2. Eigentlicher Warenvorrat

[145] Man hat bereits gesehn: Auf Grundlage der kapitalistischen Produktion wird die Ware zur allgemeinen Form des Produkts, und je mehr jene sich nach Umfang und Tiefe entwickelt, desto mehr. Es existiert also – selbst bei gleichem Umfang der Produktion – ein ungleich größrer Teil des Produkts als Ware, im Vergleich, sei es zu frühern Produktionsweisen, sei es zur kapitalistischen Produktionsweise auf minder entwickeltem Grad. Alle Ware aber – also auch alles Warenkapital, welches nur Ware ist, aber Ware als Daseinsform des Kapitalwerts –, soweit sie aus ihrer Produktionssphäre nicht unmittelbar in die produktive oder individuelle Konsumtion eingeht, also im Intervall auf dem Markt sich befindet, bildet ein Element des Warenvorrats. An und für sich – bei gleichbleibendem Umfang der Produktion – wächst daher der Warenvorrat (d.h. diese Verselbständigung und Fixierung der Warenform des Produkts) mit der kapitalistischen Produktion. Man hat bereits gesehn, daß dies nur Formwechsel des Vorrats ist, d.h. daß auf der einen Seite der Vorrat in Warenform zunimmt, weil er auf der andren Seite in der Form von direktem Produktions- oder Konsumtionsvorrat abnimmt. Es ist nur eine veränderte gesellschaftliche Form des Vorrats. Wenn zugleich nicht nur die relative Größe des Warenvorrats im Verhältnis zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt zunimmt, sondern auch seine absolute Größe, so, weil mit der kapitalistischen Produktion die Masse des Gesamtprodukts wächst.

Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion wird die Stufenleiter der Produktion in stets geringrem Grad durch die unmittelbare Nachfrage nach dem Produkt bestimmt, und in stets größrem durch den Umfang des Kapitals, worüber der individuelle Kapitalist verfügt, durch den Verwertungstrieb seines Kapitals und die Notwendigkeit der Kontinuität und der Ausdehnung seines Produktionsprozesses. Damit wächst notwendig in jedem besondren Produktionszweig die Produktmasse, die sich als Ware[145] auf dem Markt befindet oder nach Absatz sucht. Es wächst die in der Form des Warenkapitals kürzer oder länger fixierte Kapitalmasse. Es wächst daher der Warenvorrat.

Endlich wird der größte Teil der Gesellschaft in Lohnarbeiter verwandelt, Leute, die aus der Hand in den Mund leben, ihren Lohn wöchentlich empfangen und täglich ausgeben, die also ihre Lebensmittel als Vorrat vorfinden müssen. So sehr die einzelnen Elemente dieses Vorrats fließen mögen, muß ein Teil derselben doch beständig stocken, damit der Vorrat stets in Fluß bleiben kann.

Alle diese Momente gehn hervor aus der Form der Produktion und der in ihr einbegriffenen Formverwandlung, die das Produkt im Zirkulationsprozeß durchlaufen muß.

Welches immer die gesellschaftliche Form des Produktenvorrats, seine Aufbewahrung erfordert Kosten: Baulichkeiten, Gefäße usw., welche die Behälter des Produkts bilden; ebenso Produktionsmittel und Arbeit, mehr oder weniger je nach der Natur des Produkts, die verausgabt werden müssen zur Abwehr störender Einflüsse. Je mehr die Vorräte gesellschaftlich konzentriert, desto relativ kleiner sind diese Kosten. Diese Auslagen bilden stets einen Teil gesellschaftlicher Arbeit, sei es in vergegenständlichter oder lebendiger Form – also in der kapitalistischen Form Kapitalauslagen –, die nicht in die Produktbildung selbst eingehn, also Abzüge vom Produkt. Sie sind notwendig, Unkosten des gesellschaftlichen Reichtums. Sie sind die Erhaltungskosten des gesellschaftlichen Produkts, ob seine Existenz als Element des Warenvorrats nun bloß der gesellschaftlichen Form der Produktion, also der Warenform und ihrer notwendigen Formverwandlung entspringe, oder ob wir den Warenvorrat nur als eine Spezialform des Produktenvorrats betrachten, der allen Gesellschaften gemeinsam, wenn auch nicht in der Form des Warenvorrats, dieser dem Zirkulationsprozeß angehörigen Form des Produktenvorrats.

