5. Der sogenannte Arbeitsfonds

[636] Es ergab sich im Verlauf dieser Untersuchung, daß das Kapital keine fixe Größe ist, sondern ein elastischer und mit der Teilung des Mehrwerts in Revenue und Zusatzkapital beständig fluktuierender Teil des gesellschaftlichen Reichtums. Man sah ferner, daß selbst bei gegebner Größe des funktionierenden Kapitals die ihm einverleibte Arbeitskraft, Wissenschaft und Erde (worunter ökonomisch alle ohne Zutat des Menschen von Natur vorhandnen Arbeitsgegenstände zu verstehn sind) elastische Potenzen desselben bilden, die ihm innerhalb gewisser Grenzen einen von seiner eignen Größe unabhängigen Spielraum gestatten. Es wurde dabei von allen Verhältnissen des Zirkulationsprozesses abgesehn, die sehr verschiedne Wirkungsgrade derselben Kapitalmasse verursachen. Es wurde, da wir die Schranken der kapitalistischen Produktion voraussetzen, also eine rein naturwüchsige Gestalt des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, abgesehn von jeder mit den vorhandnen Produktionsmitteln und Arbeitskräften unmittelbar und planmäßig bewirkbaren rationelleren Kombination. Die klassische Ökonomie liebte es von jeher, das gesellschaftliche Kapital als eine fixe Größe von fixem Wirkungsgrad aufzufassen. Aber das Vorurteil ward erst zum Dogma befestigt durch den Urphilister Jeremias Bentham, dies nüchtern pedantische, schwatzlederne Orakel des gemeinen Bürgerverstandes des 19. Jahrhunderts.869 Bentham ist unter den Philosophen, was Martin Tupper unter den Dichtern. Beide waren nur in England fabrizierbar.870 Mit seinem Dogma werden die gewöhnlichsten Erscheinungen des Produktionsprozesses, wie z.B. dessen plötzliche Expansionen und Kontraktionen, ja sogar die Akkumulation, völlig unbegreifbar.871[636] Das Dogma wurde sowohl von Bentham selbst als von Malthus, James Mill, MacCulloch usw. zu apologetischen Zwecken vernutzt, namentlich um einen Teil des Kapitals, das variable oder in Arbeitskraft umsetzbare Kapital als eine fixe Größe darzustellen. Die stoffliche Existenz des variablen Kapitals, d.h. die Masse der Lebensmittel, die es für den Arbeiter repräsentiert, oder der sog. Arbeitsfonds, wurde in einem durch Naturketten abgeringten und unüberschreitbaren Sonderteil des gesellschaftlichen Reichtums verfabelt. Um den Teil des gesellschaftlichen Reichtums, der als konstantes Kapital oder, stofflich ausgedrückt, als Produktionsmittel funktionieren soll, in Bewegung zu setzen, ist eine bestimmte Masse lebendiger Arbeit erheischt. Diese ist technologisch gegeben. Aber weder ist die Anzahl der Arbeiter gegeben, erheischt, um diese Arbeitsmasse flüssig zu machen, denn das wechselt mit dem Exploitationsgrad der individuellen Arbeitskraft, noch der Preis dieser Arbeitskraft, sondern nur seine[637] zudem sehr elastische Minimalschranke. Die Tatsachen, die dem Dogma zu Grund liegen, sind die: Einerseits hat der Arbeiter nicht mitzusprechen bei der Teilung des gesellschaftlichen Reichtums in Genußmittel der Nichtarbeiter und in Produktionsmittel. Andrerseits kann er nur in günstigen Ausnahmsfällen den sog. »Arbeitsfonds« auf Kosten der »Revenue« des Reichen erweitern.872

Zu welch abgeschmackter Tautologie es führt, die kapitalistische Schranke des Arbeitsfonds in seine gesellschaftliche Naturschranke umzudichten, zeige u.a. Professor Fawcett:

»Das zirkulierende Kapital873 eines Landes«, sagt er, »ist sein Arbeitsfonds. Um daher den durchschnittlichen Geldlohn, den jeder Arbeiter erhält, zu berechnen, haben wir nur einfach dies Kapital durch die Anzahl der Arbeiterbevölkerung zu dividieren.«874

D.h. also, erst rechnen wir die wirklich gezahlten individuellen Arbeitslöhne in eine Summe zusammen, dann behaupten wir, daß diese Addition die Wertsumme des von Gott und Natur oktroyierten »Arbeitsfonds« bildet. Endlich dividieren wir die so erhaltne Summe durch die Kopfzahl der Arbeiter, um hinwiederum zu entdecken, wieviel jedem Arbeiter individuell im Durchschnitt zufallen kann. Eine ungemein pfiffige Prozedur dies. Sie verhindert Herrn Fawcett nicht, im selben Atemzug zu sagen:

»Der in England jährlich akkumulierte Gesamtreichtum wird in zwei Teile geteilt. Ein Teil wird in England zur Erhaltung unsrer eignen Industrie verwandt. Ein andrer[638] Teil wird in andre Länder exportiert... Der in unsrer Industrie angewandte Teil bildet keine bedeutende Portion des jährlich in diesem Land akkumulierten Reichtums.«875

Der größere Teil des jährlich zuwachsenden Mehrprodukts, dem englischen Arbeiter ohne Äquivalent entwandt, wird also nicht in England, sondern in fremden Länder verkapitalisiert. Aber mit dem so exportierten Zusatzkapital wird ja auch ein Teil des von Gott und Bentham erfundnen »Arbeitsfonds« exportiert.876[639]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 23, S. 636-640.
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