II. Die Börse

[917] 1. Aus dem 3. Bd., 5. Abschnitt, besonders Kapitel [27], geht hervor, welche Stellung die Börse in der kapitalistischen Produktion überhaupt einnimmt. Nun ist aber seit 1865, wo das Buch verfaßt, eine Veränderung eingetreten, die der Börse heute eine um ein Bedeutendes gesteigerte und noch stets wachsende Rolle zuweist und die bei der ferneren Entwicklung die Tendenz hat, die gesamte Produktion, industrielle wie agrikulturelle, und den gesamten Verkehr, Kommunikationsmittel wie Austauschfunktion, in den Händen von Börsianern zu konzentrieren, so daß die Börse die hervorragendste Vertreterin der kapitalistischen Produktion selbst wird.

2. 1865 war die Börse noch ein sekundäres Element im kapitalistischen System. Die Staatspapiere repräsentierten die Hauptmasse der Börsenwerte, und auch ihre Masse war noch relativ gering. Daneben die Aktienbanken, die auf dem Kontinent und in Amerika vorherrschend, in England sich eben erst zur Verschluckung der aristokratischen Privatbanken anschickten. Aber in Masse noch relativ unbedeutend. 3. Die Eisenbahnaktien auch noch relativ schwach gegen jetzt. Direkt produktive Etablissements aber nur wenig in Aktienform. Damals war noch »das Auge des Meisters« ein unüberwundener Aberglaube – und wie die Banken, am meisten in den ärmeren Ländern, in Deutschland, Österreich, Amerika etc.

Damals also die Börse noch ein Ort, wo die Kapitalisten sich ihre akkumulierten Kapitalien untereinander abnahmen und der die Arbeiter direkt nur anging als neues Beweisstück der demoralisierenden allgemeinen Wirkung der kapitalistischen Wirtschaft und Bestätigung des kalvinistischen Satzes, daß die Gnadenwahl alias der Zufall schon in diesem Leben über Seligkeit und Verdammnis, über Reichtum, d.h. Genuß und Macht, und über Armut, d.h. Entbehrung und Knechtschaft, entscheidet.

3. Jetzt anders. Die Akkumulation ist seit der Krise von 1866 mit einer stets wachsenden Schnelligkeit vorgegangen, und zwar so, daß in keinem Industrieland, am wenigsten England, die Ausdehnung der Produktion mit[917] der der Akkumulation Schritt halten, die Akkumulation des einzelnen Kapitalisten in der Vergrößerung seines eigenen Geschäfts volle Verwendung finden konnte; englische Baumwollindustrie schon 1845, Eisenbahnschwindel. Mit dieser Akkumulation aber stieg auch die Masse der Rentiers, der Leute, die die regelmäßige Anspannung im Geschäft satt waren, die also bloß sich amüsieren wollten oder doch nur gelinde Beschäftigung als Direktoren oder Aufsichtsräte von Kompanien treiben. Und drittens wurden, um die Anlage der so als Geldkapital flottierenden Masse zu erleichtern, nun überall, wo es noch nicht geschehn, neue gesetzliche Formen der Gesellschaften mit beschränkter Haftbarkeit hergestellt, und die Verpflichtung der bisher unbeschränkt haftenden Aktionäre auch ± reduziert (Aktien-Gesellschaften in Deutschland 1890. 40% der Zeichnung!).

4. Hiernach allmähliche Verwandlung der Industrie in Aktienunternehmungen. Ein Zweig nach dem andern verfällt dem Schicksal. Zuerst Eisen, wo Riesenanlagen jetzt nötig (vorher Bergwerke, wo diese nicht schon verkuxt). Dann chemische Industrie ditto. Maschinenfabriken. Auf dem Kontinent Textilindustrie, in England bloß noch in einigen Gegenden von Lancashire (Spinnerei Oldham, Weberei Burnley etc., Schneider-Kooperation, diese aber nur Vorstufe, um bei der nächsten Krisis wieder an die masters zu fallen), Brauereien (vor ein paar Jahren die amerik. an engl. Kapital[isten] verschachert, dann Guinness, Bass, Allsopp). Dann die Trusts, die Riesenunternehmungen mit gemeinsamer Leitung schaffen (wie die United Alkali). Die gewöhnliche Einzelfirma + & + nur Vorstufe, um das Geschäft dahin zu bringen, wo es groß genug, um »gegründet« zu werden.

Dasselbe vom Handel. Leafs, Parsons, Morleys, Morrison, Dillon, alle gegründet. Ebenso jetzt schon Detailhäuser, und zwar nicht nur unter dem Schein der Kooperation à la »Stores«.

Dasselbe von Banken und andern Kreditinstituten auch in England. Unmassen neuer, alle Aktien delimited. Sogar alte Banken wie Glyns etc. verwandeln sich mit 7 Privat-Aktionären in Limited.

5. Auf dem Gebiet des Ackerbaues dasselbe. Die enorm ausgedehnten Banken besonders in Deutschland (unter allerlei bürokratischen Namen) mehr und mehr Träger der Hypothek, mit ihren Aktien wird das wirkliche Obereigentum über den Grundbesitz der Börse überliefert, und dies noch mehr bei Verfall der Güter an die Gläubiger. Hier wirkt die agrikulturelle Revolution der Steppenkultur gewaltsam; gehts so fort, die Zeit abzusehn, wo auch Englands und Frankreichs Boden verbörset.[918]

6. Nun aber die auswärtigen Anlagen alle in Aktien. Um nur von England zu sprechen: amerik. Eisenbahnen, Nord und Süd (die Stock-List nachschlagen), Goldberger etc.

7. Dann die Kolonisation. Diese ist heute rein Sukkursale der Börse, in derem Interesse die europäischen Mächte vor ein paar Jahren Afrika geteilt, die Franzosen Tunis und Tonkin erobert haben. Afrika direkt an Kompanien verpachtet (Niger, Südafrika, Deutsch-Südwest- und Ostafrika) und Maschonaland und Natalland für die Börse von Rhodes in Besitz genommen.[919]


Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1964, Band 25.
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