Es fragt sich nun, wieweit diese Kosten in den Wert der Waren eingehn.

Wenn der Kapitalist sein in Produktionsmitteln und Arbeitskraft vorgeschoßnes Kapital in Produkt verwandelt hat, in eine fertige zum Verkauf bestimmte Warenmasse, und diese bleibt unverkäuflich lagern, so stockt nicht nur der Verwertungsprozeß seines Kapitals während dieser Zeit. Die Ausgaben, welche die Erhaltung dieses Vorrats in Baulichkeiten, zusätzlicher Arbeit etc. erheischt, bilden positiven Verlust. Der schließliche Käufer würde ihn auslachen, wenn er sagte: Meine Ware war während sechs Monaten unverkaufbar, und ihre Erhaltung während dieser sechs Monate[146] hat mir nicht nur soundso viel Kapital brachgelegt, sondern außerdem x Unkosten verursacht. Tant pis pour vous, sagt der Käufer. Da neben Euch steht ein andrer Verkäufer, dessen Ware erst vorgestern fertig geworden ist. Eure Ware ist ein Ladenhüter und wahrscheinlich mehr oder minder angenagt vom Zahn der Zeit. Ihr müßt also wohlfeiler verkaufen als Euer Rival. – Ob der Warenproduzent der wirkliche Produzent seiner Ware oder ihr kapitalistischer Produzent, in der Tat also nur Repräsentant ihrer wirklichen Produzenten, ändert nichts an den Lebensbedingungen der Ware. Er hat seine Sache in Geld zu verwandeln. Die Unkosten, die ihre Fixierung in ihrer Warenform ihm verursacht, gehören zu seinen individuellen Abenteuern, die den Käufer der Ware nichts angehn. Dieser zahlt ihm nicht die Zirkulationszeit seiner Ware. Selbst wenn der Kapitalist seine Ware absichtlich vom Markt zurückhält, in Zeiten wirklicher oder vermuteter Wertrevolution, so hängt es ab vom Eintreffen dieser Wertrevolution, von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit seiner Spekulation, ob er die zusätzlichen Unkosten realisiert. Aber die Wertrevolution ist keine Folge seiner Unkosten. Soweit also die Vorratbildung Zirkulationsstockung, setzen die dadurch verursachten Kosten der Ware keinen Wert zu. Andrerseits kann kein Vorrat vorhanden sein ohne Aufenthalt in der Zirkulationssphäre, ohne Verharren, länger oder kürzer, des Kapitals in seiner Warenform; also kein Vorrat ohne Zirkulationsstockung, ganz wie kein Geld zirkulieren kann ohne Geldreservebildung. Also ohne den Warenvorrat keine Warenzirkulation. Tritt diese Notwendigkeit dem Kapitalisten nicht in W' – G', so tritt sie ihm in G – W entgegen; nicht für sein Warenkapital, aber für das Warenkapital andrer Kapitalisten, die Produktionsmittel für ihn und Lebensmittel für seine Arbeiter produzieren.

