2. Expropriation des Landvolks von Grund und Boden

[744] In England war die Leibeigenschaft im letzten Teil des 14. Jahrhunderts faktisch verschwunden. Die ungeheure Mehrzahl der Bevölkerung1019 bestand damals und noch mehr im 15. Jahrhundert aus freien, selbstwirtschaftenden[744] Bauern, durch welch feudales Aushängeschild ihr Eigentum immer versteckt sein mochte. Auf den größeren herrschaftlichen Gütern war der früher selbst leibeigne bailiff (Vogt) durch den freien Pächter verdrängt. Die Lohnarbeiter der Agrikultur bestanden teils aus Bauern, die ihre Mußezeit durch Arbeit bei großen Grundeigentümern verwerteten, teils aus einer selbständigen, relativ und absolut wenig zahlreichen Klasse eigentlicher Lohnarbeiter. Auch letztre waren faktisch zugleich selbstwirtschaftende Bauern, indem sie außer ihrem Lohn Ackerland zum Belauf von 4 und mehr Acres nebst Cottages angewiesen erhielten. Sie genossen zudem mit den eigentlichen Bauern die Nutznießung des Gemeindelandes, worauf ihr Vieh weidete und das ihnen zugleich die Mittel der Feuerung, Holz, Torf usw. bot.1020 In allen Ländern Europas ist die feudale Produktion durch Teilung des Bodens unter möglichst viele Untersassen charakterisiert. Die Macht des Feudalherrn, wie die jedes Souveräns, beruhte nicht auf der Länge seiner Rentrolle, sondern auf der Zahl seiner Untertanen, und letztre hing von der Zahl selbstwirtschaftender Bauern ab.1021 Obgleich der englische Boden daher nach der normännischen Eroberung in riesenhafte Baronien verteilt ward, wovon eine einzige oft 900 alte angelsächsische Lordschaften einschloß, war er besät von kleinen Bauernwirtschaften, nur hier und da durchbrochen von größeren herrschaftlichen Gütern. Solche Verhältnisse, bei gleichzeitiger Blüte des Städtewesens, wie sie das 15. Jahrhundert auszeichnet, erlaubten jenen Volksreichtum, den der Kanzler Fortescue so beredt in seinen »Laudibus Legum Angliae« schildert, aber sie schlossen den Kapitalreichtum aus.

Das Vorspiel der Umwälzung, welche die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise schuf, ereignet sich im letzten Dritteil des 15. und den[745] ersten Dezennien des 16. Jahrhunderts. Eine Masse vogelfreier Proletarier ward auf den Arbeitsmarkt geschleudert durch die Auflösung der feudalen Gefolgschaften, die, wie Sir James Steuart richtig bemerkt, »überall nutzlos Haus und Hof füllten«. Obgleich die königliche Macht, selbst ein Produkt der bürgerlichen Entwicklung, in ihrem Streben nach absoluter Souveränität die Auflösung dieser Gefolgschaften gewaltsam beschleunigte, war sie keineswegs deren einzige Ursache. Vielmehr im trotzigsten Gegensatz zu Königtum und Parlament schuf der große Feudalherr ein ungleich größeres Proletariat durch gewaltsame Verjagung der Bauernschaft von dem Grund und Boden, worauf sie denselben feudalen Rechtstitel besaß wie er selbst, und durch Usurpation ihres Gemeindelandes. Den unmittelbaren Anstoß dazu gab in England namentlich das Aufblühnder flandrischen Wollmanufaktur und das entsprechende Steigen der Wollpreise. Den alten Feudaladel hatten die großen Feudalkriege verschlungen, der neue war ein Kind seiner Zeit, für welche Geld die Macht aller Mächte. Verwandlung von Ackerland in Schafweide ward also sein Losungswort. Harrison, in seiner »Description of England. Prefixed to Holinshed's Chronicles«, beschreibt, wie die Expropriation der kleinen Bauern das Land ruiniert. »What care our great incroachers!« (Was fragen unsre großen Usurpatoren danach?) Die Wohnungen der Bauern und die Cottages der Arbeiter wurden gewaltsam niedergerissen oder dem Verfall geweiht.

