III. Der Umschlag des variablen Kapitals, gesellschaftlich betrachtet

[315] Betrachten wir die Sache einen Augenblick vom gesellschaftlichen Standpunkt. Ein Arbeiter koste 1 Pfd. St. per Woche, der Arbeitstag sei = 10 Stunden. Sub A wie sub B sind während des Jahrs 100 Arbeiter beschäftigt (100 Pfd. St. per Woche für 100 Arbeiter macht für 5 Wochen 500 Pfd. St. und für 50 Wochen 5000 Pfd. St.), und diese arbeiten per Woche von 6 Tagen jeder 60 Arbeitsstunden. Also 100 Arbeiter per Woche tun 6000 Arbeitsstunden und in 50 Wochen 300 000 Arbeitsstunden. Diese Arbeitskraft ist von A wie von B mit Beschlag belegt und kann also von der Gesellschaft für nichts andres verausgabt werden. Insoweit ist die Sache also gesellschaftlich dieselbe bei A wie bei B. Ferner: Bei A wie bei B erhalten die je 100 Arbeiter einen Lohn per Jahr von 5000 Pfd. St. (die 200 zusammen also 10000 Pfd. St.) und entziehn für diese Summe der Gesellschaft Lebensmittel. Soweit ist die Sache gesellschaftlich wieder dieselbe sub A wie sub B. Da die Arbeiter in beiden Fällen wöchentlich bezahlt werden, entziehn sie auch der Gesellschaft wöchentlich Lebensmittel, wofür sie ebenfalls in beiden Fällen das Geldäquivalent wöchentlich in Zirkulation werfen. Aber hier beginnt der Unterschied.

Erstens. Das Geld, welches der Arbeiter sub A in Zirkulation wirft, ist nicht nur, wie für den Arbeiter sub B, die Geldform für den Wert seiner Arbeitskraft (in der Tat Zahlungsmittel für bereits geleistete Arbeit); es ist, schon von der zweiten Umschlagsperiode nach Eröffnung des Geschäfts an gerechnet, die Geldform seines eignen Wertprodukts (= Preis der Arbeitskraft plus Mehrwert) der ersten Umschlagsperiode, womit seine Arbeit während der zweiten Umschlagsperiode bezahlt wird. Sub B ist dies nicht der Fall. Mit Bezug auf den Arbeiter ist hier das Geld zwar ein Zahlungsmittel für bereits von ihm geleistete Arbeit, aber diese geleistete Arbeit wird nicht bezahlt mit ihrem eignen vergoldeten Wertprodukt (der Geldform des von ihr selbst produzierten Werts). Dies kann erst eintreten vom zweiten Jahr an, wo der Arbeiter sub B bezahlt wird mit seinem vergoldeten Wertprodukt des vergangnen Jahrs.

Je kürzer die Umschlagsperiode des Kapitals – in je kürzern Zeiträumen daher seine Reproduktionstermine sich innerhalb des Jahrs erneuern –, um so rascher verwandelt sich der ursprünglich in Geldform vom Kapitalisten vorgeschoßne variable Teil seines Kapitals in die Geldform des vom Arbeiter zum Ersatz dieses variablen Kapitals geschaffnen Wertprodukts (das außerdem Mehrwert einschließt); desto kürzer ist also die Zeit, wofür der[315] Kapitalist Geld aus seinem eignen Fonds vorschießen muß, desto kleiner ist, im Verhältnis zu gegebnem Umfang der Produktionsleiter, das Kapital, das er überhaupt vorschießt; und desto größer ist im Verhältnis die Masse Mehrwert, die er bei gegebner Rate des Mehrwerts während des Jahrs herausschlägt, weil er um so öfter den Arbeiter mit der Geldform seines eignen Wertprodukts stets von neuem kaufen und seine Arbeit in Bewegung setzen kann.