Ob die Vorratbildung freiwillig oder unfreiwillig, d.h. ob der Warenproduzent absichtlich einen Vorrat hält oder ob seine Waren Vorrat bilden infolge des Widerstands, den die Umstände des Zirkulationsprozesses selbst ihrem Verkauf entgegenstellen, scheint an dem Wesen der Sache nichts ändern zu können. Doch ist zur Lösung dieser Frage nützlich zu wissen, was die freiwillige von der unfreiwilligen Vorratbildung unterscheidet. Die unfreiwillige Bildung des Vorrats entspringt aus, oder ist identisch mit einer Zirkulationsstockung, die vom Wissen des Warenproduzenten unabhängig ist und seinem Willen in die Quere kommt. Was charakterisiert die freiwillige Vor ratbildung? Nach wie vorsucht der Verkäufer seine Ware so rasch wie möglich loszuschlagen. Er bietet stets das Produkt als[147] Ware feil. Entzöge er es dem Verkauf, so bildete es nur mögliches (dynamei), kein effektives (energeia) Element des Warenvorrats. Die Ware als solche ist ihm nach wie vor nur Träger ihres Tauschwerts, und als solcher kann sie nur wirken durch und nach Abstreifung ihrer Warenform und Annahme der Geldform.

Der Warenvorrat muß einen gewissen Umfang haben, um während einer gegebnen Periode zu genügen für den Umfang der Nachfrage. Es wird dabei gerechnet auf beständige Ausdehnung des Kreises der Käufer. Um z.B. während eines Tags auszureichen, muß ein Teil der auf dem Markt befindlichen Waren beständig in der Warenform ausharren, während der andre fließt, sich in Geld verwandelt. Der Teil, der stockt, während der andre fließt, nimmt zwar beständig ab, wie der Umfang des Vorrats selbst abnimmt, bis er schließlich ganz verkauft ist. Die Warenstockung ist hier also berechnet als notwendige Bedingung des Verkaufs der Ware. Der Umfang muß ferner größer sein als der mittlere Verkauf oder der Umfang der mittleren Nachfrage. Die Überschüsse über dieselben könnten sonst nicht befriedigt werden. Andrerseits muß der Vorrat beständig erneuert werden, weil er sich beständig auflöst. Diese Erneuerung kann in letzter Instanz nur aus der Produktion herkommen, aus einer Zufuhr von Ware. Ob diese vom Ausland kommt oder nicht, ändert nichts an der Sache. Die Erneuerung hängt ab von den Perioden, die die Waren zu ihrer Reproduktion brauchen. Während dieser Zeit muß der Warenvorrat ausreichen. Daß er nicht in der Hand des ursprünglichen Produzenten bleibt, sondern durch verschiedne Reservoirs läuft, vom großen Kaufmann bis zum Detailverkäufer, ändert nur die Erscheinung, nicht die Sache selbst. Gesellschaftlich betrachtet, befindet sich nach wie vor ein Teil des Kapitals in der Form des Warenvorrats, solange die Ware nicht in die produktive oder individuelle Konsumtion eingegangen ist. Der Produzent selbst sucht einen seiner durchschnittlichen Nachfrage entsprechenden Lagerbestand zu haben, um nicht unmittelbar von der Produktion abzuhängen, und um sich einen beständigen Kreis von Kunden zu sichern. Den Produktionsperioden entsprechend bilden sich Kauftermine und bildet die Ware während längrer oder kürzrer Zeit Vorrat, bis sie durch neue Exemplare derselben Art ersetzt werden kann. Nur durch diese Vorratbildung ist die Beständigkeit und Kontinuität des Zirkulationsprozesses, und daher des Reproduktionsprozesses, derA7 den Zirkulationsprozeß einschließt, gesichert.

Man muß sich erinnern: W' – G' kann für den Produzenten von W vollzogen[148] sein, obgleich W sich noch auf dem Markt befindet. Wollte der Produzent selbst seine eigne Ware auf Lager halten, bis sie an den definitiven Konsumenten verkauft ist, so müßte er ein doppeltes Kapital in Bewegung setzen, eins als Produzent der Ware, das andre als Kaufmann. Für die Ware selbst – betrachtet, sei es als einzelne Ware oder als Bestandteil des gesellschaftlichen Kapitals – ändert es nichts an der Sache, ob die Kosten der Vorratbildung auf ihren Produzenten fallen oder auf eine Reihe Kaufleute von A bis Z.

