II. Der Umschlag des variablen Einzelkapitals

[310] »Welches immer die gesellschaftliche Form des Produktionsprozesses, er muß kontinuierlich sein oder periodisch stets von neuem dieselben Stadien durchlaufen... In seinem stetigen Zusammenhang und dem beständigen Fluß seiner Erneuerung betrachtet, ist jeder gesellschaftliche Produktionsprozeß daher zugleich Reproduktionsprozeß... Als periodisches Inkrement des Kapitalwerts oder periodische Frucht des Kapitals erhält der Mehrwert die Form einer aus dem Kapital entspringenden Revenue.« (Buch I, Kap. XXI, S. 588, 589.)

Wir haben 10 fünfwöchentliche Umschlagsperioden des Kapitals A; in der ersten Umschlagsperiode werden 500 Pfd. St. variables Kapital vorgeschossen; d.h., jede Woche werden 100 Pfd. St. in Arbeitskraft umgesetzt, so daß am Ende der ersten Umschlagsperiode 500 Pfd. St. in Arbeitskraft verausgabt worden sind. Diese 500 Pfd. St., ursprünglich Teil des vorgeschoßnen Gesamtkapitals, haben aufgehört, Kapital zu sein. Sie sind in[310] Arbeitslohn wegbezahlt. Die Arbeiter zahlen sie ihrerseits weg in Ankauf ihrer Lebensmittel, verzehren also Lebensmittel zum Wert von 500 Pfd. St. Eine Warenmasse zu diesem Wertbetrag ist also vernichtet (was der Arbeiter etwa als Geld etc. aufspart, ist ebenfalls nicht Kapital). Diese Warenmasse ist unproduktiv verzehrt für den Arbeiter, außer soweit sie seine Arbeitskraft, also ein unentbehrliches Instrument des Kapitalisten, wirkungsfähig erhält. – Zweitens aber sind diese 500 Pfd. St. für den Kapitalisten in Arbeitskraft für denselben Wert (resp. Preis) umgesetzt. Die Arbeitskraft wird von ihm im Arbeitsprozeß produktiv konsumiert. Am Ende der 5 Wochen ist ein Wertprodukt da von 1000 Pfd. St. Die Hälfte davon, 500 Pfd. St., ist der reproduzierte Wert des in Zahlung von Arbeitskraft verausgabten variablen Kapitals. Die andre Hälfte, 500 Pfd. St., ist neu produzierter Mehrwert. Aber die fünfwöchentliche Arbeitskraft, durch Umsatz in welche ein Teil des Kapitals sich invariables Kapital verwandelte, ist ebenfalls verausgabt, verzehrt, wenn auch produktiv. Die gestern tätige Arbeit ist nicht dieselbe Arbeit, die heute tätig ist. Ihr Wert, plus dem von ihr geschaffnen Mehrwert, existiert jetzt als Wert eines von der Arbeitskraft selbst unterschiednen Dings, des Produkts. Dadurch jedoch, daß das Produkt in Geld verwandelt wird, kann der Wertteil desselben, der gleich dem Wert des vorgeschoßnen variablen Kapitals ist, von neuem gegen Arbeitskraft umgesetzt werden und daher von neuem als variables Kapital fungieren. Der Umstand, daß mit dem nicht nur reproduzierten, sondern auch in Geldform rückverwandelten Kapitalwert dieselben Arbeiter, d.h. dieselben Träger der Arbeitskraft, beschäftigt werden, ist gleichgültig. Es ist möglich, daß der Kapitalist in der zweiten Umschlagsperiode neue Arbeiter statt der alten anwendet.