»Wenn man«, sagt Harrison, »die älteren Inventarien jedes Ritterguts vergleichen will, so wird man finden, daß unzählige Häuser und kleine Bauernwirtschaften verschwunden sind, daß das Land viel weniger Leute nährt, daß viele Städte verfallen sind, obgleich einige neue aufblühn... Von Städten und Dörfern, die man für Schaftriften zerstört hat und worin nur noch die Herrschaftshäuser stehn, könnte ich etwas erzählen.«

Die Klagen jener alten Chroniken sind immer übertrieben, aber sie zeichnen genau den Eindruck der Revolution in den Produktionsverhältnissen auf die Zeitgenossen selbst. Ein Vergleich zwischen den Schriften der Kanzler Fortescue und Thomas Morus veranschaulicht die Kluft zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert. Aus ihrem goldnen Zeitalter, wie Thornton richtig sagt, stürzte die englische Arbeiterklasse ohne alle Zwischenübergänge in das eiserne.

Die Gesetzgebung erschrak vor dieser Umwälzung. Sie stand noch nicht auf der Zivilisationshöhe, wo »Wealth of the Nation«, d.h. Kapitalbildung und rücksichtslose Exploitation und Verarmung der Volksmasse als ultima[746] Thule aller Staatsweisheit gelten. In seiner Geschichte Heinrichs VII. sagt Baco:

»Um diese Zeit« (1489) »mehrten sich die Klagen über Verwandlung von Ackerland in Weide« (zur Schaftrift usw.), »leicht zu versehn durch wenige Hirten; und Pachtungen auf Zeit, auf Lebzeit und auf jährliche Kündigung (wovon ein großer Teil der Yeomen lebte) wurden in Dominialgüter verwandelt. Dies brachte einen Verfall des Volks hervor und infolgedessen einen Verfall von Städten, Kirchen, Zehnten... In der Kur dieses Mißstandes war die Weisheit des Königs und des Parlaments zu dieser Zeit bewundernswert... Sie ergriffen Maßregeln wider diese entvölkernde Usurpation der Gemeindeländereien (depopulating inclosures) und die ihr auf dem Fuß folgende entvölkernde Weidewirtschaft (depopulating pasture).«

Ein Akt Heinrich des Siebenten, 1489, c. 19, verbot die Zerstörung aller Bauernhäuser, zu denen wenigstens 20 Acres Land gehörten. In einem Akt 25, Heinrich VIII., wird dasselbe Gesetz erneuert. Es heißt u.a., daß

»viele Pachtungen und große Viehherden, besonders Schafe, sich in wenigen Händen aufhäufen, wodurch die Grundrenten sehr gewachsen und der Ackerbau (tillage) sehr verfallen, Kirchen und Häuser niedergerissen, wunderbare Volksmassen verunfähigt seien, sich selbst und Familien zu erhalten«.

Das Gesetz verordnet daher den Wiederbau der verfallnen Hofstätten, bestimmt das Verhältnis zwischen Kornland und Weideland usw. Ein Akt von 1533 klagt, daß manche Eigentümer 24000 Schafe besitzen, und beschränkt deren Zahl auf 2000.1022 Die Volksklage und die seit Heinrich dem VII. an 150 Jahre fortdauernde Gesetzgebung wider die Expropriation der kleinen Pächter und Bauern waren gleich fruchtlos. Das Geheimnis ihrer Erfolglosigkeit verrät uns Baco wider Wissen.

»Der Akt Heinrichs des Siebenten«, sagt er in seinen »Essays, civil and moral«, Sect. 29, »war tief und bewunderungswürdig, indem er Landwirtschaften und Ackerbauhäuser von bestimmtem Normalmaß schuf, d.h. eine Proportion von Land für sie erhielt, die sie befähigte, Untertanen von genügendem Reichtum und ohne servile Lage auf die Welt zu setzen und den Pflug in der Hand von Eigentümern, nicht von Mietlingen zu halten (to keep the plough in the hand of the owners and not hirelings).«1023[747]

Was das kapitalistische System erheischte, war umgekehrt servile Lage der Volksmasse, ihre eigne Verwandlung in Mietlinge und Verwandlung ihrer Arbeitsmittel in Kapital. Während dieser Übergangsperiode suchte die Gesetzgebung auch die 4 Acres Land bei der Cottage des ländlichen Lohnarbeiters zu erhalten und verbot ihm die Aufnahme von Mietsleuten in seine Cottage. Noch 1627, unter Karl I., wurde Roger Crocker von Fontmill verurteilt wegen Baus einer Cottage im Manor von Fontmill ohne 4 Acres Land als beständiges Annex an dieselbe; noch 1638, unter Karl I., wurde eine königliche Kommission ernannt, um die Durchführung der alten Gesetze, namentlich auch über die 4 Acres Land, zu erzwingen; noch Cromwell verbot Erbauung eines Hauses in 4 Meilen weitem Umkreis von London ohne Ausstattung desselben mit 4 Acres Land. Noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird geklagt, wenn die Cottage des Landarbeiters kein Zubehör von 1 bis 2 Acres hat. Heutzutag ist er glücklich, wenn sie mit einem Gärtchen ausgestattet ist oder wenn er weitab von ihr ein Paar Ruten Land mieten kann.

»Grundherren und Pächter«, sagt Dr. Hunter, »handeln hier Hand in Hand. Weniges Acres zur Cottage würden den Arbeiter zu unabhängig machen.«1024

Einen neuen furchtbaren Anstoß erhielt der gewaltsame Expropriationsprozeß der Volksmasse im 16. Jahrhundert durch die Reformation und, in[748] ihrem Gefolge, den kolossalen Diebstahl der Kirchengüter. Die katholische Kirche war zur Zeit der Reformation Feudaleigentümerin eines großen Teils des englischen Grund und Bodens. Die Unterdrückung der Klöster usw. schleuderte deren Einwohner ins Proletariat. Die Kirchengüter selbst wurden großenteils an raubsüchtige königliche Günstlinge verschenkt oder zu einem Spottpreis an spekulierende Pächter und Stadtbürger verkauft, welche die alten erblichen Untersassen massenhaft verjagten und ihre Wirtschaften zusammenwarfen. Das gesetzlich garantierte Eigentum verarmter Landleute an einem Teil der Kirchenzehnten ward stillschweigend konfisziert.1025 »Pauper ubique jacet«, rief Königin Elisabeth nach einer Rundreise durch England. Im 43. Jahre ihrer Regierung war man endlich gezwungen, den Pauperismus offiziell anzuerkennen durch Einführung der Armensteuer.

»Die Urheber dieses Gesetzes schämten sich, seine Gründe auszusprechen, und schickten es daher, wider alles Herkommen, ohne irgendein preamble (Eingangsmotivierung) in die Welt.«1026

Durch 16. Car. I., 4 wurde es perpetuell erklärt und erhielt in der Tat erst 1834 eine neue härtere Form.1027 Diese unmittelbaren Wirkungen der Reformation waren nicht ihre nachhaltigsten. Das Kircheneigentum bildete[749] das religiöse Bollwerk der altertümlichen Grundeigentumsverhältnisse. Mit seinem Fall waren sie nicht länger haltbar.1028

Noch in den letzten Dezennien des 17. Jahrhunderts war die Yeomanry, eine unabhängige Bauerschaft, zahlreicher als die Klasse der Pächter. Sie hatte die Hauptstärke Cromwells gebildet und stand, selbst nach Macaulays Geständnis, in vorteilhaftem Gegensatz zu den versoffnen Mistjunkern und ihren Bedienten, den Landpfaffen, welche die herrschaftliche »Lieblingsmagd« unter die Haube bringen mußten. Noch waren selbst die ländlichen Lohnarbeiter Mitbesitzer am Gemeindeeigentum. 1750 ungefähr war die Yeomanry verschwunden1029, und in den letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts[750] die letzte Spur von Gemeindeeigentum der Ackerbauer. Wir sehn hier ab von den rein ökonomischen Triebfedern der Agrikulturrevolution. Wir fragen nach ihren gewaltsamen Hebeln.