Bei gegebner Stufenleiter der Produktion verringert sich im Verhältnis zur Kürze der Umschlagsperiode die absolute Größe des vorgeschoßnen variablen Geldkapitals (wie des zirkulierenden Kapitals überhaupt) und wächst die Jahresrate des Mehrwerts. Bei gegebner Größe des vorgeschoßnen Kapitals wächst die Stufenleiter der Produktion, daher bei gegebner Rate des Mehrwerts die absolute Masse des in einer Umschlagsperiode erzeugten Mehrwerts, gleichzeitig mit der durch die Verkürzung der Reproduktionsperioden bewirkten Steigerung in der Jahresrate des Mehrwerts. Es hat sich überhaupt aus der bisherigen Untersuchung ergeben, daß je nach den verschiednen Größen der Umschlagsperiode Geldkapital von sehr verschiednem Umfang vorzuschießen ist, um dieselbe Masse produktives zirkulierendes Kapital und dieselbe Arbeitsmasse bei demselben Exploitationsgrad der Arbeit in Bewegung zu setzen.

Zweitens – und dies hängt mit dem ersten Unterschied zusammen – zahlt der Arbeiter sub B wie sub A die Lebensmittel, die er kauft, mit dem variablen Kapital, das sich in seiner Hand in Zirkulationsmittel verwandelt hat. Er entzieht z.B. nicht nur Weizen vom Markt, sondern ersetzt ihn auch durch ein Äquivalent in Geld. Da aber das Geld, womit der Arbeiter sub B seine Lebensmittel zahlt und dem Markt entzieht, nicht die Geldform eines von ihm während des Jahrs auf den Markt geworfnen Wertprodukts ist, wie beim Arbeiter sub A, so liefert er dem Verkäufer seiner Lebensmittel zwar Geld, aber keine Ware – sei es Produktionsmittel, sei es Lebensmittel –, die dieser mit dem gelösten Geld kaufen könne, was dagegen sub A der Fall ist. Es werden daher dem Markt Arbeitskraft, Lebensmittel für diese Arbeitskraft, fixes Kapital in der Form der sub B angewandten Arbeitsmittel und Produktionsstoffe entzogen, und zu ihrem Ersatz wird ein Äquivalent in Geld in den Markt geworfen; aber es wird während des Jahrs kein Produkt in den Markt geworfen, um die ihm entzognen stofflichen Elemente des produktiven Kapitals zu ersetzen. Denken wir die Gesellschaft nicht kapitalistisch, sondern kommunistisch, so fällt zunächst das Geldkapital ganz fort, also auch die Verkleidungen der Transaktionen, die durch es hineinkommen. Die Sache reduziert sich einfach darauf, daß die Gesellschaft im[316] voraus berechnen muß, wieviel Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel sie ohne irgendwelchen Abbruch auf Geschäftszweige verwenden kann, die, wie Bau von Eisenbahnen z.B., für längre Zeit, ein Jahr oder mehr, weder Produktionsmittel noch Lebensmittel, noch irgendeinen Nutzeffekt liefern, aber wohl Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel der jährlichen Gesamtproduktion entziehn. In der kapitalistischen Gesellschaft dagegen, wo der gesellschaftliche Verstand sich immer erst post festum geltend macht, können und müssen so beständig große Störungen eintreten. Einerseits Druck auf den Geldmarkt, während umgekehrt die Leichtigkeit des Geldmarkts ihrerseits solche Unternehmungen in Masse hervorruft, also gerade die Umstände, welche später den Druck auf den Geldmarkt hervorrufen. Der Geldmarkt wird gedrückt, da Vorschuß von Geldkapital auf großer Stufenleiter hier beständig während langen Zeitraums nötig ist. Ganz abgesehn davon, daß Industrielle und Kaufleute das für den Betrieb ihres Geschäfts nötige Geldkapital in Eisenbahnspekulationen etc. werfen und durch Anleihen auf dem Geldmarkt ersetzen. – Andrerseits: Druck auf das disponible produktive Kapital der Gesellschaft. Da beständig Elemente des produktiven Kapitals dem Markt entzogen werden und für dieselben nur ein Geldäquivalent in den Markt geworfen wird, so steigt die zahlungsfähige Nachfrage, ohne aus sich selbst irgendein Element der Zufuhr zu liefern. Daher Steigen der Preise, sowohl der Lebensmittel wie der Produktionsstoffe. Es kommt hinzu, daß während dieser Zeit regelmäßig geschwindelt wird, große Übertragung von Kapital stattfindet. Eine Bande von Spekulanten, Kontraktoren, Ingenieuren, Advokaten etc. bereichert sich. Sie verursachen starke konsumtive Nachfrage auf dem Markt, daneben steigen die Arbeitslöhne. Mit Bezug auf Nahrungsmittel wird dadurch allerdings auch der Landwirtschaft ein Sporn gegeben. Da jedoch diese Nahrungsmittel nicht plötzlich, innerhalb des Jahres zu vermehren sind, wächst ihre Einfuhr, wie überhaupt die Einfuhr der exotischen Nahrungsmittel (Kaffee, Zucker, Wein etc.) und der Luxusgegenstände. Daher Übereinfuhr und Spekulation in diesem Teil des Importgeschäfts. Andrerseits in den Industriezweigen, worin die Produktion rasch vermehrt werden kann (eigentliche Manufaktur, Bergbau etc.), bewirkt das Steigen der Preise plötzliche Ausdehnung, der bald der Zusammenbruch folgt. Dieselbe Wirkung findet statt auf dem Arbeitsmarkt, um große Massen der latenten relativen Übervölkerung, und selbst der beschäftigten Arbeiter, für die neuen Geschäftszweige heranzuziehn. Überhaupt entziehn solche Unternehmungen auf großer Stufenleiter, wie Eisenbahnen, dem Arbeitsmarkt ein bestimmtes Quantum Kräfte, das nur aus gewissen Zweigen, wie Landwirtschaft etc.,[317] herkommen kann, wo ausschließlich starke Burschen gebraucht werden. Dies findet noch statt, selbst nachdem die neuen Unternehmungen schon stehender Betriebszweig geworden sind und daher die für sie nötige wandernde Arbeiterklasse bereits gebildet ist. Sobald z.B. der Eisenbahnbau momentan auf einer größern als der Durchschnittsstufenleiter betrieben wird. Ein Teil der Arbeiterreservearmee wird absorbiert, deren Druck den Lohn niedriger hielt. Die Löhne steigen allgemein, selbst in den bisher gut beschäftigten Teilen des Arbeitsmarkts. Dies dauert solange, bis der unvermeidliche Krach die Reservearmee von Arbeitern wieder freisetzt und die Löhne wieder auf ihr Minimum und darunter herabgedrückt werden.38