Es wird also in der Tat in den 10 fünfwöchentlichen Umschlagsperioden sukzessive ein Kapital von 5000 Pfd. St. und nicht von 500 Pfd. St. in Arbeitslohn verausgabt, welcher Arbeitslohn wieder von den Arbeitern in Lebensmitteln verausgabt wird. Das so vorgeschoßne Kapital von 5000 Pfd. St. ist verzehrt. Es existiert nicht mehr. Andrerseits wird Arbeitskraft zum Wert, nicht von 500, sondern von 5000 Pfd. St. sukzessive dem Produktionsprozeß einverleibt und reproduziert nicht nur ihren eignen Wert = 5000 Pfd. St., sondern produziert im Überschuß einen Mehrwert von 5000 Pfd. St. Das variable Kapital von 500 Pfd. St., welches in der zweiten Umschlagsperiode vorgeschossen wird, ist nicht das identische Kapital von 500 Pfd. St., das in der ersten Umschlagsperiode vorgeschossen. Dies ist verzehrt, in Arbeitslohn verausgabt. Aber es ist ersetzt durch ein neues variables Kapital von 500 Pfd. St., welches in der ersten Umschlagsperiode in Warenform produziert[311] und in Geld form rückverwandelt wurde. Dies neue Geldkapital von 500 Pfd. St. ist also die Geldform der in der ersten Umschlagsperiode neu produzierten Warenmasse. Der Umstand, daß sich wieder in der Hand des Kapitalisten eine identische Geldsumme von 500 Pfd. St. befindet, d.h. abgesehn vom Mehrwert gerade so viel Geldkapital als er ursprünglich vorschoß, verdeckt den Umstand, daß er mit einem neu produzierten Kapital operiert. (Was die andern Wertbestandteile des Warenkapitals angeht, welche die konstanten Kapitalteile ersetzen, so ist ihr Wert nicht neu produziert, sondern nur die Form verändert, worin dieser Wert existiert.) – Nehmen wir die dritte Umschlagsperiode. Hier ist es augenscheinlich, daß das zum dritten Mal vorgeschoßne Kapital von 500 Pfd. St. nicht ein altes, sondern ein neu produziertes Kapital ist, denn es ist die Geldform der in der zweiten Umschlagsperiode und nicht in der ersten Umschlagsperiode produzierten Warenmasse, d.h. des Teils dieser Warenmasse, dessen Wert gleich dem Wert des vorgeschoßnen variablen Kapitals ist. Die in der ersten Umschlagsperiode produzierte Warenmasse ist verkauft. Ihr Wertteil, der gleich dem variablen Wertteil des vorgeschoßnen Kapitals, wurde in die neue Arbeitskraft der zweiten Umschlagsperiode umgesetzt und produzierte eine neue Warenmasse, die wieder verkauft wurde und wovon ein Wertteil das in der dritten Umschlagsperiode vorgeschoßne Kapital von 500 Pfd. St. bildet.

Und so während der zehn Umschlagsperioden. Während derselben werden alle fünf Wochen neu produzierte Warenmassen (deren Wert, soweit er variables Kapital ersetzt, ebenfalls neu produziert ist, nicht nur wieder erscheint, wie bei dem konstanten zirkulierenden Kapitalteil) auf den Markt geworfen, um stets neue Arbeitskraft dem Produktionsprozeß einzuverleiben.

Was also durch den zehnmaligen Umschlag des vorgeschoßnen variablen Kapitals von 500 Pfd. St. erreicht wird, ist nicht, daß dies Kapital von 500 Pfd. St. zehnmal produktiv konsumiert werden kann oder daß ein für 5 Wochen reichendes variables Kapital während 50 Wochen angewandt werden kann. Es werden vielmehr 10 * 500 Pfd. St. variables Kapital in den 50 Wochen angewandt, und das Kapital von 500 Pfd. St. reicht immer nur für 5 Wochen aus und muß nach Ende der 5 Wochen durch ein neu produziertes Kapital von 500 Pfd. St. ersetzt werden. Dies findet statt ebensogut für Kapital A wie für Kapital B. Aber hier beginnt der Unterschied.

Am Ende des ersten Zeitabschnitts von 5 Wochen ist von B wie von A ein variables Kapital von 500 Pfd. St. vorgeschossen und verausgabt. Von B[312] wie von A ist sein Wert in Arbeitskraft umgesetzt und er setzt worden durch den Teil des von dieser Arbeitskraft neu erzeugten Werts des Produkts, der gleich ist dem Wert des vorgeschoßnen variablen Kapitals von 500 Pfd. St. Für B wie für A hat die Arbeitskraft nicht nur den Wert des verausgabten variablen Kapitals von 500 Pfd. St. durch einen Neuwert zum selben Betrag ersetzt, sondern einen Mehrwert – und nach der Voraussetzung von derselben Größe – zugefügt.

Aber bei B befindet sich das Wertprodukt, welches das vorgeschoßne variable Kapital ersetzt und seinem Wert einen Mehrwert zufügt, nicht in der Form, worin es von neuem als produktives Kapital, resp. variables Kapital fungieren kann. Für A befindet es sich in dieser Form. Und bis zu Ende des Jahres besitzt B das in den ersten 5 Wochen und dann sukzessive in je 5 Wochen verausgabte variable Kapital, obgleich ersetzt durch neu produzierten Wert plus Mehrwert, nicht in der Form, worin es von neuem als produktives Kapital, resp. variables Kapital fungieren kann. Sein Wert ist zwar durch einen Neuwert ersetzt, also erneuert, aber seine Wertform (hier die absolute Wertform, seine Geldform) ist nicht erneuert.