Unter der Restauration der Stuarts setzten die Grundeigentümer eine Usurpation gesetzlich durch, die sich überall auf dem Kontinent auch ohne gesetzliche Weitläufigkeit vollzog. Sie hoben die Feudalverfassung des Bodens auf, d.h., sie schüttelten seine Leistungspflichten an den Staat ab, »entschädigten« den Staat durch Steuern auf die Bauerschaft und übrige Volksmasse, vindizierten modernes Privateigentum an Gütern, worauf sie nur Feudaltitel besaßen, und oktroyierten schließlich jene Niederlassungsgesetze (laws of settlement), die, mutatis mutandis, auf die englischen Ackerbauer wirkten wie des Tataren Boris Godunow Edikt auf die russische Bauerschaft.

Die »glorious Revolution« (glorreiche Revolution) brachte mit dem Oranier Wilhelm III.1030 die grundherrlichen und kapitalistischen Plusmacher zur Herrschaft. Sie weihten die neue Ära ein, indem sie den bisher nur bescheiden betriebenen Diebstahl an den Staatsdomänen auf kolossaler Stufenleiter ausübten. Diese Ländereien wurden verschenkt, zu Spottpreisen verkauft oder auch durch direkte Usurpation an Privatgüter annexiert.1031 – Alles das geschah ohne die geringste Beobachtung gesetzlicher[751] Etikette. Das so fraudulent angeeignete Staatsgut samt dem Kirchenraub, soweit er während der republikanischen Revolution nicht abhanden gekommen, bildet die Grundlage der heutigen fürstlichen Domänen der englischen Oligarchie.1032 Die bürgerlichen Kapitalisten begünstigten die Operation, u. a. um den Grund und Boden in einen reinen Handelsartikel zu verwandeln, das Gebiet des agrikolen Großbetriebs auszudehnen, ihre Zufuhr vogelfreier Proletarier vom Lande zu vermehren usw. Zudem war die neue Grundaristokratie die natürliche Bundesgenossin der neuen Bankokratie, der eben aus dem Ei gekrochnen hohen Finanz und der damals auf Schutzzölle sich stützenden großen Manufakturisten. Die englische Bourgeoisie handelte für ihr Interesse ganz so richtig wie die schwedischen Stadtbürger, die umgekehrt, Hand in Hand mit ihrem ökonomischen Bollwerk, der Bauerschaft, die Könige in der gewaltsamen Resumption der Kronländereien von der Oligarchie (seit 1604, später unter Karl X. und Karl XI.) unterstützten.

Das Gemeindeeigentum – durchaus verschieden von dem eben betrachteten Staatseigentum – war eine altgermanische Einrichtung, die unter der Decke der Feudalität fortlebte. Man hat gesehn, wie die gewaltsame Usurpation desselben, meist begleitet von Verwandlung des Ackerlands in Viehweide, Ende des 15. Jahrhunderts beginnt und im 16. Jahrhundert fortdauert. Aber damals vollzog sich der Prozeß als individuelle Gewalttat, wogegen die Gesetzgebung 150 Jahre lang vergeblich ankämpft. Der Fortschritt des 18. Jahrhunderts offenbart sich darin, daß das Gesetz selbst jetzt zum Vehikel des Raubs am Volksland wird, obgleich die großen Pächter nebenbei auch ihre kleinen unabhängigen Privatmethoden anwenden.1033 Die parlamentarische Form des Raubs ist die der »Bills for Inclosures of[752] Commons« (Gesetze für Einhegung des Gemeindelandes), in andren Worten Dekrete, wodurch die Grundherrn Volksland sich selbst als Privateigentum schenken, Dekrete der Volksexpropriation. Sir F. M. Eden widerlegt sein pfiffiges Advokatenplädoyer, worin er das Gemeindeeigentum als Privateigentum der an die Stelle der Feudalen getretenen großen Grundeigentümer darzustellen sucht, indem er selbst einen »allgemeinen Parlamentsakt für Einhegung der Gemeindeländereien« verlangt, also zugibt, daß ein parlamentarischer Staatsstreich zu ihrer Verwandlung in Privateigentum nötig ist, andrerseits aber von der Legislatur »Schadenersatz« für die expropriierten Armen fordert.1034

