III. Kompensationsgründe des Kapitalisten

[218] Es ist gesagt worden, daß die Konkurrenz die Profitraten der verschiednen Produktionssphären zur Durchschnittsprofitrate ausgleicht und ebendadurch die Werte der Produkte dieser verschiednen Sphären in Produktionspreise verwandelt. Und zwar geschieht dies durch fortwährende Übertragung von Kapital aus einer Sphäre in die andre, wo augenblicklich der Profit über dem Durchschnitt steht; wobei jedoch in Betracht kommen die mit dem Wechsel der magern und fetten Jahre, wie sie in einem gegebnen Industriezweig innerhalb einer gegebnen Epoche einander folgen, verbundnen Profitschwankungen. Diese ununterbrochne Aus- und Einwanderung des Kapitals, die zwischen verschiednen Sphären der Produktion stattfindet, erzeugt steigende und fallende Bewegungen der Profitrate, die sich gegenseitig mehr oder weniger ausgleichen und dadurch die Tendenz haben, die Profitrate überall auf dasselbe gemeinsame und allgemeine Niveau zu reduzieren.

Diese Bewegung der Kapitale wird in erster Linie stets verursacht durch den Stand der Marktpreise, die die Profite hier über das allgemeine Niveau des Durchschnitts erhöhen, dort sie darunter hinabdrücken. Wir sehn einstweilen noch ab vom Kaufmanns kapital, womit wir hier noch nichts zu tun haben und das, wie die plötzlich emporschießenden Paroxysmen der Spekulation in gewissen Lieblingsartikeln zeigen, mit außerordentlicher Schnelligkeit Kapitalmassen aus einer Geschäftsbranche ziehn und sie ebenso plötzlich in eine andre werfen kann. Aber in jeder Sphäre der eigentlichen Produktion – Industrie, Ackerbau, Bergwerke etc. – bietet die Übertragung von Kapital aus einer Sphäre in die andre bedeutende Schwierigkeit, besonders wegen des vorhandnen fixen Kapitals. Zudem zeigt die Erfahrung, daß, wenn ein Industriezweig, z.B. die Baumwollindustrie, zu einer Zeit außerordentlich hohe Profite abwirft, er dann auch zu einer andern Zeit sehr geringen Profit oder gar Verlust bringt, so daß in einem gewissen Zyklus von Jahren der Durchschnittsprofit ziemlich derselbe ist wie in andern Zweigen. Und mit dieser Erfahrung lernt das Kapital bald rechnen.[218]

Was aber die Konkurrenz nicht zeigt, das ist die Wertbestimmung, die die Bewegung der Produktion beherrscht; das sind die Werte, die hinter den Produktionspreisen stehn und sie in letzter Instanz bestimmen. Die Konkurrenz zeigt dagegen: 1. die Durchschnittsprofite, die unabhängig sind von der organischen Zusammensetzung des Kapitals in den verschiednen Produktionssphären, also auch von der Masse der von einem gegebnen Kapital in einer gegebnen Exploitationssphäre angeeigneten lebendigen Arbeit; 2. Steigen und Fallen der Produktionspreise infolge von Wechsel in der Höhe des Arbeitslohns – eine Erscheinung, die dem Wertverhältnis der Waren auf den ersten Blick durchaus widerspricht; 3. Schwankungen der Marktpreise, die den Durchschnittsmarktpreis der Waren in einer gegebnen Zeitperiode reduzieren, nicht auf den Marktwert, sondern auf einen von diesem Marktwert abweichenden, sehr verschiednen Marktproduktionspreis. Alle diese Erscheinungen scheinen ebensosehr der Bestimmung des Werts durch die Arbeitszeit, wie der aus unbezahlter Mehrarbeit bestehenden Natur des Mehrwerts zu widersprechen. Es erscheint also in der Konkurrenz alles verkehrt. Die fertige Gestalt der ökonomischen Verhältnisse, wie sie sich auf der Oberfläche zeigt, in ihrer realen Existenz, und daher auch in den Vorstellungen, worin die Träger und Agenten dieser Verhältnisse sich über dieselben klarzuwerden suchen, sind sehr verschieden von, und in der Tat verkehrt, gegensätzlich zu ihrer innern, wesentlichen, aber verhüllten Kerngestalt und dem ihr entsprechenden Begriff.