Für den zweiten Zeitraum von 5 Wochen (und so sukzessive für je 5 Wochen während des Jahrs) müssen also ebensowohl fernere 500 Pfd. St. vorrätig sein wie für den ersten Zeitraum. Also müssen, von Kreditverhältnissen abgesehn, am Anfang des Jahrs 5000 Pfd. St. vorrätig, als latentes vorgeschoßnes Geldkapital da sein, obgleich sie erst während des Jahrs nach und nach wirklich verausgabt, in Arbeitskraft umgesetzt werden.

Bei A dagegen, weil der Kreislauf, der Umschlag des vorgeschoßnen Kapitals vollendet, befindet sich der Wertersatz schon nach Ablauf der ersten 5 Wochen in der Form, worin er neue Arbeitskraft für 5 Wochen in Bewegung setzen kann: in seiner ursprünglichen Geldform.

Sub A wie sub B wird in der zweiten Periode von 5 Wochen neue Arbeitskraft verzehrt und ein neues Kapital von 500 Pfd. St. in Zahlung dieser Arbeitskraft verausgabt. Die mit den ersten 500 Pfd. St. bezahlten Lebensmittel der Arbeiter sind weg, in allen Fällen ist der Wert dafür verschwunden aus der Hand des Kapitalisten. Mit den zweiten 500 Pfd. St. wird neue Arbeitskraft gekauft, neue Lebensmittel dem Markt entzogen. Kurz, es wird ein neues Kapital von 500 Pfd. St. verausgabt, nicht das alte. Aber sub A ist dies neue Kapital von 500 Pfd. St. die Geldform des neu produzierten Wertersatzes der früher verausgabten 500 Pfd. St. Sub B befindet sich dieser Wertersatz in einer Form, worin er nicht als variables Kapital fungieren kann. Er ist da, aber nicht in der Form von variablem Kapital. Es muß daher zur Fortsetzung des Produktionsprozesses für die[313] nächsten 5 Wochen ein zuschüssiges Kapital von 500 Pfd. St. in der hier unumgänglichen Geldform vorhanden sein und vorgeschossen werden. So wird von A wie von B während 50 Wochen gleichviel variables Kapital verausgabt, gleichviel Arbeitskraft gezahlt und verbraucht. Aber von B muß sie gezahlt werden mit einem vorgeschoßnen Kapital gleich ihrem Gesamtwert = 5000 Pfd. St. Von A wird sie sukzessiv gezahlt durch die stets erneute Geldform des während je 5 Wochen produzierten Wertersatzes des für je 5 Wochen vorgeschoßnen Kapitals von 500 Pfd. St. Es wird also hier nie ein größres Geldkapital vorgeschossen als für 5 Wochen, d.h. nie ein größres als das für die ersten 5 Wochen vorgeschoßne von 500 Pfd. St. Diese 500 Pfd. St. reichen für das ganze Jahr. Es ist daher klar, daß bei gleichem Exploitationsgrad der Arbeit, gleicher wirklicher Rate des Mehrwerts, die Jahresraten von A und B sich umgekehrt verhalten müssen wie die Größen der variablen Geldkapitale, die vorgeschossen werden mußten, um während des Jahrs dieselbe Masse Arbeitskraft in Bewegung zu setzen. A: 5000m/500v = 1000%, und B: 5000m/5000v = 100%. Aber 500v:5000v = 1:10 = 100%:1000%.

Der Unterschied entspringt aus der Verschiedenheit der Umschlagsperioden, d.h. der Perioden, worin der Wertersatz des in einem bestimmten Zeitraum angewandten variablen Kapitals von neuem als Kapital fungieren kann, also als neues Kapital. Bei B wie bei A findet derselbe Wertersatz für das während derselben Perioden angewandte variable Kapital statt. Es findet auch derselbe Zuwachs von Mehrwert während derselben Perioden statt. Aber bei B ist alle 5 Wochen zwar ein Wertersatz von 500 Pfd. St., plus 500 Pfd. St. Mehrwert da, dieser Wertersatz bildet jedoch noch kein neues Kapital, weil er sich nicht in der Geldform befindet. Bei A ist nicht nur der alte Kapitalwert durch einen neuen ersetzt, sondern er ist in seiner Geldform wiederhergestellt, daher als neues funktionsfähiges Kapital ersetzt.

Die frühere oder spätere Verwandlung des Wertersatzes in Geld und daher in die Form, worin das variable Kapital vorgeschossen wird, ist offenbar ein für die Produktion des Mehrwerts selbst ganz gleichgültiger Umstand. Diese hängt von der Größe des angewandten variablen Kapitals und dem Exploitationsgrad der Arbeit ab. Jener Umstand aber modifiziert die Größe des Geldkapitals, das vorgeschossen werden muß, um während des Jahrs ein bestimmtes Quantum Arbeitskraft in Bewegung zu setzen, und bestimmt daher die Jahresrate des Mehrwerts.[314]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1963, Band 24, S. 310-315.
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