Während an die Stelle der unabhängigen Yeomen tenants-at-will traten, kleinere Pächter auf einjährige Kündigung, eine servile und von der Willkür der Landlords abhängige Rotte, half, neben dem Raub der Staatsdomänen, namentlich der systematisch betriebne Diebstahl des Gemeindeeigentums jene großen Pachten anschwellen, die man im 18. Jahrhundert Kapital-Pachten1035 oder Kaufmanns-Pachten1036 nannte, und das Landvolk als Proletariat für die Industrie »freisetzen«.

Das 18. Jahrhundert begriff jedoch noch nicht in demselben Maß wie das 19. die Identität zwischen Nationalreichtum und Volksarmut. Daher heftigste Polemik in der ökonomischen Literatur jener Zeit über die »inclosure of commons«. Ich gebe aus dem massenhaften Material, das mir vorliegt, einige wenige Stellen, weil dadurch lebhaft die Zustände veranschaulicht werden.

»In vielen Pfarreien von Hertfordshire«, schreibt eine entrüstete Feder, »sind 24 im Durchschnitt 50-150 Acres zählende Pachten in 3 Pachten zusammengeschmolzen.«1037 »In Northamptonshire und Lincolnshire hat die Einhegung der Gemeindeländereien sehr vorgeherrscht und die meisten aus den Einhegungen entsprungnen neuen Lordschaften sind in Weide verwandelt; infolge davon haben viele Lordschaften jetzt nicht 50 Acres unter dem Pflug, wo früher 1500 gepflügt wurden... Ruinen früherer Wohnhäuser, Scheunen, Ställe usw.« sind die einzigen Spuren der früheren Einwohner. »Hundert Häuser und Familien sind an manchen Plätzen zusammengeschrumpft... auf 8 oder 10... Der Grundeigentümer in den meisten Pfarreien, wo[753] die Einhegung erst seit 15 oder 20 Jahren vorging, sind sehr wenige in Vergleich zu den Zahlen, von denen das Land im offnen Feldzustand bebaut wurde. Es ist nichts Ungewöhnliches, 4 oder 5 reiche Viehmäster große, jüngst eingehegte Lordschaften usurpieren zu sehn, die sich früher in der Hand von 20-30 Pächtern und von ebenso vielen kleineren Eigentümern und Insassen befanden. Alle diese sind mit ihren Familien aus ihrem Besitztum herausgeworfen nebst vielen andren Familien, die durch sie beschäftigt und erhalten wurden.«1038

Es war nicht nur brachliegendes, sondern oft, unter bestimmter Zahlung an die Gemeinde, oder gemeinschaftlich, bebautes Land, das unter dem Vorwand der Einhegung vom angrenzenden Landlord annexiert wurde.

»Ich spreche hier vom Einschluß offner Felder und Ländereien, die bereits bebaut sind. Selbst die Schriftsteller, welche die Inclosures verteidigen, geben zu, daß letztre das Monopol großer Pachtungen vermehren, die Preise der Lebensmittel erhöhen und Entvölkerung produzieren... und selbst die Einhegung wüster Ländereien, wie jetzt betrieben, raubt dem Armen einen Teil seiner Subsistenzmittel und schwellt Pachtungen auf, die bereits zu groß sind.«1039 »Wenn«, sagt Dr. Price, »das Land in die Hände einiger weniger großen Pächter gerät, werden die kleinen Pächter« (früher von ihm bezeichnet als »eine Menge kleiner Eigentümer und Pächter, die sich selbst und Familien erhalten durch das Produkt des von ihnen bestellten Landes, durch Schafe, Geflügel, Schweine usw., die sie auf das Gemeindeland schicken, so daß sie wenig Anlaß zum Kauf von Subsistenzmitteln haben«) »verwandelt in Leute, die ihre Subsistenz durch Arbeit für andre gewinnen müssen und gezwungen sind, für alles, was sie brauchen, zu Markt zu gehn... Es wird vielleicht mehr Arbeit verrichtet, weil mehr Zwang dazu herrscht... Städte und Manufakturen werden wachsen, weil mehr Leute zu ihnen verjagt werden, welche Beschäftigung suchen. Dies ist der Weg, worin die Konzentration der Pachtungen naturgemäß wirkt und worin sie, seit vielen Jahren, in diesem Königreich tatsächlich gewirkt hat.«1040