Ferner: Sobald die kapitalistische Produktion einen gewissen Entwicklungsgrad erreicht hat, geht die Ausgleichung zwischen den verschiednen Profitraten der einzelnen Sphären zu einer allgemeinen Profitrate keineswegs bloß noch vor sich durch das Spiel der Attraktion und Repulsion, worin die Marktpreise Kapital anziehn oder abstoßen. Nachdem sich die Durchschnittspreise und ihnen entsprechende Marktpreise für eine Zeitlang befestigt haben, tritt es in das Bewußtsein der einzelnen Kapitalisten, daß in dieser Ausgleichung bestimmte Unterschiede ausgeglichen werden, so daß sie dieselben gleich in ihrer wechselseitigen Berechnung einschließen. In der Vorstellung der Kapitalisten leben sie und werden von ihnen in Rechnung gebracht als Kompensationsgründe.

Die Grundvorstellung dabei ist der Durchschnittsprofit selbst, die Vorstellung, daß Kapitale von gleicher Größe in denselben Zeitfristen gleich große Profite abwerfen müssen. Ihr liegt wieder die Vorstellung zugrunde, daß das Kapital jeder Produktionssphäre pro rata seiner Größe teilzunehmen hat an dem von dem gesellschaftlichen Gesamtkapital den Arbeitern ausgepreßten Gesamtmehrwert; oder daß jedes besondre Kapital nur als[219] Stück des Gesamtkapitals, jeder Kapitalist in der Tat als Aktionär in dem Gesamtunternehmen zu betrachten ist, der pro rata der Größe seines Kapitalanteils am Gesamtprofit sich beteiligt.

Auf diese Vorstellung stützt sich dann die Berechnung des Kapitalisten, z.B. daß ein Kapital, welches langsamer umschlägt, weil entweder die Ware länger im Produktionsprozeß verharrt oder weil sie auf entfernten Märkten verkauft werden muß, den Profit, der ihm dadurch entgeht, dennoch anrechnet, sich also durch Aufschlag auf den Preis entschädigt. Oder aber, daß Kapitalanlagen, die größern Gefahren ausgesetzt sind, wie z.B. in der Reederei, eine Entschädigung durch Preisaufschlag erhalten. Sobald die kapitalistische Produktion, und mit ihr das Assekuranzwesen entwickelt ist, ist die Gefahr in der Tat für alle Produktionssphären gleich groß (s. Corbet); die gefährdeteren zahlen aber die höhere Assekuranzprämie und erhalten sie im Preis ihrer Waren vergütet. In der Praxis kommt dies alles darauf hinaus, daß jeder Umstand, der eine Kapitalanlage – und alle gelten für gleich notwendig, innerhalb gewisser Schranken – weniger, und eine andre mehr profitlich macht, als ein für allemal gültiger Kompensationsgrund in Rechnung gebracht wird, ohne daß es immer von neuem wieder der Tätigkeit der Konkurrenz bedürfte, um die Berechtigung solches Motivs oder Berechnungsfaktors darzutun. Nur vergißt der Kapitalist – oder sieht vielmehr nicht, da die Konkurrenz ihm das nicht zeigt –, daß alle diese, in der wechselseitigen Berechnung der Warenpreise verschiedner Produktionszweige von den Kapitalisten gegeneinander geltend gemachten Kompensationsgründe sich bloß darauf beziehn, daß sie alle, pro rata ihres Kapitals, gleich großen Anspruch haben auf die gemeinschaftliche Beute, den Totalmehrwert. Ihnen scheint vielmehr, da der von ihnen einkassierte Profit verschieden von dem von ihnen ausgepreßten Mehrwert, daß seine Kompensationsgründe nicht die Beteiligung am Gesamtmehrwert ausgleichen, sondern den Profit selbst schaffen, indem dieser einfach aus dem so oder so motivierten Aufschlag auf den Kostpreis der Waren herstamme.

Im übrigen gilt auch für den Durchschnittsprofit, was in Kap. VII, S. 116 gesagt wurde über die Vorstellungen des Kapitalisten von der Quelle des Mehrwerts. Hier stellt sich die Sache nur insoweit anders dar, daß bei gegebnem Marktpreis der Waren und gegebner Exploitation der Arbeit die Ersparung in den Kostpreisen von individuellem Geschick, Aufmerksamkeit etc. abhängt.[220]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1964, Band 25, S. 218-221.
Lizenz:
Kategorien: