administratoren der Gesundheitspolizei erlangen können... Das Leben von Myriaden von Arbeitern und Arbeiterinnen wird jetzt nutzlos gefoltert und verkürzt durch das endlose physische Leiden, welches ihre bloße Beschäftigung erzeugt.«661

Zur Illustration des Einflusses der Arbeitslokale auf den Gesundheitszustand gibt Dr. Simon folgende Sterblichkeitsliste:


Personenzahl aller Industrien verglichen Sterblichkeitsrate auf 100000 Männer
Altersstufen in in bezug auf Gesundheit in den resp. Industrien zu den
den resp. Industrien angegebenen Altersstufen
angewandt 25. bis 35. J. 35. bis 45. J. 45. bis 55. J.
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958265 Agrikult. in
England und Wales 743 805 1145
22301 Männer
12377 Weiber Lond. Schneider 958 1262 2093
13803 Lond. Drucker 894 1747 2367*
* l.c. p. 30. Dr. Simon bemerkt, daß die Sterblichkeit der Londoner Schneider und Drucker vom
25.-35. Jahr in der Tat viel größer ist, weil ihre Londoner Anwender eine große Zahl junger
Leute bis zum 30. Jahr hinauf vom Land als »Lehrlinge« und. »improvers« (die sich in ihrem
Handwerk ausbilden wollen) erhalten. Diese figurieren im Zensus als Londoner, sie schwellen
die Kopfzahl, worauf die Londoner Sterblichkeitsrate berechnet wird, ohne verhältnismäßig zur
Zahl der Londoner Todesfälle beizutragen. Großer Teil von ihnen kehrt nämlich und ganz beson-
ders in schweren Krankheitsfällen, zum Land zurück. (l.c.)
Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 23, S. 486-489.
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