Er faßt die Gesamtwirkung der inclosures so zusammen:

»Im ganzen hat sich die Lage der niederen Volksklassen fast in jeder Hinsicht verschlechtert, die kleineren Grundbesitzer und Pächter sind herabgedrückt auf den Stand von Taglöhnern und Mietlingen; und zur selben Zeit ist der Lebensgewinn in diesem Zustand schwieriger geworden.«1041[754]

In der Tat wirkten Usurpation des Gemeindelands und die sie begleitende Revolution der Agrikultur so akut auf die Ackerbauarbeiter, daß, nach Eden selbst, zwischen 1765 und 1780 ihr Lohn anfing, unter das Minimum zu fallen und durch offizielle Armenunterstützung ergänzt zu werden. Ihr Arbeitslohn, sagt er, »genügte nur noch eben für die absoluten Lebensbedürfnisse«.

Hören wir noch einen Augenblick einen Verteidiger der enclosures und Gegner des Dr. Price.

»Es ist kein richtiger Schluß, daß Entvölkerung vorhanden, weil man Leute nicht länger ihre Arbeit im offnen Feld verschwenden sieht... Wenn nach Verwandlung kleiner Bauern in Leute, die für andre arbeiten müssen, mehr Arbeit flüssig gemacht wird, so ist das ja ein Vorteil, den die Nation« (wozu die Verwandelten natürlich nicht gehören) »wünschen muß... Das Produkt wird größer sein, wenn ihre kombinierte Arbeit auf einer Pachtung angewandt wird: so wird Surplusprodukt für die Manufakturen gebildet, und dadurch werden Manufakturen, eine der Goldgruben dieser Nation, im Verhältnis zum produzierten Kornquantum vermehrt.«1042[755]

Die stoische Seelenruhe, womit der politische Ökonom frechste Schändung des »heiligen Rechts des Eigentums« und gröbste Gewalttat wider Personen betrachtet, sobald sie erheischt sind, um die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise herzustellen, zeigt uns u.a. der überdem noch torystisch gefärbte und »philanthropische« Sir F. M. Eden. Die ganze Reihe von Raubtaten, Greueln und Volksdrangsalen, welche die gewaltsame Volksexpropriation vom letzten Drittel des 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts begleiten, treibt ihn nur zur »komfortablen« Schlußreflexion:

»Die richtige (due) Proportion zwischen Acker- und Viehland mußte hergestellt werden. Noch im ganzen 14. und größten Teil des 15. Jahrhunderts kam 1 Acre Viehweide auf 2, 3 und selbst 4 Acres Ackerland. In Mitte des 16. Jahrhunderts verwandelte sich die Proportion in 2 Acres Viehland auf 2, später von 2 Acres Viehweide auf 1 Acre Ackerland, bis endlich die richtige Proportion von 3 Acres Viehland auf 1 Acre Ackerland herauskam.«

Im 19. Jahrhundert verlor sich natürlich selbst die Erinnerung des Zusammenhangs zwischen Ackerbauer und Gemeindeeigentum. Von späterer Zeit gar nicht zu reden, welchen Farthing Ersatz erhielt das Landvolk jemals für die 3511770 Acres Gemeindeland, die ihm zwischen 1810 und 1831 geraubt und parlamentarisch den Landlords von den Landlords geschenkt wurden?