Soweit die größre oder geringre Länge der Umschlagsperiode abhängt von der Arbeitsperiode im eigentlichen Sinn, d.h. der Periode, nötig, um das Produkt für den Markt fertigzumachen, beruht sie auf den jedesmal gegebnen sachlichen Produktionsbedingungen der verschiednen Kapitalanlagen, die innerhalb der Agrikultur mehr den Charakter von Naturbedingungen der Produktion besitzen, in der Manufaktur und dem größten Teil der extraktiven Industrie mit der gesellschaftlichen Entwicklung des Produktionsprozesses selbst wechseln.

Soweit die Länge der Arbeitsperiode auf der Größe der Lieferungen beruht (dem quantitativen Umfang, worin das Produkt als Ware in der Regel auf den Markt geworfen wird), hat dies konventionellen Charakter. Aber die Konvention selbst hat zur materiellen Basis die Stufenleiter der Produktion und ist daher nur im einzelnen betrachtet zufällig.

Soweit endlich die Länge der Umschlagsperiode von der Länge der Zirkulationsperiode abhängt, ist diese zum Teil zwar bedingt durch den beständigen Wechsel in den Marktkonjunkturen, die größre oder geringre Leichtigkeit zu verkaufen und die dieser entspringende Notwendigkeit, das[318] Produkt teilweise auf nähern oder entferntern Markt zu werfen. Abgesehn vom Umfang der Nachfrage überhaupt, spielt die Bewegung der Preise hier eine Hauptrolle, indem der Verkauf bei fallenden Preisen absichtlich beschränkt wird, während die Produktion vorangeht; umgekehrt bei steigenden Preisen, wo Produktion und Verkauf Schritt halten oder im voraus verkauft werden kann. Jedoch ist als eigentliche materielle Basis zu betrachten die wirkliche Entfernung des Produktionssitzes vom Absatzmarkt.