Soweit der Warenvorrat nichts ist als die Warenform des Vorrats, der aufgegebner Stufenleiter der gesellschaftlichen Produktion entweder als produktiver Vorrat (latenter Produktionsfonds) oder als Konsumtionsfonds (Reserve von Konsumtionsmitteln) existieren würde, wenn er nicht als Warenvorrat existierte, sind auch die Kosten, die die Erhaltung des Vorrats erheischt, also die Kosten der Vorratbildung – d.h. die hierauf verwandte vergegenständlichte oder lebendige Arbeit – bloß transponierte Kosten der Erhaltung, sei es des gesellschaftlichen Produktionsfonds, sei es des gesellschaftlichen Konsumtionsfonds. Die Erhöhung des Werts der Ware, die sie verursachen, verteilt diese Kosten nur pro rata auf die verschiednen Waren, da dieselben für verschiedne Warensorten verschieden sind. Nach wie vor bleiben Kosten der Vorratbildung Abzüge von dem gesellschaftlichen Reichtum, obgleich sie eine Existenzbedingung desselben sind.

Nur soweit der Warenvorrat Bedingung der Warenzirkulation und selbst eine in der Warenzirkulation notwendig entstandne Form ist, soweit diese scheinbare Stagnation also Form des Flusses selbst, ganz wie Bildung von Geldreserve Bedingung der Geldzirkulation ist – nur soweit ist sie normal. Sobald dagegen die in ihren Zirkulationsreservoirs verweilenden Waren der nacheilenden Welle der Produktion nicht Platz machen, die Reservoirs also überfüllt werden, dehnt sich der Warenvorrat aus infolge der Zirkulationsstockung, ganz wie die Schätze wachsen, wenn die Geldzirkulation stockt. Es ist dabei gleichgültig, ob diese Stockung in den Speichern des industriellen Kapitalisten oder in den Lagerhäusern des Kaufmanns stattfindet. Der Warenvorrat ist dann nicht Bedingung des ununterbrochnen Verkaufs, sondern Folge der Unverkäuflichkeit der Waren. Die Kosten bleiben dieselben, aber, da sie jetzt rein aus der Form entspringen, nämlich aus der Notwendigkeit, die Waren in Geld zu verwandeln, und der Schwierigkeit dieser Metamorphose, so gehn sie nicht ein in den Wert der Ware, sondern bilden Abzüge, Wertverlust in der Realisierung des Werts. Da die normale und die anormale Form des Vorrats sich der Form nach nicht unterscheiden, und beides Zirkulationsstockungen sind, so können die Phänomene verwechselt[149] werden und um so mehr den Produktionsagenten selbst täuschen, als für den Produzenten der Zirkulationsprozeß seines Kapitals fließen kann, obgleich der Zirkulationsprozeß seiner Waren, die in die Hände der Kaufleute übergegangen sind, stockt. Schwillt der Umfang der Produktion und Konsumtion, so, bei sonst gleichbleibenden Umständen, der Umfang des Warenvorrats. Er wird ebenso rasch erneuert und absorbiert, aber sein Umfang ist größer. Der durch die Zirkulationsstockung schwellende Umfang des Warenvorrats kann also für ein Symptom der Erweitrung des Reproduktionsprozesses versehn werden, namentlich, sobald mit der Entwicklung des Kreditsystems die wirkliche Bewegung mystifiziert werden kann.

Die Kosten der Vorratbildung bestehn 1. aus quantitativer Abnahme der Produktmasse (z.B. bei Mehlvorrat); 2. Verderb der Qualität; 3. aus der vergegenständlichten und lebendigen Arbeit, welche die Erhaltung des Vorrats erheischt.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1963, Band 24, S. 145-150.
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