Der letzte große Expropriationsprozeß der Ackerbauer von Grund und Boden endlich ist das sog. Clearing of Estates (Lichten der Güter, in der Tat Wegfegung der Menschen von denselben). Alle bisher betrachteten englischen Methoden kulminierten im »Lichten«. Wie man bei der Schilderung des modernen Zustands im vorigen Abschnitt sah, geht es jetzt, wo keine unabhängigen Bauern mehr wegzufegen sind, bis zum »Lichten« der Cottages fort, so daß die Ackerbauarbeiter auf dem von ihnen bestellten Boden selbst nicht mehr den nötigen Raum zur eignen Behausung finden. Was aber »Clearing of Estates« im eigentlichen Sinne bedeutet, das lernen wir nur kennen im gelobten Lande der modernen Romanliteratur, in Hochschottland. Dort zeichnet sich der Vorgang aus durch seinen systematischen Charakter, durch die Größe der Stufenleiter, worauf er mit einem Schlag vollzogen wird (in Irland haben Grundherrn es dahin gebracht, mehrere Dörfer gleichzeitig wegzufegen; in Hochschottland handelt es sich um Bodenflächen von der Größe deutscher Herzogtümer) – und endlich durch die besondre Form des unterschlagenen Grundeigentums.

Die Kelten Hochschottlands bestanden aus Clans, deren jeder Eigentümer des von ihm besiedelten Bodens war. Der Repräsentant des Clans, sein Chef oder »großer Mann«, war nur Titulareigentümer dieses Bodens,[756] ganz wie die Königin von England Titulareigentümerin des nationalen Gesamtbodens ist. Als der englischen Regierung gelungen war, die inneren Kriege dieser »großen Männer« und ihre fortwährenden Einfälle in die niederschottischen Ebenen zu unterdrücken, gaben die Clanchefs ihr altes Räuberhandwerk keineswegs auf; sie änderten nur die Form. Aus eigner Autorität verwandelten sie ihr Titular-Eigen tumsrecht in Privateigentumsrecht, und da sie bei den Clanleuten auf Widerstand stießen, beschlossen sie, diese mit offner Gewalt zu vertreiben.

»Ein König von England könnte mit demselben Recht sich anmaßen, seine Untertanen in die See zu jagen«,

sagt Professor Newman.1043 Diese Revolution, welche in Schottland nach der letzten Schilderhebung des Prätendenten begann, kann man in ihren ersten Phasen verfolgen bei Sir James Steuart1044 und James Anderson1045. Im 18. Jahrhundert wurde zugleich den vom Land verjagten Gaelen die Auswanderung verboten, um sie gewaltsam nach Glasgow und andren Fabrikstädten zu treiben1046 Als Beispiel der im 19. Jahrhundert herrschenden Methode1047 genügen hier die »Lichtungen« der Herzogin von Sutherland.[757] Diese ökonomisch geschulte Person beschloß gleich bei ihrem Regierungsantritt eine ökonomische Radikalkur vorzunehmen und die ganze Grafschaft, deren Einwohnerschaft durch frühere, ähnliche Prozesse bereits auf 15 000 zusammengeschmolzen war, in Schaftrift zu verwandeln. Von 1814 bis 1820 wurden diese 15000 Einwohner, ungefähr 3000 Familien, systematisch verjagt und ausgerottet. Alle ihre Dörfer wurden zerstört und niedergebrannt, alle ihre Felder in Weide verwandelt. Britische Soldaten wurden zur Exekution kommandiert und kamen zu Schlägen mit den Eingebornen. Eine alte Frau verbrannte in den Flammen der Hütte, die sie zu verlassen sich weigerte. So eignete sich diese Madame 794000 Acres Land an, das seit undenklichen Zeiten dem Clan gehörte. Den vertriebnen Eingebornen wies sie am Seegestad ungefähr 6000 Acres zu, 2 Acres per Familie. Die 6000 Acres hatten bisher wüst gelegen und den Eigentümern kein Einkommen abgeworfen. Die Herzogin ging in ihrem Nobelgefühl so weit, den Acre im Durchschnitt zu 2 sh. 6 d. Rente zu verpachten an die Clanleute, die seit Jahrhunderten ihr Blut für die Familie vergossen hatten. Das ganze geraubte Clanland teilte sie in 29 große Schafpachtungen, jede bewohnt von einer einzigen Familie, meist englische Pächterknechte. Im Jahre 1825 waren die 15000 Gaelen bereits ersetzt durch 131000 Schafe. Der an das Seegestad geworfne Teil der Aborigines suchte vom Fischfang zu leben. Sie wurden Amphibien und lebten, wie ein englischer Schriftsteller sagt, halb auf dem Land und halb auf dem Wasser und lebten mit alledem nur halb von beiden.1048[758]