Es wird z.B. englisches Baumwollgewebe oder Garn nach Indien verkauft. Der Exportkaufmann zahle den englischen Baumwollfabrikanten (der Exportkaufmann tut dies nur willig bei gutem Stand des Geldmarkts. Sobald der Fabrikant selbst durch Kreditoperationen sein Geldkapital ersetzt, steht's schon schief). Der Exporteur verkauft seine Baumwollware später auf dem indischen Markt, von wo ihm sein vorgeschoßnes Kapital remittiert wird. Bis zu diesem Rückfluß verhält sich die Sache ganz wie in dem Fall, wo die Länge der Arbeitsperiode Vorschuß von neuem Geldkapital nötig macht, um den Produktionsprozeß aufgegebner Stufenleiter in Gang zu halten. Das Geldkapital, womit der Fabrikant seine Arbeiter zahlt und ebenso die übrigen Elemente seines zirkulierenden Kapitals erneuert, sind nicht die Geldform der von ihm produzierten Garne. Dies kann erst der Fall sein, sobald der Wert dieses Garns in Geld oder Produkt nach England zurückgeflossen ist. Sie sind zuschüssiges Geldkapital wie vorher. Der Unterschied ist nur, daß statt des Fabrikanten der Kaufmann es vorschießt, dem es vielleicht selbst wieder durch Kreditoperationen vermittelt ist. Ebenso ist nicht, bevor dies Geld in den Markt geworfen wird oder gleichzeitig mit ihm, ein zuschüssiges Produkt in den englischen Markt geworfen worden, das mit diesem Geld gekauft werden und in die produktive oder individuelle Konsumtion eingehn kann. Tritt dieser Zustand für längre Zeit und auf größrer Stufenleiter ein, so muß er dieselben Folgen bewirken wie vorher die verlängerte Arbeitsperiode.

Es ist nun möglich, daß in Indien selbst wieder das Garn auf Kredit verkauft wird. Mit diesem Kredit wird in Indien Produkt gekauft und als Retour nach England geschickt oder Wechsel für den Betrag remittiert. Verlängert sich dieser Zustand, so tritt ein Druck auf den indischen Geldmarkt ein, dessen Rückschlag auf England hier eine Krise hervorrufen mag. Die Krise ihrerseits, selbst wenn verbunden mit Export edler Metalle nach Indien, ruft in letztrem Lande eine neue Krise hervor, wegen des Bankrotts englischer Geschäftshäuser und ihrer indischen Zweighäuser, denen von den indischen Banken Kredit gegeben war. So entsteht eine gleichzeitige Krise sowohl auf dem Markt, gegen den, wie auf dem Markt, [319] für den die Handelsbilanz ist. Dies Phänomen kann noch komplizierter sein. England hat z.B. Silberbarren nach Indien geschickt, aber die englischen Gläubiger von Indien treiben jetzt ihre Forderungen dort ein, und Indien wird kurz nachher seine Silberbarren nach England zurückzuschicken haben.

Es ist möglich, daß der Exporthandel nach Indien und der Importhandel von Indien sich ungefähr ausgleichen, obgleich der letztre (ausgenommen besondre Umstände, wie Baumwollteurung etc.) seinem Umfang nach durch den erstern bestimmt und stimuliert sein wird. Die Handelsbilanz zwischen England und Indien kann ausgeglichen scheinen oder nur schwache Schwankungen nach der einen oder andern Seite aufweisen. Sobald aber die Krise in England ausbricht, zeigt sich, daß unverkaufte Baumwollwaren in Indien lagern (sich also nicht aus Warenkapital in Geldkapital verwandelt haben – Überproduktion nach dieser Seite) und daß andrerseits in England nicht nur unverkaufte Vorräte indischer Produkte liegen, sondern daß ein großer Teil der verkauften und verzehrten Vorräte noch gar nicht bezahlt ist. Was daher als Krise auf dem Geldmarkt erscheint, drückt in der Tat Anomalien im Produktions- und Reproduktionsprozeß selbst aus.

Drittens: In bezug auf das angewandte zirkulierende Kapital selbst (variables wie konstantes) macht die Länge der Umschlagsperiode, soweit sie aus der Länge der Arbeitsperiode hervorgeht, diesen Unterschied: Bei mehreren Umschlägen während des Jahrs kann ein Element des variablen oder konstanten zirkulierenden Kapitals durch sein eignes Produkt geliefert werden, wie bei Kohlenproduktion, Kleiderkonfektion etc. Im andern Fall nicht, wenigstens nicht während des Jahrs.[320]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1963, Band 24, S. 315-321.
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