Aber die braven Gaelen sollten noch schwerer ihre bergromantische Idolatrie für die »großen Männer« des Clans abbüßen. Der Fischgeruch stieg den großen Männern in die Nase. Sie witterten etwas Profitliches dahinter und verpachteten das Seegestade den großen Fischhändlern von London. Die Gaelen wurden zum zweitenmal verjagt.1049

Endlich aber wird ein Teil der Schaftriften rückverwandelt in Jagdrevier. Man weiß, daß es keine eigentlichen Wälder in England gibt. Das Wild in den Parks der Großen ist konstitutionelles Hausvieh, fett wie Londoner Aldermen. Schottland ist daher das letzte Asyl der »noblen Passion«.

»In den Hochlanden«, sagt Somers 1848, »sind die Waldungen sehr ausgedehnt worden. Hier auf der einen Seite von Gaick habt ihr den neuen Wald von Glenfeshie und dort auf der andren Seite den neuen Wald von Ardverikie. In derselben Linie habt ihr den Bleak-Mount, eine ungeheure Wüste, neulich errichtet. Von Ost zu West, von der Nachbarschaft von Aberdeen bis zu den Klippen von Oban, habt ihr jetzt eine fortlaufende Waldlinie, während sich in andren Teilen der Hochlande die neuen Wälder von Loch Archaig, Glengarry, Glenmoriston etc. befinden... Die Verwandlung ihres Landes in Schafweide... trieb die Gaelen auf unfruchtbarem Boden. Jetzt fängt Rotwild an, das Schaf zu ersetzen, und treibt jene in noch zermalmenderes Elend... Die Wildwaldungen1050 und das Volk können nicht nebeneinander existieren. Eins oder das andre muß jedenfalls den Platz räumen. Laßt die Jagden in Zahl und Umfang im nächsten Vierteljahrhundert wachsen wie im vergangenen, und ihr werdet keinen Gaelen mehr auf seiner heimischen Erde finden. Diese Bewegung unter den Hochlands-Eigentümern ist teils der Mode geschuldet, aristokratischem Kitzel, Jagdliebhaberei usw., teils aber betreiben sie den Wildhandel ausschließlich mit einem Auge auf den Profit. Denn es ist Tatsache, daß ein Stück Bergland, in Jagdung angelegt, in vielen Fällen ungleich profitabler ist denn als Schaftrift... Der Liebhaber, der ein Jagdrevier sucht, beschränkt sein Angebot nur durch die Weite seiner Börse... Leiden sind über die[759] Hochlande verhängt worden nicht minder grausam, als die Politik normännischer Könige sie über England verhing. Rotwild hat freieren Spielraum erhalten, während die Menschen in engen und engern Zirkel gehetzt wurden... Eine Freiheit des Volks nach der andren ward ihm geraubt... Und die Unterdrückung wächst noch täglich. Lichtung und Vertreibung des Volks werden von den Eigentümern als festes Prinzip verfolgt, als eine agrikole Notwendigkeit, ganz wie Bäume und Gesträuch in den Wildnissen Amerikas und Australiens weggefegt werden, und die Operation geht ihren ruhigen, geschäftsmäßigen Gang.«1051

Der Raub der Kirchengüter, die fraudulente Veräußerung der Staatsdomänen, der Diebstahl des Gemeindeeigentums, die usurpatorische und mit rücksichtslosem Terrorismus vollzogne Verwandlung von feudalem und Claneigentum in modernes Privateigentum, es waren ebenso viele[760] idyllische Methoden der ursprünglichen Akkumulation. Sie eroberten das Feld für die kapitalistische Agrikultur, einverleibten den Grund und Boden dem Kapital und schufen der städtischen Industrie die nötige Zufuhr von vogelfreiem Proletariat.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 23, S. 744-761.
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